Klimaaktivist übers Autofahren: „Das kann nicht das Thema sein“
Für die „Bild“-Zeitung war es ein Skandal: Aktivisten kamen mit dem Auto zu ihrer Autobahnblockade. Die taz hat mit dem Fahrer gesprochen.
taz: Herr Unger, die Bild-Zeitung hat sich darüber echauffiert, dass Sie mit dem Auto zu einer Aktion gegen den Ausbau von Autobahnen gefahren sind. Haben Sie den Artikel gelesen?
Harry Unger: Nein, ich habe in meinem Leben noch nie eine Bild-Zeitung gekauft. Die Zeitung macht sich nicht einmal die Mühe, unsere Proteste zu verstehen. Aber das Problem ist ja nicht, dass wir mit dem Auto fahren. Dafür will ich mich nicht rechtfertigen müssen.
62, protestiert seit Jahren gegen den Bau von Autobahnen, zuerst gegen den Bau der A49 durch den Dannenröder Wald. Er gehört zu der Gruppe „Wald statt Asphalt“.
Wieso nicht?
Wir Aktivisten und Aktivistinnen leben ja nicht auf dem Mond. Wir haben auch unser tägliches Leben. Und wir sind natürlich auch darauf angewiesen, dass wir Auto fahren. Das ist ja das Dilemma, gegen das wir protestieren. Wir protestieren nicht gegen Autos an sich, sondern gegen eine falsche Verkehrspolitik, durch die Bürger und Bürgerinnen keine Alternative haben als mit dem Auto irgendwo hinzufahren.
Sie haben in Frankfurt am Main protestiert. Wären Sie zu der Brücke, von der Sie sich auf die Innenstadtautobahn A648 abgeseilt haben, nicht mit den öffentlichen Verkehrsmitteln gekommen?
Das kann nicht das Thema sein. Natürlich schauen wir darauf, wann wir das Auto nutzen und wann wir öffentliche Verkehrsmittel nehmen können. Außerdem versuchen wir, jedes Auto auszulasten, wir waren zum Beispiel bei der Aktion auf der Hinfahrt zu viert, auf der Rückfahrt zu zweit im Auto. Und für die Abseilaktion brauchten wir sehr viel Material, einen Kofferraum voller Seile und Kletterausrüstung. Das packt man nicht einfach so in den Rucksack und trägt es kilometerweit.
Wie lange waren Sie unterwegs?
Ich lebe auf dem Land in einem Dorf nahe einer Kleinstadt außerhalb von Frankfurt. Mit dem Auto waren es 45 Minuten, mit den öffentlichen Verkehrsmitteln hätte es ungefähr zwei Stunden gedauert. Ich fahre oft mit dem Rad zum Bahnhof und dann mit dem Zug in die Stadt. Aber das geht nicht immer. Zum Beispiel nicht, wenn man viel Material transportieren muss.
Hätte es nicht ein gutes Vorbild abgegeben, wenn Sie mit Fahrrad, Bus oder Bahn zum Protest gekommen wären?
Nein. Ich glaube nicht, dass das was bringt. Das ist ja genau die Diskussion, die die großen Ölkonzerne angezettelt haben: die Aufmerksamkeit immer auf den persönlichen CO2-Fußabdruck zu lenken. Die Industrie hat angezettelt, dass man die Verantwortung auf Individuen abwälzt, damit sie nachher besser dasteht.
Sie sagen, dass sich Aktivisten und Aktivistinnen also nicht immer an ihre Ideale halten müssen?
Ein einzelner Mensch kann das doch gar nicht. Man kann doch nicht von jedem verlangen, dass er sein Leben gravierend verändert, wenn er nicht mal die Möglichkeit dazu hat. Man muss ja meistens einen riesigen Aufwand betreiben, um sein tägliches Leben ohne Auto zu bestreiten. Von Menschen zu verlangen, die morgens vom Land in die Stadt pendeln und abends wieder zurück, dass sie kein Auto mehr fahren dürfen, ist doch absurd.
Was müsste sich verändern, damit Menschen das Auto häufiger stehen lassen?
Die Politik muss erstmal die Milliarden, die sie für den Bau von Autobahnen ausgibt, in den öffentlichen Nahverkehr investieren. Dann könnten Menschen viel leichter das Auto stehen lassen und in der gleichen Zeit ihre Wege mit Bussen und Bahnen zurücklegen. Wir brauchen zum Beispiel eine engere Taktung des öffentlichen Personenverkehrs und eine bessere Anbindung auf dem Land.
Aber es gibt ja immer noch keine wirkliche Verkehrswende. Zumindest nicht aus dem Verkehrsministerium heraus. Millionen werden weiter in den Sand gesetzt, zum Beispiel für den Ausbau der Autobahn A66 durch den Fechenheimer Wald – und in die Bahn wird viel zu wenig investiert. Auf diese Diskrepanz wollen wir aufmerksam machen.
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