Streit in Koalitionsverhandlungen: Ampelfrust bei den Grünen

Nach der ersten Euphorie zieht bei Robert Habecks Leuten Ernüchterung ein. Zweifel wachsen, ob es gelingt, 1,5-Grad-taugliche Politik zu formulieren.

Das berühmt Selfie mit Wissing, Baerbock, Lindner und Habeck, Baerbock und Habeck mit Smiley vor ihrem Gesicht.

So sad: Die anderen Am­pelia­ne­r*in­nen haben zu wenig Lust auf Klimaschutz Foto: dpa, Montage: taz

BERLIN taz Vor gut drei Wochen herrschte bei den Grünen noch freudiger Überschwang. Als er seine Partei bei einem Länderrat aufs Regieren einstimmte, versprach Grünen-Chef Robert Habeck, dass es eine „Fortschrittsregierung“ geben werde. „Wir sind in einer Hoffnungszeit angekommen.“ Von Aufbruch und Erneuerung war die Rede. Ein sehr große Mehrheit der Delegierten stimmte für die Verhandlungen mit SPD und FDP, nur zwei waren dagegen.

Inzwischen ist Ernüchterung eingekehrt bei den Grünen. Die Stimmung sei „mäßig“, heißt es, es gebe „einigen Frust“, weil die Ampel-Verhandlungen an vielen Stellen stockend oder schleppend verlaufen. Grünen-VerhandlerInnen beschweren sich über die „strukturkonservative SPD“. Vor allem bei ökologischen Anliegen heiße es oft „SPD und FDP verbünden sich gegen die Grünen“.

Nun sind Konflikte bei einer Regierungsbildung der Normalfall – und keineswegs außergewöhnlich. Aber beim Ampel-Frust der Grünen geht es um mehr als um eine atmosphärische Verstimmung, nämlich um die Frage: Schafft es die neue Regierung, eine realitätstaugliche 1,5-Grad-Politik umzusetzen? Das scheint auf der Kippe zu stehen.

Klar ist: Der strenge Zeitplan wackelt. Im Moment ist offen, ob die 22 Arbeitsgruppen wie verabredet bis Mittwoch 18 Uhr ihre Ergebnispapiere vorlegen können. Einige AGs seien sehr weit, andere aber nicht, heißt es bei VerhandlerInnen. Die Grünen bereiten die Öffentlichkeit schon auf eine Verspätung vor: „Das Ergebnis zählt und nicht das Datum“, sagt Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt.

Einzelne drohen mit Verhandlungsabbruch

Und es gibt einzelne grüne Stimmen, die offen mit Abbruch der Verhandlungen drohen. „Ich glaube, dass sich alle Seiten noch mal klarmachen müssen: Wenn wir in den nächsten Tagen beim Klimaschutz nicht zusammenkommen, drohen Neuwahlen“, sagte Baden-Württembergs Verkehrsminister Winfried Hermann der Süddeutschen Zeitung.

Die Habeck-Baerbock-Grünen stecken in einer Zwangslage. Vor der Wahl hatten sie bei ihren WählerInnen riesige Erwartungen geweckt. Es sei „die große Jahrhundertaufgabe“, die Klimakrise in den Griff zu kriegen, hatte Habeck betont. Und: Die Grünen wollten das „größte Klimaschutzpaket beschließen, das es jemals in diesem Land gegeben hat.“ Die Einhaltung des 1,5-Grad-Pfades war im Grunde die einzige harte Bedingung, die führende Grüne für eine Regierungsbeteiligung formuliert hatten.

Nun zeigt sich, dass sich zwar alle drei Parteien in der Theorie zum Pariser Klimaschutzziel bekennen – aber der Ehrgeiz im Detail sehr unterschiedlich ist. Gewollt sei von SPD und FDP eine klare Arbeitsteilung, erzählt ein grüner Stratege. „Ob beim Verkehr, beim Wohnungsbau oder anderswo, wir sind überall dafür zuständig, für Ökologie und Klimaschutz zu kämpfen. Und Erfolge sollen wir an anderer Stelle bezahlen.“

Bei den Grünen herrscht der Eindruck: Olaf Scholz habe zwar „Klimakanzler“ auf Wahlplakate gedruckt, aber er sei nicht bereit, dies in der Realität einzulösen. Der Sozialdemokrat habe vor allem seine Wiederwahl 2025 im Kopf und wolle nicht mit ambitionierter Politik anecken. Motto: Merkel Reloaded.

Christian Lindner blockt ab

Wenn das stimmt, müssten die 14,8-Prozent-Grünen ihr politisches Kapital komplett für Klimaschutz einsetzen – und das Ergebnis dürfte am Ende trotzdem nicht ausreichen. Dass sich Grüne im Moment über fehlende Fortschritte beklagen, ist zum Teil auch Erwartungsmanagement. Sie wollen dem Eindruck vorbeugen, nicht hart genug gekämpft zu haben. Bei der SPD äußert man sich nicht zu den Klagen des Koalitionspartners in spe. „Kein Kommentar“, richtet etwa ein Sprecher für Matthias Miersch aus, den SPD-Chefverhandler der AG „Klima, Energie, Transformation“.

Aus grüner Sicht hakt es an mehreren, relevanten Stellen. Ein Beispiel sind die Finanzen. Die Grünen wollen im verabredeten Rahmen – Schuldenbremse bleibt, keine Steuererhöhungen – alle Spielräume nutzen, um mehr Investitionen in Klimaschutz und die Infrastruktur zu ermöglichen, und sie dachten, dies sei auch so mit allen Beteiligten vereinbart. Das Problem ist nur: FDP-Chef Christian Lindner erklärte kurz nach Veröffentlichung des Sondierungspapiers zwei kreative Wege, die sie im Kopf hatten, für Unfug.

Schattenhaushalte, worunter auch Kredite über öffentliche Unternehmen fallen könnten? Nannte er bei Maybrit Illner vor einem Millionenpublikum „undemokratisch.“ Im Jahr 2022, bei der wegen Corona noch ausgesetzter Schuldenbremse, Kredite für die Transformation aufnehmen? „Nicht seriös.“

Bei den Grünen sah man dem Mann, der Finanzminister werden will, fassungslos zu. Und versucht sich einen Reim auf Lindners Strategie zu machen. Jener habe Angst vor der CDU, die nur darauf warte, ihn als Schuldenkönig durch die Arena zu treiben, heißt es in der Ökopartei. Oder pokert Lindner, um sich das Finanzressort zu erkämpfen? Ein Kompromiss ist jedenfalls bei so unterschiedlichen Positionen schwer denkbar.

Eigene Fehler kommen dazu

Auch beim Verkehr liegen die Vorstellungen himmelweit auseinander, hier sei es „sehr schwierig“, heißt es. Die Grünen fühlen sich dabei nicht nur von der FDP ausgebremst, sondern auch von der SPD. Jene, heißt es, schaue dem Streit zwischen den Kleinen oft zu, ohne eigene Ambitionen erkennen zu lassen. Anderswo blockiere sie. So hat sich das neue Bündnis etwa darauf verständigt, 400.000 neue Wohnungen pro Jahr zu bauen. Die Grünen hätten gerne außerdem vereinbart, dass jene klimafreundlich gebaut sein müssten. Dies soll an der SPD gescheitert sein.

Hinzu kommen strategische Entscheidungen der Grünen-Spitze, die selbst von potentiellen Verbündeten als Fehler gesehen werden. Ein Beispiel: Im Sondierungspapier stehen Formulierungen, die das aktuell gültige, von der Großen Koalition nach einem Verfassungsgerichtsurteil verschärfte Klimaschutzgesetz aufweichen. Dagegen protestierten vergangene Woche acht Umweltverbände von BUND über den WWF bis hin zu Greenpeace. Eine Aufweichung „wäre ein katastrophaler Fehlstart“, so die Kritik.

Die Grünen-Spitze räumte in einem Antwortschreiben an die Verbände ein, dass es gerade beim Klimaschutz und beim Biodiversitätsschutz in den Verhandlungen noch viel zu tun gebe. „Es wäre dafür sehr hilfreich – und in Teilen seid ihr ja bereits dran – wenn Ihr darauf hinwirken könntet, dass SPD und FDP hier ambitionierte Vorschläge einbringen“, baten die Chefgrünen. „Wenn wir das weiter alleine tun müssen, erschwert das die Verhandlungen enorm.“

Der Brief war nichts anderes als ein Hilferuf. Die Grünen-Spitze wollte der Öffentlickeit vor Augen führen, wie die Dinge aus ihrer Sicht stehen. Aber ist ein Ausstieg aus der Koalition eine Option, wie ihn der Baden-Württemberger Hermann an die Wand malt? Für eine so staatstragende Partei wie die Grünen ist das schwer vorstellbar. Wahrscheinlicher ist, dass sie am Ende ein Ergebnis schön reden, das sie selbst für nicht ausreichend halten.

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