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Bundesverfassungsgericht kippt GesetzUnnötig kleinkariert

Christian Rath
Kommentar von Christian Rath

Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass von Mord Freigesprochene nicht erneut angeklagt werden dürfen. Doch die Argumente überzeugen nicht.

Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts während der Urteilsverkündigung am Dienstag Foto: Uli Deck/dpa

E igentlich kann man stolz sein auf das Bundesverfassungsgericht. Es verteidigt die Grundrechte auch dann, wenn es um unsympathische und gefährliche Personen geht. Aber nicht jedes unpopuläre Urteil ist schon deshalb überzeugend, weil es unpopulär ist.

Aktuelles Beispiel: Karlsruhe hat jetzt ein Gesetz für nichtig erklärt, das die Wiederaufnahme von Strafverfahren nach einem Freispruch ermöglicht, wenn es neue überzeugende Beweismittel gibt, zum Beispiel eine DNA-Analyse, die früher noch nicht möglich war. Das Verfassungsgericht hat das Gesetz für nichtig erklärt, weil es gegen das grundgesetzliche Verbot der Mehrfachverfolgung verstoße.

Nun kann eigentlich in jedes Grundrecht – außer der Menschenwürde – mit einem verhältnismäßigen Gesetz eingegriffen werden, wenn es um den Schutz anderer Verfassungswerte geht. Dagegen soll jetzt das Recht eines mutmaßlichen Mörders, nach einem Freispruch nicht erneut vor Gericht gestellt zu werden, absolut geschützt sein. Das ist nicht stimmig. Man hätte die Karlsruher Strenge vielleicht nachvollziehen können, wenn es hier um den ersten Eingriff in das Verbot der Mehrfachverfolgung überhaupt ginge.

Aber es gibt ja bereits vier Ausnahmen: So ist durchaus ein neuer Prozess möglich, wenn der Freispruch auf einer gefälschten Urkunde beruhte oder wenn der Täter nach dem Freispruch ein Geständnis ablegt. Das alles soll laut Karlsruhe verfassungskonform sein, nur eine neue Beweislage muss aus verfassungsrechtlichen Gründen ignoriert werden. Das überzeugt nicht. Es hätte auch kein Dammbruch gedroht. Das gekippte Gesetz sollte auf Fälle von Mord und Menschheitsverbrechen anwendbar sein. Es hätte also wohl eh nur alle paar Jahre einen Anwendungsfall gegeben.

So ein Gesetz muss man als Gesetzgeber nicht machen. Aber wenn das Gesetz schon mal da ist, stärkt es auch nicht gerade das Vertrauen in den Rechtsstaat, dass es mit wenig zwingender Begründung gleich wieder für nichtig erklärt wird. Karlsruher Heldenmut ist gut – aber hier war er schlecht investiert.

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Christian Rath
Rechtspolitischer Korrespondent
Geboren 1965, Studium in Berlin und Freiburg, promovierter Jurist, Mitglied der Justizpressekonferenz Karlsruhe seit 1996 (zZt Vorstandsmitglied), Veröffentlichung: „Der Schiedsrichterstaat. Die Macht des Bundesverfassungsgerichts“ (2013).
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110 Kommentare

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  • FOTOGEN ?



    Wär ja vielleicht auch ganz beruhigend, und dem Ernstgenommenwerden durchaus zuträglich, wenn die ihre Tempeldienerkleidchen mal gegen was Neutraleres austauschen täten, oder ? Kaiserszeiten und entsprechendes Obrigkeitsgepränge (wenn leider auch nicht -getue) sind vorbei. Zum Glück. Wenn wir dann auch noch Großes Zäpchenstreicheln und Änhliches abschaffen könnten ...

  • "Ich verstehe das Urteil des BVG so, eine des Mordes angeklagte Person die aus mangel an Beweisen freigesprochen wurde, kann nicht noch mal angeklagte werden obwohl es neue Beweise gibt die die Person des Mordes überführen würden."

    Grundsätzlich richtig verstanden, allerdings würden "die neuen Beweismittel" den mutmaßlichen Täter nicht sicher überführen, weil die Würdigung der Beweismittel ja erst in einem erneuten Gerichtsverfahren stattfinden könnte. Es bestünde nur die Möglichkeit, dass "die neuen Beweise" den mutmaßlichen Täter überführen könnten.

    "Sollte das korrekt sein, finde ich, dass das Urteil ein Skandal ist. "

    Nein, das Urteil ist vollkommen korrekt. Wenn die Beweismittel nicht reichen, dann muss die Staatsanwaltschaft halt weiter ermitteln und nicht vorschnell Anklage erheben.



    Der eigentliche Skandal und die Aufgabe rechtsstaatlicher Prinzipien wäre es, wenn ein dem Individuum gegenüber übermächtiger Staat die Möglichkeit hätte, rechtskräftig abgeschlossene Verfahren zuungunsten des Angeklagten immer wieder und wieder neu aufzurollen, weil angeblich "neue Beweismittel" vorliegen. Wie oft wollen Sie denn Menschen den Strapazen eines solchen Strafprozesses aussetzen, von den Kosten zu schweigen? Zweimal, dreimal, fünfmal oder einfach beliebig oft, bis der Staatsanwalt endlich den gewünschten Schuldspruch erreicht hat?

    Es gibt gute Gründe dafür, das Justizwesen hierzulande nicht Laien oder Populisten zu überlassen. Und es gibt noch bessere Gründe dafür, als oberste Instanz ein Bundesverfassungsgericht zu installieren, dass aufpasst, dass der Staat gegenüber den Bürgern nicht übergriffig wird und deren Grundrechte aushebelt.

  • Lieber Herr Rath,

    sollten Sie die Zeilen lesen: Ich hoffe von Ihnen noch auf einen ausführlichen Kommentar. Ich lese viele Zeitungen parallel und Bei Ihren Ausführungen war der Kern immer sehr gut getroffen - es hat eine Art Richtigkeitsgewähr. Daher bin ich dieses Mal etwas enttäuscht, da Sie so knapp darüber hinweg huschen.

    Das man die Sache differenziert sehen kann, ist bei allen Grundrechtsfragen so.

    Was mir Bauchweh bereitet, ist die Rückwirkung. Diese ist dem Strafrecht tatsächlich völlig fremd und das BVerfG hat hier m.E. richtig entschieden. Ich kann die Spielregeln nicht nachträglich anpassen, wenn ich sehe, dass ich verliere - um es bildlich zu sagen.

    Für die Zukunft mag man diskutieren. Rechtshistorisch und vom Sinn und Zweck der Norm her, spricht aber viel dafür, dass man eine Grundgesetzänderung braucht.

    Vielleicht bekommen wir ja noch einen zweiten Kommentar von Ihnen!

  • Wettlauf absurd



    Im Wettlauf „Möglichst schnell und weit weg vom Bürger!“ haben die Richter gerade die Führung übernommen, das Ziel liegt in der Unkenntlichkeit. Den „billig und gerecht Denkenden“ haben die Juristen einst selbst erfunden, aber am Start längst zurück gelassen, also aus den Augen verloren.

    Natürlich kann das Recht derart kompliziert sein, dass man jahrelang studieren muss; wie ein Atomphysiker auch, nur würde der für verrückt erklärt, wollte er die halbe Menschheit verstrahlen, weil er da eine Idee hat, „die nur ein Atomphysiker verstehen kann!“, der Rest der Menschheit sei leider völlig inkompetent!



    So sind auch diese Richter durchgeistigt und entrückt, auf dass sich weitere Teile der Bevölkerung auch noch von unserer Rechtsprechung und Rechtsordnung verabschieden; das wäre dann juristisch nichts weiter als, na klar: „natürlich schmerzlich und schwer zu ertragen.“

    • @Allesheuchler:

      Das Strafrecht sollte in der Tat das "bürgernaheste" Recht sein, damit auch ein Laie einigermaßen erkennen kann, welches Verhalten diesen schwersten Knüppel des Rechtsstaates auf den Plan ruft.

      Aber WEIL dieser Knüppel so schwer ist, ist echte juristische Spitzfindigkeit absolut zulässig und angezeigt, wenn es um die Eingrenzung seines Wirkungsbereichs geht. Um in ihrem Bild zu bleiben, würden Sie ja schon wollen, dass der Atomphysiker nicht die die halbe Menschheit verstrahlt, nur weil er seine Versuchsanordnung schön laienverständlich bauen wollte, oder?

      Das Problem ist, dass es findige Juristen in allen Varianten menschlicher Charakterbildung gibt, und dass der sogenannte Strafklageverbrauch, dessen Aufweichung das BVerfG gestern verboten hat, zu den wichtigeren Werkzeugen gehört, um den Missbrauch des Knüppels "Strafrecht" durch Juristen der weniger menschenfreundlichen Sorte zu verhindern. Die Nazis haben demonstriert, wie man OHNE eine stringenten Strafklageverbrauch ganz "legal" mit dem Rechtsstaat Schlitten fahren und die Staatsanwaltschaft zu einer Terrorbehörde umbauen konnte. Da wurde dann jeder Freispruch eines politisch Ungeliebten nochmal "überprüft" und neue Beweismittel "gefunden", die sich zur allseitigen Bestürzung als furchtbar belastend herausstellten. Diese Tür bleibt jetzt zu, und das ist auch gut so.

      Was das gesunde Volksempfinden betrifft, erlaube ich mir die Bemerkung, dass das Wort "Lynchmob" nicht umsonst kein Begriff aus der rechtsstaatlichen Strafverfolgung ist. Die Wertung in der Laienebene ist gerade im Strafrecht dann doch manchmal etwas emotional...

  • In der allgemeinen Zustimmung für das Urteil hebt sich dieser Betrag wohltuend ab. Das ganze Doppelverfolgungsverbot ist fragwürdig. Wieso soll es ein Recht sein, bei neuen Beweisen vor Strafe geschützt zu bleiben? Wieso soll nicht wenigstens eine neue Wahrheitsfindung eingesetzt werden, notfalls ohne weitere Strafe? Und wieso sollte man nicht über Ausnahmen vom allgemeinen Verbot nachdenken dürfen? Wir leben ja nun wirklich nicht mehr in einem Willkürstaat, der Einzelne muss nicht vor Dauerverfolgung geschützt werden, jedenfalls nicht absolut. Das BverfG hat es sich reichlich leicht gemacht, dem Rechtsfrieden ist so nicht gedient. Der Gesetzgeber hat es sich aber auch etwas leicht gemacht, er wollte vermeiden das Grundgesetz ändern zu müssen und hat einfach versucht Lücken zu schaffen und zu nutzen.

