Psychologe über Männlichkeit: „Patriarchat frisch legitimiert“
Statt progressiver Männlichkeit dominiert wieder Frauenhass. Wieso? Und was kann man dagegen tun? Männerforscher Markus Theunert im Gespräch.
taz: Herr Theunert, Sie forschen seit Jahren zu progressiver Männlichkeit und betreiben patriarchalkritische Männerarbeit. Jetzt zeigen Umfragen, dass noch immer recht viele Männer ein eher traditionelles Männerbild haben und ein Drittel von ihnen es sogar akzeptabel findet, Frauen zu schlagen. Dabei dachten wir, jüngere Männer hätten diese archaische Männlichkeitsnorm überwunden.
Markus Theunert: Die Annahme, dass sich das Männerbild ändert, sobald die alten, konservativen Männer wegsterben, trifft leider nicht zu. Eine Studie des Bundesfamilienministeriums hat schon 2017 gezeigt, dass überholte Rollenvorstellungen nicht einfach herauswachsen, sondern weitergegeben werden. Insofern überraschen mich die aktuellen Ergebnisse nicht.
Markus Theunert, 50, ist Psychologe und Soziologe. Er war der erste staatliche Männerbeauftragte im deutschsprachigen Raum und ist heute einer der wichtigsten Vertreter der progressiven Männerbewegung.
Aber es gibt sie doch, die jungen, gendersensiblen Männer.
Durchaus und zum Glück. Aber es findet bei der Frage nach Männlichkeit wie in so vielen Bereichen der Gesellschaft eine Polarisierung statt. Vereinfacht lässt es sich so zusammenfassen: Ein Drittel der Männer ist antifeministisch-misogyn eingestellt, ein Drittel verharrt in passivem Pragmatismus und ein Drittel ist in einer genderreflektierten Vorwärtsbewegung.
Steigende Sensibilisierung und anhaltende hegemoniale Männlichkeit existieren nebeneinander?
Wir sehen aktuell keine Wellenbewegung, sondern parallele Polarisierungen: Natürlich gibt es immer mehr Männer, die achtsam sind, sich problematischen Männlichkeitsstrukturen widersetzen und nachhaltiger leben. Gleichzeitig gibt es aber auch immer mehr Männer, die jegliche Männlichkeitsreflexion grundsätzlich boykottieren – und das nicht mehr verstecken.
Man erntet heute doch sofort einen Shitstorm, wenn man sich als misogyn outet.
Im öffentlichen Raum vielleicht. Im Privaten scheint mir die Hemmschwelle im Vergleich zu den vergangenen zehn Jahren zu sinken. Geschlechterstereotype bis hin zu offener Frauenverachtung werden zunehmend selbstbewusst vorgetragen.
Wieso?
Weil die Rechte das erfolgreich normalisiert hat. Der Boden dafür ist aber auch fruchtbar: Die Anforderungen der Gesellschaft an Männer haben sich nicht im Kern verändert, sondern bloß erweitert. Zu den bisherigen Anforderungen – leistungsstarker Ernährer, der weiß, was er will und das auch durchsetzen kann – kommen entgegengesetzte Anforderungen hinzu. Männer sollen auch emotional kompetent und einfühlsam und als Vater liebevoll und präsent sein. Das sind natürlich legitime Forderungen. Aber solange die alten Imperative weiterwirken, sind diese konträren Anforderungen nicht erfüllbar.
Und das lässt Männer offen frauenfeindlich agieren?
Das führt zu Ohnmacht, Verlustangst, Überforderung, Stress. Und Frauenhass ist für viele Männer die attraktivste Form, damit einen Umgang zu finden.
Haben gendersensible Männer ihre Strategien nicht ausreichend kommuniziert?
Gendersensible Männer sind politisch ein Nischenphänomen. Auch auf der linksgrünen Seite sehe ich viele Männer, die sich als feministische Allies gefallen, sich aber vor der schmerzhaften Auseinandersetzung an der eigenen patriarchalen Teilhabe drücken.
Welche Rolle spielen dabei die Frauen?
Es ist sicher nicht an mir, Frauen irgendein Fehlverhalten vorzuhalten. Das Problem ist doch die Instrumentalisierung des Gleichstellungsansatzes durch das patriarchal-kapitalistische System. Denn dabei bleibt der Mann der Maßstab. Ohne fundamentale Männlichkeits- und Patriarchatskritik lassen sich keine gerechten Geschlechterverhältnisse gestalten.
