Verkehrspolitik und Mobilitätswende: Albtraum Auto

Teuer, schmutzig, laut: Das System des individuellen Kraftfahrzeugs ist ein Auslaufmodell. Eine Verkehrswende ist dringend nötig.

Zeichnung von Menschen auf Fahrrädern, zum Teil mit Gepäckkörben

Foto: Illustration: Katia Gendikova

Das geht nicht, dachte sich ein Autofahrer, der sich in seiner automobilen Freiheit beschränkt sah, als ihm nur noch zwei anstatt drei Fahrstreifen zur Verfügung standen. In erster Instanz wurde seine Klage positiv beschieden, der Berliner Senat muss seine Begründung überarbeiten.

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Hintergrund ist, dass die Einrichtung einer sicheren Radinfrastruktur laut StVO einen besonderen Grund haben muss. Die Tatsache, dass derzeit fast 60 Prozent der Verkehrsflächen von Kraftfahrzeugen genutzt werden und dem 3 Prozent für Radverkehrsanlagen gegenüberstehen, reicht nicht. Das Verwaltungsgericht monierte somit, dass die von der StVO geforderte „spezielle Gefahrenlage“ nicht klar dargelegt sei; die neuen Radwege seien wieder abzubauen. Die allgemeine Gefahrenlage (dieses Jahr sind zum Beispiel bereits 14 RadfahrerInnen in Berlin getötet worden) reicht nicht.

Wie hat sich der Autoverkehr eigentlich den enormen Raum verdient, der ihm allerorten zugesprochen wird? Vielleicht durch Steuern?

Nein. Autofahrer bezahlen für nicht einmal die Hälfte aller von ihnen verursachten Kosten. Den Rest zahlen alle – also auch Radfahrer, Fußgänger oder Nutzer des öffentlichen Verkehrs. Denn wer bei den Kosten des Kfz-Verkehrs nur an den Bau und Erhalt von Straßen denkt, vergisst einiges: Bau und Unterhalt von Parkplätzen, Straßenreinigung, Straßenbeleuchtung und Straßenentwässerung, erhebliche Mehraufwendungen bei Feuerwehr, Polizei, Wirtschaftsförderung, Grünflächenämtern und städtischen Bauhöfen.

Je nach Kommune sind bei Einrechnung dieser Nebenkosten laut Verkehrsclub Deutschland (VCD) nur 15 bis 45 Prozent der Kfz-Ausgaben durch Einnahmen gedeckt. Jeder Bürger finanziert somit den städtischen Autoverkehr mit durchschnittlich 150 Euro pro Jahr mit. Und darin enthalten sind noch nicht einmal die Unfallfolgekosten von knapp 30 Milliarden Euro im Jahr, die kapitalisierbaren Umweltkosten und die gesundheitlichen Schäden etwa durch Lärm- und Feinstaubbelastung!

Anders als die gefühlte Wirklichkeit vermuten ließe, sind Autofahrer also nicht die Melkkühe, sondern die Schmarotzer des Systems.

Und haben ungewöhnliche Rechte. Wer käme etwa auf die Idee, seinen Kleiderschrank auf die Straße zu stellen, sich dort ab und an ein frisches Hemd zu holen und zu glauben, darauf ein kostenfreies Anrecht zu haben? Autofahrer hingegen stellen millionenfach ihre Stehzeuge (gefahren wird so ein Auto durchschnittlich lediglich eine Stunde pro Tag) kostenfrei in unmittelbarer Nähe ihrer Wohnung ab. Sie beherrschen so das Stadtbild, behindern die Mobilität andere Verkehrsteilnehmer (besonders von Menschen, die mit einem Rollstuhl oder Kinderwagen unterwegs sind) und blockieren schlicht Raum. Gesellschaftlich ist das akzeptiert, gilt als normal und ist legal.

Wie wäre es mit einem Bewusstseinswandel – und einer Neufassung des entsprechenden Paragrafen 12 StVO, der festlegt, wann das Halten und Parken von Kraftfahrzeugen unzulässig ist. Parken könnte zum Beispiel grundsätzlich verboten sein, es sei denn, es wird anhand von Schildern ausdrücklich erlaubt. Zugleich wäre es im Sinne der Gleichbehandlung von Mietern und Auto­fahrern angemessen, die Parkgebühren dem ­örtlichen Mietspiegel anzupassen; schließlich geht es um die private Nutzung öffentlichen Raumes.

Was würde das konkret bedeuten: In Berlin beträgt der Quadratmeterpreis einer Mietwohnung derzeit durchschnittlich 13,56 Euro. Bei einer Parkplatzgröße von 12 Quadratmetern und einer durchschnittlichen Wohnhausgröße von sechs Stockwerken ergäbe sich als monatlicher Mietpreis für einen Parkplatz in mittlerer Lage ein Betrag von 976,32 Euro. Das entspricht einer täglichen Gebühr von 32,54 Euro und einem Stundentarif von 1,36 Euro. Nicht eingerechnet sind hier die anteiligen Kosten für Reinigung und Beleuchtung des Parkplatzes, sodass eine Gebühr von 1,5 Euro pro Stunde zumindest ­kostendeckend wäre. Deutlich platzsparender, im öffentlichen Raum schöner und der Lagerung ungenutzter Dinge angemessener wären stattdessen privat finanzierte Tiefgaragen.

Aber wie soll das denn gehen?, heißt es in hitzigen Diskussionen stets, Auto fahren ist ohnehin schon so teuer, und es sind doch so viele Menschen auf das Auto angewiesen! Dass Auto fahren auch für den Autofahrer teuer ist, stimmt. Der ADAC hat vorgerechnet, dass selbst der günstigste Kleinwagen (ein Citroën C1 VTi 72 Stop&Start) zusätzlich zum Anschaffungspreis ganze 331 Euro im Monat, also fast 4.000 Euro im Jahr kostet. Nur mal so zum Vergleich: Eine Jahreskarte für den Berliner ÖPNV kostet im Abonnement 728 Euro. Und der Unterhalt eines Fahrrads vielleicht 200 Euro. Wer also mit Rad und ÖPNV fährt, hat jährlich noch mehr als 3.000 Euro gespart und, selbst wenn er diese in Mietautos und Taxifahrten investiert, immerhin den Parkraum entlastet.

Und wer genau ist eigentlich auf das Auto angewiesen? Längst nicht jeder. Ganze 60 Prozent aller mit dem Auto zurückgelegten innerstädtischen Wegstrecken sind kürzer als 5 Kilometer – und damit für die meisten Menschen gut zu Fuß oder mit dem Fahrrad zu bewältigen. Zumal wenn es dank guter Infrastruktur mehr Spaß machen würde!

Aber ist es denn überhaupt nötig, das Auto in die Defensive zu drängen? Zumindest bei den erhitzten Diskussionen in Leserbriefspalten könnte der Eindruck entstehen, das Auto führe ohnehin nur noch ein unterdrücktes Nischendasein und müsse seine letzten Räume verteidigen.

Fakt ist indes, dass am 1. Januar des Jahres 2020 rund 47,7 Millionen Fahrzeugen in Deutschland zugelassenen waren – das sind 6 Millionen mehr als zehn Jahre zuvor und ist insgesamt der höchste Wert aller Zeiten. Das Sterben des Autos zeigt sich also an seinem konstanten Wachstum.

Und das nicht nur in der Anzahl, sondern auch in der Größe – mit dem Alter geht das Auto immer mehr in die Breite. Der VW Golf zum Beispiel war bei seiner Entwicklung 1974 noch 17 Zentimeter schmaler als 2019. Und ist dennoch noch ein Hänfling im Vergleich zu den als SUV bezeichneten modernen Minipanzern, die inzwischen ein Fünftel der Neuzulassungen ausmachen.

Wobei der SUV ein schönes Beispiel für Handlungsmöglichkeiten der Politik ist. So ein Gefährt hat nämlich für den Insassen durchaus Vorteile. Man sitzt schön hoch, bequem und sicher – für die individuelle Kaufentscheidung ist das wichtig. Zugleich sind SUVs allerdings aufgrund ihrer Größe und Geometrie für alle anderen Verkehrsteilnehmer gefährlicher als herkömmliche Pkws.

Radfahrer und Fußgänger etwa prallen bei Unfällen gegen harte Strukturen, besonders Kinder können dabei schwer verletzt werden. Zudem stürzen Menschen, die von einem SUV angefahren werden, häufig deutlich ungünstiger auf den Boden, als wenn sie von einem anderen Fahrzeug getroffen werden. Auch Pkw-Insassen werden bei einem Zusammenstoß mit einem SUV schwerer verletzt als beim Zusammenstoß mit einem Auto derselben Gewichtsklasse.

Diese Ergebnisse sind übrigens nicht selbst ausgedacht, sondern beim ADAC nachlesbar. Kauf und Nutzung solcher gesellschaftlich dysfunktionalen Gefährte auch noch etwa durch das Dienstwagenprivileg zu fördern ist politisch fragwürdig.

Denn es bringt zwar Freude, Dinge im Konsens lösen zu können. Ein realistischer Blick auf unsere Straßen zeigt jedoch, dass eine Verkehrswende ohne mutige Entscheidungen nicht funktio­nieren wird. Eine davon wäre, alle Verkehrsmittel zunächst rechtlich zumindest gleichzustellen: Durch grundlegende Änderungen in StVO und StVG würden zukunftsträchtige, gesunde und ökologische Mobilitätsformen wie das Radfahren und Zu-Fuß-Gehen als Verkehr anerkannt werden, deren Flüssigkeit und Sicherheit gewährt werden muss. Zudem könnte die Subventionierung individueller Mobilitätsformen eingestellt werden.

Dazu gehören die Einstellung des Dienstwagenprivilegs, eine durchgängige Parkraumbewirtschaftung und eine Verlagerung der durch Automobilität verursachten, derzeit von der Gesellschaft getragenen Kosten auf deren Verursacher. Die frei werdenden Gelder könnten in den Ausbau einer modernen Umweltverbund-Infrastruktur fließen. Und nicht zuletzt würde eine innerstädtische Geschwindigkeitsbegrenzung auf 30 Stundenkilometer bedeuten, dass Unfallzahlen gesenkt, Umweltschäden verringert würden und der Verkehrsfluss gefördert würde – schließlich verlangt ein langsameres Tempo weniger Sicherheitsabstand und erlaubt somit mehr Fahrzeuge auf der gleichen Fläche im Fließverkehr.

Eine Verkehrswende, die diesen Namen verdient, würde zum einen Rad- und Fußverkehr nicht mehr als Resterampe für übrig bleibenden Platz und übriges Geld ansehen, und zum anderen nach vierzig Jahren des Spardiktats den öffentlichen Verkehr wieder als das Rückgrat jeder Infrastruktur begreifen. Das Auto jedoch kann nicht flächeneffizient organisiert werden, es ist teuer, schmutzig, laut, gefährlich – und deshalb ein Auslaufmodell.

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ist Politikwissenschaftlerin und Autorin. In ihrem Buch „Straßenkampf“ untersucht sie Zustand und Zukunft des Radverkehrs in Deutschland (Ch. Links Verlag, 2020).

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