    • @Benedikt Bräutigam:

      "Wir leben ja nun wirklich nicht mehr in einem Willkürstaat,..."

      Richtig. Das ist ist aber kein Selbstläufer. Dazu gehört ein robustes Regelwerk, das dem Willkürstaat auch keine Gelegenheiten gibt, den Fuß in die Tür zu kriegen. Und wenn ich Teile unseres Parteienspektrums sehe, ist mir auch nicht danach, diese Zügel auch nur einen Millimeter zu lockern.

    • @Benedikt Bräutigam:

      Weil es in zwei Rechtsgrundsätze des Rechtsstaates ein Loch reißt.

      1. Ne bis in idem ( Nicht zweimal in derselben Sache )

      2. Nulla poena sine lege ( Keine Strafe ohne Gesetz oder einfach gesagt Rückwirkungsverbot )

      Über den Angeklagt fällte das BVG schon ein Urteil letztinstanzlich und rechtskräftig, damit fällte jede neue Anklage in diesem Fall weg und zweitens müsste das Gesetz über 30ig Jahre rückwirkend gelten.

      Was dies für den Rechtsstaat in Gänze bedeuten würde will ich mir nicht mal als Alptraum ausmalen.

  • Was ich bei den Kommentar des Autors verwunderlich finde ist die Passage "..... Es hätte also wohl eh nur alle paar Jahre einen Anwendungsfall gegeben."



    Trifft ein Gesetz also nur wenige Leute, so ist es egal, ob dieses verfassungskonform ist oder nicht? Müssen wir uns im Umkehrschluss auch nicht um die Rechte von Minderheiten kümmern?

    Ansonsten ist das Urteil des BVerG verständlich, auch wenn es gegen bei vielen gegen das Gerechtigkeitsgefühl verstößt.



    Es ist Sache der Staatsanwaltschaft im Voraus zu prüfen, ob die Beweise für eine Verurteilung stichhaltig sind. Ansonsten besteht u.a. die Gefahr, dass aus Kosten-/Nutzenabwägung nicht sorgfältig gearbeitet wird. Für einen unschuldig Verdächtigen ist es auch unerträglich, wenn er vom hartnäckigen Staatsanwalt mehrfach vor Gericht gezogen wird.

  • Von einem promovierten Juristen hätte ich mehr erwartet als einen hinkenden Vergleich zu Prozessbetrug und Geständnis oder gar die plump-polemische Gleichstellung einer aufrecht erhaltenen Eingriffsbeschränkung mit einem absolut garantierten Grundrecht. Das sollten Sie besser können, Herr Rath.

    Aber auch im Ergebnis löst dieser Kommentar Unverständnis aus. Es ist eine der wesentlichen zivilisatorischen Errungenschaften unseres Rechtssystems, Strafrecht NICHT mit dem Messer zwischen den Zähnen als bauchgefühlsgesteuertes Ausleben von "Volkszorn" zu betreiben Und das Konzept des Anklageverbrauchs gehört da essenziell dazu: Wenn die StA nicht genug in der Hand hat, soll sie halt den Beschuldigten nicht vor dem Kadi zerren. So einfach - und essenziell rechtsstaatlich - ist das.

    • @Normalo:

      Perfekt auf den Punkt gebracht, vor allem der Hinweis darauf, dass unser Rechtssystem grundrecht- und regelbasiert ist und nicht vom "gesunden Volksempfinden" gelenkt wird. Das hatten wir nämlich schon einmal, und das Ergebnis war desaströs.

    • @Normalo:

      selten aber hier - anschließe mich

  • Kein normaler Mensch wird je verstehen, warum ein Mörder nicht erneut vor Gericht gestellt werden kann, wenn es neue Beweise für seine Schuld gibt. Die Angehörigen eines Getöteten müssen auch damit leben, dass ein geliebtes Leben ausgelöscht wurde und im schlimmsten Fall ( dafür gibt es Beispiele) hilflos mitansehen, wie der Täter unbehelligt herum läuft.

    • @snowgoose:

      Aber die "normalen" Menschen hätten Verständnis dafür, dass ein unschuldig Verdächtigter nach einem Freispruch aus Verfolgungseifer der in ihrer Eitelkeit gekränkten Strafvervolgungsbehörden ein zweites, drittes, viertes Mal vor Gericht gestellt wird? Oder kann das nicht passieren, weil die "normalen" Menschen vorab wissen, wer schuldig ist? Ich preise das GG und das BVerfG, das mich vor diesen "normalen" Menschen schützt.

    • @snowgoose:

      Es ist ja nicht gesichert, dass die neue Beweislage einen potentiellen Mörder überführt. Das entscheidet das Gericht.

      Die Frage die man sich stellen kann ist, weshalb es seitens der Staatsanwaltschaft zu einer ersten Anklage gekommen ist, wenn die Beweislage nicht eindeutig war.

    • @snowgoose:

      "Kein normaler Mensch wird je verstehen, warum ein Mörder nicht erneut vor Gericht gestellt werden kann, wenn es neue Beweise für seine Schuld gibt."



      Nur gut, dass nicht 'normale Menschen' oder das 'gesunde Volksempfinden' die Rechtsprechung bestimmen, sondern ausgebildete Fachleute.

      • @Encantado:

        Ziemlich abwertendes Statement!



        Was in der Rechtsprechung der „ausgebildeten Fachleute“ und in Paragraphen-Konstruktionen so läuft, ist voll von Irrtümern (und Verschleppung ihrer Korrektur).



        Es geht nicht um „Volksempfinden-Lynchjustiz“, sondern um schwer erreichbare Gerechtigkeit. Und die hinkt gewaltig (nicht nur in einer Diktatur, sondern auch in einer löchrigen Demokratie).

        • @snowgoose:

          "Ziemlich abwertendes Statement!"



          Stimmt. Ich finde es ziemlich unmöglich, die Verfassungsrichter und so ziemlich alle Juristen als abbormale Menschen hinzustellen.



          "Was in der Rechtsprechung der „ausgebildeten Fachleute“ und in Paragraphen-Konstruktionen so läuft, ist voll von Irrtümern"



          Ach, und das ist bei den 'normalen Menschen' anders? Bei letzteren ist zudem der Sach-/Fachverstand deutlich geringer ausgeprägt. Kann man jezt besser finden. Muss man aber nicht.



          "...in einer löchrigen Demokratie..."



          Wenn Sie das jetzt noch definieren würden, könnten wir auch darüber debattieren.

  • Im auslösenden Fall gab es neue Beweise, die aber auch nicht eindeutig waren. Der Vater des Opfers hat die Trommel geschlagen und die Politik hat populistisch agiert.

    Und die Staatsanwaltschaft hat die Möglichkeit, das Verfahrne ruhen zu lassen. Wenn sie jedoch meint, alles notwendige in der Hand zu haben, gilt's.



    Da kann sie nicht häppchenweise nachlegen, wenn sie nicht erfolgreich ist.

    Und wenn Politiker ein schlechtes Gesetz machen, ist nicht Karlsruhe schuld.

  • Darf ein wegen Mord zu Unrechts Einsitzender, bei neuer Beweistechnik:also nicht freigesprochen werden? Zumindest hat er beispielsweise den Fluchtwagen gefahren und den Überfall geplant, hat aber nichts mit dem Geiselmord zu tun.



    Dennoch wurde er genau dafür verurteilt. Man nahm an, er habe die Geisel getötet.



    Ein DNS-Beweis zeigt 10 Jahre später, dass es doch sein Komplize war.



    Jetzt muss der Einsitzende trotzdem weiter in Haft bleiben?

    • @Chris Teuber:

      Nein, diese Person kann geltendem Recht ein Wiederaufnahmeverfahren beantragen, wegen neu aufgetauchter Beweise.



      Nur umgekehrt kann der Staat das nicht. Also gegen einen rechtskräftig freigesprochenen Menschen einfach weiter ermitteln.

    • @Chris Teuber:

      Das wäre ein Fehlschluss. Der Strafklageverbrauch besagt nur, dass ein Mensch nicht zweimal wegen derselben Tat angeklagt werden darf. Ist er dagegen einmal fälschlich verurteilt worden, ist das selbstverständlich jederzeit korrigierbar.

      • @Normalo:

        Es wird aber so rum leider katastrophal selten korrigiert, die Justiz gibt diese Irrtümer ungern zu. Letztes Beispiel: Fall Bräuning, man verschleppt, bis der Mann stirbt, dem man ein Leben gestohlen hat. Er war (ohne Lobby, Geld und Wissen) ein gern genommenes Opfer.

        • @snowgoose:

          Das ist jetzt aber etwas OT. Tatsache ist zunächst mal, dass dieses Urteil (und der Strafklageverbrauch generell) jedenfalls KEIN - zusätzliches - Hindernis für nachträgliche Korrekturen an falschen Schuldsprüchen darstellt.

      • @Normalo:

        Zur Wahrheit gehört aber auch: Die Wiederaufnahme eines abgeschlossenen Verfahrens ist mit zahlreichen Hürden gespickt. Ganz so leicht, wird es nicht - aber es ist möglich.

    • @Chris Teuber:

      Nein, denn die vom BVerfG annullierte Vorschrift (§ 362 Nr. 5 StPO) betrifft nur die Wiederaufnahme "*zuungunsten* des Verurteilten", also des fälschlich Freigesprochenen. Die Wiederaufnahme *zugunsten* des fälschlich Verurteilten (§ 359 StPO) bleibt unberührt.

  • Ich widerspreche vehement. Von den vier genannten Möglichkeiten einer Wideraufnahme betreffen drei einen Prozessbetrug, d. h. der Prozess ist nicht korrekt abgelaufen und damit nichtig. Das ist etwas ganz anderes als die Herbeibringung neuer Beweise.

  • Wie wahr Herr Rath,



    eine notwendige Klarstellung.

    Mir gefallen schon die blutroten Roben nicht, die weltfremde Rechtsauslegung der Damen und Herrn... dafür habe ich nur ein Kopfschütteln übrig.

    • @Peace85:

      Wenn Sie sich eines Tages wegen eines schweren Verbrechens vor Gericht wiederfinden, dann wegen Mangel an Beweisen freigesprochen würden und ein hartnäckiger Staatsanwalt würde Sie trotz rechtskräftigen Freispruchs gerne noch ein zweites, drittes oder auch fünftes Mal vor Gericht zerren, weil jedes Mal angeblich neue Beweise aufgetaucht seien, dann würden Sie wohl einsehen, dass solche Urteile vor allem ganz praxisbezogen die Grundrechte ganz einfacher Menschen schützen, die sich keine Armee von Anwälten leisten können, um ihre Interessen wahrzunehmen und mit juristischer Kompetenz gegen staatliche Übergriffigkeit zu vertreten.

      Soviel zum Thema "weltfremde Rechtsauslegung", für die Sie "nur ein Kopfschütteln übrig haben."

      Es ist schon sehr zu begrüßen, dass man unser Rechtssystem nicht den Populisten und ihrem Ruf nach Urteilen überlässt, die dem vermeintlichen "gesunden Volksempfinden" entsprechen. Das hatten wir nämlich schon einmal, und das Ergebnis war eine Katastrophe.

  • Ich verstehe das Urteil des BVG so, eine des Mordes angeklagte Person die aus mangel an Beweisen freigesprochen wurde, kann nicht noch mal angeklagte werden obwohl es neue Beweise gibt die die Person des Mordes überführen würden. Sollte das korrekt sein, finde ich, dass das Urteil ein Skandal ist. Es ist respektlos gegenüber dem Opfer und den Angehörigen des Opfers. Es ist frustrierend wie kompliziert viele Sachen in Deutschland sind.

    • @Ignis Ferrum:

      Das ist schön verständlich, würde aber die Qualität der Strafverfahren massiv senken. Der Staat sollte nur dann gegen einen Bürger vorgehen, wenn er sich sicher ist dessen Schuld vor Gericht beweisen lassen zu können. Ansonsten sollte er mit dem Prozess warten, denn Mord verjährt nie.

    • @Ignis Ferrum:

      Das was sie als kompliziert bezeichnen, ist ein bedeutendes Merkmal eines Rechtsstaates, das in fast allen Demokratien seit dem römischen Reich gilt. Unrechtsstaaten halten von Rechtssicherheit wenig, und passen unliebige Urteile beliebig an. Der Verdächtige wurde vor 40 Jahren freigesprochen, da ihm eine Anwesenheit am Tatort nicht nachweisbar war. Die damaligen Verfolgungsbehörden müssen sich fragen, warum sie damals trotzdem Anklage erhoben haben. Hätten sie es nicht getan, könnte der Mann heute mit besseren Beweisen angeklagt werden.

      • @AndyP:

        Und genau das macht die Sache noch unlogischer. Soll also jemand, der Anhand von DNA Spuren heute identifiziert werden kann, nur dann verurteilt werden können, wenn es vorher keine anderen Hinweise auf ihn als Täter gab und damit keine Anklage? Wird der dann auch nicht verurteilt mit dem Hinweis auf Ungleichbehandlung?Dass Heute die Möglichkeit besteht alte Spuren mit neuer Technik so eindeutig zur Identifizierung von Tätern zu nutzen dürfte historisch einmalig sein und wohl auch bleiben und sollte nutzbar sein!

        • @Bonugu:

          Eine Anklage ist ein schwerer Schritt, den die Staatsanwaltschaft nicht auf bloße "Hinweise" hin unternehmen sollte, sondern wirklich erst, wenn das, was sie an jetzt und hier beweisbarer Sachlage vorbringen kann, mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu einer Verurteilung ausreicht. Das soll eben gerade NICHT auf gut Glück und, wenn's nicht klappt, dann halt auf in Runde 2 etc. verlaufen. Das Urteil verschärft nochmal diesen Auftrag an die Staatsanwälte, gründlich zu arbeiten und nicht vorschnell Verdächtige zu Tätern zu erklären und ihnen den Prozess zu machen.

          Und nein, dass nachträglich Beweise auftauchen ist überhaupt kein historischer Einzelfall, und es wird auch in Zukunft wahrscheinlich weitere Fortschritte in Ermittlungsmöglichkeiten geben, die wir uns heute nicht vorstellen können. Außerdem funktioniert Rechtsstaatlichkeit nicht nach der Devise "Einmal ist keinmal." Was ihr schadet, sollte man schlicht und ergreifend NIE tun - auch nicht wenn "die Gelegenheit gerade günstig ist".

  • Was viele immer wieder vergessen, unsere Rechtsprechung hat nichts mit Rache zu tun.



    Es soll den Täter zu der Erkenntnis bringen, dass das Handeln falsch war und er es somit nicht wiederholt.



    Eine lebenslängliche Strafe wird bei uns nicht Lebenslänglich verbüßt.



    Somit war die Idee der damaligen Regierung eine rein populistische



    (schaut mal wir tun etwas, um eure Rachegelüste zu befriedigen aber eben keine juristische mit unserem Grundgesetz vereinbare)



    Wenn jemand zu einem viel späteren Zeitpunkt in Haft kommt, als er bei sofortiger Verurteilung schon längst wieder draußen wäre, hat das nur mit Rache zu tun aber nichts mit den Zielen unseres Rechtsstaates.

    • @Andreas Severidt:

      Es soll den Täter zu der Erkenntnis bringen, dass das Handeln falsch war und er es somit nicht wiederholt.

      Das ist nur ein Gedanke von von vielen. Die Resozialisierung steht aber nicht über allem. Sonst könnte Mord ja auch verjähren. Wenn jemand 30 Jahre nichts mehr gemacht hat, warum ihn dann noch bestrafen? Was bringen dann die NS-Prozesse gegen über 90-jährige? Muss man die resozialisieren? Es gibt mehrere Strafzwecke: Abschreckung, Prävention, Befriedung, den Straftäter von der Gesellschaft fern zu halten, etc.

      Lebenslang heißt erst Mal lebenslang. Es gibt genug Straftäter, die mehr als 30 oder auch 40 Jahre einsitzen. Manche kommen am Ende des Lebens nochmal für ein paar Jahre raus.

  • Ich wiederspreche dem Autor nur selten, hier aber mit Vehemenz. Zum einen, weil ich seiner Argumentation nicht folgen kann, vor allem aber, weil ich die Schlussfolgerungen für geradwewegs gefährlich halte.



    Die auf § 362 StPO (Wiederaufnahme zuungunsten des Verurteilten) beruhende Argumentation, es gebe ja Ausnahmen, die die Rechtskraft eines Urteils durchbrechen, halte ich für konstruiert. Es handelt sich dabei immer um eine Form von Prozessbetrug (die Urkunde muss gefälscht sein, der Sachverständige einen Meineid begehen), von daher erlangt ein darauf beruhendes Urteil von Beginn an gerade keine Rechtskraft. Ein Freispruch hingegen erlangt Rechtskraft und dieser Unterschied ist nicht marginal, vor allem aber verbietet es sich meiner Ansicht nach, hier eine Argumentationskette aufzubauen, die die beiden völlig verschiedenen Punkte simplifizierend verbindet.



    Auch in der Sache bin ich anderer Meinung. Wie will der Gesetzgeber den eigentlich "neue" Tatsachen definieren? Kann das im Zweifel nicht alles sein, was 5% genauer ist, als vor zehn Jahren? Wenn, böse ausgedrückt, im Verfahren vor 40 Jahre ein Schwarz-weiß-Foto Beweismittel war und heute ein Farbbild existiert, sagt das über den Beweiswert gar nichts aus - aber als "neues" und technisch fortschrittlicheres Beweismittel könnte man es betrachten.



    Als Ende der 60er Jahre das Post- und Fernmeldegeheimnis der Terroristenbekämpfung geopfert wurde, schworen die Parlamentarier, es würde eine Ausnahme für besonders schwere Strataten bleiben. Heute ist der § 100a StPO einer der umfangreichsten des Gesetzes, wegen jeden Sch*** können Gerichte eine Überwachung anordnen. Wie würde es sich mit der Wiederaufnahme zuungunsten des Verurteilten verhalten? Ist Totschlag kein Verbrechen mehr? Warum sollten Vergewaltiger den "Schutz des Gesetzes" beanspruchen können und irgendwann sind wir bei Steuerhinterziehung und Ladendiebstahl. Ich will kein Türöffner-Gesetz, welches populistischer Politik dienen könnte!

    • @Cerberus:

      Ein Türöffner wäre das Gesetz ganz und gar nicht, denn es werden rote Linien gezogen, die eine Beanspruchung in vielen weiteren Fällen verhindert hätte.

      In der Sache selbst, ist das Beweismittel keinesfalls "neu" hinzugekommen, sondern lag bereits vor.



      Das Gericht und die Staatsanwaltschaft, war zum Zeitpunkt der Urteilsfindung nur noch nicht in der Lage das Beweismittel, auch mit hinzuziehen von Gutachten, richtig zu bewerten.

      Deshalb müsse es richtigerweise eher, als "Freispruch mit Mangel an Beweisen" durch Justizirrtum zu bewerten sein.



      Der Mangel lag nicht selbst im Beweismittel sondern in der Fähigkeit und Zeit geschuldet, diesen, aufgrund seines vorhandenseins, ordentlich dem Täter zuzuordnen, was im Nachgang dann möglich war.

      Grundsätzlich bedeutet eine Rückkehr zu alten Instrumenten auch, dass weitere Ermittlungen in denen wir heute vielleicht die Beweismittel noch nicht richtig in der Lage sind, diese ordentlich bis zum Abschluss der Urteilsverkündung zu bewerten, auch aus wirtschaftlichen Gründen, aufgegeben werden müssen. Bedeutet in der Folge: Recht ja, Ordnung nein.

      • @Kühlbox:

        Jeder, aber vor allem so ein technischer, Beweis liegt immer erst wirklich vor, wenn er auch vor dem Strafgericht sachkundig geführt werden kann. Wird er das nicht, ist das Urteil, das ihn nicht wertet, auch richtig. Insofern ist die Theorie vom Justizirrtum schon etwas wild.

        Die Konsequenz ist doch klar und eigentlich völlig handhabbar: Wenn man (noch) keine Schuld beweisen kann, NICHT ANKLAGEN! Eine bloße Einstellung des staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahrens ist jederzeit revidierbar, wenn sich die Beweislage ändert. Und genau so sollte es auch laufen. Das Missbrauchspotenzial ist sonst zu groß.

    • @Cerberus:

      Ist in diesem Fall doch gar nicht zutreffend, oder? Da wurde jemand freigesprochen aus Mangel an Beweisen. Jetzt gibt es aufgrund von technischem Fortschritt potentielle Beweise (seine Spermaspuren in der Unterwäsche einer vergewaltigten und ermordeten 16jährigen). Das SIND neue Tatsachen im Vergleich zu dem früheren Freispruch und die bleiben jetzt ohne Folgen.

      Man kann das drehen und wenden wie man will, aber vermittelbar ist das absolut nicht. Das wird nur weitere Menschen zu dem Schluss verleiten, dass unser Rechtssystem völlig falsch ist und die Rechte von Tätern über denen ihrer Opfer stehen. DAS ist ein gefundenes Fressen für Populisten.

      • @Mustardman:

        Sie vergessen einen wesentlichen Schritt: VOR dem Freispruch war der Mann angeklagt worden - OHNE hinreichende Beweise, denn die gab es eben damals noch nicht. Grenau das aber soll nicht passieren. Die Staatsanwaltschaft soll Anklage erheben, wenn sie einen Fall hat, und nicht weil sie Jemanden anklagen will (und das solange wiederholen kann, bis sie ihn verurteilt bekommt).

        Dieses Urteil - wie auch die generelle Einstellung unserer Verfassung zum Strafrecht - ist ein wenig wie der ärztliche Grundsatz "primum non nocere" ("Vor Allem nicht schaden!"): Es ist wichtiger sicherzustellen, dass das Strafrecht nicht zu einem unrechtsstaatlichen Machtwerkzeug umfunktioniert werden kann, als dass es jeden Straftäter wirklich am Wickel bekommt. Um also so einen Richterspruch wie den gestern verständlicher zu machen, versetzen Sie sich in die Lage eines Unschuldigen, den ein skrupelloser Staatsanwalt "auf dem Kieker" hat. Wie sehr könnte dieser Staatsanwalt Sie ungestraft(!) dank dieser Aufhebung des Anklageverbrauchs terrorisieren?

    • @Cerberus:

      Danke, sehe ich auch so, könnte es aber nicht so gut ausdrücken.

    • @Cerberus:

      So und nicht anders, vielen Dank.

    • @Cerberus:

      anschließe mich -

    • @Cerberus:

      Nicht ganz korrekt: Auch in den von Ihnen genannte Fälle entfaltet ein Urteil



      Rechtskraft § 3621 S.1 und nicht wie Sie



      schreiben „von Beginn an gerade keine Rechtskraft“

      • @Hubertus Behr:

        Grundsätzlich haben sie natürlich recht, ich habe das etwas vereinfacht dargestellt. Allerdings wird § 360 Nr. 2 (Unterbrechung der Vollstreckung) dahingehend ausgelegt, dass die Rechtskraft "durchbrochen", d.h. als nichtig betrachtet wird. Von daher unterscheiden sich diese Fälle durchaus von solchen, bei denen die Rechtskraft faktisch vorhanden ist und allein das war meine Intention bei der Beschreibung.

  • Ach was! Loriot

    Hab ich Sie anderenorts etwa so ganz falsch verstanden? Merkwürden -



    “Zwei eher konservative Rich­te­r:in­nen – Christine Langenfeld und Peter Müller – wollten jedoch eine Abwägung und damit gesetzliche Einschränkungen zulassen. Doch auch sie votierten am Ende zugunsten der Verfassungsbeschwerde von Ismet H., weil die Gesetzesänderung nicht nur für zukünftige Fälle gelten sollte, sondern auch rückwirkend. Dies verstoße gegen das Rechtsstaatsprinzip.“ korrekt - ✅ -

    kurz - hab ja grad noch Bernhard Schlink - etwas paraphrasierend - zitiert.



    Nunja - war mir ja aber auch schon vorher klar! Gelle - 🏁 - 🙀🥳🤔 -

  • Wie kann man nur den Rechtsstaat so einfach Opfern wollen. Man kann gegen vermutlich jeden Rechtsgrundsatz einen Einzelfall finden, wo einem das Ergebnis nicht gefällt. Aber hier müsste eine Rote Linie gezogen werden. Sonst sind Tür und Tor für russische Verhältnisse geöffnet. Täter könnten unter einfacher Behauptung neuerer (ggf gefälschter) Beweise erneut angeklagt werden, bis ein dem Justizsenator genehmes Urteil entsteht. Für den Rechtsstaat muss man auch unschöne Einzelfälle in Kauf nehmen.

    • @Realdemokrat:

      Das wäre in dem beispielhaften Fall um den es ging, aber nicht möglich gewesen, weil die Beweise bereits bei der ersten Anklage zwar vorhanden waren, aber technisch nicht ausgewertet werden konnten.



      Es war der technische Mangel und die Möglichkeit der Zuordnung, der eine Einordnung des Beweisstücks verhindert hatte und bei Urteilsverkündung nicht die Berücksichtigungsfähigkeit hatte.



      - Eine Problematik der Zeit, die wiederum der Verhältnismäßigkeit entgegensteht.

      Es muss in jedem Fall, dafür klare Regelung und Begrenzungen geben, wann ein weiterer Prozess erfolgen kann. Gerade eine klar abgesteckten Richtline, darf nicht unweigerlich zu immer wiederkehrenden Prozessen führen.

      Zudem ist ein "Freispruch" keine Strafe oder Bestrafung an sich. Es wird lediglich der Prozess gemacht. Nach dem Grundgesetz könnte man wegen einer Sache nicht zweimal bestraft werden, darauf stützt sich das Bundesverfassungsgericht. Daraus Folgt, das Freispruch auch eine Strafe sei um Rechtsfrieden zu fordern. Es wird der Formulierung im Grundgesetz aber nicht unbedingt gerecht, sondern deren Artikel und Anwendung auf die Formulierung mit wissenschaftlichen Kommentaren dahin gebracht.

  • En Freispruch ist ein Freispruch.



    Alles andere wäre ein Dammbruch, welcher das Ende nicht abzusehen wäre.

  • Mit dem Postulat Rechtsfrieden geht vor Gerechtigkeit wird eine Unfehlbarkeit der Justiz "per se" suggeriert.

    • @Michael Balser:

      Das "Postulat" stammt von der Presse, nicht vom Verfassungsgericht. Dieses argumentiert deutlich weniger reißerisch. Und ja, das Strafrecht ist so konzipiert, dass es - als schärfstes und daher am meisten missbrauchsgefährdetes Schwert des Staates - nur zuschlägt, wenn zuerst die Staatsanwaltschaft und dann auch noch ein Gericht verdammt sicher sind, dass es den richtigen trifft - UND dass die unvermeidliche Fehlbarkeit beider sich wenn dann zu Lasten des staatlichen Strafanspruchs auswirkt und nicht des betroffenen Bürgers.

    • @Michael Balser:

      Das ist richtig. Das ist auch so gewollt und es ist notwendig.



      Es wäre vermessen zu glauben, ein Gerichtsverfahren könnte die absolute Wahrheit hervorbringen. Zeugen können sich irren (auch ohne bewusst zu lügen), Indizien falsch interpretiert werden, Sachverständige zu falschen Schlüssen gelangen und so weiter. Deshalb geht es vor Gericht auch "nur" um die sog. prozessuale Wahrheit (d.h. der Grad an Wahrheit, wie er sich aus der Verhandlung ergibt). Selbst Fehlurteile werden dabei einkalkuliert (weshalb es Wiederaufnahme und Entschädigungsregeln gibt).



      Was aber, wenn man absolute Wahrheit als Grundvoraussetung eines Gerichtsverfahrens fordern würde? Kein Rechtsstreit wäre dann je beendet. Jede unterlegene Partei würde das Urteil anzweifeln und die Streitigkeiten würden dann irgendwann außerhalb der Gerichte ausgetragen, weil ein Verfahren ja nichts bringt.



      Es geht also nicht darum, Unfehlbarkeit zu demonstrieren, sondern mit einem Urteil einen Schlussstrich zu ziehen, der von allen akzeptiert werden muss.



      Das BVerfG hat übrigens vor Jahren entschieden, dass auch ein Fehlurteil vom Bürger hingenommen werden muss, um den Rechtsstaat am Funktionieren zu halten und dies als sog. "Sonderopfer" bezeichnet.

    • @Michael Balser:

      Nein, mit dieser Anmerkung wird postuliert, dass Rechtsfrieden und Gerechtigkeit Antipoden sind.



      Das darf füglich bezweifelt werden. Per se und sowieso.

  • Unsere Justiz mit ihren Urteilen bis auf wenige Ausnahmen, ist nur eine Lachnummer. Bei den äußerst milden Urteilen, mit Ausnahme rechter Straftaten, ist unsere Rechtsprechung ein Witz. Straftäter werden nicht von weiteren Straftaten abgehalten, sondern eher noch ermuntert.

    • @Filou:

      Unsinn.

    • @Filou:

      Und auch mal ein Argument?

  • Nach Abschaffung der Mord-Verjährung



    können selbst über 90-Jährige nicht in Rechtsfrieden sterben und werden der gerichtlichen Gerechtigkeit unterstellt für Mord-Vorwürfe aus der NS-Zeit.

    Nach dem Fortschritt der DNA-Wissenschaft - von der die GG-Väter noch nicht einmal träumen konnten -



    können in Cold Cases Mörder*innen bis zum Lebensende nicht mehr in Rechtsfrieden leben und müssen voller Angst davor leben, dass die Gerechtigkeit sie mit dem Fortschritt der Beweismittel-Wissenschaft noch lebenslänglich einholt.



    Nur die durch Freispruch gerichtlich privilegierten Mörder*innen können unmittelbar nach einem Fehlurteil



    sich ins Mord-Fäustchen lachen, während sich die Justiz im Rechtsfrieden ausruhen kann.



    Während durch Fehlurteile verurteilte



    - Wörz, Arnold etc. - einen unmenschlichen ewigen Hindernislauf



    in Wiederaufnahme-Versuchen absolvieren müssen wegen der "menschlichen" Beharrlichkeit der Justiz auf Rechtsfrieden für ihre Fehlurteile.

  • Verfassung (Art. 103, Abs. 3 GG) "Niemand darf wegen derselben Tat mehrfach bestraft werden."



    Da nach menschlichem Verständnis ein Freispruch keine Bestrafung sein kann, ist die Entscheidung des BVerfG nur verständlich, wenn das juristische Verständnis mit dem menschlichen Verständnis inkompatibel - unvereinbar - mithin als unmenschlich begriffen wird.



    Demgemäß stellt die GerichtsVorsitzende dem Urteil das Gericht entschuldigend voraus, dass es menschliches Verständnis für die -Angehörigen habe, wenn diese sein Urteil als für die Opfer unmenschlich und für den Täter als zu menschlich verstehen würden.



    Dass der GG-Artikel über das Verbot der Mehrfach-Bestrafung hinausgehend auch eine mehrfache



    Strafverfolgung zur Erzielung einer gerechten Bestrafung einer einzigen Strafe verbiete, erschließt sich nur, wenn begnadete Jurist*innen das zwischen den GG-Artikel-Zeilen herauslesen können zur menschlichen Begnadigung von unmenschlichen Mörder*ìnnen.

    • @Michael Balser:

      "Da nach menschlichem Verständnis ein Freispruch keine Bestrafung sein kann, ist die Entscheidung des BVerfG nur verständlich..."



      Hier unterstellen Sie, dass die Menschen die das verstehen keine sind. Statt 'menschliches Verständnis' meinen Sie sicher das 'gesunde Volkempfinden' oder etwas ähnliches.

  • Wie ich finde: Unterkomplex für ein Land, das ein Weltrechtsprinzip vertritt und sich als Wächter von Menschenrechten und Gerechtigkeit versteht, auch vermeintlich latent wissenschaftskritisch, wenn nicht -feindlich. Hier profitieren nur etwaige Täter*innen, während viele Opfer und deren Angehörige sich sicher "verraten" fühlen. Mich interessiert, ob das konform in allen Staaten der EU gilt.



    /



    www.westfalen-blat...etershagen-2749503



    /



    Der Impetus, die Aufklärung mit neuen Methoden als neuem Ansatz zu betreiben, wird sicher nicht gestärkt durch das Urteil.



    m.faz.net zu Cold Cases



    "Mordermittler sind dank neuester DNA-Analysemethoden immer erfolgreicher beim Aufklären von seit Jahrzehnten ungelösten Fällen. Mithilfe der Digitalisierung werden alte Akten in der Cold-Case-Datenbank gesichert."

    • @Martin Rees:

      Sorry Geschätzter - nur mal zu letzterem

      Lovando:



      “…Btw - im übrigen: so ganz schlicht um schlicht ist es in der Realität bezüglich Entwicklung DNA etc naturellement nicht. Newahr.

      Für die nicht rechtskräftig abgeschlossenen - warum auch immer in den Ermittlungsverfahren “steckengebliebenen“ Sachverhalten - gilt die Entscheidung Karlsruhe natürlich nicht und deren sind scheint’s nicht wenige.

      Denn - “Verbrechen nach § 211 (Mord) verjähren nicht! Strafgesetzbuch (StGB)

      § 78 Verjährungsfrist.

      Ein Freund und Weggefährte - hatte gerade gleichzeitig zwei Verfahren rechtlich als RA zu vertreten.“



      taz.de/Bundesverfa...sgericht/!5966851/



      Das ist aber ein anderer Schuh! Woll.

  • Für den Straftäter wird es zur Wette auf Zeit, für das Opfer und derren Angehörige, bleibt nur die klebrige Spucke des Täters zurück.

    Das Problem, der Anklage und Beweisführung, wird mit diesem Urteil auf dem Rücken der Staatsanwaltschaft ausgetragen.

    Findet man im Moment der Anklage, nicht genug Hinweise, die auch noch den Anspruch haben als Beweismittel zugelassen zu werden und die sich eignen, eindeutig dem Täter zuzuordnen, so kann ein Täter hoffen, das aus Mangel an Zeit und eindeutiger Zuordnung, seine Taten ungesühnt bleiben.

    Durch die entstandene Untätigkeit und Unfähigkeit in der Beweisführung, wird der "Tat gegen die Menschlichkeit" dann in Zukunft im Einzelfall, durch den juristischen Rechtsfrieden, seine Absolution erteilt werden.

    Der angestrebte Wille der Bundesregierung und das einkassieren des Gesetzes durch das Bundesverfassungsgerichts, mit dem Blick zur potenziellen Gefahrenabwehr in der Öffentlichkeit, kann auch als Bankrotterklärung der Judikative und Exekutive betrachtet werden. - Und macht auf Hinblick auf Clan-Aktivitäten ein eher mulmiges Gefühl.

    Die Verhältnismäßigkeit, zwischen U-Haft und Anklageerhebung, müsste, mit diesem Grundsatzurteil, einer Prüfung einer neuen temporäre Einstufung unterzogen werden.

    Beim Beweismittel DNA, lag im Bezug auf den besonderen Fall, nicht der Mangel selbst im Beweismittel, sondern der Mangel in der Möglichkeit und Fähigkeit der technischen Auswertung vor.



    Der Justizirrtum liegt somit im Zeitpunkt des Richterspruchs, aus Mangel an Beweisen und der geschuldeten Verhältnismäßigkeit in Form von Zeit, vor.

    Ein Resultat diese Urteils könnte, ggf. in Fällen, wie dem, in der die Sache menschliches Versagen anmuten lässt, eine Welle der Selbstjustiz mit sich bringen.

    • @Kühlbox:

      "Findet man im Moment der Anklage, nicht genug Hinweise, die auch noch den Anspruch haben als Beweismittel zugelassen zu werden und die sich eignen, eindeutig dem Täter zuzuordnen, so kann ein Täter hoffen, das aus Mangel an Zeit und eindeutiger Zuordnung, seine Taten ungesühnt bleiben."

      Wenn das so ist, darf die Staatsanwaltschaft dann halt nicht anklagen, sondern muss weitere Beweise ermitteln. Es kann ja wohl nicht sein, dass die Staatsanwaltschaft auf gut Glück anklagt ("Vielleicht reicht's ja."), und wenn es dann doch nicht klappt, dann klagt sie nochmal an ("Vielleicht reicht's ja jetzt.") und dann nochmal und dann nochmal.

  • Das Urteil ist moralisch falsch,



    aber juristisch richtig.



    Um es moralisch richtig zu machen bedarf es einer Änderung im Grundgesetz, bei der wohl auch die CDU und selbst die AfD zustimmen dürfte.

    • @Rudi Hamm:

      "Um es moralisch richtig zu machen bedarf es einer Änderung im Grundgesetz, bei der wohl auch die CDU und selbst die AfD zustimmen dürfte."



      Wer bei eine Zustimmung der AfD sein Anliegen moralisch vertretbar findet, sollte seinen moralischen Kompass überprüfen. Insbesondere wenn es um Grundgesetzänderungen geht.

      • @Encantado:

        Ja sollte er. Auch wenn das allermeiste was die AfD will falsch ist, so ist nicht zu 100% immer und alles falsch.



        Unwählbar bleibt sie für mich aber trotzdem.

  • Wieso die Aufregung? Es gibt ja auch Fälle, wo mutmaßliche Täter schuldig gesprochen wurden und aufgrund von Beweisen im Wiederaufnahmeverfahren freigesprochen werden und "entschädigt" werden. Ausgleichende Gerechtigkeit. Absolute Grechtigkeit kann es nicht geben, solange fühlbar Menschen Recht sprechen, das von andren fehlbaren Menschen gemacht wurde, die bestimmte Belange schützen sollen. Eigentumsdelikte werden m.E. im Vergleich zu Delikten gegen die körperliche Unversehrtheit viel zu hoch bestraft. Es müsste umgekehrt sein.

  • Es ist in der Tat vollkommen und unnötig kleinkariert, dass sich die Exekutive (hier: die Staatsanwaltschaft des LG Oldenburg) an die Verfassung (Art. 103, Abs. 3 GG) halten muss: "Niemand darf wegen derselben Tat mehrfach bestraft werden."



    Ebenso völlig kleinkariert ist es, dem Gesetzgeber nicht zu gestatten, mittels einer Änderung der Strafprozessordnung (hier: § 362, Abs. 5 StPO) den o. g. Artikel des GG auch noch rückwirkend auszuhebeln.



    Völlig unnötig und kleinkariert ist es, darauf zu bestehen, dass 40 Jahre nach einem rechtskräftigen Urteil auch für einen vermutlich zu unrecht freigesprochenen Täter das Prinzip der Rechtssicherheit gelten muss.



    Ich kann gar nicht sagen, wie erleichtert ich bin, dass wir ein derartig kleinkariertes Bundesverfassungsgericht haben. Es ist unser letzter Rettungsanker vor einer übergriffigen Legislative und Exekutive, die sich nicht scheuen, durch Gesetzesänderungen und Mehrfachanklagen in derselben Sache einen der wichtigsten Grundsätze des Rechtsstaats faktisch abzuschaffen: ne bis in idem.

    PS: Auf der Seite des BVerG gibt es das komplette Urteil mit Begründung. Selbst für juristische Laien sollte es sich einigermaßen verständlich und nachvollziehbar lesen.

    • @Olli P.:

      "Niemand darf wegen derselben Tat mehrfach bestraft werden."



      Sie haben sich selbst die Antwort gegeben. Mehrfach BESTRAFT würde der Mörder bei einem neuen Prozess nicht! Er ist ja bei ersten Mal FREIGESPROCHEN worden - ergo hat er keine Strafe erhalten. Seit wann gilt ein Prozess selbst schon als die Strafe?!

      Anders läge der Fall, wenn er beim ersten Mal rechtskräftig verurteilt worden wäre, zum Beispiel wegen Vergewaltigung oder Entführung beim selben Fall/Opfer, und jetzt soll, dank neuen Beweisen, noch der Mord dazukommen in einem neuen Prozess. Dann könnte man von "derselben Tat mehrfach bestraft" reden. So nicht.

      Außerdem ignorieren Sie geflissentlich, das in bestimmten Fällen rechtlich trotzdem ein zweiter Prozess für denselben Angeklagten zu demselben Fall möglich ist. Das ist dann nicht kleinkariert vom VG, sondern schlicht unlogisch und inkonsequent. Warum finden Die das gut?

    • @Olli P.:

      Man wird doch gerade nicht mehrfach bestraft, wenn man das erste Mal freigesprochen wurde.

      • @Suryo:

        SURYO, Sie könnten einfach die Begründung des BVerfG lesen, in der erklärt wird, weshalb Art 103 Abs. 3 GG hier auch für Freigesprochene greift, anstatt Ihre eigene Interpretation des Wortlautes zum Maßstab zu machen.

        Ich helfe Ihnen mit der Urteilsbegründung aus:

        "Der Grundsatz, dass niemand wegen derselben Tat mehrmals bestraft werden darf (ne bis in idem), beschreibt das Prinzip des Strafklageverbrauchs, das Strafgerichte und Strafverfolgungsorgane als Verfahrenshindernis von Amts wegen in jedem Stadium des Strafverfahrens zu beachten haben. Soweit dieser Grundsatz eine erneute Strafverfolgung aufgrund der allgemeinen Strafgesetze betrifft, ist er durch Art. 103 Abs. 3 GG zum verfassungsrechtlichen Verbot erhoben worden. Dabei gestaltet Art. 103 Abs. 3 GG das zunächst abstrakte Prinzip des Strafklageverbrauchs als grundrechtsgleiches Recht aus. Er gewährt dem Einzelnen Schutz, den dieser als individuelle Rechtsposition geltend machen kann. Dieser Schutz kommt Verurteilten wie Freigesprochenen gleichermaßen zu und steht bereits der erneuten Strafverfolgung entgegen."

    • @Olli P.:

      Schade, dass Sie nicht zu der Expertenanhörung zum Gesetzentwurf



      ( im Netz abrufbar, wenn man ca. 1,5



      Std. für das pro und contra der Wiederaufnahme bei § 211 StGB oder



      vergleichbaren schwersten Verbrechen



      zu hören will) eingeladen waren, das



      Verfahren hätte vermutlich einen anderen Verlauf genommen.

  • Falsch.



    Es stärkt nicht das Vertrauen in den Rechststaat, dass Gesetze erlassen werden - obwohl es von Anfang an Signale aus der Justiz gab, dass der Zusatz nicht verfassungskonform ist.



    Deutliche Signale, der Widerstand war groß.



    Auch den im Fall beteiligten Gerichten war das klar - so wurde der Beschuldigte sofort aus der U-Haft entlassen, als er Verfassungsbeschwerde eingelegt hat.



    Jeder innerhalb der Justiz wusste - keine Chance vorm BVerG.



    So wird es auch bei der Grundsteuerreform sein (zumindest in BaWü - sattelfest ist aber nur Bayern), bein neuen Wahlgesetz...

    • @Romilia:

      Selbst Strafrechtsprofessoren waren der



      Ansicht, das Gesetz sei verfassungskonform. So klar war es dann wohl nicht. Und auch BVerfG-



      Richter ändern durchaus auch mal die



      bisherige Rechtsprechung des Gerichts.

      • @Hubertus Behr:

        Strafrechtsprofessoren sind halt auch nur im Nebenberuf Verfassungsrechtler...

        Davon abgesehen, war doch das Gesetz schon selbstentlarvend. Wenn man den Strafklageverbrauch nur partiell aufhebt, gibt man doch konkludent zu, dass "ne bis in idem" grundsätzlich auch die erfolgLOSE Anklage erfasst. Und wenn schon dieses zweitwichtigste Standbein eines rechtstaatlichen Strafsystems unstreitig betroffen ist, KANN man von Karlsruhe eigentlich keinen Sinneswandel erwarten.

  • Schlechtes Urteil, aber auch schlechte Gegenargumentation, z.B. mit den vier Präzedenzfällen.

    Maßgeblich finde ich, das hier eben keine Doppelverurteilung vorliegt.



    Klar ist: Wer schon wegen Totschlag gesessen hatte, wird wegen derselben Tat nicht wegen später erwiesenem Mord eingelocht. Über das Vorgehen bei vorhergehendem Freispruch - oder ggf. Nicht-Urteil bei gar nicht erst erhobener Anlage - kann ich dem Grundgesetz nichts entlocken.

    • @meerwind7:

      Die Staatsanwaltschaft ist in Deutschland verpflichtet, bei Kenntnisname einer Straftat zu ermitteln und anzuklagen. Zur Zeit des Verfahrens, in den 1980er Jahren, existierte der DNA-Beweis noch nicht, die StA und das Gericht konnten dieses Beweismittel logischerweise nicht einbringen und würdigen.



      Es war also kein "Behandlungsfehler", nach allen Regeln des Prozessrechts haben Gericht und StA damals gut gearbeitet und wenn Jahrzehnte später neue Techniken zur Verfügung stehen, mindert das grundsätzlich nicht die Qualität ihrer Arbeit. Einem Mediziner des Mittelalters wird man kaum vorwerfen können, dass er seine an Pest erkrankten Patienten nicht retten konnte nur weil heute keiner mehr an der Krankheit sterben muss.

    • @meerwind7:

      Eine Verurteilung bedingt gerade nicht einem Schuldspruch und einer Strafe. Jedes Urteil stellt eine Verurteilung dar, auch ein Freispruch. Es geht nur um die Rechtskraft der gerichtlichen Entscheidung und die soll explizit geschützt werden. Dahingehend sind sich eigentlich alle Juristischen Schulen einig.

    • @meerwind7:

      Ein Freispruch ist ebenso ein Urteil wie ein Schuldspruch. Also wird jemand natürlich doppelt ver-urteilt, wenn Gerichte zweimal über eine Anklage urteilen müssen. Was wollen Sie daran nicht begreifen?

    • @meerwind7:

      "Maßgeblich finde ich, das hier eben keine Doppelverurteilung vorliegt."

      Das BVerfG hat hier im Hinblick auf Art. 103, Abs. 3 GG und die durch § 362, Abs. 5 StPO versuchte Aushebelung des Verbots von Mehrfachanklagen hier eindeutig festgestellt, dass der Art. 103 GG uneingeschränkt gilt und der Versuch des Gesetzgebers, dies durch den 2021 eingeführten Abs. 5 des § 362 StPO zu unterlaufen, verfassungswidrig sind.

      Selbstverständlich wäre ein erneuter Prozess ein klarer Verstoß gegen den Grundsatz "ne bis in idem". Denn der mutmaßliche Täter wurde damals vor Gericht gestellt, verurteilt, im Revisionsverfahren vor dem BGH freigesprochen und damit ist das Urteil "Freispruch aus Mangel an Beweisen" rechtskräftig und die Möglichkeit einer weiteren Anklage wegen derselben Straftat verbraucht, außer einer der klar definierten Situationen nach § 362, Abs. 1-4 StPO tritt auf: eine im Verfahren als echt zu Gunsten des Angeklagten vorgelegte Urkunde erweist sich als gefälscht, ein Gutachter oder Zeuge hat zugunsten des Angeklagten bewusst die Unwahrheit gesagt, ein Richter oder Schöffe hat vorsätzlich zugunsten des Angeklagten gegen seine Amtspflichten verstoßen oder der Angeklagte legt aus freien Stücken ein glaubwürdiges Geständnis ab.

      "Über das Vorgehen bei vorhergehendem Freispruch - oder ggf. Nicht-Urteil bei gar nicht erst erhobener Anlage - kann ich dem Grundgesetz nichts entlocken."

      Ein rechtskräftiger Freispruch ist ein abschließendes Urteil! Damit ist die Möglichkeit einer weiteren Strafanklage in derselben Sache verbraucht.

      Eine gar nicht erst erhobene Anklage ist etwas völlig anderes. Hätte der Staatsanwalt damals die Situation so eingeschätzt, dass er die Zweifelhaftigkeit der Beweise erkannt und die Anklageerhebung auf einen späteren Zeitpunkt vertagt hätte, dann hätte er vielleicht etwa 15 Jahre später per DNS-Analyse den Verdacht gegen den Tatverdächtigen erhärten und eine sichere, rechtskräftige Verurteilung erreichen können.

  • Vermutlich in ich nur zu ungebildet dieses Urteil zu verstehen.

    • @Sonnenhaus:

      Denken Sie einmal darüber nach, dass auch Sie einmal eines Verbrechens verdächtigt werden könnten. Natürlich waren Sie es nicht und können es beweisen. Also vollumfänglicher Freispruch. Ein andere Person ist ebenfalls verdächtigt und es spricht alles dafür, dass diese es war. Urteil: Lebenslänglich.



      Damit wäre diese schlimme Episode Ihres Lebens aber nicht vorbei: Der inhaftierte Täter hätte ein immenses Interesse, dass sich irgendwas an Ihren Aussagen als falsch herausstellt oder mit neuesten Techniken herauszufinden, dass sie mit ihrem Fahrzeug doch näher an Tatort waren, was Sie verschwiegen haben.



      Denn eine nachträgliche Verurteilung von Ihnen würde ja bedeuten, dass er es nicht war.

