Über die Annäherung an den Gegner: Wie man SUV-Fahrer:innen anspricht
Da fasst man endlich den Mut, eine SUV-Fahrerin nach der Wahl ihres Fahrzeugs zu befragen, aber dann stellen sich doch Zweifel am Vorgehen ein.
K ürzlich fragte ich eine Frau, die neben ihrem SUV telefonierte, warum sie so ein Auto fahre. Das Auto war die Mutter aller SUVs, es war so groß, dass die Autos daneben wie alberne Spielzeuge aussahen. Die Frau war mittelalt und aufwendig geschminkt. Ich war gerade aus einer Schneiderei gekommen und hörte, wie sie ins Telefon sagte, dass sie unglaublich dankbar wäre, wenn sie Klebemittel für Wimpern bekäme. Das Telefonat wirkte ein bisschen unwirklich, so wie das Auto, aber es machte die Frau auch nahbar, weil in ihrem Leben der gleiche Mangel an Organisiertheit aufschien wie in meinem.
„Entschuldigung“, sagte ich zu ihr, „darf ich Sie etwas zu Ihrem Auto fragen?“ – „Habe ich falsch geparkt?“, fragte sie. – „Nein, das heißt, ich weiß es nicht“, meinte ich, „aber mich regen die SUVs wahnsinnig auf und statt sie aus der Ferne böse anzusehen, wollte ich schon lange jemanden fragen, warum man so ein Auto fährt.“ Während ich es sagte, war mir bereits klar, dass das keine einladende Frage war.
„Es ist nicht mein Auto“, sagte die Frau, „es gehört einem Freund und er hat es mir geliehen, weil meins in der Werkstatt ist. Ich habe eine Bäckerei und brauche ein Auto, mit dem ich Dinge transportieren kann.“ Aber dann drehte sich das Gespräch und die Frau wurde zornig: „Wieso fragen Sie mich das“, fragte die Frau, „wenn Sie die SUV-Fahrer eh hassen?“ – „Ich habe ja nicht hassen gesagt, ich habe gesagt: Sie regen mich auf.“ Wir stritten kurz darüber, was ich gesagt hatte und ich versuchte es mit etwas Diplomatischem: „Ich habe Sie gefragt, weil Sie sympathisch aussehen, sonst hätte ich mich nicht getraut.“
Die Frau blieb unbeeindruckt. „Die Regierung müsste die SUVs verbieten, sonst werden sie auch gefahren“, sagte sie, und ich dachte, dass sie die Sache damit auf den Punkt gebracht habe. Da merkte ich, dass hinter uns jemand stand: Es war der Änderungsschneider, mit dem ich befreundet bin, und plötzlich wurde mir klar, dass er auch mit der SUV-Fahrerin befreundet sein könnte.
Ein diskret verpackter Vorwurf
„Vielen Dank, ich muss jetzt weiter“, sagte ich hastig, und die Fahrerin wünschte mir gute Fahrt: „Seien Sie vorsichtig mit Ihrem Fahrrad“, sagte sie und hatte recht, denn die Bremsen sind bloße Attrappe. An der nächsten Kreuzung sah ich zu spät einen silbernen SUV und bremste abrupt. „Meine Güte!“, schrie ich. Der SUV fuhr an den Straßenrand, und der Ethikrat ließ sich mühsam von den hohen Sitzen gleiten. Der Rat, das sind drei Herren von geringer Größe, die mir gelegentlich Handreichungen in praktischer Ethik geben.
„Ich wusste nicht, dass Sie Auto fahren“, sagte ich und fand, dass es ein diskret verpackter Vorwurf war. Ich hatte mir den Ethikrat eindeutig auf Hollandrädern vorgestellt. „Wir machen eine Probefahrt“, sagte der Ratsvorsitzende und tätschelte das Auto, als sei es ein Pferd. „Es ist ein 3-Liter-Auto, das unsere Aufmerksamkeit durch einen sehr vorteilhaften Platz im Test eines alternativen Verkehrsklubs gefunden hat.“
„Aha“, sagte ich lahm und dachte an unseren uralten Kombi, der nirgends vorteilhaft abschneiden würde. „Haben Sie noch kurz Zeit für eine ethische Alltagsfrage?“ – „Aber ja“, sagte der Ratsvorsitzende. „Ist es falsch, für eine herausfordernde Frage jemanden zu suchen, der mittel wehrhaft wirkt?“, fragte ich. „Also für die Begründung, warum man SUV fährt, nicht einen Halbstarken mit Halbweltanmutung, und auch nicht einen Barbour-Jackenträger mit Golfausstattung?“
Die beiden Ratsmitglieder, die immer schwiegen, wandten ihre Aufmerksamkeit dem Armaturenbrett des SUVs zu, das einem Flugzeug entliehen schien. Ich wandte mich an den Ratsvorsitzenden: „Ein Verkehrsforscher sagte mir mal, dass es sinnlos sei, bei der SUV-Frage individuell anzusetzen. Man brauche politische Lösungen. Aber bis dahin muss ich ja irgendwo hin mit meinem Zorn.“ – „Ein kluger Mann, dieser Verkehrsforscher“, sagte der Ratsvorsitzende, aber dann lösten seine Kollegen die Alarmanlage aus, und er widmete seine Aufmerksamkeit dem vorteilhaften Auto.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Auf dem Rücken der Beschäftigten
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag