Pressefreiheit in Gefahr: Unter Druck
Gewalt gegen Journalist:innen hat massiv zugenommen. Vor allem auf Querdenker-Demos kommt es immer wieder zu Übergriffen. Woher rührt der Hass?
L eipzig, am Abend des 7. November 2020. Es ist dunkel, die Menschen sind zu einer Masse geworden. Sie schreien, fuchteln mit den Armen. Flaschen fliegen, Feuerwerkskörper explodieren. Plötzlich durchbricht eine Gruppe aggressiver Demonstrant:innen die Polizeikette. Die Beamt:innen sind überfordert, die Masse am Toben. Mittendrin stehen Journalist:innen – von Zeitungen, von öffentlich-rechtlichen Sendern, freischaffend.
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Einige von ihnen pressen sich mit dem Rücken gegen einen Polizeiwagen, der den einzigen Schutz im Chaos zu bieten scheint. Sie suchen einen Ausweg, aber sind umzingelt: In allen Richtungen sammelt sich der Mob, die Polizei schaut zu, wie er grölend über die Straße zieht. Die Journalist:innen werden beschimpft, als „GEZ-Huren“ oder „Volksverräter.“ Sie werden geschubst, bespuckt, bedroht.
Es ist eine Demonstration der selbsternannten Querdenker, einer Mischung aus Hippies in Pluderhosen, Esoteriker:innen, Reichsbürger:innen, Familien und Senior:innen, aber auch Führungskadern rechter Parteien, Jungnazis, Hooligans, organisierter Rechtextremer aus ganz Deutschland. Sie eint der Hass auf die Corona-Maßnahmen der Bundesregierung.
Vor den Augen der Polizei werden an diesem Tag zahlreiche Medienvertreter:innen angegriffen, später berichten sie von Schlägen ins Gesicht, Griffen in die Kamera, physischen und verbalen Bedrohungen. Mindestens ein Journalist wurde zu Boden geprügelt und am Boden liegend auf den Kopf geschlagen.
Mittendrin steht an diesem Abend Andrea Röpke. Röpke, 56, ist mehrfach ausgezeichnete freie Journalistin und schreibt seit Jahren über die extreme Rechte, auch für die taz. Sie kennt die Netzwerke, Organisationen und Personen wie kaum eine andere in Deutschland. Und sie kennt die Arbeit auf Demonstrationen, die Anfeindungen, die Bedrohungen.
Doch auch sie steht an diesem Abend fassungslos vor der Masse – „in der Falle sitzend“, wie sie es zwei Monate später beschreibt. „Es war kurz davor, dass der gesamte Mob prügelt und nicht nur Einzelne“, sagt Röpke. Die unvorbereitete und unterbesetzte Polizei habe die Journalist:innen „zum Freiwild“ werden lassen. An ein Wunder grenze es, dass nicht mehr passiert sei.
43 Angriffe auf Medienvertreter:innen zählt die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten Union (dju) allein für diesen Tag. Ein Gewerkschaftssekretär, der die Demo miterlebt hat, sagt, die Gewalt und Bedrohungen gegen Journalist:innen hätten an diesem Abend eine neue Qualität bekommen.
Der Abend in Leipzig fügt sich ein in einen Trend: Die Gewalt gegen Journalist:innen hat 2020 massiv zugenommen. Die Bundesregierung hat im Januar auf eine Kleine Anfrage der Grünen geantwortet: 252 Angriffe auf Journalist:innen habe es im Jahr 2020 gegeben. Das sind mehr als doppelt so viele wie im Jahr zuvor. Darunter waren Beleidigung, Bedrohung, Sachbeschädigung, Körperverletzung, Brandstiftung, Raub. 144 der Angriffe waren rechts motiviert, 42 links. Die meisten passierten in Sachsen, gefolgt von Berlin und Nordrhein-Westfalen.