  • Wenn es stimmt, dass in dem zugrunde liegendem Fall, der Verdächtige aus Mangel an Beweisen freigesprochen wurde, wäre das Urteil noch verständlich mit dem Hinweis auf "In dubio pro reo".



    In dem betroffenen Fall kann das aber auch so verstanden werden, dass aufgrund unzureichender Beweise ein Urteil nicht gesprochen werden konnte / dürfte! Und ein Urteil erst nach vorliegen eines Beweises zur Schuld oder Unschuld gesprochen werden kann?



    War also das damalige Urteil eine unzureichende Befassung des Gerichtes mit dem Fall? Vergleichbar mit einem Behandlungsfehler eines Arztes?



    Warum wird in diesen schweren Fällen nicht "obduziert", wie dies z.B. bei verstorbenen Patienten der Fall ist, um einen möglicherweise vorliegenden Behandlungsfehler (Verfahrensfehler) tatsächlich auszuschließen?

    Rechtsfrieden vor Gerechtigkeit gilt so wohl auch auch bei Verfahren gegen ehemalige Schergen des Dritten Reiches? Oder sollten wir für die Wahrung des Rechtsfriedens auf die biologische Uhr vertrauen?

    • @Sonnenhaus:

      "In dem betroffenen Fall kann das aber auch so verstanden werden, dass aufgrund unzureichender Beweise ein Urteil nicht gesprochen werden konnte / dürfte!"

      Der Angeklagte wurde 1982 vom LG Lüneburg wg. Mordes verurteilt. Er legte Revision beim BGH ein, welcher den Fall ans LG Stade verwies. Im Revisionsverfahren wurde der Angeklagte 1983 aus Mangel an Beweisen freigesprochen. Damit war ein rechtskräftiges Urteil gefällt, die Möglichkeit einer nochmaligen Strafverfolgung derselben Person in derselben Sache verbraucht ("ne bis in idem" = nicht zweimal in derselben Sache, wie auch im Art. 103, Abs. 3 GG festgeschrieben).

      Dann wurde 38 Jahre später die Strafprozessordnung geändert und ab dem Zeitpunkt wäre es theoretisch möglich gewesen, in Mordfällen Angeklagte nach dem Auftauchen neuer Beweise noch einmal anzuklagen. Doch zum einen erwies sich, wie die juristische Mehrheitsmeinung bereits zu Bedenken gegeben hatte und gestern auch das BVerfG abschließend urteilte, diese Änderung der Strafprozessordnung (§ 362, Abs. 5 StPO) als verfassungswidrig, weil sie einen Verstoß gegen den o. g. Art. 103 GG darstellt und zum anderen hätte eine erneute Anklage gegen den o. g. Tatverdächtigen ohnehin gegen das Rückwirkungsverbot ("nulla poena sine lege praevia" = keine Bestrafung ohne vorheriges Gesetz) verstoßen, denn als die Tat 1981 verübt wurde, gab es die o. g. Änderung an der StPO noch gar nicht.

      Eine erneute Anklage nach dem rechtskräftigen Freispruch von 1983 hätte also gleich doppelt gegen die Verfassung verstoßen.

      "Rechtsfrieden vor Gerechtigkeit gilt so wohl auch auch bei Verfahren gegen ehemalige Schergen des Dritten Reiches?"

      1. Vor dem Gesetz sind alle gleich. Die Rechtsordnung sieht keine Ausnahmen bei dem Verbot der Mehrfachanklage und des Rückwirkungsverbots vor, auch nicht bei ehemaligen Nazis.

      2. Wer noch nicht angeklagt wurde, kann wegen Mordes selbstverständlich immer noch angeklagt werden. Denn Mord verjährt nicht (§ 78, Abs. 2 StGB).

      • @Olli P.:

        "2. Wer noch nicht angeklagt wurde, kann wegen Mordes selbstverständlich immer noch angeklagt werden. Denn Mord verjährt nicht (§ 78, Abs. 2 StGB)."

        "Rechtsfrieden vor Gerechtigkeit gilt so wohl auch auch bei Verfahren gegen ehemalige Schergen des Dritten Reiches?"

        Vielleicht können Sie mir helfen, das Mord verjährt wurde endgültig erst in den 70igern eingeführt, vorher war die Verjährungsfrist mit 20ig Jahren angesetzt, warum greift nulla poena sine lege praevia hier nicht ?

        • @flaviussilva:

          Tja, weil der Gesetzgeber daher politisch motiviert handelte und das BVerfG wohn nichts dagegen hatte. Allerdings gab es damals einen Aufschrei gegen diese Rückwirkung - im Ausland, die das Gesetz nicht nachvollziehen konnten, wegen des Rückwirkungsverbots. So wurde es uns zumindest von unserem Prof. im Strafrecht Allgemeiner Teil beschrieben. M.A.W. Es war ein Verstoß - aber da es vermeintlich die Richtigen trifft, nicht so schlimm.

  • Leider erwähnt der Kommentator nicht, dass das Bundesverfassungsgericht in diesem konkreten Fall insbesondere und einstimmig die Rückwirkung dieses Gesetzes verneint hat. Selbst wenn das Gesetz Bestand gehabt hätte, wäre bereits seine erste Anwendung rechtsmissbräuchlich gewesen.



    Erwähnenswert ist ebenfalls, dass bereits der Bundespräsident erhebliche Bedenken bei der Inkraftsetzung hatte.

    Das ist das Ergebnis, wenn der Gesetzgeber seine Empörung über einen Einzelfall zum Maßstab eines so schwerwiegenden Eingriffs macht. Dass die Empörung berechtigt ist, macht es nicht besser. Gut gemeint ist eben oft schlecht gemacht.

    Wenn der Gesetzgeber hier ernsthaft Regelungsbedarf sah, dann hätte er das Gesetz mit der gebotenen Sorgfalt und Klarheit formulieren müssen. Er hätte die beabsichtigte Rückwirkung klären müssen. Er hätte eine Anpassung des GG in Betracht ziehen müssen. Die Hürde war dann wohl doch zu hoch, so ernst meinte man es wohl nicht, der Empörung war ausreichend genüge getan, soll die Justiz selbst schauen, wie sie damit zurechtkommt. Genau daran ist das Gesetz jetzt gescheitert.

    Nachlässigkeit und mangelnde Ernsthaftigkeit in der Gesetzgebung dem Bundesverfassungsgericht zum Vorwurf zu machen finde ich schäbig.

    • @Moby Dick:

      Volle Zustimmung. Die Änderung der Strafprozessordnung ist von 2021, da warf der Wahlkampf schon seine Schatten voraus . Frau Merkel (CDU) und Frau Lambrecht (SPD) wollten noch schnell ein paar Stimmen einfangen, und dann ..nach mir die Sintflut, hat wohl Frau Merkel (wie in vielen anderen Fällen auch) gedacht.



      Die damalige Opposition (FD und Grüne) hat die Verfassungsklage unterstützt.

    • @Moby Dick:

      Weil es Herrn Rath nicht um diesen konkreten Fall geht.

      Die Rückwirkung hat nur für den konkreten Fall Bedeutung.

      Herrn Rath geht es um das Grundsätzliche, ganz ohne Empörung.

      • @rero:

        Das mag sein, aber mein Argument ist, dem Gesetzgeber ging es darum, deswegen musste er scheitern.

        • @Moby Dick:

          Das Urteil enthält doch eine grundsätzliche Regelung, die über diesen Einzelfall hinausgeht.

          Das ist üblich, da muss nichts scheitern.

    • @Moby Dick:

      Danke, Sie sprechen mir aus dem Herzen. Ich sehe das ganz genau so!

    • @Moby Dick:

      Bravo sehr gut argumentiert. Normalerweise finde ich die Kommentare in der TAZ sehr lesens- und bedenkenswert. Aber diesmal lag der Kommentar völlig daneben. Die Richtigstellung des BVG in dieser Hinsicht war auch zur Stärkung des GG absolut notwendig.

    • @Moby Dick:

      Vielen Dank für diesen Kommentar auch und insbesondere den letzten Satz. Ich hätte mich nicht getraut von Schäbigkeit zu sprechen, finde es aber zutreffend. Die vom Autor genannten vergleichbaren Eingriffe die ne-bis-in-idem sind prima facie bereits strukturell unterschiedlich. Urteile, die unter Einbeziehung gefälschter Beweismittel zustande kommen oder bei Prozessbetrug, bieten keine ausbeutbare Analogie zu Urteilen, die Ergebnis vollständiger aber möglicherweise für eine Verurteilung nicht hinreichender Einbeziehun aller zugelassener Beweismittel. Das sollte, bei allem Vertrauen auf das eigene Empfinden und das sprichwörtliche gesunde Volksempfinden, einem Kommentator von BVerfG-Urteilen irgendwie auffallen. Bei dem Verweis auf die grundsätzliche Möglichkeit des Eingriffs in verfassungsrechtliche Grundrechte, wenn dieser zum Schutze anderer Grundrechte geschieht, bleibt der Autor die Ausformulierung schuldig, welche anderen durch partielle Aushebelung von ne-bis-in-idem geschützt würden. Ganz zu schweigen davon, warum dann diese vorrangigen Schutz verdienten.

  • Die vor der Einführung von § 362 Nr. 5 StPO bereits bestehenden Ausnahmen waren allerdings schon bei der Entstehung des GG geltendes Strafprozessrecht und wurden schon vom Reichsgericht sehr streng ausgelegt.

    Das Argument, das seien die einzigen akzeptierten Ausnahmen zum ne-bis-in-idem Grundsatz ist deshalb unter Berücksichtigung der Entstehungsgeschichte des GG ziemlich überzeugend. Insoweit ist die Entscheidung des BVerfG weniger überraschend als manche es jetzt glauben machen möchten.

  • Ihre Argumentation, dass eine neue Beweislage eine Wiederaufnahme rechtfertigen würde, halte ich für nicht schlüssig. Die zwei der Vier ausnahmen die Sie hier genannt haben, sind Recht eindeutig zu entscheiden, ob Sie anwendbar sind.



