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Die Zukunft der MännerDarf er so?

Das gesellschaftliche Bild von Männlichkeit schadet allen Geschlechtern. Was Männer tun können, um sich davon zu emanzipieren.

Harry Styles auf dem roten Teppich bei den Internationalen Filmfestspielen in Venedig, September 2022 Foto: Cinzia Camela/ipa-agency/imago

B ruder, die Frauen stehen nicht mehr auf männliche Männer“, sagt ein Typ vor dem Späti zu mir. Ich bin mit meinen Friends unterwegs. Wir sind in Berlin-Neukölln und es ist kurz nach 22 Uhr. Der Typ sitzt auf einer Bank, ist vielleicht Mitte 20, trägt Bart und eine Bomberjacke. Aus seinem Tonfall schließe ich, dass er mich zwar als Mann, aber nicht als „männlichen“ Mann sieht. Er will Antworten von mir, warum „die Frauen“ ihn nicht mehr wollen.

Was ein männlicher Mann für ihn ist, kann ich mir ausmalen. Traditionelle Erwartungen an Männlichkeit zeichnen sich unter anderem durch körperliche Stärke, Dominanz, Selbstständigkeit, logisches Denken, einen ausgeprägten Sexualtrieb und emotionale Kontrolle aus. Wir alle sind mit diesen traditionellen Erwartungen an Männlichkeit aufgewachsen. Alle tragen diese Rollenbilder und Verhaltensweisen in sich, leben sie aus, wiederholen und verfestigen sie damit weiter.

Illustration von Ali Arab Purian
Die taz total utopisch

🐾 Von der Kneipe an der Ecke bis zum solidarischen Garten in Bogotá: Junge Au­to­r*in­nen haben sich auf die Suche nach utopischen Ideen begeben. Die dabei entstandenen Artikel haben sie in einer Sonderausgabe der taz veröffentlicht.

Das passiert bereits im Kleinen – unter Brudis. Schon auf dem Schulhof tragen Jungen ihre Gefühle vor allem in Form von Gerangel und Gewalt nach außen. Sie profilieren sich untereinander anhand ihrer Genitalien oder ihrem Sexleben. Andere Menschen werden abgewertet, etwa mit Diskriminierungsformen wie Frauen-, Fett- oder Queerfeindlichkeit oder Rassismus. So wird der eigene männliche Status gefestigt. Auch ich habe mich schon so verhalten. Oft bleiben diese Machtkämpfe unerkannt oder werden nicht benannt.

Wie dem Typen am Kiosk geht es vielen Männern: Wir haben das Gefühl, uns wird etwas weggenommen – schließlich geht es hier um Macht, Identität und Privilegien. Wie gefährlich das männliche Rollenbild auch für Männer selbst ist, damit beschäftigen wir uns selten.

Das Patriarchat ist schuld

Laut dem Männertherapeuten Björn Süfke wird Jungen bereits im Kindesalter der Zugang zu Emotionen abtrainiert: Jungen dürfen nicht weinen und müssen „stark“ sein. Nach dem traditionellen Rollenbild dürfen Männer keine Angst haben, brauchen keine Hilfe und müssen möglichst risikobereit sein.

Die Folgen sind eine hohe Kriminalitätsrate und eine höhere Wahrscheinlichkeit, eine Sucht zu entwickeln, weil Männer eher Drogenkonsum riskieren. Unter anderem deswegen ist die Lebenserwartung bei Männern niedriger. Wir Männer verkörpern den Aggressor – nicht nur für alle anderen, auch für uns selbst. Dafür können wir nichts, alle wurden in das Patriarchat hineingeboren.

Dennoch stehen Männer in der dominanten Position und sind verantwortlich, das Rollenbild aufzuarbeiten. Aber was braucht eine solche Veränderung? Zum einen den Ausbau der körperlichen und emotionalen Zuwendung, um traditionelle Männlichkeitsbilder aufzuarbeiten.

Eine Verhaltenstherapie würde allen helfen. Aber auch sogenannte Befindlichkeitsrunden im eigenen Umfeld trainieren das Sprechen über Gefühle. Regelmäßiges Wiederholen stärkt den Zugang zu den eigenen Empfindungen. Ein Freund und ich haben neulich darüber gesprochen, wie ungewohnt sich das anfangs anfühlt und wie bereichernd es gleichzeitig ist.

Schulfach für Emotionen

Ohne Reflexionsprozesse geht es nicht. Sie beginnen, wenn wir Situationen und Dynamiken aktiv beobachten, dokumentieren und hinterfragen. Mir helfen da ein kleines schwarzes Notizbuch oder auch die Notizen-App auf meinem Handy. Wir müssen Menschen zuhören, die andere Lebensrealitäten haben und uns mit ihren Perspektiven auseinandersetzen. So können wir nicht nur besser mitfühlen, sondern auch viel über unsere eigene gesellschaftliche Position lernen.

Auch auf der Systemebene müsste sich einiges ändern: Beispielsweise sollte der Zugang zu Emotionen und Zuwendung bereits in der Schule vermittelt werden. Zudem müsste die Gesellschaft das Konkurrenzdenken und das Leistungsprinzip hinterfragen.

Ziel ist es, traditionelle Männlichkeit sowie die bestehende Geschlechterideologie aufzuarbeiten und so eine tatsächliche Gleichberechtigung aller Geschlechter zu gestalten. Denn ganz ehrlich, wer hat bei alldem schon Lust, ein „männlicher Mann“ zu sein?

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1 Kommentar

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  • Björn Süfke, nicht Björn Sülke :-)

     

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