Flutkatastrophe in Westdeutschland: Was die Freiheit wirklich bedroht
Einschränkungen für den Klimaschutz werden von vielen als Zumutung empfunden. Doch ein Weiter-so hat viel schlimmere Folgen, wie man jetzt sieht.
E s sind erschütternde Bilder und Nachrichten, die uns aus Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz erreichen. Über 100 Tote, abgeschnittene Orte, eingestürzte Häuser, Milliardenschäden – eine solche Unwetter-Katastrophe war für viele in Deutschland bisher kaum vorstellbar.
In einer solchen Situation geht es zuerst darum, den Betroffenen unmittelbar zu helfen, bei der Rettung ebenso wie beim anschließenden Wiederaufbau. Doch ebenso wichtig ist es, alles zu tun, um vergleichbare Katastrophen in Zukunft so weit wie möglich zu verhindern. Und dazu gehört neben besserem Hochwasserschutz in den betroffenen Regionen vor allem, den Kampf gegen den Klimawandel zu beschleunigen.
Eine solche Forderung ist keineswegs respektlos gegenüber den Opfern, wie manche kritisieren. Respektlos wäre es vielmehr, die Ursachen zu ignorieren und so weiterzumachen wie bisher.
Denn auch wenn ein einzelnes Wetterphänomen nie unmittelbar auf den Klimawandel zurückgeführt werden kann, gibt es klare Belege dafür, dass die menschengemachte Erderhitzung die Wahrscheinlichkeit von extremen Starkregen-Ereignissen deutlich erhöht, weil warme Luft mehr Feuchtigkeit aufnehmen kann.
Die Folgen des Klimawandels sind nun ganz nah
Zudem bleiben Hoch- und Tiefdruckgebiete durch das veränderte Klima wohl länger an einem Ort, was einerseits zu Überschwemmungen und andererseits zu langer Trockenheit führen kann. Wissenschaftler*innen warnen seit Jahrzehnten vor genau der Entwicklung, die jetzt eintritt.
In vielen Teilen der Welt haben die Auswirkungen des Klimawandels – ob Starkregen, Dürreperioden oder Stürme – schon länger tödliche Konsequenzen. Doch in Deutschland schienen diese Folgen des CO2-Ausstoßes bisher weit weg zu sein; hier konnte man sich vor der Klimakrise weitgehend sicher fühlen. Das hat sich nun auf grausame Weise geändert.
Was derzeit im Westen des Landes passiert, macht dabei schlagartig klar, wie realitätsfern viele Debatten in Deutschland bisher gelaufen sind. Ob Tempolimit, steigende Benzinpreise, Ölheizungsverbot oder weniger Fleisch und Flugreisen: Es ist der Kampf gegen die Klimakrise, der im Wahlkampf von vielen als ein Angriff auf die Freiheit dargestellt wird.
Dabei ist es umgekehrt. Nachdem das Verfassungsgericht kürzlich schon gefordert hatte, dass bei politischen Entscheidungen auch die Freiheit der künftigen Generationen berücksichtigt werden muss, zeigt sich nun, dass die Klimakrise auch die Freiheit in der Gegenwart bedroht: Durch Wetterextreme, die Leben und wirtschaftliche Existenzen auslöschen und die Infrastruktur ganzer Regionen zerstören.
Eine Chance für die deutsche Klimapolitik
So schrecklich die Ereignisse sind: Sie könnten und müssten der Ausgangspunkt für ein neues Tempo in der deutschen Klimapolitik sein, ein Anlass, die kurzsichtige Abwehr der notwendigen Veränderungen endlich aufzubrechen. Ob das passiert, scheint aber zweifelhaft.
Wenn CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet die Ereignisse am Abend der Katastrophe mit den Worten kommentiert, „weil jetzt ein solcher Tag ist, ändert man nicht die Politik“, dann zeigt das nicht nur, dass er das Ausmaß der Katastrophe und den dringenden Handlungsbedarf offenbar noch nicht verstanden hat. Sondern auch, dass er ein politisches Momentum nicht erkennt und nicht versteht, wie politische Führung funktioniert – anders als Angela Merkel, die nach Fukushima eine Kehrtwende in der Atompolitik vollzog, oder Joschka Fischer, der nach Srebrenica die Haltung der Grünen zu Militäreinsätzen neu ausrichtete.
Die Veränderungen, die uns im Kampf gegen die Klimakrise bevorstehen, werden gewaltig sein. Dass sie Abwehrreflexe, Angst und Protest auslösen werden, ist absehbar. Doch gerade deshalb muss die Politik ihrer Verantwortung nachkommen und klarmachen, dass ein Weiter-so weitaus schlimmere Folgen haben wird, als die notwendigen Maßnahmen anzugehen. Wer das nicht begreift, ist zur verantwortungsvollen Führung dieses Landes nicht geeignet.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Waffen für die Ukraine
Bidens Taktik, Scholz’ Chance
Unterwanderung der Bauernproteste
Alles, was rechts ist