Auch andere Organisationen beobachten, dass die Zahl der Angriffe zugenommen hat. Reporter ohne Grenzen zählte so viele Angriffe wie nie zuvor. Bei ihrer Gewerkschaft meldeten sich mittlerweile fast wöchentlich Journalist:innen, um von Übergriffen zu berichten, sagt Monique Hofmann, die Bundesgeschäftsführerin der dju, der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union innerhalb der Großgewerkschaft Verdi.
Am vergangenen Wochenende passierte das in Kassel, Würzburg und Dresden. Am Wochenende davor in Hannover und München – immer am Rande von Coronademos. Man kann fast sagen: Da, wo derzeit gegen Coronamaßnahmen demonstriert wird, werden Journalist:innen bedrängt.
Was bedeuten diese Zahlen? Warum wächst die Feindseligkeit gegenüber Medien in Deutschland? Und welche Auswirkungen hat das auf die Demokratie, für die die freie Presse unverzichtbar ist?
Aufstieg eines Begriffs
Es gibt noch eine Zahl aus dem Jahr 2020, die überraschend ist. Sie beschreibt das Vertrauen in die Medien. Rund zwei Drittel der Deutschen halten die Berichterstattung der Qualitätsmedien für glaubwürdig. Das ist so viel wie nie seit 2015. Damals begann Infratest Dimap im Auftrag des Westdeutschen Rundfunks, regelmäßig das Vertrauen in Medien zu erheben.
Die jüngste repräsentative Studie dazu aus dem vergangenen Herbst ergab Rekordwerte: 80 Prozent der Deutschen halten den Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk für sehr vertrauenswürdig, Tageszeitungen werden von 74 Prozent als glaubwürdig eingestuft. Vier von fünf Befragten finden die Coronaberichterstattung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks „gut“ oder „sehr gut“.
Wie kann es sein, dass mehr Menschen denn je den Medien vertrauen, Journalist:innen aber gleichzeitig auf so viel Gewalt und Ablehnung stoßen wie noch nie?
Um das zu verstehen, muss man genauer dahin schauen, wo die Gewalt tatsächlich passiert: auf Demonstrationen und im Netz.
„Lügenpresse“ ist dafür der zentrale Begriff. Er hat seinen Ursprung im 19. Jahrhundert. Damals waren es vor allem erzkonservative Katholiken, die mit dem Wort jene liberal, demokratisch gesinnte Presse denunzieren wollten, die im Zuge der März-Revolution entstanden war. Schon damals hatte der Begriff einen antisemitischen Grundton. Das Wort trug sich weiter durch die zwei Weltkriege, verschwand nach 1945 aber weitgehend, zumindest aus der bundesrepublikanischen Debatte.
Seit den 2000er Jahren haben vor allem neonazistische Kreise das Wort wieder entdeckt. Im Oktober 2014 riefen hunderte Neonazis und Hooligans bei einer gewalttätigen Demonstration der „Hooligans gegen Salafisten“ immer wieder: „Lügenpresse auf die Fresse“. In der breiten Bevölkerung fand der Begriff aber kaum Verwendung – bis Januar 2015. Eine Auswertung der Google-Anfragen zeigt, dass die Suche nach dem Wort „Lügenpresse“ in diesem Monat sprunghaft anstieg. Gesucht wurde er vor allem in Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt. Es war der Beginn der Pegida-Proteste und ihrer Ableger.
Der vorbestrafte Pegida-Chef Lutz Bachmann, der sich selbst damit brüstete, „Leser-Reporter“ der Bild-Zeitung gewesen zu sein, war einer derer, der den Begriff Ende 2014 in Dresden säte. Pegida machte die Ablehnung der etablierten Medien zu einem ihrer großen Themen. „Lügenpresse“ stand auf Plakaten, an Wänden und auf Aufklebern, schallte durch die Straßen. Die Behauptung, die Medien wären staatsgeleitet oder würden Lügen verbreiten, fand Anklang, der Hass auf Journalist:innen wuchs.
