Grüne und Homöophatie: Glaubenskrieg um Globuli
Sanfte Heilung oder Hokuspokus? Den Grünen droht auf ihrem Parteitag ein Streit über den Sinn und Unsinn von Homöopathie. Der Vorstand ist alarmiert.
Für die Ökopartei ist das Thema heikel, weil ihr ein Glaubenskrieg droht. Viele WählerInnen und Mitglieder schwören auf Globuli und Co. – als sanfte Alternative zur klassischen Schulmedizin. Viele andere halten die Mittel, oft Zuckerkügelchen, auf die hochverdünnte Substanzen aufgebracht wurden, für Hokuspokus. Besonders ein Punkt erhitzt die Gemüter: Viele gesetzliche Krankenkassen übernehmen bisher die Kosten für homöopathische Behandlungen.
Finanziert die Allgemeinheit fragwürdige Voodoo-Medizin? Oder ist es richtig, Homöopathie zu unterstützen? Für die Grünen-Spitze, die um die Zerrissenheit ihrer Klientel weiß, sind das unbequeme Fragen. Auf dem Bundesparteitag im November könnte der Konflikt eskalieren. Piechotta und andere Mitglieder haben einen Antrag formuliert, der es in sich hat – und die Sympathie, mit der die Grünen der Homöopathie bisher begegnen, abkühlen würde.
Der Antrag fordert, dass Sonderrechte der Homöopathie „aufgehoben oder zumindest kritisch überdacht werden“ müssten. Die Registrierung und Zulassung von Homöopathika als Arzneimittel sollten erschwert, PatientInnen besser aufgeklärt werden. Und, am wichtigsten: Die Erstattung „dieser nachgewiesenermaßen nicht über den Placebo-Effekt hinaus wirksamen Behandlungsmethoden durch die Krankenkassen“ solle beendet werden, fordern Piechotta und Co.
Über 250 Unterschriften
Den Antrag haben bereits über 250 Mitglieder unterschrieben – darunter zum Beispiel der Europaabgeordnete Rasmus Andresen. So viele Unterschriften werden so gut wie nie vorab für Anträge eingesammelt. Auch die Homöopathie-Befürworter haben sich bereits in Stellung gebracht, sie kontern mit mehreren Anträgen. Einer fordert, bei der Finanzierung durch die Kassen am Status quo festzuhalten. Grundsätze der Grünen seien schließlich Toleranz und „die Akzeptanz verschiedener Ansichten“.
Die Homöopathie hat in der Partei wichtige Fürsprecher. „Baden-Württemberg ist ein traditions- und erfolgreicher, anerkannter Standort für hochwertige Naturheilkunde-Verfahren und homöopathische Medizin“, sagt Manfred Lucha, Sozialminister in Baden-Württemberg – und auch für Gesundheit zuständig. „Ein breites Therapieangebot, das auch Naturheilkunde und Komplementärmedizin umfasst, ist den Menschen im Land sehr wichtig.“ Deshalb müssten diese Leistungen auch weiterhin von den gesetzlichen Krankenkassen vergütet werden dürfen. Luchas Fazit: „Wir sollten den Nutzen von gemeinsamen Therapien aus Naturheilkunde und Schulmedizin weiter erforschen.“
In der Bundestagsfraktion ist die Abgeordnete Kordula Schulz-Asche für das Thema zuständig. Sie persönlich glaube nicht an Homöopathie, sagt sie. „Vielen Menschen aber hilft Homöopathie.“ Das ausführliche Gespräch mit dem Arzt werde als sehr zugewandt erlebt, der Placebo-Effekt wirke nachweislich bei vielen. „Es ist gut, dass sich Menschen auch für diesen Weg entscheiden können.“ Deshalb sollten die Kassen solche Leistungen – vor allem das Gespräch – weiter bezahlen.
Es ist nicht einfach, mit Grünen über den Sinn oder Unsinn von Homöopathie zu sprechen. Viele winken ab, wenn man sie fragt – ihnen ist das Thema zu heiß. Die Parteivorsitzenden bitten um Verständnis, man wolle der Debatte auf dem Parteitag nicht vorgreifen. Die taz-Anfrage an den hessischen Sozialminister geht ins Leere, vielleicht hat er zu viel zu tun. Und gestandene Bundestagsabgeordnete, die sich mit der Materie beschäftigt haben, bitten darum, nicht zitiert zu werden.
Rindermist in Kuhhörnern
Leute, die Homöopathie gut finden, haben Angst, als esoterische Spinner hingestellt zu werden. Und die SkeptikerInnen ahnen, dass die Debatte den Grünen schadet. Christian Lange, SPD-Staatssekretär im Justizministerium, verursachte am Dienstag einen veritablen Shitstorm auf Twitter, weil er Homöopathie als Teil einer „guten Patientenversorgung“ bezeichnet und dazu ein Foto von sich und der Weleda-Geschäftsführung gepostet hatte. Das Unternehmen Weleda verdient viel Geld mit anthroposophischen Arzneimitteln und Naturkosmetik.
