Die FDP und der Benzin-Rabatt: Plötzlich ist der Markt egal
Beim Klimaschutz wollte die FDP komplett auf Preismechanismen setzen. Doch sobald das Benzin tatsächlich teuer wird, ist Klientelpolitik wichtiger.
E s war ein klares Konzept, das die FDP im Wahlkampf vertreten hat: Die Liberalen versprachen, das ambitionierte 1,5-Grad-Ziel zu erreichen, doch anders als die politische Konkurrenz wollten sie dabei auf Vorschriften, Verbote und Subventionen verzichten. Den Rückgang der Treibhausgas-Emissionen wollten die Liberalen stattdessen komplett mit marktwirtschaftlichen Instrumenten erreichen: Der Handel mit CO2-Zertifikaten, der bisher nur für große Industriebetriebe und Kraftwerke vorgeschrieben ist, sollte auf alle Sektoren ausgeweitet werden.
Das ist in der Theorie keine schlechte Idee. Wenn die CO2-Emissionen überall einen einheitlichen Preis kosten, werden sie immer dort eingespart, wo es ökonomisch am günstigsten ist. Und über die jährliche Absenkung der maximalen Emissionsmenge können die Klimaziele punktgenau erreicht werden.
In der Praxis ist die Sache allerdings – wie so häufig – deutlich komplizierter. Denn was ökonomisch ideal ist, kann sozialpolitisch ziemlich katastrophal sein. Die CO2-Abgabe, die in Deutschland bisher für Autofahren und Heizen fällig wird, ist mit 30 Euro pro Tonne deutlich niedriger als der Preis im EU-Emissionshandel, der Ende letzten Jahres fast 100 Euro pro Tonne betrug. Würden, wie von der FDP gefordert, alle Sektoren in den Emissionshandel einbezogen, würden sich Benzin und Diesel um 25 Cent pro Liter verteuern, und auch das Heizen wäre deutlich teurer.
Die FDP hatte damit im Wahlkampf kein Problem, sondern erklärte die hohen Preise ausdrücklich für notwendig: „So schaffen wir Anreiz zur Investition in klimafreundliche Technologien“, heißt es im Wahlprogramm. Die Partei ging sogar davon aus, dass der CO2-Preis dazu führen würde, dass synthetische Kraftstoffe, die mithilfe von Ökostrom hergestellt werden, dadurch billiger würden als fossiles Benzin – was erst der Fall wäre, wenn sich dessen Preis etwa verdoppelt. „So können wir Klimaschutz marktwirtschaftlich und wissenschaftlich sicher erreichen“, hieß es im Wahlprogramm.
Ein halbes Jahr später ist von diesem Glauben an den Markt nicht viel geblieben. Als die Benzinpreise in Folge des Ukrainekriegs plötzlich steigen, sieht die FDP das nicht mehr als notwendigen Schritt für den Klimaschutz, sondern als Problem. Statt auf den Markt zu vertrauen, war es nun FDP-Chef Christian Lindner, der am lautesten nach einem Eingreifen des Staates rief und via Bild-Zeitung einen „Benzin-Rabatt“ versprach.
Der wird nicht ganz so bürokratisch umgesetzt, wie von Lindner ursprünglich mit einer Verrechnung zwischen Tankstellen und Finanzministerium vorgeschlagen worden war. Aber auch die jetzt von der Ampelkoalition geplante Steuersenkung macht die Treibstoffe deutlich billiger. Statt des versprochenen Anreizes für klimafreundliche Technik gibt es jetzt das Gegenteil: Je größer und sprithungriger ein Auto ist, desto mehr profitieren die Fahrer:innen von der Benzinpreissenkung.
Preiswertes Autofahren, so scheint es, ist für die Liberalen ein Grundrecht – ganz anders als bezahlbares Wohnen: eine Mietpreisbremse lehnt die Partei bis heute ab. Wer sich die explodierenden Mieten nicht mehr leisten könne, müsse eben umziehen, argumentiert die FDP. Wer sich das Autofahren nicht mehr leisten kann, bekommt dagegen Hilfe vom Staat. Am Benzin-Rabatt hält die Partei fest, obwohl die Preise inzwischen wieder unter die zunächst als Ziel genannte Marke von 2 Euro pro Liter gefallen sind.
Zusammen mit dem Glauben an den Markt hat sich die FDP dabei auch von einem weiteren Grundsatz verabschiedet: dem Verzicht auf neue Schulden. Die hatten die Freidemokraten zunächst sogar abgelehnt, wenn damit neue Investitionen finanziert werden sollten, die langfristig Kosten sparen. Nachdem sie dort – richtigerweise – nachgegeben hatten, wollten sie aber zumindest bei Konsumausgaben hart bleiben.
„Wenn die Union eine sogenannte Spritpreisbremse fordert, dann muss sie sagen, was sie im Haushalt kürzen will“, hatte Lindner noch am 13. März erklärt – nur um wenige Tage später seinen eigenen Tank-Rabatt vorzustellen, der über neue Schulden finanziert werden soll.
Bloß keine Preiskontrolle
Die FDP begründet den Markteingriff damit, dass es durch den Krieg einen sehr plötzlichen Preissprung gab; anders als beim allmählichen – und damit planbaren – Anstieg durch einen steigenden CO2-Preis hätten sich die Menschen darauf nicht vorbereiten können, etwa durch den Umstieg auf ein Elektroauto oder einen sparsameren Verbrenner. Das ist grundsätzlich richtig. Doch um den Preisanstieg zu begrenzen, hätte es noch eine andere Möglichkeit gegeben: Analysen zeigen, dass der Preis von Benzin und Diesel an der Tankstelle sehr viel stärker gestiegen ist, als durch den höheren Rohölpreis (und die mit steigendem Preis ebenfalls steigende Mehrwertsteuer) notwendig gewesen wäre. Einen großen Teil des Mehrpreises kassieren die Mineralölkonzerne als zusätzliche Gewinne.
Das ließe sich durch eine staatliche Preisregulierung verhindern. Mehrere andere europäische Länder nutzen diese Möglichkeit und geben eine Obergrenze für Benzin- und Dieselpreise vor, die sich am jeweiligen Rohölpreis plus einer gewissen Gewinnmarge orientiert. Selbst in Luxemburg, einem Land, das eher für Deregulierung als für Kommunismus steht, gibt der Staat einen Höchstpreis vor.
Doch eine solche Maßnahme, die die Benzinpreise senken würde, ohne den Staatshaushalt zu belasten, ist mit der FDP nicht zu machen: Schon der Vorschlag, ein solches Vorgehen für Deutschland auch nur zu prüfen, wurde auf Druck der Partei wieder aus dem Beschlusspapier der Ampelkoalitionäre zum Entlastungspaket gestrichen. Hohe Unternehmensgewinne zu Kriegszeiten sind offenbar noch wichtiger als eine Entlastung von Autofahrer:innen oder ein ausgeglichener Staatshaushalt.
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