Der Hass heute ist ein anderer als zur Zeit der 68er, in der der Axel-Springer-Verlag im Fokus von Angriffen stand: Springer kontrollierte damals mehr als 70 Prozent der Tageszeitungen in Westberlin und hatte eine Meinungsmacht, die viele heftig kritisierten. Springer-Journalisten nannten die Protestierenden in ihren Kommentaren und auf den Titelseiten „Polit-Gammler“, „langbehaarte Affen“ und „Rote SA“. Die Bild-Zeitung schrieb, man solle die „Drecksarbeit“ gegen den „Terror der Jung-Roten“ nicht allein der Polizei überlassen, und illustrierte den Artikel mit einem Foto von Rudi Dutschke. Kurz danach wurde Dutschke niedergeschossen.
Mehrere tausend Demonstrant:innen riefen daraufhin zum Boykott und zur Enteignung von Springer auf, sie blockierten den Vertrieb der Bild-Zeitung und verbrannten einzelne Ausgaben. Vier Jahre später deponierten Mitglieder der Roten Armee Fraktion eine Rohrbombe im Axel-Springer-Hochhaus in Hamburg.
In den Jahren nach 1968 entstand auch die taz, als ein Versuch, dem Springer’schen Meinungsmonopol etwas entgegen zu stellen. „Die TAZ wird Säure werden müssen, um gesellschaftliche, politische und persönliche Verkrustungen wegätzen zu können“, stand in der ersten Ausgabe im April 1979 – ein Duktus, den man heute eher auf den Blogs und in den Chats von Rechten und organisierten Neonazis findet.
Die Gewalt gegen Medienschaffende heute ist anders als die der 68er Bewegung. Sie richtet sich nicht mehr gegen ein konkretes Medium, einen Verlag oder Sender. Sie kann alle treffen, die mit Kamera oder Mikro als Journalist:innen erkennbar am Rande einer Demo stehen.
Und auch das ist anders als in den Jahren nach 1968: Heute geht die Gewalt gegen die Presse vor allem von rechts aus. Rund 60 Prozent der Angriffe auf Journalist:innen im vergangenen Jahr waren rechts motiviert, nur etwa 15 Prozent links. Das zeigen die Zahlen der Bundesregierung. Andere Erhebungen kommen auf einen noch höheren Anteil von rechtsmotivierten Angriffen auf Medien.
Andrea Röpke sagt, seit den Anti-Asyl-Demos von Pegida und ähnlichen Bewegungen sei eine andere Mischung an Menschen auf der Straße. Die bürgerlichen Demonstrant:innen würden sich von rechtsextremen Hooligans nicht distanzieren. „Die finden es anscheinend okay, wenn sich Gewalttäter aus der rechten Hooliganszene an ihre Spitze stellen und sind sich nicht zu schade, nachzurücken und selbst Gewalt auszuteilen.“ Das konnte man auch auf den großen Anti-Corona-Demos im vergangenen Jahr beobachten. Da mischte sich die organisierte Rechte mit einem vermeintlich bürgerlichen Milieu.
Auch Röpke wird immer wieder von Menschen bedroht, die sich außerhalb einer organisierten Neonazi-Szene bewegen. 2019 hat sie gemeinsam mit Andreas Speit das Buch „Völkische Landnahme“ herausgebracht. Sie schreibt darin über die nicht klassischen rechtsextremen Hooligans, eher „fest verankerte Bildungsbürger“ wie Röpke sagt, „junge Siedler, rechte Ökos“.
Es gibt ein Video eines rechten Youtubers von einer Buchvorstellung Speits im Oktober 2020. Etwa zehn Menschen stehen im Kreis vor dem Veranstaltungsort, sie singen alte deutsche Volkslieder. Das Video blendet über, eine Hand hält das Buch von Röpke und Speit, die andere zündet es an. Etwa eine Minute lang sieht man dabei zu, wie das Buch langsam verbrennt, im Hintergrund der Gesang der Völkischen. Bücherverbrennung im Jahr 2020.
„Das ist eine Ansage“, sagt Röpke. Mit über einem Dutzend Abmahnversuchen und diversen Klagen von einer umstrittenen Kanzlei sollte die öffentliche Diskussion erschwert werden – bislang ohne Erfolg. Die Post der rechten Kläger kam teilweise sogar an ihre Privatadresse. Für Röpke ein gezieltes Vorgehen. „Sie wollen zeigen: Wir wissen, wo du wohnst.“
Solche Ansagen bekommen auch andere Journalist:innen, die zu rechten Netzwerken recherchieren, nach Hause geschickt. Einen vergammelten Schweinekopf im DHL-Paket, eine Drohung mit roter Farbe an die Haustür geschrieben, Erpresserbriefe, unterschrieben mit „Staatsstreichorchester“ oder „NSU 2.0“.
Das Europäische Zentrum für Presse- und Medienfreiheit, das ECPMF in Leipzig, dokumentiert die Entwicklung der Pressefreiheit in Deutschland. Bereits vergangenes Jahr kamen die Forscher:innen in einer Fünf-Jahres-Bilanz zu dem Schluss: „Angriffe auf die Presse sind inzwischen der Normalzustand.“ Demonstrationen, zeigt die Studie, sind in Deutschland der gefährlichste Ort für Journalist:innen.
Auch die in dieser Woche erschienene Studie „Feindbild Journalist“ des ECPMF zeigt einen neuen Rekord im Hinblick auf die Zahlen der politisch motivierten Übergriffe auf Journalist:innen. 69 Angriffe zählen sie im Jahr 2020 – ein Anstieg um das Fünffache im Vergleich zum Vorjahr und so viel wie nie zuvor seit Beginn der Erhebung vor sechs Jahren. 71 Prozent der Angriffe erfolgten auf „pandemiebezogenen Veranstaltungen.“
Die Studie zählt 31 Angriffe mit rechtem Tatzusammenhang, fünf mit linkem und 33, die politisch nicht eindeutig anhand der Rechts-Links-Skala verordnet werden können. Ein Effekt der „breiten Allianz aus Verschwörungsgläubigen, Reichsbürger:innen, Neonazis und Esoteriker:innen.“
Lutz Kinkel ist Geschäftsführer des ECPMF und selbst Journalist. Er beobachtet die Entwicklungen mit Sorge. Kinkel sagt, er sei „fassungslos, mit welchem eliminatorischen Elan“ der radikalisierte Diskurs und insbesondere die Hetze im Netz passiert. Will er beschreiben, was da passiert, zitiert er einen polnischen Journalisten: „The pleasure to hate.“ – Die Lust am Hass. Die Presse, so Kinkel, werde zunehmend nicht mehr als demokratisches Element gesehen.
„Durch die digitale Transformation sind Journalistinnen und Journalisten keine Gatekeeper mehr“, sagt Kinkel. Jeder könne sich im Netz äußern, Journalist:innen entschieden nicht mehr über die Auswahl und Aufarbeitung von Informationen für die Öffentlichkeit, stattdessen würden von allen Seiten Informationen verbreitet. „Das ist zwar erstmal begrüßenswert, fördert aber auch eine massive Ausbreitung von Desinformation.“
Fake News, also bewusst hergestellte Falschnachrichten, haben zunehmend auch einen Anteil an der Meinungsbildung in Deutschland. Verschwörungsideologien, Hetze gegen Minderheiten, das „System“ und die Presse sowie NS-Verherrlichung erreichen durch Chatgruppen immer mehr Menschen.
Und dort bleiben sie nicht. Ein Beispiel: Am 2. Februar postet ein Nutzer in einer Gruppe des Messengerdienstes Telegram namens „Verschwörungen“ den Link zu einem Artikel von infranken.de. Das Onlineportal gehört zur Mediengruppe Oberfranken. In dem Artikel geht es um einen 48-Jährigen, der an Corona gestorben ist. Auf Facebook hatte ein Nutzer bezweifelt, dass der Mann an Corona gestorben sei.
Screenshots dieser Aussagen werden in der Telegram-Gruppe geteilt. Dazu kommentiert ein Mitglied der Gruppe: „ZUR HÖLLE MIT EUCH IHR ELENDEN SCHMIERFINKEN VON DER LÜGENPRESSE! ZUR HÖLLE.“ Darunter postet er die Anschrift, Telefonnummer und Mailadresse der Redaktion und schreibt: „Lasst das Bombardement beginnen Freunde!“ (Zeichensetzungsfehler im Original).
Die Telegram-Gruppe hat mehr als 50.000 Mitglieder. In den Tagen nach dem Aufruf erreichen die Redaktion sehr viele Anrufe und Mails, schreibt der Redaktionsleiter von infranken.de auf taz-Anfrage. Persönliche Besuche und „Bombardements“ erreichen die Redaktion nicht. Woher die vielen Anrufe kommen, das weiß die Redaktion zunächst nicht. Erst durch die taz-Anfrage erfährt der Redaktionsleiter von dem Aufruf in der Telegram-Gruppe.
Beispiele wie diese gibt es viele in den vergangenen Monaten, überall in Deutschland. Sie stehen nicht für die große Gewalt, aber für einen Anfang. Sie sind eine Art Gift, das langsam in die Redaktionen hinein läuft. Die Gegner:innen der freien Presse finden Wege, die Mitarbeiter:innen der Medien zu beschäftigen, sie von ihrer Arbeit abzuhalten, subtile Drohungen auszusenden.
Dass das gerade in den vergangenen Monaten passiert, ist kein Zufall, glaubt Lutz Kinkel vom ECPMF. Corona und die Querdenkenbewegung wirkten als „Brandbeschleuniger“ für die Hetze gegen Journalist:innen. Das bestätigen auch die offiziellen Zahlen: Von den 252 Straftaten gegen Journalist:innen, die die Bundesregierung 2020 gezählt hat, fand ein großer Teil am Rande der Anticoronademos statt, wie in Leipzig im November 2020.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk, im praktischen Wochenendabo und rund um die Uhr bei Facebook und Twitter.
Warum gerade dort, dafür gibt es mehrere Erklärungen. Anne Renzenbrink von Reporter ohne Grenzen sagt, ein wichtiger Mobilisierungsmoment gegen die Presse seien für die organisierte Rechte die Neonazi-Aufmärsche in Chemnitz gewesen, im August 2018. „Diese Brutalität, diese krasse Medienfeindlichkeit hat mit den Demos gegen die Corona-Maßnahmen ein neues Ventil gefunden.“
Lutz Kinkel vom Europäischen Zentrum für Presse- und Medienfreiheit sagt, Corona verunsichere viele Menschen stark. Sie suchten nach einfachen Erklärungen für die komplexe Krise. Die könnten Medien aber nicht bieten, und sie würden auch deshalb zum Feindbild.
Eine Erzählung, die sowohl bei Pegida als auch auf Demonstrationen gegen die Coronamaßnahmen immer wieder zu hören ist, ist die der vermeintlichen Eliten. Demnach steckten Medien und Politik unter einer Decke, Journalist:innen seien „Merkel-Marionetten“ und „Covid-Presse“. Wer in diesem Schema denkt, wird leicht zum Pressefeind. Und da auf den meisten Demos von Querdenker:innen und Rechten nur selten Politiker:innen anwesend sind, dafür aber viele Medienvertreter:innen, entlädt sich der diffuse Hass auf das gesamte scheinbar korrupte System an ihnen.
Auch in anderen Ländern hat Corona die Gewalt gegen Journalist:innen angestachelt. Allein innerhalb weniger Tage Ende Januar wurden in den Niederlanden Journalist:innen während der Arbeit mit Steinen beworfen, geschlagen, mit einer chemischen Substanz ins Gesicht besprüht und mit Feuerwerk beschossen. Ähnliches passierte in Italien, Österreich und Slowenien.
Und in Deutschland? „Ein Witz“ nennt die Journalistin Andrea Röpke die offiziellen Zahlen der Bundesregierung. Sie schätzt, dass die Dunkelziffer mindestens doppelt so hoch sein muss. Alleine bei Recherchen gebe es viel mehr Angriffe. Zur Anzeige bringen würden diese jedoch die wenigsten.
