Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg: Meldung aus dem Untergrund
Seit 1990 ist der als RAF-Terrorist beschuldigte Burkhard Garweg abgetaucht. Jetzt äußert sich der 56-Jährige, die taz dokumentiert hier sein vollständiges Schreiben.
Auch nach deren Auflösung im Jahr 1998 soll er mit zwei RAF-Weggefährten, Daniela Klette und Ernst-Volker Staub, mehrere Raubüberfälle begangen haben, um das Leben im Untergrund zu finanzieren. Seitdem wird nach Garweg gefahndet. Er ist derzeit eine der meist gesuchten Personen Deutschlands.
Aber Garweg ist für die Ermittler nicht zu greifen, seit 34 Jahren nicht.
Nun jedoch meldet sich der 56-Jährige erstmals aus dem Untergrund, mit einem achtseitigen Schreiben, das die taz exklusiv dokumentiert (am Ende dieses Textes zu finden). Dieses wurde geprüft und für authentisch befunden. Auch die Anwält*innen von Garweg, die namentlich nicht genannt werden wollen, versicherten, dass das Schreiben echt ist.
Garweg bezeichnet sich als „politischen Aktivisten“
Garweg verrät nicht, wo er sich derzeit befindet und wer ihn gegebenenfalls unterstützt. Eine Distanzierung von der RAF erfolgt nicht, auch keine Ausführung zu den zehn Morden, die der letzten Generation der Terrorgruppe vorgeworfen werden. Bedauern sucht man in dem Schreiben vergeblich – etwa für den Mord an Gerold von Braunmühl 1986, Abteilungsleiter im Auswärtigen Amt, an Deutsche Bank-Chef Alfred Herrhausen drei Jahre später, oder an Detlev Rohwedder. Der Vorsitzende der Treuhandanstalt wurde im April 1991 erschossen, es war der letzte RAF-Mord.
Garweg ist klar bemüht, ein Bild geradezurücken, das Ermittler und Medien zuletzt von ihm zeichneten: das des weiter gefährlichen, aber nun mehr unpolitischen Ganoven. Vielmehr beschreibt Garweg sich weiter als politischen Aktivisten, als Teil einer „revolutionären Linken“ bis heute.
Für die Behörden blieb Burkhard Garweg lange Zeit ein Phantom. Fast nichts wussten sie über seine Rolle in der RAF, auch nicht über seinen Aufenthaltsort. Bis 2016. Nach mehreren Raubüberfällen auf Geldtransporter und Einkaufsläden in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen konnten Ermittler DNA-Spuren und Bilder von Überwachungskameras Garweg, Klette und Staub zuordnen.
Es sollte indes acht weitere Jahre dauern, bis im Februar diesen Jahres im Berliner Stadtteil Kreuzberg Daniela Klette festgenommen wurde. Seit Jahren hatte sie dort in einer kleinen, schlicht eingerichteten Wohnung gelebt – und direkten Kontakt zu Garweg gehalten. Klette soll ihn noch in einer SMS gewarnt haben: Sie haben mich.
Garweg lebte auf einem Wagenplatz in Berlin
Auch Garweg soll da schon seit Jahren, spätestens seit 2008, in Berlin gelebt haben. Erst in Neukölln, danach auf einem alternativen Bauwagenplatz im Stadtteil Friedrichshain, unter dem Namen „Martin“. Auf dem Platz galt er als Kümmerer, auch als Fotograf soll er aktiv gewesen sein, in Berlin eine Fotografenschule besucht haben. Bevor aber die Polizei auf dem Platz anrückte, setzte Garweg sich ab. Seitdem ist er erneut verschwunden.
Nun aber fühlt sich Garweg offenbar sicher genug, die Öffentlichkeit zu suchen. „Grüße aus der Illegalität“, beginnt sein Schreiben. Er richtet es an seine Familie, an frühere Bekannte, an den Wagenplatz, an „Genoss*innen“. Er holt zur Fundamentalkritik am Kapitalismus, am internationalen Rechtsruck, am Staat und dessen Sicherheitsbehörden aus. Und er appelliert an die linke Szene, wieder aktiv zu werden.
Zur RAF schreibt Garweg über sich und namenlos andere nur als „verfolgte Militante der RAF“. Den ebenso flüchtigen Ernst-Volker Staub erwähnt er gar nicht. Aber Garweg verteidigt offensiv den Kampf der Gruppe. Dieser sei Teil einer „revolutionären Gegenbewegung“ gegen „die strukturelle Gewalt des Systems“ gewesen, heißt es. Man sei „einst aufgebrochen“, um dazu beizutragen, „Ausbeutung, Militarismus und Krieg zu beenden“. Das erinnert an frühere RAF-Erklärungen. Man beantworte „gewalttätige Verhältnisse mit der Gewalt der Revolte“, hieß es dort einst.
Den Terrorvorwurf weist Garweg zurück: Dieser habe „nichts mit uns, hingegen viel mit den Herrschenden und dem kapitalistischen System zu tun“. Die „revolutionäre Gegengewalt“ richte sich „ausschließlich und gezielt gegen die Herrschenden“ – übergehend, dass die RAF auch einfache Polizisten oder Fahrer der ins Visier Genommenen erschoss. Garweg stellt RAF-Mitbegründerin Ulrike Meinhof oder Mitglied Sigurd Debus, der an einem Hungerstreik starb, in eine Reihe von Personen, die historisch ebenso als Terroristen verfolgt wurden, von Thomas Müntzer über Georg Elser bis Nelson Mandela und Che Guevara.
Fahndung wegen Anschlag und Raubüberfällen
Die Ermittler werfen Garweg selbst keine Beteiligung an den letzten RAF-Morden vor. Sie wissen bis heute schlicht nicht, wer diese verübte. Die reine Mitgliedschaft in der RAF ist inzwischen verjährt. Nicht verjährt ist ein Anschlag, für den die Bundesanwaltschaft neben Garweg auch Klette und Staub verfolgt: Im März 1993 sprengte die RAF mit 200 Kilo Sprengstoff die im Bau befindliche JVA Weiterstadt in Hessen in die Luft.
Es war der letzte RAF-Anschlag. Die Gruppe sperrte die Straße zuvor mit einem Schild ab, Wachleute wurden in einen Transporter gezerrt und weggefahren. Der Schaden am Neubau wurde von Behörden auf 123 Millionen DM geschätzt. An einer Strickleiter sollen die Ermittler damals DNA-Spuren von Staub, Klette und Garweg gefunden haben.
Aktuell fahndet indes das Landeskriminalamt Niedersachsen nach Garweg, wegen der Geldüberfälle, die hauptsächlich in der Region stattfanden. 13 Überfälle werfen die Ermittler Garweg, Klette und Staub vor, begangen von 1999 bis 2016. Mehr als 2,7 Millionen Euro sollen dabei erbeutet worden sein. Bei einem Überfall 2015, in Stuhr, wurde auch auf den Beifahrer eines Geldtransporters geschossen, Klette soll mit einer Panzerfaust gedroht haben. Diese Tat wertet die Anklage daher auch als versuchten Mord – was die Anwält*innen von Klette zurückweisen.
Es sei nicht gezielt auf den Beifahrer geschossen worden, die Waffen seien stets nur „Drohkulisse“ gewesen, heißt es von ihnen. Überfälle seien lieber abgebrochen worden, statt tatsächlich zu schießen. Am Donnerstag erzielte Klette einen juristischen Teilerfolg: Das Oberlandesgericht Celle erklärte in einem Beschluss, dass „kein dringender Tatverdacht wegen eines versuchten Mordes“ mehr bestehe.
Garweg bedauert Festnahme von Klette
Ob Garweg bei den Überfällen dabei war, sagt er in seinem Schreiben nicht. Aber er beteuert, dass es „für uns ausgeschlossen“ gewesen sei, „für Geld Gewalt gegen Menschen auszuüben, die sie töten oder physisch verletzen könnte “. Und: „Jegliche Traumatisierung von Angestellten von Kassenbüros oder Geldtransporten ist zu bedauern.“
Vor allem aber beklagt Garweg die Festnahme von Klette zu Jahresbeginn in Berlin. Journalisten, die mittels einer KI Klette auf Onlinefotos identifiziert und so ihren Aufenthaltsort in Berlin entdeckt hatten, kanzelt er als „Hilfspolizist*innen“ und „Denunziant*innen“ ab. Den Polizeieinsatz bei der Festnahme Klettes nennt er eine „Inszenierung“: Die in ihrer Wohnung gefundene Granate und Panzerfaust seien „Attrappen“ gewesen, das Haus sei dennoch evakuiert und tagelang durchsucht worden. Allerdings wurden in Klettes Wohnung auch weitere Waffen, Gold und mehr als 240.000 Euro Bargeld gefunden.
Das Bild der „gewalttätig marodierenden Räuberbande“ habe das Ziel, sie zu „entpolitisieren und zu denunzieren“, sagt Garweg. Die Fahndung sei geprägt durch „Lügen und Hetze“. Garweg entschuldigt sich bei früheren Bekannten, dass er ihnen nicht seine wahre Identität offenlegen konnte – „bitte verzeiht das“. Auch die Durchsuchungen nach seiner Flucht, etwa auf seinem früheren Wagenplatz, habe er „nie gewollt“.
Und Garweg reiht den RAF-Terror auch in spätere und aktuelle Proteste ein: gegen die „Nato-Kampfbomber“ im Jugoslawien- oder Afghanistankrieg, Demos gegen den „Genozid in Gaza“, die Klimaproteste der „Letzten Generation“ oder Aktionen der kurdischen PKK – aber auch in die Corona-Proteste, die erkannt hätten, „dass der Staat Corona zum Anlass nahm, die Formierung des autoritären Staats voranzutreiben“. Es sind neue Bezüge, aber die alten Ideologierahmen – auch wenn Garweg über „bürgerlich-faschistoide-kapitalistische Parteien“ klagt.
Fahndungsdruck zuletzt deutlich erhöht
Zugleich räumt Garweg ein, dass die „revolutionären Konzepte der Geschichte die Antworten zur Überwindung des Kapitalismus nicht aufzeigen konnten“. Es war auch das Fazit der RAF-Auflösungserklärung von 1998, die das eigene Scheitern einräumte und festhielt, dass letztlich eine breite Verankerung in der Gesellschaft fehlte, dass man „keinen Weg zur Befreiung aufzeigen“ konnte. Garweg indes betont, dass man heute weiter vor „denselben Fragen“ stehe. Der Kapitalismus sei zunehmend in der Krise, man steuere auf einen „3. Weltkrieg“ zu. Da brauche es weiter eine „revolutionäre Gegenbewegung“. Es sei wieder „Zeit, sich zu bewegen“.
Die Ermittlungsbehörden dürften Garwegs Einlassungen wenig beruhigen. Sie hatten zuletzt den Fahndungsdruck auf ihn deutlich erhöht. Sein Bauwagen wurde beschlagnahmt und akribisch durchsucht. Dort soll auch eine Art Fälscherwerkstatt gefunden worden sein, in der Garweg Ausweise manipuliert haben soll.
In Klettes Wohnung wiederum stießen die Ermittler auf 17 Terabyte Daten, darunter auch Fotos von Garweg, die das LKA zuletzt veröffentlichte. Sie zeigen ihn mit seinem Hund oder in Klettes früherer Wohnung auf dem Sofa, in der Hand ein Teller Nudeln. Auch ein kurzes Video wurde verbreitet, in dem Garweg lächelnd einer „lieben Karin“ alles Gute für eine Prüfung wünscht. Das Video wurde auch in der ZDF-Sendung „Aktenzeichen XY…ungelöst“ ausgestrahlt.
Bis heute ist eine Belohnung von bis zu 125.000 Euro für Hinweise auf Garweg und Staub ausgelobt. Wiederholt gab es zuletzt Festnahmen von Personen, die von Augenzeugen für Garweg oder Staub gehalten wurden. In einem ICE in Berlin, an einer Bushaltestelle, auf einem Ausflugsschiff. Es waren allesamt Verwechslungen. Laut LKA soll Garweg zuletzt regelmäßig wieder in Hamburg gewesen sein.
Offene Soli-Adressen aus der linken Szene
Das LKA glaubt an einen „erheblichen Unterstützerkreis in der linken Szene“ für Garweg. Erst Ende November gab es nochmal eine Durchsuchung auf dem Bauwagenplatz in Friedrichshain, parallel eine in Frankfurt am Main, um Spuren zu Garweg zu finden. Das LKA rief explizit auch Frauen auf, die in der Vergangenheit Beziehungen zu Garweg hatten, sich zu melden.
Tatsächlich gibt es aus der linken Szene zumindest offene Solidaritätsadressen. „Burkhard und Ernst-Volker, haltet durch!“, hieß es in einem Aufruf direkt nach Klettes Festnahme. In Kreuzberg demonstrierten im März 600 Menschen für ihre Freiheit. Auch die Rote Hilfe erklärte sich solidarisch, warf den Ermittlungsbehörden eine „absurde Jagd“ auf Garweg und Staub vor, eine „staatliche Rachsucht“. Es wehe „der Geist des Deutschen Herbstes“. Garweg bedankt sich nun in seinem Schreiben für die Solidarität – „es hat Mut gemacht“.
Es ist dieses Umfeld, das die Ermittler nun ins Visier nehmen. Laut Roter Hilfe gab es zuletzt für „dutzende“ Menschen Zeugenvorladungen, um sie nach dem Verbleib von Garweg und Staub zu befragen, auch mit Androhung von Ordnungsgeldern und Beugehaft. Teilweise habe dafür ein früherer Wohnsitz in der Hamburger Hafenstraße gereicht. Die zuständige Staatsanwaltschaft Verden wollte sich dazu wegen der laufenden Ermittlungen nicht äußern.
Zuletzt erteilte der Bundesgerichtshof einer Unterstützerin von Klette, der Bremer Aktivistin Ariane Müller, ein Besuchsverbot in der JVA Vechta, ebenso den früheren RAF-Mitgliedern Günter Sonnenberg und Karl-Heinz Dellwo. Die Sorge: Sie könnten Klette zur Flucht verhelfen oder Garweg oder Staub Botschaften übermitteln – was Klettes Anwälte als „irrwitzig“ zurückweisen. Ariane Müller verlor inzwischen ihren Posten als Betriebsrätin an einer Bremer Klinik, weil sie mehrere Solidaritätskundgebungen für Klette anmeldete,und wurde vom LKA ebenso als Zeugin vorgeladen.
Klette Prozess soll in Kürze starten
Auch Klette hatte zuletzt in einem Schreiben aus der Haft den Vorwurf einer „skrupellosen Bande“ als „konstruiert“ zurückgewiesen: Schüsse auf Menschen bei den Überfällen seien nicht infrage gekommen. Auch die 65-Jährige schrieb von einem „Kampf um Befreiung“. Der Staat aber setzte „weiter auf Eskalation und Denunziation“, die Fahndung nach Garweg und Staub sei „maßlos“.
Klette steht nun in Kürze der Prozess bevor, wegen der Raubüberfälle. Wird die Anklage vom Landgericht Verden zugelassen, könnte der Prozess bereits im Februar beginnen. Anders als bei Garweg ermittelt parallel die Bundesanwaltschaft gegen Klette und Staub auch wegen weiterer RAF-Taten: Sie hätten 1990 eine Bombe vor der Deutschen Bank in Eschborn deponiert, die jedoch nicht zündete. Und ein Jahr später sei ein Angriff auf die US-Botschaft in Bad Godesberg mit 250 Schüssen gefolgt. Auch hier lautet der Vorwurf versuchter Mord.
Für Hinterbliebene der RAF-Mordopfer stand nach der Klette-Festnahme hingegen weniger der Wunsch nach Strafverfolgung als nach Aufklärung im Vordergrund. „Wer hat meinen Vater erschossen?“, fragte Patrick von Braunmühl. „Wer war in dieser dritten Generation? Wie hat sie sich entwickelt? Wie hat sie ihre Opfer ausgesucht?“ Auch die Publizistin Carolin Emcke, Patentochter von Alfred Herrhausen, sagte der taz, ihr sei Aufklärung „wichtiger als Rache oder Strafe“. Die Behörden müssten ihre Akten offenlegen, fordert Emcke. „Alles, wonach ich mich sehne, ist endlich, endlich ein Ende des Schweigens.“
grüße aus der illegalität
an familie, freund*innen, genoss*innen, verbündete, wagenplatzbewohner*innen. an alle, die sich mit meiner und unserer sicht auseinandersetzen wollen.
Legal, illegal, scheißegal. Am 26. Februar diesen Jahres wurde Daniela Klette in Berlin verhaftet. Journalist*innen, die sich bereitwillig als Hilfspolizist*innen angedient hatten und dazu beitrugen, den zunehmend autoritär agierenden Staat um die staatliche und gesellschaftliche Gemeinschaft von Fahnder*innen und Denunziant*innen zu ergänzen, hatten mit KI Technologie Bilder von Daniela im Internet aufgespürt. Das historische Verdienst dieser podcastjournalistischen Denunziant*innen wird es gewesen sein, im richtigen Moment den Beweis für die angebliche Notwendigkeit biometrischer Kontrolle durch Gesichtserkennung auf dem Weg zum totalitären Kontrollstaat erbracht zu haben.
Täuschung der Öffentlichkeit
Die darauf folgende polizeiliche Fahndung gegen Volker Staub und mich sind seither geprägt von Lügen und Hetze. Polizei und bürgerliche Medien sagen, wir seien gewalttätige Kriminelle bzw. Terroristen, die nicht davor zurückschrecken würden, für Geld zu töten. Das Haus, in dem Daniela gewohnt hatte, wurde wie auch die Nachbarhäuser wegen angeblich gefährlicher Sprengstoffe medienwirksam evakuiert. Es begannen Maßnahmen der Mobilisierung der Bevölkerung zur Fahndung und Operationen psychologischer Kriegsführung. Es ist mittlerweile bekannt, dass eine gefundene Granate und eine gefundene Panzerfaust Attrappen waren. Das muss die Polizei von Anfang an gewußt haben. Diese ganze Aktion über mehrere Tage war eine Operation zur Täuschung und Manipulation der Öffentlichkeit.
Die fortwährende Propagierung unserer Gewalttätigkeit und Gefährlichkeit, die Haus- und Wagenplatzdurchsuchungen in martialischer Form, gepanzerte Fahrzeuge und MP bewaffnete Polizist*innen als sei der Krieg ausgebrochen, Kontrollen und Festnahmen sind mit den bewußt erzeugten Bildern nichts als die Behauptung der Notwendigkeit polizeilicher Militarisierung und eine Inszenierung, um die Bevölkerung zur Fahndung zu mobilisieren.
Vor allem aber geht es ihnen mit dem erzeugten Bild krimineller Gewalttäter*innen darum, die Geschichte der Fundamental-Opposition zu entpolitisieren und zu denunzieren – jene Geschichte des historischen Versuchs, zur Befreiung von den Gewaltverhältnissen des Kapitalismus beizutragen, der aus dem Widerstand der (19)68er Bewegung hervorgegangen und mit den weltweiten revolutionären und antikolonialen Kämpfen verbunden war.
