Shitstorm gegen Sarah-Lee Heinrich: Rechtsextreme „Cancel Culture“

Kampagnen wie die gegen Heinrich zielen auf Unsichtbarmachung und Verdrängung. Dafür müssen wir Gegenstrategien entwickeln.

Heinrich und Dzienus sitzen nebeneinander am Tisch und gucken sich freundlich an

Sarah-Lee Heinrich und Timon Dienus nach ihrer Wahl Foto: Bodo Schackow/dpa

Schreibe nichts ins Internet, was du später bereuen könntest. So klug dieser Spruch auch sein mag, in den meisten Fällen kommt er zu spät. Bei Sarah-Lee Heinrich ganze sechs Jahre. Als Teenagerin hat sie eine Reihe problematischer Tweets abgesetzt. Darin benutzte sie die Wörter „schwul“ und „behindert“ als Beleidigung, bezeichnete jemanden als „Tunte“ oder schrieb „Heil“ unter ein Hakenkreuz.

Im Regelfall interessiert es die Menschen nicht, was in der Vergangenheit getwittert wurde. Debatten sind schnelllebig, ein lustiges Meme oder ein dummer Spruch meist nach wenigen Tagen wieder vergessen. Doch für Rechte ist es ein regelrechter Sport geworden, Tweets zu speichern. Nämlich dann, wenn Menschen, die ihrem klassischen Feindbild entsprechen, vermeintliches Fehlverhalten zeigen. Sie machen Screen­shots von einzelnen Tweets oder speichern bei Onlinediensten gesamte Archivversionen eines Twitter-Profils ab.

Bei einem der Onlinedienste wurde Heinrichs Profil wiederholt archiviert, erstmals im Dezember 2020. Selbst wenn die Tweets gelöscht werden, bleiben sie so im Netz auffindbar. Rausgeholt werden sie dann meist zu einem Zeitpunkt, an dem die Person einen Karrieresprung gemacht hat. Das Ziel: Eine Person zu diskreditieren, sie aus ihrem neuen Job zu „canceln“.

Sarah-Lee Heinrich entspricht dem Feindbild der Rechten: Sie ist Schwarz, sie ist eine Frau, sie ist Antifaschistin – und steht in der Öffentlichkeit. Schon Ende 2019 gab es einen von rechts orchestrierten Shitstorm gegen die junge Politikerin. Anlass war, dass sie von einer „eklig-weißen Mehrheitsgesellschaft“ gesprochen hatte. Doch seit sie am vergangenen Wochenende gemeinsam mit Timon Dzienus zur Bundessprecherin der Grünen Jugend gewählt wurde, hat sich die Bedrohungslage verschärft. Ins Leben gerufen und angeführt wird der Shitstorm von rechten Twitter-Accounts, sie posten Screenshots alter Tweets von Heinrich, bearbeiten sie teilweise, um den Inhalt zuzuspitzen oder lassen absichtlich den Zeitstempel weg.

Heinrich hat sich kurz darauf für ihre beleidigenden Tweets entschuldigt. In Bezug auf den „Heil“-Tweet schrieb sie, sie könne sich nicht mehr daran erinnern, ihn gepostet zu haben. Und weiter: „Dieser Tweet spiegelt in keiner Weise meine Position wieder. Es tut mir wirklich leid, einen solchen Tweet jemals abgesetzt zu haben.“ Doch das spielt in der Hetzkampagne gegen die 20-Jährige keine Rolle. Zwar zeigen sich viele mit der jungen Politikerin solidarisch, darunter auch prominente Grünen-Abgeordnete wie Cem Özdemir oder Katrin Göring-Eckardt, doch die rechte Kampagne ist enorm groß.

Unsere Machtlosigkeit

Aus Beleidigungen und Rück­trittsforderungen werden Morddrohungen „über alle Kanäle“. „Du stehst auf der Abschussliste“, „es werden immer die Falschen vergewaltigt“, „jemand wie du gehört vergast“, das sind Nachrichten, die Heinrich bekommt, wie sie Zeit Online erzählt. Zuvor hatte sie sich „zu ihrer eigenen Sicherheit“ für ein paar Tage zurückgezogen, sie sei in Kontakt mit den Sicherheitsbehörden.

Es ist ein Fall, der verdeutlicht, wie gut Rechte im Netz die Strategie der Cancel Culture beherrschen – und wie machtlos wir dagegen sind. Rechte Shitstorms sind keine zufälligen Aktionen, sie sind koordiniert und dienen dem Zweck, Menschen unsichtbar zu machen und den Diskurs nach rechts zu verschieben. Frauen, Queers und BPoC sollen strategisch aus Machtpositionen gedrängt werden. Das Perfide daran: Die Rechten haben es mit Hilfe von Konservativen und medialen Diskursen im Mainstream geschafft, Cancel Culture als gefährliches und die Meinungsfreiheit bedrohendes Instrument der gesellschaftlichen Linken zu framen.

Ein ähnlicher Fall wie der Heinrichs ist der von Nemi El-Hassan. Der Journalistin wurde vor einigen Wochen vorgeworfen, als 18-Jährige am antisemitischen Al-Quds-Marsch teilgenommen zu haben. Der Vorwurf stimmte, El-Hassan entschuldigte sich öffentlich. Doch eine von einem rechten Youtuber und der Bild-Zeitung angeführte Kampagne gegen sie führte dazu, dass sie schließlich keinen Job als Moderatorin eines öffentlich-rechtlichen Formats bekam.

Inzwischen vergeht kaum eine Woche, in der es keine gezielten Cancel-Versuche gegen progressive Twitter-Userinnen gibt, wie Natascha Strobl, Alice Hasters oder Jasmina Kuhnke, um nur drei Beispiele der nahen Vergangenheit zu nennen. Dabei geht es nicht darum, dass diese Personen für ihre Verhalten oder ihre Aussagen kritisiert werden sollen. Kritik müssen Politiker:innen, Jour­na­lis­t:in­nen und andere Menschen der Öffentlichkeit aushalten. Wenn rechte Accounts sich auf einzelne Menschen einschießen, wissen sie, was folgen wird. Morddrohungen sind dann keine Überraschung – sie sind das Ziel.

Das Spiel der Rechten

Wieso solche Kampagnen rassistische und sexistische Doppelstandards beinhalten, wird klar, wenn auf den Umgang mit anderen „Fehlverhalten“ fokussiert wird. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Philipp Amthor posierte für ein Foto mit Neonazis; der kürzlich erschienene Roman des „Tagesschau“-Sprechers Constantin Schreiber liest sich wie ein rechtspopulistisches Pamphlet. Beide Vorfälle blieben im Netz nicht unkommentiert: Aber hat einer der beiden seinen Job verloren? Musste einer sich aus der Öffentlichkeit zurückziehen, weil die Bedrohungslage zu extrem wurde? Nein.

Natürlich ist es falsch, was Sarah-Lee Heinrich damals ins Netz geschrieben hat. Ihre Tweets sind teilweise sexistisch, antisemitisch und homofeindlich. Auch ihr Alter allein reicht nicht als Entschuldigung. Doch wichtig ist, dass wir es schaffen, unser Verhalten zu reflektieren und um Entschuldigung zu bitten. Heinrich hat das getan. Mehrmals. Niemand glaubt ernsthaft, sie sei Faschistin, weil sie als 14-Jährige das Wort „Heil“ getwittert hat. Doch im Umgang mit ihr spielt es keine Rolle. Dafür spielen zu viele das Spiel der Rechten mit.

Initiiert vom rechten Twitter-­Account „Green Watch“ ging die Kampagne vergangenes Wochenende los, schnell sprangen rechte Medien, wie Sezession auf, ebenso wie AfD-Politiker:innen und der Identitäre Martin Sellner. Als Bild, NZZ und Unions-Politiker sich mit einmischten, hatte die Debatte einen vorläufigen Höhepunkt erreicht. Bis am Dienstag die Schriftstellerin Elke Heidenreich bei Markus Lanz auch noch mitmischen wollte. Mit ihren zahlreichen problematischen Aussagen („Die redet nicht so, wie sie ­reden soll, wie ein gutbürgerlicher Mensch eben, also wie ich zum Beispiel“) offenbarte sie dabei in erster Linie ihren eigenen internalisierten Rassismus und Sexismus.

Um Heinrich und alle anderen, die von rechtem Shitstorms betroffen sind, nicht allein zu lassen, wollen wir uns solidarisch zeigen. Wir posten Solidaritätsbekundungen, widersprechen, blockieren und melden. Doch schlussendlich lassen wir uns vor den Rechten hertreiben. Wir brauchen die Debatte, welches Verhalten wir als Gesellschaft entschuldbar finden. Und es wird Zeit, dass wir Strategien entwickeln, um das Spiel der Rechten nicht mehr mitzuspielen.

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