Das Versagen der Polizei
Um zu verhindern, dass Journalist:innen den Hass von Demonstrierenden abbekommen, werden Demonstrationen eigentlich von der Polizei begleitet. Nur wollen sich viele Pressevertreter:innen darauf nicht verlassen.
Immer wieder passiert es auf Demos, wie auch in Leipzig, dass die Polizei die Presse nicht nur nicht schützt, sondern sogar behindert: Indem sie Journalist:innen nicht an Absperrungen vorbei lässt, zu lange die Personalien feststellt, Platzverweise erteilt, Equipment beschlagnahmt. Polizist:innen wissen oft nicht ausreichend Bescheid über Artikel 5 des Grundgesetzes, der die Pressefreiheit garantiert.
Eines der bekanntesten Beispiele dafür ist der Hutbürger: Im Sommer 2018 filmte ein Team des ZDF in Dresden einen Pegida-Aufmarsch. Nachdem zwei Demonstranten die Journalist:innen wegen angeblicher Verletzung ihrer Persönlichkeitsrechte angezeigt hatten, hielt die Polizei das Kamerateam 45 Minuten fest, kontrollierte deren Ausweise und hinderte sie am Arbeiten. In den Sozialen Medien bekam dieser Vorfall den Namen Pegizei, um deutlich zu machen, wie nah sich Polizei und Pegida und Sachsen scheinbar waren.
Es gibt einen Verhaltenskodex zwischen Polizei und Presse. Das Papier mit dem sperrigen Titel „Verhaltensgrundsätze für Presse/Rundfunk und Polizei zur Vermeidung von Behinderungen bei der Durchführung polizeilicher Aufgaben und der freien Ausübung der Berichterstattung“ wurde 1993 als Folge der Geiselnahme von Gladbeck zwischen der Innenministerkonferenz (IMK) und Vertreter:innen der Presse geschlossen. Seitdem wurde der Kodex nicht mehr überarbeitet.
Der deutsche Presserat übergab im November 2020 eine überarbeitete Fassung des Kodex an die Innenminister:innen, mit der Bitte, man möge sich auf neue Regeln einigen. Der damalige Chef der Innenministerkonferenz, der Thüringer Innenminister Georg Maier (SPD), versprach, man werde den Entwurf beim nächsten Treffen der Innenminister im November anschauen. Doch das passierte nicht.
Auf Nachfrage der taz sagt Maier heute, es sei natürlich an der Zeit, den Verhaltenskodex zu aktualisieren. Innerhalb der Versammlung der Innenminister:innen gebe es jedoch „im Wesentlichen zwei politische Linien“ – SPD und CDU. Maier sagt, es sei vor allem seine Partei, die für den besseren Schutz der Presse einstehe.
Polizist:innen sollten in rechtlichen Fragen und im Umgang mit Medien besser geschult werden. Aber auch Journalist:innen müssten mehr in die Verantwortung genommen werden, um besser zu verstehen, dass Demonstrationen für die Polizei Stress bedeuteten. „Der gegenseitige Perspektivwechsel ist das, was wichtig ist.“ Maier will, dass Medienvertreter:innen an Polizeischulen kommen und beide sich über die jeweiligen Erfahrungen verständigen.
Immer wieder Sachsen
Nur: Das passiert längst. Vielleicht nicht flächendeckend, aber allein Sachsen hat nach den großen Pegida-Ausschreitungen Fort- und Weiterbildungen zur Pressefreiheit in die Ausbildungspläne der Polizeischulen aufgenommen. Trotzdem kommt es gerade in diesem Bundesland immer wieder vor, dass Polizist:innen Journalist:innen an ihrer Arbeit behindern.
Das Misstrauen vieler Pressevertreter:innen in die Polizei beschränkt sich nicht nur auf die Einsätze vor Ort. Auch nach Angriffen scheuen sich viele, Anzeige zu erstatten. Zu oft sei es vorgekommen, dass private Adressdaten über die Polizei in die Hände von Rechtsextremen gewandert seien, sagt Journalistin Röpke.