Es hat sich also nichts geändert?
Das Gleichstellungskonzept war der politisch machbare Kompromiss, um überhaupt erst einmal voranzukommen. Und ich freue mich für jede Frau, der es gelingt, in Männerbünde vorzudringen, eine Führungskraft zu sein. Gesamtgesellschaftlich aber ist es kein Fortschritt, wenn Gleichstellung letztlich meint, dass sich Frauen ähnlich ausbeuterisch verhalten wie Männer.
Wir kommen wir aus diesem Dilemma heraus?
Indem wir, um es mit den Worten des französischen Soziologen Pierre Bourdieu zu sagen, das „androzentrische Unbewusste“ ausleuchten. Wir müssen radikaler werden und noch deutlicher sagen, dass der Planet nur eine Überlebenschance hat, wenn wir das Patriarchat überwinden. Das liegt keineswegs im Sterben. Im Gegenteil, es hat sich frisch legitimiert. Ausbeutung als patriarchale Grundoperation ist aber wie eh und je unhinterfragte Normalität.
Puh.
Ja, Fundamentalkritik ist anstrengend – und eine kollektive Aufgabe.
Gendersensible Männer und Organisationen wie das Bundesforum Männer, das sich für ein progressives Männerbild einsetzt, werden häufig belächelt.
Belächeln ist schon ein Fortschritt gegenüber dem Ignorieren und dem aggressiven Abwehren von Gleichstellungspolitik. Aber es stimmt, es gibt noch zu wenige progressive Männer.
Und so kann sich der Sexismus einer Band wie Rammstein und die Szene der Pick-Up Artists, die Männer lehren, Frauen aufzureißen, noch ungehemmt ausbreiten?
Dieser Sexismus war nie weg. Wie auch? Dafür bräuchte es echte Auseinandersetzung mit Männlichkeit, auch gesellschaftlich akzeptierte Räume dafür. Wir stehen aber immer noch bei hilflosen Veränderungsappellen.
Die Welt ist schlecht.
Die Welt ist patriarchal organisiert. Und es gibt keine prominenten Role Models, die ein progressives Männerbild vorleben. Das moderne links-grüne Drittel, von dem ich vorhin sprach, erkennt immerhin die Handlungsnotwendigkeit. Aber es fehlt an Breite, Mut und Grundsätzlichkeit.
Was raten Sie aufgeschlossenen Männern, die sich vielfach in einer gendertoxischen Umwelt bewegen?
Auf jeden Fall das zu tun, was in ihrem eigenen Einflussbereich liegt. In meinem neuen Buch „Jungs, wir schaffen das. Ein Kompass für Männer von heute“ habe ich versucht, eine Positivskizze zu formulieren: So kann fair und gern Mannsein gelingen. Also eine Verbindung von Nachhaltigkeitsperspektive und Freude am Mannsein. Ein Angebot auch jenseits der Forderung, aus dem Mannsein übergangslos rauswachsen zu müssen, weil mit Männlichkeit vor allem negative Dinge verbunden sind.
Ist das eine neue Form männlicher Emanzipation?
Es ist ein neuer Versuch, der sich durch das Scheitern aller bisherigen Versuche legitimiert, kritische Männlichkeit in den Mainstream zu bringen. Wir haben diesen gesellschaftlichen Konsens: Wir wollen raus aus zerstörerischen Männlichkeitsideologien, wir wollen gerechte Geschlechterverhältnisse. Aber es gibt kein progressives Community-Gefühl unter Männern und keine brauchbaren Angebote für Männer. Das zu entwickeln, ist eine große politische Aufgabe.
Wie soll das gehen?
Indem wir auf einem feministischen Fundament Räume öffnen und fördern, in denen Männer Verantwortung für ihre Emanzipation wahrnehmen können. Das heißt: Geschlechterreflektierte Jungenarbeit, Väterbildung und Männerberatung gehören flächendeckend in die Grundversorgung. Aber männliche Emanzipation zu erwarten, ohne ein faires Angebot zu machen: Das funktioniert offensichtlich nicht. Wir sollten das anerkennen und überlegen, wie wir das besser machen können.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind