Letzte Generation blockiert in Berlin: „Die Klimakrise macht keine Pause“
Nach der Sommerpause ist die Letzte Generation zurück in Berlin. Hier will sie unbegrenzt blockieren und stören, womöglich über viele Monate.
Berlin taz | Die linke Hand hat Lena Mair mit Sekundenkleber auf dem Asphalt festgeklebt. Nun versucht sie mit der rechten Quarzsand zwischen die Finger und unter den Handrücken zu schieben. Ganz beenden kann sie ihr Werk nicht, ein dazu geeilter Zivilpolizist mit gelber Warnweste nimmt ihr wortlos die Tüte mit dem Sand weg. Später wird die Polizei von einem besonders hartnäckigen Klebstoff-Gemisch sprechen, das einige Blockierer:innen der Letzten Generation beim Auftakt der neuen Berlin-Proteste verwendeten. 39 Blockaden von insgesamt 229 Menschen, mehrere auch auf der Autobahn, sind es, die an diesem Montagmorgen den Verkehr der Hauptstadt lahmlegen – mehr als jemals zuvor.
Mair nimmt das Einschreiten des Polizisten gelassen hin. Ihre „große Angst, dass ein Auto nicht stehen bleibt“, muss sie zu diesem Zeitpunkt morgens halb 8 auf der Prenzlauer Allee schon nicht mehr haben. Die Blockade sitzt, die vier Aktivist:innen sind unbeschadet, mit Ankunft der Polizei geht die Gewissheit einher, dass von nun an alles in geordneten Bahnen verläuft.
Kurz zuvor hatten zwei Autofahrer noch überlegt, ob sie sich den Weg selbst freiräumen, waren aber zurückgeschreckt, als eine weitere Fahrerin ihre Annäherung an die Blockierer:innen resolut zurückwies: „Denkt gar nicht erst daran.“ Bei einer Blockade in Prenzlauer Berg besprühte ein Mann laut Polizei Demonstranten mit Reizgas und versuchte, sie zu treten.
Nur gut zwei Wochen ist es her, dass sich die Physikstudentin Mair in München während einer Blockade erst gegen ein anfahrendes Auto stemmte und dann von diesem 200 Meter auf der Motorhaube mitgeschleift wurde, wie sie sagt. Im Netz gibt es ein Video, das zeigt, wie Mair und eine weiterer Aktivist mit ihren Oberkörpern auf dem fahrenden Auto liegen, während links und rechts andere Autos vorbei brausen. „Wenn schon Blockaden solche Reaktionen auslösen, was wird dann erst mit der Gesellschaft passieren, wenn das Ökosystem zusammenbricht und es nicht mehr genug Essen gibt?“, fragt sie.
Aktionsgruppe zurück in Berlin
Nach mehreren Aktionswochen in Bayern und davor auf Sylt ist die Letzte Generation zurück in Berlin, wo sie zuletzt im Juni den „Stadtstillstand“ ausrief. Hier will die Gruppe nun unbegrenzt bleiben und stören, womöglich über viele Monate. Die kleinteiligen Forderungen nach einem 9-Euro-Ticket oder einem Tempolimit, auch jene nach einem Gesellschaftsrat stellt sie nicht mehr; wäre die Bundesregierung darauf eingegangen, hätte das der Bewegung großen Auftrieb gegeben, glaubt man.
Doch die Taktik ging nicht auf; viele Politiker:innen arbeiteten sich lieber an den Aktivist:innen als an der Klimakrise ab. Also geht es jetzt ums große Ganze: das Ende der fossilen Rohstoffnutzung bis 2030. Die Letzte Generation spricht von einer „Wende“, die die neue Aktionsphase einläuten soll.
Als unverkennbares Zeichen dafür und für ihre Rückkehr ins politische Herz des Landes diente am Sonntag das Brandenburger Tor, dessen Säulen die Aktivist:innen mit Feuerlöschern orange einfärbten und damit mal wieder eine allgemeine Hysterie auslösten. Raphael Thelen, Sprecher der Letzten Generation, dagegen lächelt einfach, als er Stunden nach der Aktion zusammen mit weiteren führenden Entscheider:innen der Protestgruppe das Werk am Pariser Platz noch einmal betrachtet. Das sei eine „sinnvolle Aktion“, das Tor stehe „wie kein anderes Denkmal für einen politischen Wendepunkt“, so Thelen.
Warum sollten sie diesmal erfolgreich sein?
Die Letzte Generation hat die Aufmerksamkeit zurück. Zuletzt drang sie mit ihren Aktionen in Bayern, selbst mit der wochenlangen Präventivhaft gegen mehr als 20 ihrer Mitglieder, nur noch schwer durch.
Warum aber sollte ihr Protest diesmal erfolgreich sein? Vor dem Brandenburger Tor sagt Carla Rochel, die die Proteste mitorganisiert: „Es ist vielleicht naiv, aber ich habe immer noch Hoffnung.“ Hoffnung, dass die Menschen die Notwendigkeit für radikalen Klimaschutz erkennen. „Über den Sommer haben viele verstanden, was die Klimakrise ist“, sagt sie. Kaum ein Tag vergehe ohne neue Naturkatastrophen. Vielleicht helfe auch die neue Studie, wonach sechs von neun planetaren Grenzen der Erde bereits überschritten sind: Durch zu viel Abholzung, Süßwasserverbrauch oder der Belastung durch Chemikalien ist die Stabilität des Ökosystems gefährdet.
Im Stadtteil Prenzlauer Berg macht ein Polizist eine halbe Stunde nach Blockadebeginn eine erste Ansage und droht mit Auflösung der Versammlung. Berlins Innensenatorin Iris Spranger (SPD) und Polizeipräsidentin Barbara Slowik hatten angekündigt, Blockaden schneller zu räumen. Stattdessen läuft es gründlicher: Ein Polizist dokumentiert stehend auf einem Mannschaftswagen den Rückstau, andere laufen die Autos ab und verteilen Zeugenfragebögen.
Voraussetzung für beschleunigte Verfahren liegt nicht vor
Offensichtlich geht es vor allem um die gerichtsfeste Aufnahme von Beweismitteln. Immer wieder hatten Richter:innen bemängelt, dass es keine ausreichenden Informationen gebe, die den Tatvorwurf der Nötigung beweisen. Blamiert hatte sich Berlins Justiz während des Sommers zudem mit dem Versuch, Aktivist:innen im Schnellverfahren abzuurteilen.
Mal für Mal mussten die extra eingesetzten Richter:innen feststellen, dass die Voraussetzungen für ein beschleunigtes Verfahren nicht vorliegen, zu komplex sind die Tatvorwürfe. Kommt es schließlich zu Verurteilungen im ordentlichen Verfahren, dann fast immer nur zu Geldstrafen. 300.000 Euro, verdoppelt durch einen anonymen Spender, hat die Gruppe allein vergangene Woche eingeworben.
Während Mair noch auf der Straße klebt, fahren nach anderthalb Stunden wieder Autos an ihr vorbei. Zwei Polizist:innen brauchen etwas länger, um schließlich auch ihre Hand vom Asphalt abzulösen. Zum Wegtragen aber haben sie keine Lust, stattdessen zwingen sie Mair und davor schon ihre Mitblockierer:innen durch einen Schmerzgriff, das Verbiegen der Handgelenke, von der Straße. Gefragt nach der Notwendigkeit einer Protestpause sagt sie: „Die Klimakrise macht auch keine Pause.“
Leser*innenkommentare
insLot
Mir scheint, die Fähigkeit Schlagzeilen zu generieren und eine hohe Reichweite in den neuen wie alten Medien wird doch ziemlich überbewertet.
Wenn wir das Klima gerettet haben werden, dann wird daran weder FfF noch die LG einen entscheidenden Anteil gehabt haben. Es ist im Kern ein ganz einfaches Problem, beide haben der Gesellschaft nichts anzubieten.
Die Grünen und unter denen die Realos haben es mal ziemlich gut begriffen, dass was den alten Zustand ablöst muss besser sein, als das davor.
Statt Verzicht zu predigen, wäre es dringend erforderlich technischen Fortschritt zu fordern!
31841 (Profil gelöscht)
Gast
Ob die Leute vergrault werden oder nicht - Chaos kommt so oder so. Nun kommt es eben mit Vergraultheit der Leute. In Bezug auf das, was die kommenden Brüche im planetaren System auslösen werden, ist das pillepalle.
Direkt: Die Diskussion um die Sinnhaftigkeit dieses Protestes mag verständlich sein, sie ist aber verschwindend wenig nützlich für die Beförderung der praktischen Bewältigung dessen, was zu bewältigen wäre.
Solche Diskussionen können nichts dazu beitragen, dass nicht regulierbare Systeme reguliert werden könnten. Diese Diskussionen im Kontext mit den planetaren physischen Prozessen zu betrachten, zeigt, dass sie selbst ein Bestandteil der Folgen der Dissruption sind. Wie sagts de Schwoab: Dia Katz isch de Boam naus
Dirk Karstädt
Ich verstehe die Letzte Generation.
Dennoch: Mit dem Geld könnte man krasse Aufklärungskampagnen fahren.
Ohne Mehrheiten kann die Politik nichts machen...
DiMa
Carla Rochel, die die Proteste mitorganisiert: „Es ist vielleicht naiv, ..."
Ja, es ist naiv.
31841 (Profil gelöscht)
Gast
Nun, wie wollen wir mit dem Eingeständnis des Endes der Übersichtlichkeit der Verhältnisse künftig zurecht kommen? Können wir nicht. Aber jeder hat dafür so seine Lösung oder eben keine. Chaos kann nicht ausbleiben. Gebrochene Systeme sind nicht kontrolliert steuerbar.
Suryo
Die Ironie ist, dass dem Rest von Deutschland Berlin völlig egal ist.
Erwin Schiebulski
Das ist so toll .... um wieviel Millimeter steigt der Meeresspiegel wegen dieser Aktionen jetzt genau weniger?
04332 (Profil gelöscht)
Gast
Die LG greift also einen häufig geäußerten Publikumswunsch auf und geht der Bundesregierung direkt auf den Senkel. Befürwortenswert!
"Ihre 'große Angst, dass ein Auto nicht stehen bleibt'"
Interessant wird, nach der wievielten toten oder schwerverletzten LG-Aktivistin die mitte-rechte Presselandschaft unisono Täter-Opfer-Umkehr betreibt. Aktuell würde ich sagen, direkt nach der ersten.
Jim Hawkins
Stellen wir uns einmal vor, Bundeskanzler Scholz tritt vor die Kameras und sagt, dass die Letzte Generation recht habe mit ihren Forderungen und die Bundesregierung werde nun alles tun, damit sie umgesetzt werden können.
Kann sich das jemand vorstellen?
Das ist ja immerhin Sinn und Zweck der Aktionen. Es geht nicht darum, die Bevölkerung aufzuklären oder das Gespräch mit ihr zu suchen, wobei man natürlich fairerweise sagen muss, dass die blockierten Autofahrer nicht eben auf Diskussionen aus sind.
Die Leute im Stau sind nur Mittel zum Zweck. Man könnte auch auf andere Weise Sand im Getriebe sein, aber das ist das der Mittel der Wahl.
Und die Farbspiele.
Neulich ist es mit einem Sprecher der LG durchgegangen. In der taz wurde er so zitiert:
"Deshalb sei es nun auch das Ziel der Letzten Generation, die sechste Phase zu erreichen, sagt Ritzinger. Diese charakterisiere sich durch die Unterstützung einer immer größeren Mehrheit der Bevölkerung. Der Sprecher ist zuversichtlich, dass die Bürger:innen hinter der Letzten Generation stünden."
Das wüsste ich aber.
Wenn man sich das so zurechtbastelt, macht man eben einfach genauso weiter.
Zebulon
Wünsche euch, tapfere LG, weiterhin aufgeschlossene Geldgeber !
Ihr macht schon das Richtige. All die Autofahrerdeppen lernen es sonst nie. Wir, unsere Kinder, die Tiere, die Pflanzen können sehr bald nicht mehr leben, wenn weiter Auto gefahren wird. Punkt!
Erwin Schiebulski
@Zebulon Ihr Zynismus gefällt mir!
fly
" Also geht es jetzt ums große Ganze: das Ende der fossilen Rohstoffnutzung bis 2030"
Na, es gibt noch Größeres: Die TAZ CO2 Uhr ist schon in drei Jahren auf Null-Zeit. Und ob die durch globale Minderemissionen auf 2030 verlängert wird?
SeppW
"Nach der Sommerpause ist die Letzte Generation zurück in Berlin."
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Und das obwohl das Klima keine Pause macht ? Ziemlich leichtsinnig, jetzt ist sie der LG einen Sommer voraus.
flaviussilva
Wie sagten schon die Dakota:
"Wenn Du entdeckst, dass Du ein totes Pferd reitest, steig ab!"
Sie werden mit diesen Aktionen nichts in Ihrem Sinne erreichen, über 80 % lehnen das ab, Tendenz steigend. Eher werden die Reaktionen dagegen heftiger werden, aber fürs Märtyrertum wird es nicht langen, überlegt euch was anderes, etwas was die Leute mitnimmt, anstatt sie zu vergraulen.