Friedensbewegung und Ukraine-Krieg: Pazifisten, die Waffen fordern

Frie­dens­ak­ti­vis­t:in­nen haben es derzeit nicht leicht. Sollten sie ihre Ideale deswegen jetzt aufgeben? Nein. Zumindest nicht komplett.

Eine Person mit Flügeln bei einer Demonstration

Friedensengel, bei der Großdemonstration gegen den russischen Angriffskrieg am 27. Februar Foto: Future Image/imago

Der letzte Sonntag im Februar war ein überraschend schöner Tag. Die Sonne schien am winterklaren Himmel über dem Tiergarten in Berlin und Hunderttausende drängten sich dort zwischen Brandenburger Tor und Siegessäule. Zu Fuß oder mit dem Rad, mit Kindern und Hunden und mit blau-gelben Fahnen. Es war nicht laut. Irgendwo wurden Reden gehalten, irgendwo gab es eine Bühne mit Musik, aber die war so weit weg, dass man nur wenig davon mitbekam. Es war eher ein gemeinsames Rumstehen. Ein Zusammenstehen. Gegen den Krieg, den Russland wenige Tage zuvor in der Ukraine begonnen hatte. Für den Frieden.

Es war wie in den großen Zeiten der Friedensbewegung. Wie 2003, als mit einer 35 Kilometer langen Menschenkette gegen den Irakkrieg protestiert wurde. Wie 1983, als in Bonn eine halbe Million Menschen gegen die Nachrüstung der Nato mit Pershing­-II-Atomraketen demonstrierten. Als BAP im dortigen Hofgarten ihr Kriegsdienstverweigerungslied „Stell dir vüür“ rockten und später am Abend Tausende den Refrain immer aufs Neue wiederholend zum Bahnhof zogen. Weil sie vorstellbar schien, diese bessere Welt ohne Waffengewalt.

Fast 40 Jahren später war es den Friedensbewegten erneut gelungen, ein massives Zeichen zu setzen. Und dennoch war etwas anders. Unübersehbar. Da gab es Demonstrant:innen, die auf Plakaten mit einer Friedenstaube „Waffen für die Ukrai­ne“ forderten. Und die mitlaufen durften, ohne anzuecken.

Nun ist es nichts Neues, dass „die“ Friedensbewegung extrem breit aufgefächert ist. Manchmal unerträglich breit. Das war schon in den 80er Jahren so. „Ich bin gegen­ den Frieden“, schrieb damals zum Beispiel Liedermacher Heinz Rudolf Kunze und begründete das sehr schlüssig so: „Für den Frieden sind ja alle, oder zumindest so viele, daß einige darunter sind, mit denen ich ums Verrecken nicht einer Meinung sein kann.“ Heinz Rudolf Kunze, mittlerweile vom linksintellektuellen Barden zum älteren weißen Mann mutiert, der so viel Unsinn erzählt, dass man ums Verrecken nicht mehr mit ihm einer Meinung sein kann, traf damals einen wunden Punkt.

Die neuen Pazifisten

Es gab da viele, für die die weiße Taube nicht mehr als ein modisches Accessoire war. Andere, die versuchten, mit ihrer vorbildlich friedlichen Haltung die schnelle Mark zu machen. Und nicht zu vergessen diejenigen, die den Kampf für den Frieden vor allem dafür nutzen, mit dem Finger auf die Fehler des Westens, der imperialistischen Amerikaner zu zeigen, aber jede Kritik am damals noch sowjetischen Moskau zurückwiesen.

Letztere gibt es heute wie damals. Und man möchte wirklich nicht mit ihnen in einen Topf geworfen werden. Es war also noch nie so ganz einfach, sich als Pazifist nicht von der einen oder anderen Seite vereinnahmen zu lassen. Aber Friedensaktivisten, die mehr Waffen fordern, das ist wirklich etwas Neues.

Irritierend daran ist vor allem: Man kann sie sogar verstehen. Niemand möchte im Ernst der Ukraine das Recht auf Selbstverteidigung absprechen. Waffen sind dabei natürlich hilfreich.

Für Pazifisten sind das wahrlich keine leichten Zeiten. Wobei das auch egal ist. In der Ukraine werden Häuser, Städte, Menschenleben zerstört. Da muss man nicht rumjammern, bloß weil das eigene Weltbild in Scherben liegt.

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Aber soll man die Ideale deswegen gleich an den Nagel hängen? Da hängt schon diese alte Armeejacke, auf die ein befreundeter Künstler das Label „Deserteur“ genäht hat. Gelegentlich streife ich sie über. Sie wärmt nicht wirklich, aber sie hilft beim Nachdenken. Und beim Festhalten an der Idee, dass, wenn man den Krieg schon nicht verhindern kann, es immer noch wichtig ist, sich für diejenigen einzusetzen, die sich nicht daran beteiligen wollen.

Die vor der Gewalt flüchten, um keine Opfer zu werden. Aber auch keine Täter an der Front. Egal ob Frau, ob Kind, ob Mann. Egal ob Russe oder Ukrai­ner. Stell dir vor, es ist Krieg und jemand läuft weg, warum auch immer. Dann sollten alle Türen offen stehen.

Es ist nicht viel. Es ist nur ein letzter Rest von pazifistisch motivierter Humanität, den man in Zeiten des Krieges einfordern kann. Nein, muss.

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