Vor 26 Jahren endete das Projekt Stadtguerilla in Form der RAF. Jedoch endete für uns, die wir als Militante der RAF verfolgt wurden, nicht das Leben in der Illegalität.Das Bild, das von uns zu erzeugen versucht wird, beschreibt eine gewalttätig marodierende Räuberbande, die für die Allgemeinheit gefährlich und auch zum Töten bereit sei – und das nur für Geld. Für uns ist es jedoch ausgeschlossen, für Geld Gewalt gegen Menschen auszuüben, die sie töten oder physisch verletzen könnte. Jegliche Traumatisierung von Angestellten von Kassenbüros oder Geldtransportern ist zu bedauern.Es gibt keinen Grund den Polizei- oder Justizapperat irgendetwas zu glauben, weil sie davon geleitet sind die Fundamentalopposition zu delegitimieren und davon, ein Klima zu erzeugen, in der staatliche Gewalt und Repression gerechtfertigt erscheinen.
„Gewalt ist das Fundament der bürgerlichen Gesellschaft: im Elend ihres Strafvollzugs, in den Ghettos unterhalb des bürgerlichen Alltags, in der Militarisierung der „inneren Sicherheit“, in ihrem Ausbeutungsverhältnis“ (Peter Brückner 1976)
Staatliche Gewalt trifft viele – die Armen, die Ausgebeuteten, die Ausgegrenzten. Sie richtet sich gegen die, die protestieren oder gegen jene, die sich gegen diesen Normalzustand wehren und diesen Zustand nicht als naturgegeben hinnehmen. das sind die, die gegen den Genozid in Gaza demonstrieren und gegen eine deutsche Regierung, die die Waffen dafür liefert, und dafür dem autoritär-gewaltätigem Gemisch aus Polizeiknüppel, Gefangennahme, Bedrohung durch die Justiz, Bedrohung durch Abschiebung, Verlustes des Arbeitsplatzes und geheimdienstlicher Überwachung ausgesetzt sind oder deren Demonstrationen gleich ganz verboten werden. Es sind die, die deshalb Unis besetzen und dafür mit Polizeigewalt niedergeknüppelt werden. Die, die auf Palästina-Veranstaltungen etwas zu sagen haben und dafür ein Einreiseverbot erhalten oder Künstler*innen, Schriftsteller*innen und Wissenschaftler*innen aus der ganzen Welt, deren Ausstellungen, Vorträge oder Veranstaltungen abgesagt werden, weil sie die „falsche“ Meinung haben. Es sind die jüdischen Aktivist*innen, die als antisemitisch gebranntmarkt werden, weil sie nicht die deutsche Staatsräson vertreten und dafür mit dieser Form des Antisemitismus der Herrschenden traktiert werden.
Es sind die, die sich organisiert auf der Straße festklebten, um gegen die Zerstörung allen Lebens auf diesem Planeten durch den Kapitalismus zu demonstrieren und dafür zu Terrorist*innen erklärt oder zu Gefängnis verurteilt werden. Es sind die, die aus ihren Dörfern vertrieben werden, weil Energiekonzerne mit den dortigen fossilen Brennstoffen Profite machen wollen. Es sind die, die sich diesem Raubbau des Kapitalismus und der damit einhergehenden Zerstörung des Klimas widersetzen. Die, die sich den Baggern der Konzerne entgegenstellen und dafür der Gewalt der Polizei ausgesetzt sind. Es sind die, die als Folge davon heute zu vielen Millionen im Süden zur Flucht gezwungen werden, weil das kapitalistische System den Profit der Konzerne mit den Knüppeln der Polizei in den Metropolen erzwingt und dadurch ganze Regionen in der Welt verwüstet und unbewohnbar werden.
Es sind die, die erkannt haben, daß der Staat Corona zum Anlaß nahm, die Formierung des autoritären Staats voranzutreiben, und dafür denunziert werden. Es sind die, die in der Antifa gegen Faschismus und Nazis kämpfen und deswegen, von Polizei und Justiz bedroht, in der Illegalität sind oder eingesperrt in Knästen. Es sind die Genoss*innen, die sich gegen die Unterdrückung von Kurd*innen organisieren, die sich gegen den Wahnsinn, der aus den Kriegen westlicher Staaten erwächst, den IS, stellen und die für die Befreiung von patriachalen Strukturen und für demokratischen Konförderalismus in Kurdistan eintreten und dafür als PKK-Mitglieder von der deutschen Justiz verfolgt und für Jahre im Gefängnis eingesperrt werden.
Es sind die, denen nachgesagt wird, sich als K.O.M.I.T.E.E. gegen Militarismus und das rassistische Abschieberegime gestellt zu haben und dafür seit fast 30 Jahren von der Justiz verfolgt und zu Exil gezwungen werden. Es sind die, die in den letzten Jahren in Berlin geräumt wurden: Syndikat, Liebig 34, Meuterei, Potse-Drugstore, Köpi Wagenplatz. Polizeiterror und Verdrängung für den Profit krimineller Investoren und gegen die Utopie des kollektiven und solidarischen Lebens. Es sind die, die sich die Miete für ihre Wohnung nicht mehr leisten können und dafür von der Polizei zwangsgeräumt werden.
Es sind die, die täglich vertrieben werden, weil sie inmitten des Reichtums in Zelten oder unter Brücken leben müssen. Es sind die, die wissen, dass sie jedes moralische Recht der Welt haben, sich in Zeiten, in denen sich Massen keine Mieten mehr leisten können, sich Häuser durch Besetzung einfach anzueigenen und das Gesetz vom Eigentum Weniger nicht mehr zu akzeptieren – aber dafür in den Mühlen von Polizei und Justiz landen würden. Es sind die Massen in prekären Arbeitsverhältnissen. Die, die ihre Arbeitskraft billig verkaufen müssen. Die, die von morgens bis abends ausgepresst werden und deren Lohn am Ende kaum zum Leben reicht.
Es sind die, die in Gefängnissen oder geschlossenen Psychatrien in Isolationshaft weggesperrt werden und das, obwohl Isolationshaft international als weiße Folter geächtet ist. Es sind die, die täglich vom Rassismus der deutschen Polizei bedroht werden oder jener Oury Jalloh, der, weil er schwarz war, in der Dessauer Polizeiwache bei lebendigem Leibe, an Händen und Füßen gefesselt und ohne die geringste Bewegungsmöglichkeit verbrannt wurde. Es ist der geflüchtete, verzweifelte Jugendliche Mouhamed Dramé, der von einer Maschinenpistople durchsiebt im Kugelhagel der Dortmunder Polizei starb, und der für seine Mörder keine Sekunde eine Gefahr war.Es ist der 16-jährige, unbewaffnete Jugendliche Halim Dener, der durch den Schuss eines Polizisten in seinen Rücken ermordet wurde, weil er ein Plakat der kurdischen Befreiungsbewegung plakatiert hatte. Es sind die, die vom NSU ermordetet wurden, weil sie aus migrantischen Familien kamen – und das über Jahre ungestört und frei von staatlicher Verfolgung und erwiesenermaßen in Verbundenheit mit deutschen Geheimdiensten.
