Pazifismus in Zeiten des Krieges: Frieden schaffen mit mehr Waffen?

Bei der Friedensdemonstration in Berlin wurden auch Waffenlieferungen an die Ukraine begrüßt. Hat sich der Pazifismus überholt?

Auf einer Demonstration wird eine ukrainische Flagge mit Freidenstaube geschwenkt

Sind die weißen Tauben müde? De­mons­tran­t:in­nen am Sonntag vor dem Brandenburger Tor in Berlin Foto: dpa

„Stand with Ukraine!“, stand auf den Plakaten bei der Friedensdemonstration am Sonntag im Berliner Tiergarten. „Stop War!“, in vielen Sprachen. „Warum nicht einfach Frieden?“ Und auf ein paar der hochgehaltenen Plakate stand: Waffen für die Ukraine!

Ein Aufruf zur Aufrüstung bei einer Friedensdemo? Das hätte es vor wenigen Jahren mit Sicherheit nicht gegeben. Schon weil Trä­ge­r:in­nen solcher Plakate hätten befürchten müssen, dass sie friedfertig, aber bestimmt des Platzes verwiesen werden. Hier aber wurden sie nicht nur geduldet. Im Gegenteil, sie gehörten dazu, waren Teil eines vielstimmigen Gesamtbildes – und alles andere als ein Randphänomen.

„Wenn Russland aufhört zu kämpfen, endet der Krieg. Wenn die Ukraine aufhört zu kämpfen, gibt es keine Ukraine mehr“, stand auf einem Plakat. Ein Bild davon hat am Sonntag die Initiative campact getwittert, die die Friedensdemonstration initiiert hat.

Die Forderung nach Waffenlieferungen ist nichts Neues in der gesellschaftlichen Linken. Schon 1968 forderte der SDS Waffen für den Vietcong. Und in den 1980ern sammelte die taz mehrere Millionen Mark für Waffen für El Salvador. Aber Pa­zi­fis­t:in­nen konnten mit so einer Strategie der Gewalt nie etwas anfangen.

Schwer erträglich für Pa­zi­fis­t:in­nen

Und jetzt geht so eine Forderung einfach so durch auf einer Friedensdemo? Darf hochgehalten werden neben einer weißen Taube auf blauen Grund, die doch immer für den einen, klaren Weg stand: Frieden schaffen ohne Waffen?

Es gibt noch eine Parole, die jeder pazifistisch Angehauchte stets im Kopf hat: Frieden ist mehr als die Abwesenheit von Krieg. Vielleicht liegt genau darin die Erklärung für den scheinbaren Widerspruch. Denn was die Hunderttausenden im Berliner Tiergarten einte, war offenbar gar nicht in erster Linie der Wunsch nach Frieden, sondern vor allem als Minimalkompromiss die Abwesenheit von Krieg. Und wenn sich die nur über Waffengewalt erreichen lässt, weil der Gegner, weil Putin durch Gespräche, durch Diplomatie, durch Sanktionen schlichtweg nicht erreichbar ist, dann …

Für Pa­zi­fis­t:in­nen ist es schwer erträglich, diesen Gedanken zu Ende zu führen. An­hän­ge­r:in­nen der reinen Lehre muss er wie ein Verrat des Ideals vorkommen. Denn wer dieses in einer solchen Extremlage aufgibt, könnte ja auch gleich denjenigen recht geben, die Pa­zi­fis­t:in­nen für weltfremde Naivlinge halten.

Wer aber schon immer davon ausging, dass kein einziges Weltbild Antworten auf alle Lagen bieten kann, wird schweren Herzens zum Schluss kommen, dass die Ukraine eine der berühmten Ausnahmen von der Regel sein könnte. Sein müsste. Ist. Selbst wenn die Waffenlieferungen nicht einmal ein Kriegsende garantieren, sondern nur das Recht der Ukrai­ne­r:in­nen auf Verteidigung erhalten.

Ausnahme heißt aber eben auch: Die Regel an sich gilt weiter. Genauso wie weiterhin gilt, dass Diplomatie der Königsweg zur Lösung aller zwischenstaatlichen Konflikte bleiben muss. Alles andere würde auf direktem Weg in die Barbarei führen.

Ist die deutsche Unterstützung kriegsentscheidend?

Reden ist immer besser als Schießen. Zaudern ist immer angebrachter als vorschnelle Eskalation. Zwar werfen nun viele der Bundesregierung vor, zu lange an dem Diktum festgehalten zu haben, keine Waffen in Krisengebiete zu liefern. Aber glaubt tatsächlich jemand, dass sich der offensichtlich kriegswillige Putin von einem Einmarsch in die Ukraine hätte abhalten lassen, wenn die Bundesrepublik ein paar Wochen früher Raketen geliefert hätte?

Glaubt irgendwer, dass die deutsche Unterstützung kriegsentscheidend sein könnte im Kampf gegen eine hochgerüstete russische Armee? Gegen eine Armee, die – wenn überhaupt – nur von denen militärisch zu schlagen wäre, die jedes Risiko eingingen? Also auch das eines dritten Weltkrieges?

Geht es also nicht vor allem mal wieder um die Sehnsucht, moralisch auf der richtigen Seite zu stehen? Bisher ohne Waffenlieferungen – künftig mit?

Sicher ist: Wer im militärischen Dagegenhalten den einzigen Weg sieht, der wird genauso daneben liegen, wie jetzt die Hardcore-Pazifist:innen. Genau deshalb sind beeindruckende Friedensdemonstrationen wie am Sonntag in Berlin nicht überholt. Sondern unerlässlich.

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Leiter des Regie-Ressorts, das die zentrale Planung der taz-Themen für Online und Print koordiniert. Seit 1995 bei der taz als Autor, CvD und ab 2005 Leiter der Berlin-Redaktion. 2012 bis 2019 Leiter der taz.eins-Redaktion, die die ersten fünf Seiten der gedruckten taz produziert. Hat in Bochum, Berlin und Barcelona Wirtschaft, Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation und ein wenig Kunst studiert. Mehr unter gereonasmuth.de. Twitter: @gereonas Mastodon: @gereonas@social.anoxinon.de Foto: Anke Phoebe Peters

Wir alle wollen angesichts dessen, was mit der Ukraine derzeit geschieht, nicht tatenlos zusehen. Doch wie soll mensch von Deutschland aus helfen? Unsere Ukraine-Soli-Liste bietet Ihnen einige Ansätze fürs eigene Aktivwerden.

▶ Die Liste finden Sie unter taz.de/ukrainesoli

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