Verdi fordert, dass es möglich werden soll, dass Journalist:innen beim Erstatten einer Anzeige die Adresse ihrer Redaktion angeben dürfen. Außerdem sollte es Schwerpunktstaatsanwaltschaften geben, die sich mit Angriffen auf Medienvertreter:innen beschäftigen. „Im Bereich Hate Speech gibt es solche schon. Sie beweisen, dass Ermittlungen effektiver verfolgt werden und seltener im Sande verlaufen“, sagt Monique Hofmann von der dju in Verdi.
Damit es aber gar nicht erst soweit kommt, haben einige Sender und Verlage Schutzkonzepte für ihre Mitarbeiter:innen erarbeitet. Etliche Verlage, darunter auch die taz, haben ein Papier von Reporter ohne Grenzen, Verdi, den Neuen Deutschen Medienmachern und den Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt e. V. unterschrieben, das Standards definiert, mit denen attackierten Journalist:innen geholfen werden soll. Dazu gehören juristische, psychologische und finanzielle Unterstützung der Kolleg:innen.
Einige Redaktionen schicken ihre Presseteams nur noch mit Bodyguards auf Demonstrationen. Ein solches hatte auch das Team des ZDF, das im vergangenen Mai am Rande einer sogenannten Hygienedemo in Berlin attackiert wurde. Es war einer der brutalsten Angriffe des letzten Jahres: Vier Mitarbeiter des Teams mussten im Krankenhaus behandelt werden. Drei Security-Leute hatte das Team dabei, alle drei wurden verletzt. Sechs Personen wurden festgenommen, sie sollen aus dem linken Spektrum kommen. Die Staatsanwaltschaft Berlin ermittelt noch.
Bei der Demo, auf der das ZDF-Team angegriffen wurde, waren auch Reporter:innen des Onlinemediums Vice anwesend. Auch sie wollten filmen, entschieden sich nach dem Angriff aber, die Kamera wieder einzupacken. „Wir wissen nicht, wer die Angreifer sind oder ob sie etwas mit der Demo zu tun haben. Aber dass ein ZDF-Team mit 3 (!) Personenschützern mitten in Berlin so gewaltsam angegriffen wird, ist übel“, schreibt der Vice-Reporter danach auf Twitter. „Übel ist auch, dass der Angriff dazu führt, dass wir nicht frei über das berichten können, was wir wollen – und so möglicherweise sein Ziel erreicht. Das darf niemals Normalität werden.“
Monique Hofmann von der dju sagt, sie erlebe zunehmend, dass Journalist:innen bestimmte Demonstrationen meiden würden. Dass sie auf Demos ihren Presseausweis verstecken, das Mikrofon wieder einpacken und nur noch unauffällig auf ihren Handys mitschreiben. Vor der großen Demo in Leipzig, Anfang November 2020, habe sie von drei Journalist:innen gehört, dass sie sich dagegen entschieden hätten, von dort zu berichten – aus Angst vor Übergriffen.
Auch die Reporterin Andrea Röpke bestätigt das: „Es gibt Regionen, da fährt schon jetzt keiner mehr hin, weil dort nicht für den Schutz gesorgt werden kann.“ Sie nennt ländliche Gebiete in Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Thüringen oder Sachsen. „Zu groß ist die Gefahr.“
Wenn sich das fortsetzt, entstehen blinde Flecken. Sie entstehen vor allem dort, wo mediale Aufmerksamkeit besonders nötig ist: Bei den Feinden der Demokratie und einer freien Gesellschaft. Wozu sie fähig sind, hat der 6. Januar 2021 in Washington gezeigt, als hunderte Rechtsextreme das Kapitol stürmten, offenbar mit der Absicht, Abgeordnete zu bedrohen, ihnen Gewalt anzutun.
Auch am Rande des Sturms auf das Kapitol wurden Journalist:innen bedrängt, Kameras und Mikrofone auf einer Art Scheiterhaufen verbrannt. Das zeigt: Wenn die Gewalt gegen Medien eskaliert, dann trifft das nicht nur die Journalist:innen, deren Sender und Verlage. Es zielt auf eine freie und liberale Gesellschaft.
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