Es sind die, die durch Kriege, durch die Zerstörung des Klimas und durch Armut zu Migration gezwungen werden und dabei im Mittelmeer zu Tausenden ertrinken, an deutschen und EU Grenzen abgewiesen werden oder in Abschiebeknästen landen. Es sind die Tausenden im früheren Jugoslawien, deren Leben durch NATO-Kampfbomber ausgelöscht wurden, getragen und befohlen durch die deutsche Bundesregierung mit dem zum Schlachtruf verkommenen und missbrauchten „Nie wieder Ausschwitz“. Es sind die 141 Menschen, die in Afghanistan mit NATO-Bomben kaltblütig ermordet wurden – auf Befehl des deutschen Bundeswehrsoldaten Klein, der das befahl, obwohl er zuvor von US Militärs informiert worden war, die 141 Menschen seien Zivilist*innen, und der dafür von der deutschen Bundesregierung zum General befördert wurde.
Es sind die Zehntausenden oder mehr, die das alles nicht mehr aushalten, die sich in die Abhängigkeit harter Drogen flüchten oder es vorziehen, ihr Leben gleich selbst zu beenden. Es sind alle jene, die sich gegen den Krieg stellen, die sich gegen die Faschisierung und Militarisierug des kapitalistischen Normalzustandes stellen. Die, die das alles nicht einfach hinnehmen wollen. Die, die sich wehren. Die, die nicht resignieren, sondern sich für eine Welt einsetzen befreit von jeder Herrschaft ohne ein Oben und Unten und ohne Gewalt von Polizei und Militär, die das Oben vor dem Unten schützen.
Es sind die Unzähligen, die ein Lied singen können von den wahren Gewaltverhältnissen im kapitalistischen System
Jedoch sind es jene Apologeten des Kapitalismus, die ein gemeinsames Interesse haben, daß es keine Alternative zum Kapitalismus geben darf, die besonders gerne über die angebliche Gewalt derer reden, die egal wo auf der Welt rebellieren, deren Trauer und deren Wut zum kollektiven Widerstand wird. Über ihre Gewalt – die strukturelle und brutale Gewalt des kapitalistischen Systems – reden sie hingegen fast nie.
Es ist diese Gewalt, über die geredet werden sollte.
Strukturelle Gewalt des Kapitalismus – revolutionäre Selbstverteidigung – Befreiung
Als Teil der revolutionaren Linken waren wir – und ich sage: sind wir – davon überzeugt, dass ein auf Gewalt beruhendes System keine Legitimation hat, und dass dessen emanzipatorische Überwindung erreicht werden kann. Wir verabscheuen jede Form von Gewaltverhältnissen und sehnen uns nach einer Welt, deren Grundlage nicht Gewalt, Tod und Elend ist. Wir sind einst aufgebrochen, um dazu beizutragen, die Gewalt des Kapitalismus, Herrschaft des Menschen über den Menschen, Ausbeutung, Militarismus und Krieg zu beenden und in eine andere gesellschaftliche Wirklichkeit zu transformieren. Wir waren Teil aller, die sich in der Geschichte der Kämpfe für menschliche Emanzipation, Freiheit und Selbsbestimmung auflehnten.
Wir gingen davon aus: Wer die Frage nach einer gewaltfreien Gesellschaft stellt, die nicht dem Profit der Wenigen verpflichtet ist, der Spaltung der Menschen in schwarz und weiß, in arm und reich oder in Mann oder Frau, muss sich irgendwann zwangsläufig mit der Frage von struktureller Gewalt des Systems, revolutionärer Gegenbewegung und revolutionärer Selbstverteidigung auseinandersetzen.
Das martialische Auftreten des Staatlichen Sicherheitsapparates gegen uns im Kontext der Krise
Das martialische Auftreten gegen uns vollzieht sich im Kontext der Gegenwart gesellschaftlicher Entwicklung, in der sich die Frage nach der antikapitalistischen Systemalternative aktualisiert. Daher soll jeder Gedanke an und jede Geschichte von fundamentaler Opposition gegen das kapitalistische und imperialistische System diskreditiert werden. Das kapitalistische System ist in eine umfassende und vielschichtige Krise geraten. Seine für den Kapitalismus existenziell notwendigen Wachstumsmöglichkeiten geraten mehr und mehr an Grenzen. Die Folgen sind und werden erheblich zunehmen: Armut, betriebliche Massenentlassungen und Abbau sozialstaatlicher Programme.
Die Krise bezahlen nicht die oberen Zehntausend sondern die, die unten sind: die Alten, deren Rente zum Leben nicht reicht; die von staatlichen Sozialleistungen Abhängigen, für die die steigenden Lebensmittelpreise zum existenziellen Problem werden; die, die sich ihre Wohnung nicht mehr werden leisten können; die, die noch mehr prekäre Jobs brauchen, um überleben zu können; die Arbeitslosen, die mit jeder neuen Verschärfung im Jobcenter-System diszipliniert werden sollen; die Junkies, die Jugendlichen (v.a. der ärmeren Stadtteile) oder die von Gewalt Betroffenen und viele andere, deren Räume, in denen sie Unterstützung bekommen hatten oder sich treffen konnten, geschlossen werden.
Politik und Polizei reden gerne von migrantischen Clans, als seien diese das Problem der Gesellschaft. Nie reden sie jedoch von den Clans der Hohenzollern oder Quants, obwohl diese mit ihrem immensen Reichtum und der Verteilung für den Wahnsinn des Kapitalismus stehen und für diesen Wahnsinn mitverantwortlich sind. Weltweit besitzen die reichsten 85 Menschen soviel Vermögen wie die 3,5 Milliarden der Ärmsten zusammen.
Angst, Druck und Disziplinierung für die Folgsamkeit – die Klassenjustiz
Die Justiz verurteilt im Zuge der autoritär staatlichen Krisenreaktion immer mehr Menschen: Die armen Schlucker landen „gerne“ auch mal im Gefängnis, weil sie sich vermeintlich oder tatsächlich etwas vom Kuchen nehmen wollen. Die, die angeblich oder tatsächlich ein paar Euro „ungerechtfertigt“ vom Jobcenter bekommen oder jene, die auf Demos die im Sinne der Herrschenden „falsche“ Parole rufen, werden justiziell abgeurteilt. Die Reichen und Mächtigen jedoch, wie die in die Cum-Ex-Affäre verwickelten Kapitalist*innen, Milliardär*innen und Politiker*innen, die Millionen auf ihre Seiten geschafft haben, die verurteilen sie nicht.
Der autoritäre Krisenstaat setzt das Primat der Militarisierung nach innen – der Aufrüstung von Polizei und Geheimdiensten sowie der Militarisierung nach Außen. Das bedeutet, dass Geld fließt in riesigen Summen in Polizei, Militär, Rüstungsindustrie und in Kriege. Hingegen immer weniger kommt bei den von Armut oder jedweder Bedürfigkeit Betroffenen an – ein gigantischer Umverteilungsprozess von unten nach oben. Die Krisenbewältigung der Herrschenden zielt darauf ab, die „Volksgemeinschaft“ zu beleben und „den Gürtel“ für die Massen „enger zu schnallen“. So nennen sie das, wenn sie von Verarmung und sozialer Erosion als Folgen ihrer Herrschaftspolitik sprechen und davon, das Recht auf Asyl zu dezimieren, bis davon kaum noch was übrig ist oder nur für jene ein Recht in der Metropole zu leben bleibt, die für das Kapital verwertbar sind.
Es reichten zwei Messerstecher – die von Solingen und Mannheim – um umfassende polizeiliche Aufrüstung, Grenzkontrollen, weitere Schritte im Prozess der Aufhebung des Rechtes auf Asyl sowie Massenabschiebungen zu begründen. 360 Femizide im Jahr 2023 hingegen bewegten die Herrschenden zu nichts. Die muslimische Bevölkerung und Geflüchtete sind heute von oben erwünschte und erzeugte Feindbilder, mit denen sich „Volksgemeinschaft“ konstruieren läßt. Mit der Behauptung, diese seien die Ursache der Probleme, spalten und kanalisieren die Herrschenden den Unmut breiter Teile der Bevölkerung und verschleiern, dass sie selbst und der Kapitalismus die Ursache der grundlegenden Probleme sind.
Mit den Feindbildern läßt sich autoritär repressive Politik begründen und breiter Konsenz darüber herstellen. Das funktioniert besonders gut in Zeiten der Präsenzlosigkeit einer relevanten sozialrevolutionären und antikapitalistischen Linken. Der Konsens der neofaschistischen Rechten und des gesamten bürgerlichen Spektrums ist offensichtlich.
Die großen Probleme der Menschheit: Zerstörung der ökologischen Lebensbedingungen, Nationalismus, Krieg und Armut werden objektiv im Kapitalismus nicht gelöst werden können. Antifaschismus istantikapitalistisch, oder er bleibt wirkungslos.
Das Erstarken der radikalen Rechten in ganz Europa ist Ausdruck der anhaltenden und zunehmenden Krise des Kapitalismus.Die rechten Parteien, die in immer mehr EU-Ländern in die regierenden Eliten integriert werden – Italien, Holland, Österreich, Frankreich sowie auf Ebene der EU – versammeln einen Teil der Abgehängten oder jene, die Angst vor dem sozialen Abstieg haben, mit Scheinlösungen, die den Kapitalismus nicht in Frage stellen, hinter sich. Die europäischen Eliten und die rechten Parteien haben längst die selbe Krisenlösung im Programm: autoritärer Staat gegen die Nicht-Gehorsamen, Sozialstaatsabbau, massive Rüstung und Erhöhung der Kriegsführungsfähigkeit, Aufrüstung der Polizei und Erweiterungen ihrer Befugnisse sowie polizeiliche und geheimdienstliche Kontrolle der Gesellschaft, Nationalismus, Migrant*innen als Sündenböcke für die Krise und Massenabschiebungen.
Darin sind sich auch in Deutschland alle Parteien der neofaschistischen Rechten und der sogenannten Mitte – von AFD bis Grüne – einig. Es ist eine Illusion, darauf zu hoffen, dass dem Rassismus und der Vision der „deutschen Volksgemeinschaft“ der neofaschistischen Rechten mit dem Rassismus und den gleichen Visionen des bürgerlichen Staates sinnvoll begegnet werden kann. Längst sind die Visionen der AFD und anderer europäischer Parteien der Rechten auch Konsens der Herrschenden und markieren deren Weg in die Zukunft.
Die großen Probleme der Menschheit – Zerstörung der ökologischen Lebensbedingungen, Krieg und Armut – werden objektiv im Kapitalismus nicht gelöst werden können. Die umfassende Krise der Gegenwart ist der Katalysator alles dessen und treibt die Welt in Richtung des möglichen militärischen, atomaren und klimatischen Abgrunds. Die Lösung kann nur in einer vom – dem Kapitalismus innewohnenden – Zwang des Wachstums befreiten und damit antikapitalistischen und herrschaftsfreien Organisierung der Menschheit gesucht werden. Der mit der Krise aufkommenden Radikalisierung von Staat und Gesellschaft kann aus dieser Perspektive nur mit der Suche nach den Wegen zur Systemalternative begegnet werden. Die soziale Frage, der Widerstand gegen Krieg und Militarisierung nach innen und aussen, der Widerstand gegen die ökologische Vernichtung des Planeten durch den Kapitalismus sowie die Organisierung solidarischen Internationalismus markieren notwendigerweise gemeinsam diesen Weg.
Im Kampf des Westens gegen den drohenden Verlust ihrer weltweiten Hegemonie setzen die Herrschenden auf Militarisierung und planen Krieg bis zur Dimension des 3. Weltkrieges.
Wir sind im Zeitalter des zunehmend autoritären Staates angekommen. Ein zweifellos bedrohlicher gesellschaftlicher Zustand. Aber es spricht auch für ein erhötes Maß an Instabilität des Kapitalismus. In seiner Gier nach Profit braucht er die Möglichkeiten der Akkumulation, die sich immer schwieriger herstellen läßt. Er taumelt von Krise zu Krise. Es ist das Zeitalter der Kriege, sozialen Verwerfungen und der reaktionären Besinnung auf Volk und Nation. Aber es spricht auch dafür, dass den Herrschenden die Dinge entgleiten könnten und sich die Frage stellt: Was tun? Entwickeln sich in Zukunft Klassenkämpfe, die die Ausbeutungs und Unterdrückungsverhältnisse in kollektiven Prozessen in Frage stellen und bekämpfen? Die Fragen danach, wie eine gesellschaftliche Transformation erreicht werden kann, sind im Zeitalter sozialer und ökonomischer Erosionen, zunehmender militärischer Neuverhandlung der Macht und ökologischer nicht reversiblen Zerstörung des Planeten existenziell und aktueller denn je.
Der Kreis schließt sich
Die revolutionären Konzepte der Geschichte konnten die Antworten zur Überwindung des Kapitalismus nicht aufzeigen. Nichtsdestotrotz stehen wir unter veränderten Bedingungen grundsätzlich vor denselben Fragen.
Der Staat setzt auf Spaltung
Illegalität, Solidarität und „Terroristen“
Wir sind in Jahrzehnten der Illegalität auf viele Menschen getroffen. Freund*innen, Verbündete, Nachbar*innen, meine Wagenplatzmitbewohner*innen und viele mehr. Ich lebte viele Jahre mit Menschen, die nicht wußten, aus was für einer Geschichte ich kam. Als Illegale*r ist es nicht möglich, von der eigenen Illegalität zu erzählen. Bitte verzeiht das.
Mit dem Ende dieser gemeinsamen Zeit kam für sie die Repression. Wagenplatz und Hausdurchsuchungen: lokale Kriegssimulationen – etwas, was ich nie gewollt habe, aber am Ende nicht mehr in meiner Hand lag. Den revolutionären und emanzipatorischen Kämpfen folgt die Repression – und so wird es sein, bis der Emanzipationskampf über das Unrecht siegt. Wir sind Teil der Geschichte der weltweiten Rebellionen, die es gibt, seitdem es Herrschaft und Sklav*innen gibt. Die es gibt, seitdem Patriachat-, seitdem Kapitalismus und Kolonialismus das Übel der Menschheit sind. Aus dieser Perspektive liegt die Verantwortung für Repression bei den Herrschenden und bei niemandem sonst.Repression ist ein Herrschaftsinstrument. Aus meiner Sicht – und das wäre unsere Sicht – gibt es darauf nur eine Antwort: Solidarität.
Verbündet Euch gegen die heutige Repression gegen Daniela!
Schafft (Gegen-) Öffentlichkeit! Solidarisiert Euch!
Wir sind so, wie wir waren und sind so, wie viele uns in der langen Zeit der Illegalität kennengelernt haben. Auseinandersetzungen um Gewaltverhältnisse – patriachale Gewalt, Armut und Rassismus fanden – wie vieles andere – Widerhall in Begegnungen und Freund*innenschaften mit Menschen in dieser Zeit und sind Teil meines und unseres Lebens. Vieles, was wir mit anderen in den Jahrzehnten unserer Illegalität zu tun hatten, Wege, die wir mit anderen gegangen sind, erzählen von der Suche nach einer solidarischen und emanzipatorischen Wirklichkeit jenseits kapitalistischer Gewaltverhältnisse. Die Verbundenheit mit anderen in dieser Zeit ist der Spiegel unserer Realität – davon, wie und wer wir sind.
In der Geschichtsschreibung der Herrschenden ist fundamentaler Widerstand gegen das kapitalistische System: Kriminalität, Gewalt und Terror. Das erzeugte Bild soll die Wirklichkeit ersetzen und verschleiern, dass es die strukturelle Gewalt des Systems ist, die das große Problem der Menschheit ist. Das erzeugte Bild vom „Terroristen“ soll die Geschichte des Widerstands gegen die kapitalistischen Gewaltverhältnisse entpolitisieren, soll spalten, soll vernebeln, dass die staatliche Gewalt und die Gewaltverhälnisse des kapitalistischen Systems für viele Menschen auf der Welt wirklich nur noch Terror ist.
„Friede den Hütten! Krieg den Palästen!“ (Georg Büchner – 1834)
Zum „Terroristen“ stilisiert werden kann jede*r, die*/der* vom Protest zum Widerstand übergeht. Davon erzählen die unzähligen Geschichten der Rebellionen und des Widerstands: Klaus Störtebecker, Thomas Müntzer, Georg Büchner; der 1885 hingerichtete Sozialrevolutionär, Anarchist und Aufständische gegen das reaktionäre deutsche Kaiserreich August Reinsdorf; der Rätekommunist, Kritiker der KPD, Aktivist der Roten Hilfe, Verfasser der ersten Konzeption einer Stadtguerilla und Militanter der Aufstände der Arbeiter*innenbewegung der 1920er Jahre Karl Plättner; Olga Benario, Georg Elser, Phoolan Devi, Durruti, Che Guevara, Angela Davis, Ulrike Meinhof, Sigurd Debus, Patrice Lumumba, Nelson Mandela, Assata Shakur, Sakine Cansiz, Mumia Abu Jamal. Ob Pariser Communue oder schwarze Jakobiner – jene vom europäischem Kolonialismus versklavten Menschen, die ab 1791 im heutigen Haiti in der antikolonialen Revolution die Befreiung erkämpften;ob Partisan*innen in vielen Ländern Europas gegen den Nazi-Faschismus oder CNT – Anarchist*innen in Spanien gegen die Militärdiktatur, ob der revolutionäre Kampf der Black Panther, der Bewegung 2. Juni, der Rote Zora oder der Widerstand des ANC gegen Apartheit – sie alle waren in der Propaganda der Herrschenden „Terroristen“.
Terror hat nichts mit uns, hingegen viel mit den Herrschenden und dem kapitalistischen System zu tun
Der Begriff Terror hat nichts mit revolutionärer Gegengewalt, die revolutionäre Selbstverteidigung ist, der emanzipatorischen Bewegungen der Geschichte, die sich ausschließlich und gezielt gegen die Herrschenden richtet, zu tun. Terror beschreibt wahllose Gewalt zur Durchsetzung von Herrschaft oder deren Sicherung. Der Begriff „Terroristen“ in der bürgerlichen Gesellschaft würde unter anderem als Selbstbezichtigung und Beschreibung der Herrschenden Realitätsgehalt erfahren und wäre dann durchaus ein sinngebender Begriff statt einer manipulierenden Phrase. Der Begriff „Terrorist“ ist heute vor allem ein Herrschaftsmittel. Ausbeutung, Repression, Frontexregime, Klassenjustiz und Gefängnissystem; Hunger, Kriege, Putsche und Militärdiktaturen unter der Regie der kapitalistischen Zentren und mit der historischen Verantwortung jeder deutschen Bundesregierung: die millionen Toten lassen sich nicht mehr zählen – Terror hat nichts mit uns, hingegen viel mit ihnen und ihrem System zu tun.
Solidarität hat keine Grenzen
In einer Situation der Schwäche hat es viel bedeutet und es hat Mut gemacht: die Solidaritätsdemonstration im März in Berlin für die Freiheit von Daniela und die Solidarität mit uns Illegalen, gegen die Wagenplatz und Hausdurchsuchungen, gegen die Hetze und den ganzen Staatsterror; die Solidaritäts Kundgebungen am Knast in Vechta, die Wandparolen und die Kundgebungen der Solidarität in verschiedenen Ländern Europas.
Mehr als drei Jahrzehnte konnten wir uns ausserhalb der dafür von der bürgerlichen Gesellschaft bestimmten Wege, die für uns nichts anderes vorgesehen hatten, als eingesperrt oder erschossen zu werden, kollektiv organisieren. Wir konnten Wege finden, ein Leben zu führen, indem durch alle Höhen und Tiefen hindurch eine andere soziale Wirklichkeit aufscheinen konnte als die der kapitalistischen Normalität von Entfremdung, Vereinzelung und Verwertung. Das kann uns niemand mehr nehmen. Es wird Teil der Geschichtsschreibung von unten bleiben.
Solidarität unter uns – mit denen, die gestern, heute oder morgen gegen dieses System rebellierten, rebellieren oder rebellieren werden
Daniela – Tag für Tag in der Gefängniszelle eingeschlossen. Und das, obwohl die abgründige Realität der Verhältnisse zeigt: Sie mögen manche ihrer Gesetze auf ihrer Seite haben, die Legitimation haben sie nicht. Die historischen Versuche unzähliger Menschen in vielen Jahrhunderten jene Verhältnisse zu überwinden – gegen die Gewalt derer, die wollen, dass alles so bleibt wie es ist, die die menschliche Emanzipation und Befreiung zu Unrecht und das Unrecht zu Recht erklären – waren und sind vollkommen legitim.
Die Justiz des Nazinachfolgestaates, die die Nazis des NS-Faschismus so gut wie nie verurteilte, plant heute jahrelange Schau-Prozesse gegen Daniela, in denen sie stellvertretend für die Geschichte der Fundamental-Opposition abgeurteilt und für viele Jahre im Gefängnis weggeschlossen werden soll. Der Staat setzt auf Abschreckung und zielt damit nicht nur auf Daniela, sondern auf alle, die sich nicht fügen, die nicht akzeptieren, dass die Menschheit keine Alternative zum Kapitalismus und damit zur Zerstörung des Planeten hätte. Eine Farce, die alle betrifft – unabhängig von ihrer Geschichte oder ihrem Standpunkt – für die Kapitalismus nicht das letzte Wort der Geschichte bleiben soll.
S olidarisiert Euch!
Das Unmögliche möglich machen, wie Che Guevara sagte, hat heute einen für die Menschheit existenziellen Sinn: gegen die Abgründe des „Zeitenwende“-Zeitalters die Systemalternative in kollektiven Prozessen wieder denken zu lernen und sie in der Perspektive gemeinsam und international erkämpfen; die Logik der Herrschenden, es gäbe keine Alternative zum Kapitalismus -„there is no alternative“- in uns und in allen Verhältnissen durchbrechen. Das historische Fenster des Epochenbruchs – systemischer und gesellschaftlicher Erosionen des Kapitalismus – öffnet sich gegenwärtig immer weiter. In der weiter voranschreitenden Zuspitzung der Verhältnissse lauert ein neues Zeitalter der Barbarei. Einzig Kämpfe einer sozialrevolutionären Gegenbewegung könnten eine Alternative dazu ergeben.
`Sozialismus oder Barbarei´ – wie Rosa Luxemburg 1919 prognostizierte und damit die historische Realität treffend voraussagte: nach dem 1. Weltkrieg und der damaligen Weltwirtschaftskrise öffnete sich das Fenster des erodierenden Kapitalismus und der Revolution. Es folgte von 1918 bis 1923 der Versuch der Arbeiter*innenbewegung, der revolutionären Feminist*innen, der Anarchist*innen und der Komunist*innen in Deutschland die sozialistische Revolution durchzusetzen. Zugleich erhob sich ein großer Teil der Menschheit in Aufständen in 5 Kontinenten. In Deutschland scheiterte der Versuch der aufständischen Arbeiter*innenbewegung den Kapitalismus zu überwinden. Es wäre die einzigste Möglichkeit gewesen, die darauf folgende Epoche der Barbarei abzuwenden. Der sozialistische Revolutionsversuch wurde niedergeschlagen, und es blieb der Kapitalismus, der in Deutschland die Form des Nazifaschismus annahm und im 2. Weltkrieg und Ausschwitz mündete.
Mit der heutigen tiefgreifenden Krise des Kapitalismus und den weltweiten epochalen Veränderungen könnte sich in deutlicher Tendenz und in zunehmender Geschwindigkeit erneut der historische Moment des `entweder oder´ des `Sozialismus oder Barbarei´ ergeben. Die Fixierung auf bürgerlich-faschistoide-kapitalistische Parteien wird die Entwicklung des deutschen Krisenstaates und der EU in wachsenden Autoritarismus und Krieg nicht verhindern können. Da gibt es nichts zu retten. Nur eine im Prozess der Transformation von unten erkämpfte Aufhebung des Kapitalismus wird diese Entwicklung beenden können.
Heute wäre die sozialrevolutiönäre Alternative zur fortschreitenden Faschisierung des kapitalistischen Systems, sich auch in der Metropole ausbreitenden Armut, kommendem globalen Krieg und ökologischen Vernichtung des Planeten ein Sozialismus, der aus den Fehlern der Geschichte lernt und damit die Möglichkeit bieten würde, eine befreite Gesellschaft aufzubauen – für eine Welt der Kollektivität, der Freiheit von Patriachat, Ausbeutung, Herrschaft und Nation sowie des Überlebens der Natur.
Diese Welt wird ohne eine in der zunehmenden Krise und in den rasant wachsenden sozialen Kämpfen der Zukunft präsente, kämpferische, kreative und vielfältige Bewegung nicht zu haben sein. Dies wäre die Rekonstruktion von Handlungsfähigkeit einer antikapitalistischen, sozialrevolutionären und internationalistischen Linken, die über über ihren Tellerand hinaus wirkt. Das Ende des Dornröschenschlafes: Es wird Zeit – es ist Zeit -, sich zu bewegen.
Solidarität mit Daniela!
Solidarität mit den Genoss*innen im Exil, allen Untergetauchten und den Gefangenen aus den Kämpfen der Antifa, des Widerstands, der kurdischen und türkischen Genoss*innen, der Klimabewegung und allen anderen emanzipatorischen Kämpfen der Welt!
Die Forderung nach sofortiger Freilassung von Daniela ist gerechtfertigt.
Martin
(Burkhard Garweg)
Das Schweigen über die RAF-Taten bleibt – auch nach der Garweg-Erklärung. „Mehr als drei Jahrzehnte konnten wir uns außerhalb der von der bürgerlichen Gesellschaft bestimmten Wege“ organisieren, schreibt Garweg. Das werde „Teil der Geschichtsschreibung von unten bleiben“. Er scheint mit seinem Lebensweg im Reinen.
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