Razzien bei der Letzten Generation: Stöbern in offenen Büchern
Die Durchsuchungen bei Klimaaktivist*innen zielt auf ihre Einschüchterung. Der Vorwurf, sie gefährdeten die öffentliche Sicherheit, ist absurd.
E s ist ein verräterischer Satz in der Mitteilung des Bayerischen Landeskriminalamts, das die Ermittlungen gegen die Letzte Generation aufgrund des Vorwurfs der Bildung oder Unterstützung einer kriminellen Vereinigung führt: „Aufgrund zahlreicher Strafanzeigen aus der Bevölkerung“ seien die Ermittlungen eingeleitet worden, die am Dienstag zu 15 Hausdurchsuchungen bundesweit führten. Die Motivation ist eindeutig: Weil die öffentliche Meinung zunehmend auf eine Verfolgung der Aktivist:innen drängt, greift der Staat jetzt durch.
Wie sehr die Ermittler ein Zeichen der Stärke setzen wollten, zeigt auch die Beschlagnahmung der Website der Klimaschutzgruppe und die Weiterleitung auf eine eigene Seite, auf der tatsächlich stand: „Die Letzte Generation stellt eine kriminelle Vereinigung gemäß § 129 StGB dar!“ Ganz so, als könnten Polizeibehörden oder die Oberstaatsanwaltschaft darüber entscheiden und nicht Gerichte.
Doch das Vorgehen passt zum Paragrafen 129, der zwar die Ultima Ratio für die Abwehr von Gefahren für die Demokratie sein sollte, in der Realität aber auch ein politisches Verfolgungsinstrument ist. Die gesetzlichen Bedingungen für die Einstufung als kriminell sind windelweich. Der entscheidende Passus, wonach die Aktionen eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit bedeuten müssen, findet sich nur in der Gesetzesbegründung.
Kein Wunder, dass viele Ermittlungen nach Paragraf 129 ins Leere laufen. Verurteilt werden zumeist echte Terrorgruppen, wie etwa Nazikameradschaften. Der Zweck aber ist sowieso ein anderer: Der Schnüffelparagraf gibt umfassende Befugnisse, von der Überwachung der Telekommunikation bis zum Einsatz von V-Leuten, und dient damit der Einschüchterung. Nicht weniger wichtig: Er delegitimiert die betroffenen Akteure.
Absurdes Konstrukt
Da es um das Ausforschen einer Gruppe, die bis zu ihrer Buchhaltung alles transparent macht, nicht gehen kann, bleibt die Bedrohung der Aktivist:innen und ihre öffentliche Markierung. Dass ihre mitunter strafbaren Aktionen die öffentliche Sicherheit bedrohen sollen, ist ein absurdes Konstrukt. Die Letzte Generation agiert öffentlich statt klandestin, friedlich statt militant und für ein demokratisches, nicht autoritäres Anliegen.
Weder bedeuten Staus diese Bedrohung noch ihre symbolischen Aktionen an Pipelines, in Museen oder an Flughäfen. Die Letzte Generation legt offen, dass die Bundesregierung am Klimaschutz scheitert. Nun zeigt sie unfreiwillig auch noch, dass dieser Staat lieber seine Rechtsstaatlichkeit untergräbt, als endlich zu handeln.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin