Grünen-Pläne zur Krankenversicherung: Ohne Schutzschild aus der Deckung
Wirtschaftsminister Robert Habeck fordert Abgaben auf Kapitalerträge und bekommt erstmals im Wahlkampf Vorwürfe ab. Seine Verteidigung ist halbherzig.
Er beschreibe ehrlich die Probleme des Landes und habe auch den Mut zu neuen Lösungen, so der Kanzlerkandidat der Grünen. Die Anderen dagegen würden alles Unbequeme aussitzen wollen. Aber neue Antworten auf Gerechtigkeitsfragen zu kritisieren, ohne eigene Vorschläge zu machen – das löse die Probleme nicht.
Was er damit meint: Die massive Kritik an seinem Vorschlag, neue Finanzierungsquellen für die gesetzlichen Krankenversicherungen zu erschließen. In einem ARD-Interview hatte er am Sonntag aus dem Entwurf für das grüne Wahlprogramm zitiert, das vorsieht, künftig auch Beiträge auf Kapitalgewinne zu erheben – also zum Beispiel auf Zinsen und Dividenden. Die politischen Mitbewerber nahmen das zum Anlass, ihn dort anzugreifen, wo es ihm wohl am meisten wehtut: Im Mittelpunkt der Grünen-Wahlkampagne steht eigentlich das Versprechen, den Alltag für die Mehrheit im Land wieder bezahlbarer zu machen.
Habeck wolle „Rücklagen für das Alter mit Beiträgen belasten“, kritisierte Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD). Jens Spahn (CDU) warf dem Grünen vor, er wolle „die Leistungsbereitschaft ersticken und unsere Wirtschaft endgültig abwürgen“. Die FDP spricht sogar vom „großen Habeck-Klau“ und einer „zweiten Atombombe nach dem Heizungsgesetz“. Einzig der Vorwurf, der Vizekanzler plane einen Genozid an den deutschen Sparguthaben, war bis Redaktionsschluss am Dienstag nicht gefallen.
Nicht nur maßlos, sondern auch unaufrichtig ist die Kritik auf der einen Seite. Die Krankenkassen haben ja tatsächlich ein Finanzierungsproblem, das momentan dazu führt, dass die Abgaben auf Löhne und Gehälter steigen. An der Stelle wollen die Grünen mit ihrem Vorschlag entlasten.
Union und FDP wollen lieber kürzen
Und andere Parteien machen es sich in ihren Programmen wirklich bequem: CDU/CSU und FDP wollen, dass die Krankenkassen weniger Geld ausgeben, im Endeffekt also Leistungen streichen. Worauf die Versicherten künftig konkret verzichten sollen, sagen sie aber nicht. Die SPD fordert – wie die Grünen als langfristiges Ziel auch – eine Bürgerversicherung, in die auch diejenigen einbezahlen müssten, die heute privat versichert sind. Die nächste Regierung wird aber aller Voraussicht nach von der Union geführt und mit ihr ist eine solche Reform nicht zu machen.
Auf der anderen Seite ist es aber auch kein Wunder, dass die Grünen nun zum ersten Mal in diesem Wahlkampf so geballte Vorwürfe abbekommen. Sie bleiben unkonkret – und bieten dadurch Angriffsfläche. Im ARD-Interview erwähnte Habeck nicht, wer denn künftig auf Kapitalerträge Abgaben zahlen soll und wer nicht. So lassen sich jetzt leicht Ängste unter Kleinsparer*innen schüren, die etwas Geld ins Festgeldkonto schieben oder mit Erträgen aus ETF-Sparplänen ihre Rente aufstocken wollen.
Erst am Montag schob Grünen-Chef Felix Banaszak nach, dass diese Gruppe nicht gemeint sei und es „großzügige Freibeträge“ geben solle. Eine Größenordnung nannte er aber nicht. Und auch Habeck selbst nutzte seine Möglichkeit zur Verteidigung am Dienstag eben nur zur Hälfte: Konkrete Eckpunkte, die der Debatte das Empörungspotenzial nehmen könnten, nannte er weiterhin nicht.
Millionäre statt Krankenschwestern
Nur so viel: Zusätzlich belasten wolle er nicht „diejenigen, die morgens aufstehen und abends erschöpft und müde nach Hause kommen“. Stärker beteiligen wolle er nur „diejenigen, die große Einkommen haben, weil sie Geld für sich arbeiten lassen“. Plastischer wollte er es nicht machen, die eindrücklicheren Formulierungen überließ er Fraktionschefin Katharina Dröge: Der Vorschlag würde „die Millionäre in diesem Land belasten“, sagte sie. Nicht aber „den Busfahrer und die Krankenschwester“.
Wohlwollend kann man also festhalten: Den Grünen schwebt ein wirklich hoher Freibetrag vor. Daraus ergeben sich aber wiederum Folgefragen: Wer so reich ist, dass er von seinen Dividenden leben kann, ist normalerweise nicht in einer gesetzlichen Krankenkasse. Will Habeck nach der Wahl also auch Privatversicherte heranziehen, als Zwischenschritt zu einer Bürgerversicherung quasi? Und für Gutverdienende werden die Beiträge bisher ab einer Einkommensgrenze von rund 5.500 Euro gekappt. Soll diese Grenze für Kapitalerträge erhöht werden, damit nennenswerte Beträge reinkommen? Nur so würde der Vorschlag der Grünen wirklich Sinn ergeben. Klar aussprechen wollen sie aber beides nicht.
„Wie wir es im Detail machen, können wir uns dann später überlegen“, sagte Habeck auf Nachfrage. Es gehe ihm erst mal ums Prinzip, um eine „Richtungsentscheidung für das Land“, nicht um eine „Spiegelstrichfrage von Verordnungen und Paragrafen“. Eine Debatte über das Klein-Klein, so lautet offenbar die interne Analyse der Grünen, hilft im Wahlkampf auch nicht weiter. Und so bleiben sie weiter vage.
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