Friedensdemo in Berlin: Pfiffe für das Wort „Angriffskrieg“
Bei der Friedensdemo im Berliner Tiergarten ist BSW-Gründerin Sahra Wagenknecht die Umjubelte – ganz im Gegensatz zu SPD-Mann Ralf Stegner.
Als Stegner dann auch noch der Ukraine ein Recht auf Selbstverteidigung zubilligte und sich für eine humanitäre wie auch militärische deutsche Hilfe für das geschundene Land aussprach, ertönten ohrenbetäubende Buhrufe. „Aufhören“, schallte es ihm entgegen, worauf er seine Rede unterbrechen musste. Stegners eindringlichem Appell nach mehr Diplomatie hörten viele schon nicht mehr zu. „Die SPD war und ist Teil der Friedensbewegung“, sagte er zum Schluss trotzig – und erntete lautstarkes Lachen. Seine Hoffnung, dass viele SPD-Mitglieder an der Demo teilnehmen würden, erfüllte sich offensichtlich nicht.
Dass der Sozialdemokrat keinen leichten Stand haben würde, war allerdings absehbar gewesen. Organisiert wurde die Demo von der Initiative „Nie wieder Krieg – die Waffen nieder“, einem zehnköpfigen Kreis um die Alt-Friedensbewegten Reiner Braun und Willi van Ooyen. Für heftige Diskussionen hatte im Vorfeld gesorgt, dass der von der Initiative verfasste zentrale Aufruf allzu deutlich die Handschrift des Bündnisses Sahra Wagenknecht (BSW) trägt.
So wird darin nicht einmal benannt, wer wen angegriffen hat. Auch die Forderungen nach einem Rückzug der russischen Truppen aus der Ukraine oder nach Schutz und Asyl von Kriegsdienstverweiger:innen und Deserteur:innen aus Russland, Belarus und der Ukraine in Deutschland und der EU fehlten. Das könnte daran gelegen haben, dass die Mehrzahl der Veranstalter:innen mit der neuen Partei sympathisieren oder, wie etwa die Berliner BSW-Landesgeschäftsführerin Wiebke Diehl, Mitglied sind. Diehl war eine der beiden Moderatorinnen der Abschlusskundgebung.
Drei Demozüge zur Siegessäule
Bereits im Februar 2023 hatte der Kern der Initiative eine von Wagenknecht und Alice Schwarzer initiierte Friedensdemo in Berlin mit bis zu 29.000 Teilnehmer:innen organisiert. Zu einer Nachfolgedemo im November 2023 kamen etwa 10.000 Menschen – ebenfalls mit Wagenknecht als Hauptrednerin, die auch diesmal wieder vielumjubelt dabei war.
25.000 Teilnehmer:innen hatten die Organisator:innen 2024 angemeldet. „Wir sind jetzt schon mehr als 42.000 Menschen und es kommen immer mehr dazu“, sagte Reiner Braun zu Anfang der Abschlusskundgebung. Eine sehr wohlwollende Schätzung. Die Polizei bezifferte die Anzahl auf unter 10.000. Was zu gering geschätzt sein dürfte.
In drei Demozügen waren die Teilnehmer:innen am Mittag vor die Siegessäule im Berliner Tiergarten gezogen. Links von der Bühne hatten die DKP, die MLPD und diverse andere kleine linken Gruppen ihre Stände aufgebaut. Die Junge Welt verteilte ihre Wochenendausgabe mit der Beilage „75 Jahre DDR“. Rechts von der Bühne standen, gut beschützt von der Polizei, ein paar Gegendemonstrant:innen. „Eure Friedenstauben sind nur Russenbroiler“ stand auf ihrem Transparent.
Der CSU-Politiker Peter Gauweiler, der die Menge mit „Grüß Gott“ begrüßte, wurde freundlicher als Stegner aufgenommen. „Ich habe noch nie in meinem Leben auf einer Demonstration der Friedensbewegung gesprochen“, sagte er. „Jeder weiß, dass Russland nicht zu den Waffen hätte greifen dürfen, da braucht man nicht zu diskutieren“, sagte der Nationalkonservative in Richtung derjenigen, die bei dem Sozialdemokraten noch gepfiffen hatten. Das taten sie bei Gauweiler nicht, da er schnell hinzufügte, dass Schuldzuweisungen den Konflikt in der Ukraine nicht lösen würden.
Wagenknecht respektiert Stegner
Frenetischen Applaus erntete schließlich Wagenknecht, die wie üblich scharf die Bundesregierung und die Ampelparteien geißelte. Die grüne Außenministerin Annalena Baerbock sei ein „Sicherheitsrisiko für Deutschland“, ätzte sie und forderte „ein Bataillon der Kriegstüchtigkeits-Maulhelden“. Dann könnten Marie-Agnes Strack-Zimmermann, Anton Hofreiter und der CDU-Mann Roderich Kiesewetter „sich mal beweisen“. Vor Stegner aber habe sie „großen Respekt“, weil er auf der Demonstration aufgetreten sei, sagte Wagenknecht. Auch wenn sie vieles von dem, was er sagte, nicht teile.
Mehrere im Vorfeld angefragte Redner:innen hatte ihre Teilnahme abgesagt, darunter der DFG-VK-Bundessprecher Jürgen Grässlin und die Ex-EKD-Ratsvorsitzende Margot Käßmann.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
113 Erstunterzeichnende
Abgeordnete reichen AfD-Verbotsantrag im Bundestag ein
Bürgergeld-Empfänger:innen erzählen
„Die Selbstzweifel sind gewachsen“
Ein-Euro-Jobs als Druckmittel
Die Zwangsarbeit kehrt zurück
Aus dem Leben eines Flaschensammlers
„Sie nehmen mich wahr als Müll“
Vorgezogene Bundestagswahl
Ist Scholz noch der richtige Kandidat?
Demokratie unter Beschuss
Dialektik des Widerstandes