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Illegales Autorennen in LudwigsburgMänner mit Mercedes im Kopf

Ein Raser hat am Donnerstag zwei unbeteiligte Frauen getötet. Mutmaßlich war es ein illegales Rennen. Im Netz zeigen Videos die PS-getriebene Männlichkeit.

Schwarzer Lack, auffällige Felgen: der beim Unfall zerstörte Mercedes S-Klasse des verhafteten 32-Jährigen Foto: Andreas Rometsch/KS-Images.de/dpa

Berlin taz | Das Video dauert nur 18 Sekunden. Es zeigt ein auf Hochglanz gebrachtes schwarzes Mercedes-S-Coupé von allen Seiten in einer Werkstatt stehend. „Mercedes kann nicht mit anderen Autos verglichen werden“, sagt ein Mann im Off auf Türkisch. Einen Mercedes könne auch nicht jeder fahren. „Der Mann, der in einen Mercedes einsteigt, muss auf sich selbst aufpassen“, hört man weiter. Er müsse die Atmosphäre dieses Autos widerspiegeln – beim Sprechen, beim Sitzen, beim Stehen. Dann sieht man für wenige Sekunden die schwarze Limousine in nächtlicher Fahrt, gefilmt aus einem daneben fahrenden Auto. Der Fahrer lächelt.

Allein schon dieser kurze Schnipsel des Videos ist ein Mahnmal deutschen Autowahns. Er zeigt, wie weit die von der Autoindustrie allgemein und hier von Mercedes im Speziellen verbreitete Ideologie der Überlegenheit durch Technik sich in die Köpfe gefressen hat. Doch das ganze Video geht weit über diesen Aspekt hinaus.

Denn im Hintergrund taucht für den Bruchteil einer Sekunde ein weißes X an einer Fassade auf. Es ist die Werkshalle der Gleason-Pfauter Maschinenfabrik an der Schwieberdinger Straße in Ludwigsburg. Exakt die Straße, auf der am Donnerstag zwei junge Frauen offenbar in Folge eines illegalen Autorennens von zwei Mercedes-Fahrern ums Leben gekommen sind. Nur 350 Meter weiter stadtauswärts.

Das Video wurde Anfang Februar auf Instagram und Facebook gepostet – von einem Betreiber einer Kfz-Werkstatt in Ludwigsburg. Laut Medienberichten von RTL, Bild und anderen handelt es sich dabei um den 32-Jährigen, der am Donnerstag den Unfall verursacht hat.

Laut Polizei hatten sich auf der Schwieberdinger Straße zwei Fahrzeuge mutmaßlich ein Rennen mit überhöhter Geschwindigkeit geliefert. Einer der beiden rammte einen aus einer Tankstelle kommenden Ford Focus. Darin saßen zwei junge Frauen, die mit den Rasern nichts zu tun hatten. Sie starben noch am Unfallort.

Die beiden als Rennautos missbrauchten Pkws waren laut Polizei Mercedes-S-Klassen. Fotos vom Unfallort zeigen einen völlig zerstörten schwarzen Wagen. Er hat die gleichen auffälligen Felgen wie das Auto im eingangs erwähnten Video – mit sechs sternförmig zum Rand reichenden rechteckigen Aussparungen. Ähnlich sieht das zweite am mutmaßlichen Rennen beteiligte Fahrzeug aus, das verlassen auf einem Parkplatz nur wenige Meter vom Unfallort entfernt gefunden wurde: ein schwarzes Mercedes-Coupé, nur die Felgen sind anders.

Laut autozugewandten Medien wie der Bild handelt es sich um spezielle Varianten der Mercedes-Tochter AMG, die sich um die stark motorisierten Modelle des Konzerns kümmert. Ein Fotovergleich der taz bestätigt das.

Fahrprogramm „Race“

Das neuste Modell des Mercedes AMG S 63 ist laut Eigenwerbung mit einem „charakterstarken“ Motor ausgestattet samt „auf Motorsport-Technologie basierendem Hybridsystem“. „Über Tasten lassen sich die verschiedenen Fahrprogramme wählen“, heißt es weiter. „Sie haben die Zügel in der Hand. Oder geben sie eben einfach frei.“

Diese Fahrprogramme in AMG S63, die „die Charakteristik der Modelle umfangreich beeinflussen“, tragen Namen wie „Comfort“, „Sport“ oder „Sport+“. Einige Modelle verfügen über ein zusätzliches mit dem vielsagenden Namen „Race“. Das sei „für hochdynamische Fahrten auf abgesperrten Rennstrecken. Hier sind alle Parameter auf maximale Performance getrimmt“, heißt es in der AMG-Eigenbeschreibung. Hier „beschleunigt das Fahrzeug mit optimaler Traktion. Der Sprint von null auf 100 km/h absolvieren Coupé und Cabriolet dann in 3,5 Sekunden.“ Das ist ein Wert, den ansonsten nur Sportwagen à la Porsche, Ferrari oder Lamborghini erreichen. Der durchschnittliche Kleinwagen liegt eher im Bereich von 10 bis 20 Sekunden.

Die Schwieberdinger Straße in Ludwigsburg ist nicht abgesperrt. Aber als Rennstrecke wird sie offenbar regelmäßig genutzt – das wird von offenbar Ortskundigen in einigen Onlineforen erwähnt. Die vierspurige Straße führt über fast zwei Kilometer schnurgerade aus der Stadt hinaus Richtung Autobahn. Sie wirkt wie eine Einladung für das Fahrprogramm „Race“.

Der deutscheste aller Werte: Männlichkeit ohne Tempolimit

Der 32-jährige Unfallraser sitzt sei dem Wochenende in Untersuchungshaft, ihm wird verbotenes Kraftfahrzeugrennen mit Todesfolge in zwei Fällen vorgeworfen. Die Polizei hat nach Angaben vom Montag mittlerweile eine zweite tatverdächtige Person ermittelt, die im zweiten Mercedes am Steuer gesessen haben soll. Festgenommen wurde sie nicht.

Das Geschlechterproblem

Statt der PS heben die üblichen Rechten auf einschlägigen Social-Media-Kanälen vor allem den Migrationshintergrund des Fahrers hervor. Dabei spricht sein Werdegang für bestens gelungene Integration. Eine temporeiche Karriere vom Autoschrauber beim Daimler, was zur regionalen Identifikation im Schwabenland rund um Ludwigsburg gehört, eine Entwicklung hin zum Gaspedalero, der den deutschesten aller Werte verinnerlicht hat: Männlichkeit ohne Tempolimit.

Tatsächlich ist Raserei ein Geschlechterproblem. Das hat gerade erst der Ökonom und Männerberater Boris von Heesen in einem Spiegel-Interview dargelegt. „Diesen Männern geht es um Status, um Leistung und um Autarkie. Und die wird durch nichts besser erzielt als durch die Metallrüstung, mit der sie sich umgeben. Sie soll glänzen und ihre vermeintliche Vormachtstellung zeigen. Das Auto ist ein Werkzeug, um das Patriarchat am Leben zu halten“, sagt von Heesen. Die Zahlen geben ihm recht. Laut Statistischen Bundesamt wurden im Jahr 2023 fast 70 Prozent aller Unfälle durch Männer verursacht. Bei Straftaten im Straßenverkehr ist das Verhältnis laut von Heesen sogar noch ausgeprägter – 84 Prozent Männer!

Auch in der türkischen Community von Ludwigsburg hat der Unfall Entsetzen ausgelöst. Die Menschen trauern um die beiden verstorbenen Frauen. Die örtliche Ditib-Moschee postete auf Facebook eine Traueranzeige für „unsere lieben Gemeindemitglieder“. Darunter finden sich hunderte Beileidsbekundungen. Einige fordern auch eine harte Strafe für den Fahrer. Einer schreibt, dass der 32-Jährige, statt selber Vorbild zu sein, sich wie ein Kind verhalten habe. Das mache ihn sprachlos.

Sprachlos macht auch noch ein weiteres Video auf dem Instagram-Kanal des Ludwigsburger Autopolierers. Es wurde auf einer dreispurigen Autobahn offenbar vom Fahrer eines schwarzen Mercedes mit dem Handy gefilmt – was an sich schon verboten ist. Zunächst ist rechts neben ihm auf der mittleren Spur ein offenes Cabrio zu sehen. Dessen Fahrer schaut kurz rüber, beschleunigt dann, zieht im zäh fließenden Verkehr vor den filmenden Fahrer auf die linke Spur, nur um sich gleich danach auf die mittlere Bahn vor einen schwarzen Mercedes zu setzen. Zickzack auf der rappelvollen Autobahn. Der überholte Mercedes-Fahrer lässt sich zurückfallen und grinst nun rüber in die Handykamera. Man kennt sich offenbar.

Der filmende Fahrer grüßt zurück – mit ausgestrecktem Mittelfinger.

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8 Kommentare

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  • "sagt ein Mann im Off auf Türkisch. [...]



    Allein schon dieser kurze Schnipsel des Videos ist ein Mahnmal deutschen Autowahns. "

    Ich sag dazu nix und hol mir schon mal Popcorn 🍿



    😄😁

  • Aderer Fall



    "zwei Jahre und fünf Monate Haft wegen eines verbotenen Kraftfahrzeugrennens mit Todesfolge und Straßenverkehrsgefährdung." ... Die Staatsanwaltschaft hatte den Mann ursprünglich wegen Totschlags angeklagt, konnte sich aber mit diesem Vorwurf nicht durchsetzen. Einen Tötungsvorsatz sahen die verschiedenen Strafkammern nicht. Der angeklagte Deutsche hatte vor dem Unfall seinen Wagen illegal auf rund 575 PS getunt. Das Fahrzeug hätte dadurch sogar Tempo 330 erreichen können."

    Tja

  • Das ist nichts anderes als Mord! Mir soll keiner Erzählen das man mit diesen verhalten den tot anderer Menschen nicht billigend in kauf genommen wird. Wenn jemand jetzt schreibt die Tatbestandsmerkmale von Mord sind aber andere, dann finde ich es sollte ein Gesetz erlassen werden, das diese Tatbestandsmerkmale dessen Strafen gleichgesetzt werden, wie Mord!

  • Ich frage mich manchmal was eigentlich Blutrünstiger ist: die römischen "Gladiatorenspiele" oder der dt Autofetisch.







    Denn immerhin, technisch gesehen gibt es genügend Möglichkeiten Autorennen, Tempowahhn und die allermeisten Verkehrsunfälle zu verhindern:







    - Tempolimits



    - elektronische Maßnahmen zur Tempobegrenzung



    - Überwachung des Verkehrschehens per Drohne



    - auch Lärmblitzer würden dazu beitragen



    - oder wenigstens rigorosere Strafen, wie in den meisten anderen europäischen Ländern.

    Nur gibt es von Seiten der Politik offensichtlich andere Prioritäten.. Und so traurig das ist, wahrscheinlich muß erst irgendein Promi tot gefahren werden, damit die Politik in diesem Land mal aufwacht und in der Realität ankommt...

  • Vielleicht brauchen wir mehr Raserauto-Verbotszonen. Ein Poser-Auto oder auch nur ein präsenil gesteuerter SUV ist lebensgefährlich, leider.

  • Mal abgesehen davon, dass ich 50% zu hohe Geschwindigkeit gerne als Straftat sehen würde.



    70% der Unfälle passieren Männern. Der Zulassungsanteil von PKWs von Frauen beträgt 32%. Gar nicht so aussagekräftig wie beschrieben.

    • @Littleneo:

      Halter nicht gleich Fahrer.

  • Der Artikel lässt die Eigenverantwortlichkeit des Fahrers/der Fahrer völlig außer acht.

    Mit 32 ist man erwachsen und intelligent genug um zu wissen, dass man bei überhöhter Geschwindigkeit Unfälle verursachen und Menschen töten kann.