Umgang der Union mit der AfD: CDU definiert Zusammenarbeit neu
Unionspolitiker*innen rechtfertigen, dass die Thüringer CDU erstmals mithilfe der AfD die Regierung überstimmte. Kritik kommt kaum.
Öffentlich dominiert unter den Äußerungen prominenter Parteivertreter*innen das Narrativ: Einen Antrag durchzubringen, der ohne AfD-Stimmen chancenlos wäre, sei überhaupt keine Zusammenarbeit. Diese Meinung vertritt auch der CDU-Parteichef: „Wir machen das, was wir in den Landtagen wie auch im Deutschen Bundestag diskutieren, nicht von anderen Fraktionen abhängig“, hatte Merz schon am Donnerstagmorgen dem Sender RTL gesagt. Die thüringische CDU habe ihr Vorgehen mit ihm abgesprochen.
Das sind deutlich andere Töne, als Merz sie noch im Dezember 2021 bei seinem Amtsantritt angeschlagen hatte. Damals hatte er eine „Brandmauer“ gegen die AfD angekündigt und erklärt: „Die Landesverbände, vor allem im Osten, bekommen von uns eine glasklare Ansage: Wenn irgendjemand von uns die Hand hebt, um mit der AfD zusammenzuarbeiten, dann steht am nächsten Tag ein Parteiausschlussverfahren an.“
Doch viele Unionsleute scheinen „Zusammenarbeit“ inzwischen sehr eng auszulegen. Bayerns Ministerpräsident und CSU-Chef Markus Söder gab Merz Recht, und CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann sagte der Rheinischen Post: „Wie andere Fraktionen sich dazu verhalten, darf für uns nicht Maßstab sein.“ So sieht es auch Unionsfraktionsvize Jens Spahn: „Wir können als CDU richtige Positionen nicht aufgeben, nur weil auch die Falschen sie richtig finden“, schrieb dieser auf „X“, vormals Twitter.
Union in Verteidigungshaltung
Die CDU-Vizevorsitzende und Bildungsministerin in Schleswig-Holstein Karin Prien sagte im Deutschlandfunk: Es gebe keine Zusammenarbeit, aber die CDU müsse „konstruktive Sacharbeit in Thüringen machen können, ohne dass gleich dieser Vorwurf erhoben wird“.
Als der FDP-Politiker Thomas Kemmerich in Thüringen mit den Stimmen von CDU und AfD 2020 kurzzeitig zum Ministerpräsidenten gewählt wurde, sah Prien das offenbar noch anders. Damals twitterte sie: „Um Schaden von unserem Land und unserer Partei @CDU abzuhalten, müssen diejenigen, die dieses Desaster in Thüringen heute angerichtet haben, jetzt Verantwortung übernehmen und den Weg freimachen für einen Neuanfang.“
Nur wenige Unionspolitiker*innen haben sich bislang kritisch zum Vorgehen ihrer Thüringer Parteikolleg*innen geäußert. Zu ihnen zählt Priens Vorgesetzer, Schleswig-Holsteins CDU-Ministerpräsident Daniel Günther.
„Die zunehmende Radikalisierung der AfD erfordert eine noch konsequentere Haltung gerade einer konservativen Partei. Ein Vorgehen wie aktuell in Thüringen widerspricht dieser Haltung“, erklärte dieser am Freitagvormittag. „Ein wie auch immer geartetes Zusammenwirken mit der AfD ist ausgeschlossen. Das gilt auch für eigene Initiativen, die absehbar nur mit Hilfe dieser Partei Aussicht auf Erfolg haben.“
Doch auch die rot-rot-grüne Thüringer Minderheitenregierung habe einen „schweren Fehler“ gemacht, so Günther. Sie habe es versäumt, „eine Mehrheit der demokratischen Mitte mit der CDU zu organisieren“. Die demokratischen Kräfte in Deutschland hätten eine „gemeinsame Verantwortung, der AfD entgegenzutreten“ und sollten dieser gerecht werden und mit dem „Fingerzeigen“ untereinander aufhören.
