Wagenknechts neuer Verein: Die One-Woman-Show
Unter großem Medieninteresse stellt Sahra Wagenknecht ihren Verein vor, der in einer Partei münden soll. Die Linksfraktion steht vor dem Aus.
Auf einem dreiseitigen Papier, das ausliegt, sind die wichtigsten Eckpunkte jenes Vereins formuliert, der hier offiziell vorgestellt werden soll: „Bündnis Sahra Wagenknecht – Für Vernunft und Gerechtigkeit“, kurz BSW. Auf der dazugehörigen Website wird man von einem knapp zweiminütigen Film begrüßt, in dem die Protagonistin um Unterstützung wirbt. Es ist die perfekte Promotion zur Einführung eines neuen Produkts. In diesem Fall ist es eine neue Partei.
Der „Vertrauensverlust in die etablierte Politik“ habe sie zu ihrem Schritt bewogen, erklärt die bisherige Linken-Politikerin Wagenknecht den anwesenden Medienvertretern. Die Bundesrepublik habe derzeit „die schlechteste Regierung ihrer Geschichte“, die „arrogante Ampelregierung“ sei daran schuld: Die „Außenpolitik des erhobenen Zeigefingers“ isoliere Deutschland in der Welt und gefährde Absatzmärkte. Die „ungeregelte Zuwanderung“ verschärfe die Probleme an den Schulen und auf dem Wohnungsmarkt.
Und in diesem Ton geht es weiter: Ein „blinder, planloser Öko-Aktivismus“ mache den Menschen das Leben schwer. Deutschland drohe die „Abwanderung wichtiger Industrien“ und ein „Wohlstandsverlust“, malt sie ein rabenschwarzes Bild an die Wand der gegenwärtigen Lage. „So wie es derzeit läuft, darf es nicht weitergehen“, sagt sie. „Denn sonst werden wir unser Land in zehn Jahren wahrscheinlich nicht wiedererkennen.“ Es ist ein düsteres Bild, das Wagenknecht da vor der blauen Wand der Bundespressekonferenz zeichnet.
Retterin aus der Düsternis
Aber zum Glück, so ihre Botschaft, gibt es ja Licht am Ende des Tunnels: Zum Glück gebe es die Lichtgestalt Sahra Wagenknecht, die uns aus dieser Düsternis der Gegenwart retten kann. Im Imagefilm sind die Szenen, die den aktuellen Zustand der Bundesrepublik beschreiben sollen, entsprechend in Schwarz-Weiß gehalten. Erst mit dem Auftritt von Sahra Wagenknecht wechselt der Film in Farbe. Es ist das klassische Erzählmuster des Populismus. Dazu gehört auch die Konzentration auf eine charismatische Führungsperson an der Spitze. Es wäre nicht die erste populistische Partei, die mit so simplen Mustern arbeitet.
Und doch: Solch eine One-Woman-Show hat es in Deutschland bisher noch nicht gegeben. Einen Coup hat Wagenknecht zudem mit dem Millionär Ralph Suikat gelandet, den sie bei ihrem Auftritt in Berlin an ihrer Seite hat. Der IT-Unternehmer hat den Appell „Tax me now“ unterschrieben und engagiert sich dafür, dass Reiche mehr Steuern zahlen. Er kommt an diesem Morgen aber wenig zu Wort.
Das BSW ist zunächst einmal auch nur ein Verein. Er soll die Gründung einer Partei vorantreiben, die offiziell erst für Anfang kommenden Jahres geplant ist. Das hat auch finanzielle Gründe, da so die Wahlkampfkostenerstattung größer ausfällt. Die Finanzierung spielt auch bei der Pressekonferenz eine große Rolle. Mehr als ein Mal werben Wagenknecht und ihre Mitstreiter um Spenden.
Apropos: Neben Wagenknecht und Suikat sitzt ein weiteres bekanntes Gesicht der Linken auf der Empore der Bundespressekonferenz: Amira Mohamed Ali, ihres Zeichens bisherige Co-Chefin der Linksfraktion im Bundestag. Sie übernimmt den Vorsitz des Vereins. Wagenknecht, Mohamed Ali und weitere Bundestagsabgeordnete verkünden an diesem Montag zudem, aus der Linkspartei ausgetreten zu sein. Diese Entscheidung sei allen „nicht leichtgefallen“, sagt Mohamed Ali. „Gleichwohl sind wir davon überzeugt, dass das ein notwendiger und richtiger Schritt war.“ Die Partei verlassen haben unter anderem die Abgeordneten Sevim Dağdelen, Klaus Ernst und Andrej Hunko. Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch bestätigte am Montag, dass bislang 10 der 38 Fraktionsmitglieder die Partei verlassen hätten.
Der Versuch, die Parteiführung zu einem neuen Kurs zu bewegen, sei gescheitert, sagt Mohamed Ali noch. Man sei aber bereit, in der Fraktion zu bleiben, um einen „geordneten Übergang“ zu gewährleisten. Was dahinter steckt: Sollte die Wagenknecht-Gruppe die derzeit 38 Abgeordnete umfassende Fraktion der Linkspartei im Bundestag verlassen, würde diese ihren Fraktionsstatus verlieren – was spürbare Folgen hätte: Sie bekäme dann weniger Geld aus dem Bundestagsetat und hätte weniger Rechte im Parlamentsbetrieb. Damit wären auch die Jobs der mehr als 100 Mitarbeiter der Fraktion gefährdet.
Der Chef der Linkspartei, Martin Schirdewan, forderte Wagenknecht und ihre Unterstützer am Montag dennoch auf, ihre Bundestagsmandate abzugeben. Er schloss aber auch nicht aus, dass die Ausgetretenen noch bis Jahresende in der Fraktion bleiben. „Das Interesse der Beschäftigten dieser Fraktion ist uns eine Herzensangelegenheit“, sagte Schirdewan. Als „unverantwortlich und inakzeptabel“, kritisierte auch Fraktionschef Bartsch die Parteiaustritte. Aber: „Unsere Fraktion wird souverän und in großer Ruhe darüber entscheiden.“ Der frühere Linken-Parteichef Bernd Riexinger hingegen lehnt einen Verbleib von Wagenknecht und ihren Unterstützern in der Bundestagsfraktion ab: „Das Tischtuch ist zerschnitten“, sagte er der Rheinischen Post.
Experte sieht Problem für die Linkspartei
Befürchtet die Linke nun neue Konkurrenz? Wohl auch, da dieser Auftritt vorab angekündigt war, fielen die Reaktionen von Linken-Vertretern dahingehend eher gelassen aus: Eine neue Partei von Sahra Wagenknecht wäre aus Sicht von Parteichef Martin Schirdewan vor allem eine Konkurrenz für die AfD und weniger für die Linkspartei. „Wenn Sahra Wagenknecht mit ihrem Projekt Erfolg haben will, wird sie sich deutlich rechts aufstellen müssen“, sagte Schirdewan der Augsburger Allgemeinen.
Auch der Linken-Abgeordnete Gregor Gysi äußerte Zweifel, ob Wagenknecht mit ihrer neuen Partei langfristig Erfolg haben wird. „Sie will Flüchtlingspolitik wie die AfD machen, Wirtschaftspolitik wie Ludwig Erhard und Sozialpolitik ein bisschen wie die Linke“, sagt er im ZDF. „Und dann hat man immer die Hoffnung, man kriegt von allen drei Wählerinnen und Wählern. Da kann man sich aber auch täuschen, das kann eine Minusrechnung werden.“ Er glaube, dass BSW am Anfang Erfolg haben werde – „und dann nicht mehr“.
Der Politikwissenschaftler Thorsten Faas sieht in der Wagenknecht-Abspaltung hingegen sehr wohl ein Problem für die Linkspartei. So habe die Linke der „Strahlkraft von Sahra Wagenknecht“ wenig entgegenzusetzen. Der Experte von der FU Berlin sieht einen weiteren Vorteil bei BSW: Die künftige Partei ist in keiner Regierung vertreten, sie könne „klarer und schärfer formulieren“ – was bei den Wahlen im kommenden Jahr sicher ein Punkt werde.
Mit ihrer neuen Partei will Wagenknecht im Juni 2024 zur Europawahl antreten. Ob sie selbst kandiert, lässt sie am Montag offen. Unklar ist auch noch, ob die künftige Partei im September 2024 an allen drei ostdeutschen Landtagswahlen – in Sachsen, Thüringen und Brandenburg – teilnehmen wird. Einer Insa-Umfrage für Bild am Sonntag zufolge könnten sich 27 Prozent der Befragten in Deutschland vorstellen, eine Wagenknecht-Partei zu wählen. Wahlumfragen sind aber generell mit Unsicherheiten behaftet.
Um Mitglieder wirbt das Team Wagenknecht nicht: Der Verein diene lediglich dazu, die Parteigründung vorzubereiten, betont der stellvertretende Vorsitzende Christian Leye. Um einen „Vertrauensvorschuss“ bittet Sahra Wagenknecht. Für die zu gründende Partei brauche es ein „geordnetes Wachstum“. Man wolle keine Glücksritter, Karrieristen und Menschen mit fragwürdigen politischen Ansichten anziehen, so Leye. Dieses Risiko bestehe bei neuen Parteien immer, sagt Wagenknecht.
Die künftige Partei wird nach Angaben Wagenknechts nicht dauerhaft „Bündnis Sahra Wagenknecht“ heißen. Sie spricht am Montag von einer Übergangslösung. Man wolle eine Partei auf den Weg bringen, die sich „für die nächsten 40 oder 50 Jahre“ im deutschen Parteiensystem etabliere. Denn, gibt sie den anwesenden Journalisten noch auf den Weg, so lange werde sie garantiert nicht mehr Politik in Deutschland machen. Ein bisschen Demut soll dann doch sein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern