Waffenlieferungen in die Ukraine: Grüne in Erklärungsnot
In Rekordtempo legen die Grünen eine Kehrtwende hin. Sie sollten zu ihren früheren Fehleinschätzungen stehen.
E s ist nicht einmal acht Wochen her, da erklärte Außenministerin Annalena Baerbock im Brustton der Überzeugung, dass Deutschland aus „historischer Verantwortung“ keine Waffen an die Ukraine liefern könne. Nichts, was schießt, solle in Krisen- und Kriegsgebiete geliefert werden, „weil Diplomatie der einzig gangbare Weg ist“. Punkt. Inzwischen fordert Baerbock schwere Waffen für die Ukraine.
Der grüne Ober-Linke Toni Hofreiter rattert derzeit Vor- und Nachteile von verschiedenen Waffentypen auf, als sei er Repräsentant eines Rüstungsunternehmens. Und nebenbei behauptet er einfach so, nicht seine Prinzipien oder Gesinnung, sondern „die Realität“ habe sich geändert. Das ist verwunderlich, denn natürlich hat es auch vor dem Angriff auf die Ukraine Kriege gegeben, deren Realität unerträglich war – in Syrien etwa oder als der IS einen Genozid an den Jesid*innen verübte.
Natürlich haben die Grünen eine Kehrtwende vollzogen, und zwar in atemberaubender Geschwindigkeit. Im grünen Wahlprogramm und auch im Koalitionsvertrag steht das Gegenteil vom derzeitigen Regierungshandeln. Nur scheint kein Grüner aus der ersten Reihe den Mut zu haben, zuzugeben, dass die eigenen Positionen falsch waren. Und vor allem: Überhaupt mal öffentlich zu erklären, wie es zu der Kehrtwende von „nichts, was schießt“, zu „alles, was schießt“, gekommen ist, wie man sie begründet.
Was bedeutet jetzt historische Verantwortung für die grüne Spitze? Wie soll künftig das außen- und sicherheitspolitische Konzept aussehen? Mehr Schutzverantwortung und weniger Raushalten? Eine radikale Abkehr von den Ostermarsch-Teilen der Wählerschaft? Die Einsicht, dass man einen Völkermord nicht mit einer Friedenstaube auf der Schulter verhindern kann, ist ja nicht falsch.
Doch wer einen Führungsanspruch erhebt und sich auf dem Weg zu einer Volkspartei wähnt, der sollte eine Zäsur der bisherigen Politik auch angemessen vermitteln und im Zweifel Fehler zugeben. Das würde die Grünen angenehm von der SPD und der Union unterscheiden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Der Check
Verschärft Migration den Mangel an Fachkräften?
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“