Der Stand der Wissenschaft ist klar: „Homöopathische Mittel allein wirken nicht gegen die Beschwerden, gegen die sie empfohlen werden“, heißt es in einem im April veröffentlichten Artikel der Helmholtz-Gemeinschaft. Das sei seit Jahrzehnten wissenschaftlich erwiesen, etwa durch eine 1997 in einem Fachmagazin erschienene Metaanalyse, die verschiedene Studien auswertete. Allerdings weist auch die Helmholtz-Gemeinschaft darauf hin, dass Millionen Deutsche zu homöopathischen Mitteln greifen: „Mit der Homöopathie erhalten die Patienten einen ausgeklügelten Placebo-Effekt auf Rezept.“
Für Grünen ist das eine Lose-lose-Situation. Eigentlich spricht nichts dafür, Kassen für Zuckerkügelchen zahlen zu lassen. Aber wer das offen sagt, zieht die Wut einer großen Fangemeinde auf sich. Der Kampf um die Globuli steht dabei für ein tieferes Problem. Teile der Grünen-Anhängerschaft neigen bei manchen Themen zur Esoterik. Erst kürzlich rang sich die Bundestagsfraktion dazu durch, eine Impfpflicht gegen Masern zu unterstützen. Viele Grünen-WählerInnen schwören auf die Produkte der Demeter-Bauern. Jene vitalisieren Böden, indem sie Rindermist in Kuhhörner stopfen und vergraben.
Aber die Grünen stehen nicht allein vor dem Dilemma: Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) fand im September eine salomonische Lösung. Er verwies darauf, dass die gesetzlichen Kassen bei Arznei-Ausgaben von rund 40 Milliarden Euro im Jahr etwa 20 Millionen für Homöopathie zahlten. Darüber könne man emotional diskutieren und dabei viele vor den Kopf stoßen, sagte Spahn. Oder man könne sich fragen, ob es das angesichts der gesamten Größenordnung wert sei. Er habe sich entschlossen, es sei „so okay“.
Alles, bloß keine Abstimmung
Die Grünen setzen sich seit Längerem zunehmend kritisch mit alternativen Heilmethoden auseinander. Forderte die Partei im Bundestagswahlprogramm 2009 noch einen „gleichberechtigten Stellenwert“ für Naturheil- und Komplementärmedizin, heißt es im Programm zur Bundestagswahl 2017 nur noch, dass die bessere Erforschung von alternativmedizinischen Verfahren mit anerkannten Methoden erforderlich sei. Dieser Passus, entstanden als Kompromiss zwischen Fans und Skeptikern, entbehrt nicht der Ironie. Eigentlich ist die Homöopathie hinreichend erforscht.
Die Grüne Jugend fasste im April einen dezidiert homöopathie-kritischen Beschluss, der unter anderem für das Streichen der Erstattung durch die Kassen plädierte. Bei den meisten Homöopathika handele es sich um Zuckerkügelchen oder Tropfen ohne jeglichen Wirkstoffgehalt, hieß es in dem Papier. „Das größte Risiko (…) liegt darin, dass Globuli häufig als Ersatz für wirksame Therapien angewendet werden.“
Die Grünen-Spitze hat erkannt, wie unschön eine Zuspitzung auf dem Parteitag im November wirken könnte. Die Vorsitzenden Annalena Baerbock und Robert Habeck sollen beklatscht und neu gewählt werden, ein ausführlicher Antrag zu Wirtschaftspolitik steht auf dem Programm. Böse Schlagzeilen über einen Homöopathie-Streit würden da nur stören. Bundesgeschäftsführer Michael Kellner arbeitet derzeit hinter den Kulissen daran, die Kontrahenten zu versöhnen – mit dem Ziel, eine Abstimmung auf dem Parteitag zu vermeiden.
Denkbar wäre etwa, eine Arbeitsgruppe einen Kompromiss erarbeiten zu lassen, der dann im neuen Grundsatzprogramm der Ökopartei landet. Ein Antrag zum Parteitag schlägt vor, den Bundesvorstand mit der Organisation einer Fachtagung mit VertreterInnen aus Schul- und Komplementärmedizin zu beauftragen. Auch diese Variante fände die Grünen-Spitze charmant. Die Abgeordnete Schulz-Asche wünscht sich eine gütliche Lösung: „Ein polarisierter Streit auf dem Parteitag wird dem Thema nicht gerecht.“
Auch die Ärztin Piechotta gibt sich kompromissbereit. Unter einer Bedingung: „Es muss eine Lösung geben, die die wissenschaftlich und rational denkenden Menschen nicht vor den Kopf stößt.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
Umgang mit nervigen Bannern
Bundesrat billigt neue Regeln für Cookies
Klimakiller Landwirtschaft
Immer weniger Schweine und Rinder in Deutschland