    Aus einer neuen Beweislage folgt nicht gleich, dass die vorhergehende Entscheidung revidiert wird. Mal unabhängig von dem zu Grunde liegenden Fall, bei DNA-Nahme auch Fehler unterlaufen. Bekannt war ja der Fall von der Mitarbeiterin einer Firma, die Wattestäbchen hergestellt hat.



    Die Beweislage müsste auf jeden Fall immer neu von einem Gericht eingeschätzt werden, dass heißt, es würde in irgendeiner Art zu einem Verfahren, dass das macht. Somit könnte theoretisch jeder beliebig oft damit überzogen werden.



    Drehen wir das mal um, nehmen wir an, eine Person wurde unschuldig wegen Mord verurteilt, wird dann nach riesigem Aufwand im Nachhinein frei gesprochen. Danach kommt jemand auf die Idee die Person mit immer weiteren "neuen" Beweisen in solchen Verfahren zu gängeln, weil sie aus welchen Gründen auch immer, an der Schuld der Person überzeugt ist. Das geht so wie es jetzt durch das BVerfG festgestellt wurde nicht.



    Der größere Punkt ist allerdings, dass es Tür und Tor öffnet. Wenn jetzt jemand auf die Idee kommen würde, ein Gesetz zu verabschieden, die Falschinformationen unter Strafe stellt und die selbe Regelung anwendet, sollten Ihnen als Journalist die Konsequenzen eigentlich klar sein.



    Wenn sie dagegen vors BVerfG ziehen, wird es für die schwierig das zu kippen, weil bei anderen Tatbeständen ist es ja auch erlaubt.

  • ich bin mir ganz sicher das die Richter sich deutlich mehr Gedanken zu diesem Thema machten als wir Leser oder auch der Autor dieser Meinungsäußerung.



    Da es zum Glück nicht häufig passiert das ein Mörder frei gesprochen wird muss man dem Recht im Allgemeinen auch mal der Gerechtigkeit im Besonderen den Varrang geben.



    Denn wenn ein Freispruch nicht mehr Freiheit bedeutet, sondern nur "in dieser Runde hast du gewonnen. Wir sehen uns dann nächstes Jahr wieder, vielleicht." wäre das Rechtssystem völlig ausgehölt

  • Eine gefaelschte Urkunde ist aber nicht zu vergleichen mit noch nicht verfuegbarem technischen Fortschritt.

    Es ist auch unerheblich ob das (vorerst) nur fuer Mord gelten soll, wenn es um grundlegende Prinzipien unseres Rechtsstaats geht. Warum nicht bei Mord die Beweislast umkehren? Aber nur bei Mord bitte...

    Und, dass ein Gestaendnis eben keine Mehrfachverfolgung ist, sollte auf der Hand liegen.

    Wir sehen doch in GB sehr schoen, was passiert, wenn man sich selbst belasten muss. Mit solch einer Aushoehlung des Rechtsstaats duerfen wir erst garnicht anfangen. Sonst sind wir irgendwann an dem Punkt, an dem der Rechsstaat nur noch fuer Bagatelldelikte gilt.

  • Irrsinn. Vor allem, wenn ein mutmasslicher Mörder aus Mangel an Beweisen freigesprochen wird und dann finden sich aus irgendeinem Grund doch Beweise.

    Oder die Beweismethoden werden verbessert und es ergibt sich doch ein entscheidender Hinweis.

    Da sind also die Richter und Spurensucher vielleicht unfähig und lassen einen dann ggf. nachträglich nachgewiesenen Mörder frei laufen?

    Angenommen, man findet also einen Tag nach einem falschen Urteil doch das blutige Messer unterm Bett des Täters?

    Irrsinn.

    • @Mitch Miller:

      "Angenommen, man findet also einen Tag nach einem falschen Urteil doch das blutige Messer unterm Bett des Täters?"

      1. Dann erst einmal zu klären, ob es sich um die Mordwaffe handelt, ob es dem Täter gehört und wie es unters Bett gelangte.

      2. Die Ermittlungsbehörden (hier: Polizei und Staatsanwaltschaft) müssten sich in solch einem Fall sehr viele sehr peinliche Fragen nach der eigenen Ermittlungskompetenz stellen lassen.

      3. Ein Urteil vom Vortag ist, wenn nicht von Seiten der Staatsanwaltschaft sofortiger Rechtsmittelverzicht erklärt wurde, noch nicht rechtskräftig und daher könnte der Staatsanwalt ein Revisionsverfahren vor dem BGH anstrengen. Ob der BGH dann das neue Beweismittel zulässt, ist allerdings sehr fraglich; ich halte es für eher unwahrscheinlich.

    • @Mitch Miller:

      Der Grund hierfür ist, dass eine Anklage der Staatsanwaltschaft nur dann stattfinden soll, wenn die Staatsanwaltschaft glaubt, den Prozess auch zu gewinnen.



      „ Ein hinreichender Tatverdacht liegt vor, sofern die vorliegende Beweissituation die Verurteilungschance des Beschuldigten wahrscheinlicher als seine Freisprechung erscheinen lässt.“

      www.uni-potsdam.de...es-strafverfahrens

      Sonst könnte die Staatsanwaltschaft eine Anklage ja mal versuchen, wenn sie denkt, dass es schon klappen könnte. Und wenn nicht, dann wird halt nochmal ermittelt. So muss die Staatsanwaltschaft zuerst bis zum Ende alles ermitteln, bis sie sicher ist, dass es nichts mehr zu ermitteln gibt, oder die Ermittlungsergebnisse definitiv ausreichen. Wenn die Staatsanwaltschaft glaubt, dass es die Beweislast noch nicht für eine Verurteilung reicht, muss sie eben weiter ermitteln, oder warten, bis neue Beweise auftauchen. Man stelle sich vor, es gibt bei einem im Dorf einen ungeklärten Mordfall und alle 2 Jahre „erinnert“ sich ein Zeuge an etwas neues und ein ambitionierter Staatsanwalt ermittelt jedes mal aufs Neue gegen einen. Natürlich kann es Situationen geben, in denen die Beweise erst Jahre oder Jahrzehnte später auftauchen, aber zumindest Zeugenaussagen sind dann wohl nicht mehr so akkurat. Dann könnte ein fälschlicherweise Angeklagter auch nie mit dem Fall abschließen, weil vielleicht „erinnert“ sich der Nachbar ja in 5 Jahren nochmal an etwas Neues und alles beginnt von vorne….

    • @Mitch Miller:

      Irrsinn ist in ihrem Beispiel eher, dass ein Mensch ohne hinreichende Beweise überhaupt angeklagt wurde.



      Sie gehen apriori davon aus, dass die Behören immer schon den richtigen in Verdacht haben, es aber nur an Beweisen mangelt. Aber was ist, wenn ein Unschuldiger auf der Anklagebank sitzt? Den könnten sie trotz seiner Unschuld quasi unbegrenzt oft mit neuen Verfahren in gleicher Sache überziehen. Und hier liegt das Missbrauchspotential.

      • @AndyP:

        Wenn immer alles von Anfang an so



        klar wäre, brauchte man keine Beweisaufnahme. Im übrigen entscheidet nicht die Behörde(StA) über



        Die Anklageerhebung, sondern das Gericht nach Überprüfung der vorgelegten Beweise, die in der Hauptverhandlung sich plötzlich anders darstellen können, zB wenn Zeugen ihre



        Aussagen korrigieren oder widerrufen.

    • @Mitch Miller:

      Aus diesem Grund sollten Verfolgungsbehörden nur dann Anklage erheben, wenn ausreichend Beweise vorliegen und Gerichte den Prozess nur eröffnen, wenn eine hinreichende Aussicht auf Verurteilung besteht.



      Durch die Aushebelung des Grundrechts auf Mehrfachbestrafung hätten Staatsanwaltschaften problemlos auch mit sehr wenig Beweislast anklagen können, da man im Nachhinein ja bei jedem neuen Beweis wieder neu hätte anklagen können. Und bei Mord bedeutet das für den Verdächtigten jeden mal wieder lange Untersuchungshaft und ein zerstörtes Leben, selbst wenn er letztendlich wirklich unschuldig ist. Insofern kann ich das Urteil absolut nachvollziehen. Auch bei kleineren Straftaten und Vergehen würde kein Bürger Verständnis dafür haben, wenn er nach einem Freispruch ständig wieder in der gleichen Sache neu angeklagt würde. Die Art der Straftat ändert am Unrecht nichts.

    • @Mitch Miller:

      Die Mehrfachverfolgung wird in anderen Ländern gerne verwendet, um "Feinde" fertigzumachen.



      Oder die Staatsanwaltschaft haut mal probeweise Anklagen raus, bervor überhaupt fertig ermittelt wurde.







      Da kann der Staat alle Nase lang behaupten, man habe da was Neues und dann war halt doch nix, sorry.



      Und sagen Sie jetzt nicht das wäre kein realistisches Szenario.

      Einfach mal vorher nachdenken, warum es so ein Verbot überhaupt geben könnte.

      • @Sonntagssegler:

        Man soll ja jetzt auch nicht wegen jeder kleinen Änderung der Beweislage wieder neu anklagen dürfen. Sollte nur gehen wenn eben mit der Neuanklage es mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer Verurteilung kommt wie eben DNA Spuren am Opfer, die stark darauf hindeuten, dass man es war und auch nur bei Mord. Für 99,9% der Fälle soll sich so nix ändern. Das ist ja schon, wie auch gesagt, nur recht selten, dass es zusowas kommt.

        • @Philipp Petsch:

          Und weil es so äußerst selten ist, sollte man es auch lassen. Der Rechtsgrundsatz des Verbots der Mehrfachverfolgung ist der Gesamtheit dienlicher als ein einzelner Fall. Die StA kann auch ggf. die Anklage unterlassen…

        • @Philipp Petsch:

          Das mag heute so kolportiert werden, aber alles was von Einschätzungen und Wahrscheinlichkeiten abhängt, kann sich beunruhigend schnell ändern.

          So wie bereits dieses Gesetz bereits nicht geschrieben wurde um ein echtes Problem zu lösen, sondern um in populistischer Manier und aus aktuellem Anlass ein wenig Theaterdonner zu erzeugen.