talkshow
: Ein gewaltiges Problem

Eine aktuelle Studie legt nahe, dass viele Männer Gewalt gegen Frauen tolerieren oder sogar gutheißen. Dass das so ist, liegt nicht zuletzt an den Männern, die sich selbst für die Guten halten

„Frauen, die mit ihren Forderungen zu weit gehen“, müssten sich nicht wundern, wenn sie „in ihre Schranken gewiesen werden“, meinte ein Viertel der Befragten in der Leipziger Autoritarismus-Studie Alix Marie/plainpicture Foto: Fotos:

Von Moritz Müllender

Jeder dritte junge Mann findet Gewalt gegen Frauen eher oder voll „okay“. Diese Aussage aus einer aktuellen Studie von Plan International stürmt derzeit Social-Media-Feeds und Nachrichtenseiten. Doch es gibt auch Kritik: Die Darstellung der Ergebnisse sei reißerisch und die Stichprobe von 1.000 Männern zu klein – dabei ist Letzteres gar nicht unüblich für repräsentative Studien. Einige Medien korrigierten ihre Meldungen aber schon mal.

Doch selbst wenn die Plan-Studie nicht seriös wäre, das Männerproblem bleibt. Das belegen nämlich auch andere Untersuchungen, etwa die Leipziger Autoritarismus-Studie. Ein Drittel der dort befragten 2.500 Personen findet, ein Mann solle bereit sein, Frau und Kinder mit Gewalt zu verteidigen. Und ein Viertel meint, „Frauen, die mit ihren Forderungen zu weit gehen“, müssten sich nicht wundern, wenn sie „in ihre Schranken gewiesen werden“.

Diese Prozentzahlen beziehen sich auf alle befragten Geschlechter. Womöglich sind die Zustimmungswerte unter Männern höher. Brisant obendrein: Nach jahrelangem Rückgang der Zustimmungswerte zu sexistischen Aussagen bemerkt die Studie für das Jahr 2022 einen Anstieg.

Wer in den letzten Jahren als Mann in einer x-beliebigen Kneipe mit Männern ins Gespräch kam, wird kaum überrascht sein. Viele Männer haben Gewalt verinnerlicht, streben nach Dominanz – wären gerne ein durchsetzungsstarkes Alpha-Männchen. Das verbergen sie bei Tageslicht und in Gegenwart von Frauen, non-binären oder trans Personen recht erfolgreich. In der dunklen Kneipenecke kommt der Sex­ismus, umringt von den Kumpels, aber ungehemmt durch.

Die Studien sind ein Weckruf: Als uns als feministisch verstehende Männer dürfen wir uns nicht mehr darauf ausruhen, der Feminismus werde es schon richten. Denn das Problem sind nicht nur die sexistischen Männer, es ist auch ihr Umfeld, das ihre Menschenfeindlichkeit weglächelt: wir.

Wir dürfen uns nicht mehr auf ein paar Bell Hooks Büchern, unseren bunten Fingernägeln beim Raven, unserem progressiven Lifestyle ausruhen. Es ist an uns, unsere Männerbünde aufzubrechen. Wir müssen widersprechen, statt um des lieben Friedens willen, stumm noch ein Bier zu trinken. Wir müssen aufhören „Männerrunden“ zu romantisieren.

Dass viele Männer in einer Identitätskrise stecken, ist nicht verwunderlich. Fe­mi­nis­t:in­nen erwarten von Männern Sanftheit, radikale Selbstkritik und Solidarität. Der freie Markt, Hollywood und Reaktionäre jeglicher Ausrichtung vermitteln Ellbogen, Stärke und Eigenständigkeit.

Wir müssen den Feminismus, den wir uns tagsüber so gerne auf die Fahnen schreiben, auch in die dunklen Kneipenecken tragen. Notfalls müssen wir ihn den anderen auch mal auf der Straße ins Gesicht schreien, uns unbeliebt machen

Dass viele Männer sich aber statt feministischer Befreiung mittlerweile für eine gewalttätige Männlichkeit à la Andrew Tate entscheiden, um der Identitätskrise Herr zu werden, ist tragisch. Zuvorderst für die, die unter diesen Männern noch werden leiden müssen: Frauen, non-binäre und trans-Personen sowie schwule Männer. Aber auch die Männer, die zum Alphatier werden wollen, werden an ihrem Ideal scheitern. Und noch mehr frustrierte wütende Männer produzieren.

Liebe selbsternannte feministischen Männer, bislang haben wir versagt. Feminismus ist zwar Popkultur, ist Mainstream geworden; gewalttätige Männer sind das aber schon lange. Wir müssen endlich raus aus der kritisch-männlichen Selbstreflexion. Die bleibt zwar wichtig, doch auf der eigenen Couch auch bequem. Wir müssen den Feminismus, den wir uns tagsüber so gerne auf die Fahnen schreiben, auch in die dunklen Kneipenecken tragen. Notfalls müssen wir ihn den anderen auch mal auf der Straße ins Gesicht schreien, uns unbeliebt machen.

Das zu fordern, ist basic, es ist das absolute Minimum. Es ist, was Fe­mi­nis­t:in­nen schon lange fordern. Es ist an uns vermeintlich feministischen Männern, das endlich umzusetzen.