Kritik an naiver Haltung
Das sind klare Worte – aber unter führenden Unionspolitiker*innen ist Günther damit ziemlich allein. Kritik am Verhalten der Thüringer CDU kommt, wenn überhaupt, aus der zweiten und dritten Reihe. Etwa vom ehemaligen saarländischen Ministerpräsidenten und heutigen CDU-Landtagsabgeordneten Tobias Hans. „Es ist und es bleibt falsch, mit der AfD politische Mehrheiten durchzusetzen. Es braucht doch viel mehr den Kompromiss unter den Demokraten, auch um zweifelsohne richtige Ziele zu erreichen“, schrieb Hans auf dem Kurznachrichtendienst „X“, ehemals Twitter.
Die CDU-Politikerin und Vorsitzende des Rechtsausschusses im Bundestag, Elisabeth Winkelmeier-Becker, erklärte ebenfalls dort: „Auch nach 1x drüber schlafen nicht besser: bin enttäuscht und entsetzt über die Abstimmung in #Thüringen! #noafd“.
Der ehemalige CDU-Generalsekretär Ruprecht Polenz bezeichnete die Aussage vieler Parteikolleg*innen, die Abstimmung stelle keine Zusammenarbeit mit der AfD dar, auf „X“ als „naiv“. Anders als von der Landtagsfraktion verkündet sei die beschlossene Grunderwerbssteuer „überhaupt keine gute Nachricht“, so Polenz: „Diesen Preis hätte die @cdu_thueringen NIE bezahlen dürfen. Klarer Verstoß gegen den Beschluss des CDU-BPT (Bundesparteitags, d.Red.), der JEDE politische Zusammenarbeit mit der AfD ausschließt“.
„Die Thüringische AfD ist nicht irgendein Landesverband. Es ein klar rechtsradikaler der von Höcke geführt wird“, schrieb der CDU-Lokalpolitiker Benjamin Daniel Thomas aus Essen. „Das macht es noch schlimmer. Eine #Brandmauer bedeutet auch, dass man keine Anträge stellt die wissentlich nur mit der AfD eine Mehrheit bekommen.“
Schweigende Union
Indirekter, aber erkennbar mit Bezug auf die Abstimmung in Thüringen schrieb der CSU-Bundestagsabgeordnete Volker Ullrich: „Für eine christdemokratische Partei sind die politischen Hauptgegner nicht jene Kräfte, mit denen wir zwar im Wettbewerb stehen – und doch auf verschiedenen Ebenen auch koalieren, sondern Populisten und Rechtsextreme, welche die Demokratie und den Staat selbst attackieren.“
Noch zaghafter äußert Marco Wanderwitz, CDU-Bundestagsabgeordneter und ehemaliger Ostbeauftragter der Bundesregierung sein Missfallen. Er teilte auf „X“ lediglich die Posts von Ullrich und Winkelmeier-Becker sowie einen kritischen Kommentar aus der Magdeburger Volksstimme, Titel: „In Thüringen fällt die Brandmauer gegen Rechts“. Diverse taz-Anfragen an Unionspolitiker*innen blieben bis Redaktionsschluss unbeantwortet oder wurden abgelehnt. Die Abgeordneten könnten es „nicht einrichten“ oder seien „beschäftigt“.
Der Soziologe Matthias Quent sieht in der Thüringer Abstimmung einen „weiteren Schritt in Richtung Normalisierung von Rechtsextremismus“, wie er der taz sagte. Die Zusammenarbeit zwischen CDU und AfD sei nur ein weiterer Baustein einer Entwicklungslinie, zu der Quent beispielsweise auch den Antisemitismus-Skandal in Bayern rund um Hubert Aiwanger und die teils offene rechte Flanke von CDU-Parteichef Friedrich Merz rechnet.
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Das Argument, man habe lediglich den eigenen Antrag eingebracht, dem die AfD zufällig auch zugestimmt habe, will Quent nicht gelten lassen: „Es war klar, dass die AfD zustimmt, sie hat extra einen eigenen Antrag von der Tagesordnung genommen, damit der CDU-Antrag noch verhandelt werden konnte.“
Die CDU wisse genau, was sie tue, so Quent: „Sie wollte mit der Abstimmung das Spektrum des Machbaren erweitern.“ Weil die Mehrheitsverhältnisse in Thüringen und anderen ostdeutschen Bundesländern extrem kompliziert seien und die Bundespartei eine Zusammenarbeit mit der Linkspartei weiter ausschließe, sei eine Annäherung an die AfD die einzige Machtoption, die der Union noch bleibe.
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