„ACAB“-Gate von Jette Nietzard: Kein Rückhalt, keine Zurückhaltung
Die Chefin der Jungen Grünen sorgt wieder für Empörung. Jetzt hat sich Jette Nietzard mit der Polizei angelegt. In der Mutterpartei ist man not amused.

Am Freitag hatte die 26-jährige Nietzard auf Instagram zwei Kleidungsstücke präsentiert: eine Kappe mit der Aufschrift „eat the rich“ und einen Pullover mit den Buchstaben „ACAB“, kurz für „All Cops Are Bastards“. Die verteilungspolitische Forderung auf dem Kopf scheint gesellschaftlich halbwegs akzeptiert zu sein, einen Shitstorm löste sie nicht aus. Die Polizeikritik auf der Brust sorgte aber für massive Kritik, nicht nur von Polizeigewerkschaften und CSU, sondern eben auch von den eigenen Leuten.
Der linksradikale Gestus verträgt sich schlecht mit der angestrebten Politkarriere bei den Grünen. Parteichef Felix Banaszak, wie Nietzard ein Parteilinker, spricht am Montag vom fragilen Vertrauen zwischen Grünen und Polizeibehörden. „Wenn eine Partei aus einer Bewegung kommt, die ja in den achtziger Jahren mit dem deutschen Staat teilweise in Konflikt geraten ist, dann ist dieses Vertrauen nicht einfach aufzubauen, sondern es ist das Ergebnis harter Verständigungsarbeit“, sagt er. „Wenn man möchte, dass diese Arbeit umsonst ist, macht man es so.“
Grünen-Chef Felix Banaszak über das Verhältnis seiner Partei zur Polizei
In ihrer kurzen Zeit im Amt hat Nietzard schon öfters für Stress gesorgt. Im Oktober war sie unvermittelt an die Spitze der Grünen Jugend gelangt. Die bisherige Führungsriege, der die Grünen nicht marxistisch genug waren, hatte fast geschlossen abgedankt. Die Chance für Nietzard, die zuvor nur für ein Jahr im Berliner Landesvorstand der GJ gesessen und zweimal für einen Sitz im Abgeordnetenhaus kandidiert hatte.
Brachialer als Kühnert
2022 hatte sie ihren Bachelor über Ökonomisierung in der frühkindlichen Bildung aus einer kapitalismuskritischen Perspektive abgeschlossen. Nun wurde sie gemeinsam mit Jakob Blasel gewählt, ebenfalls aus dem linken Flügel, aber der pragmatischere der beiden. Eine Enttäuschung für manche Realos, die den links geprägten Jugendverband gerne eingenordet hätten. Die Zusammenarbeit mit der Mutterpartei lief dennoch geschmeidig an, man gab sich einen gegenseitigen Vertrauensvorschuss.
Der hat mittlerweile stark gelitten – auch wegen Nietzards Hang zur Provokation. Ohne den hat man an der Spitze einer Nachwuchsorganisation allerdings ein Problem. Man ist nicht so wichtig, dass man medial automatisch durchdringt. Man muss zuspitzen, um gehört zu werden. Das hat Kevin Kühnert als Juso-Chef auch schon gemacht, als er die Vergesellschaftung von BMW forderte. Bei ihm klang es nur nicht ganz so brachial wie bei Nietzard.
„Männer, die ihre Hand beim Böllern verlieren, können zumindest keine Frauen mehr schlagen“, schrieb sie zum Beispiel zum Jahreswechsel in einem Post. Nach einigen Telefonaten, viel Kritik und wenig Rückendeckung entschuldigte sie sich dafür am Ende.
Ähnlich wie jetzt. Übers Wochenende wurde der Druck auf Nietzard immer größer. Die einen zählten sie an, die anderen, darunter ihr Co-Vorsitzender Blasel, sprangen ihr zumindest nicht öffentlich zur Seite. In einem Podcast des Stern sagte Nietzard am Montagmorgen schließlich einigermaßen zerknirscht, der Post mit dem Pulli sei nicht der richtige Weg gewesen, um einen Diskurs anzustoßen. Das Kleidungsstück gehöre ihr außerdem als Privatperson, nicht als Politikerin.
Manch andere Grüne besänftigt das aber auch nicht mehr. Cem Özdemir nicht, und auch nicht Parteichef Banaszak, einst selbst Vorsitzender der Grünen Jugend. Er habe Nietzard schon in der Vergangenheit gebeten, ihre Äußerungen zu überdenken, sagte er am Montag. Und er hoffe, dass sie für die Zukunft Konsequenzen zieht. Tobias Schulze
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