Klima-Protestaktion am Brandenburger Tor: Vergleichsweise zahm
Die Empörung über die Sprüh-Aktion am Brandenburger Tor ist übertrieben. Empörung wäre eher beim Klimaschutzgesetz der Ampel angebracht.
F ühren Sie Listen darüber, was Protest gegen die Zerstörung unseres Planeten alles nicht darf? Demos während der Schulzeit sind zum Beispiel ganz schlecht, es muss ja alles nach Recht und Ordnung ablaufen. Damit fallen auch Blockaden von fossilen Kraftwerken weg: zu aggressiv.
Es dürfen keine Pendler:innen beim Autofahren gestört werden, denn die müssen schließlich zur Arbeit. Rahmen und Schutzglas von Bildern in Museen zu beschmieren ist ein Affront gegen alle Schönheit in der Welt und jene, die sie zu schätzen wissen. Demos dürfen aber auch nicht zu klein werden, es geht schließlich um ein wichtiges Thema, da müsste sich die Bewegung mal wieder Mühe geben! Und wer durch die Talkshows tingelt, ist offenbar etwas zu selbstgefällig. Immerhin kann man den Fernseher abschalten, wenn man keine Lust mehr hat.
Darum scheint es eigentlich zu gehen, wenn die Empörung über Klimaprotest mal wieder groß ist – um den verständlichen Wunsch, sich nicht allzu sehr mit der Klimakrise und unserer alltäglichen Verstrickung mit ihr auseinanderzusetzen.
Ein neuer wichtiger Punkt für die schwarze Liste: Auf keinen Fall darf Klimaprotest Farbe auf das Brandenburger Tor in Berlin sprühen, auch wenn das den Alltag von wirklich niemandem in der Hauptstadt tangiert. Genau so eine Farbattacke hat die Gruppe Letzte Generation am Wochenende ausgeführt. Das leuchtende Orange wird wieder abgehen, die Reinigung läuft. Schon am Mittwoch soll das Denkmal wieder in altem Beigegrau ermatten.
Die Aufgabe der klimaschutzwilligen Regierung
Eigentlich also eine vergleichsweise zahme Aktion. Trotzdem ist die Aufregung groß: „Das Brandenburger Tor als Symbol für Freiheit und Wahrzeichen unseres Landes zu beschmieren, ist eine weitere sinnlose und verwerfliche Aktion, die strafrechtlich konsequent geahndet werden muss“, sagte zum Beispiel Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Mit solchen „Chaosaktionen“ erreiche die Letzte Generation nichts. „Im Gegenteil: Solche Aktionen schaden dem gesellschaftlichen Rückhalt massiv, den der Klimaschutz braucht.“
Diesen Rückhalt zu organisieren, wäre allerdings vor allem Aufgabe einer klimaschutzwilligen Regierung. Eine solche ist die Ampelkoalition in Teilen – aber mehrheitlich eben auch nicht. Symptomatisch dafür ist die Reform des Klimaschutzgesetzes, über die der Bundestag diese Woche am Freitag erstmals berät. Bald soll es keine konkreten Vorgaben zur Reduktion von CO2-Emissionen für die einzelnen Wirtschaftsbereiche mehr geben.
Die je zuständigen Minister*innen können sich so noch leichter aus der Verantwortung ziehen. Ein echter Rückschritt. Das ist der Stoff für die interessantere schwarze Liste: Was darf Klimapolitik sich bei den aktuell rund 1,2 Grad Erderhitzung nicht mehr leisten?
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