Großveranstaltungen mit weniger Wurst: Der Veggieday war nix dagegen

Die Bremer Grünen wollen vegane Ernährung fördern. Etwa auf dem Weihnachtsmarkt soll die Hälfte der Stände ausschließlich vegane Gerichte anbieten.

Eine Kellnerin schleppt ein Tablett mit bayrischem Essen

Veggie-Vision: Im Bayernzelt auf dem Freimarkt müssten dann auch vegane Würste verkauft werden Foto: Ingo Wagner/dpa

BREMEN taz | Ein Tabu ihrer Partei brechen die Bremer Grünen: Neun Jahre nach dem Veggie-Day-Desaster, das die Grünen im Wahlkampf 2013 als Verbotspartei markierte, fordern sie nicht bloß einen vegetarischen Tag in öffentlichen Kantinen. Nein, jetzt soll es nicht nur fleischlos sein, sondern gleich vegan und das nicht nur in öffentlichen Kantinen, sondern möglichst überall, und das Verhältnis wollen die Bremer Grünen dabei auch umdrehen: Statt eines einzigen fleischlosen Wochentags streben sie eine Ernährungsweise an, „die tierische Lebensmittel im Vergleich zur heute üblichen Ernährung in Deutschland um rund drei Viertel reduziert“.

So steht es in einem am Mittwoch veröffentlichten Positionspapier der Grünen-Fraktion im Bremischen Landtag. Das enthält auch konkrete Vorgaben, wie dieses Ziel bremenweit mit Gesetzesvorhaben erreicht werden kann. Und die haben es in sich: Neben einem Werbeverbot für tierische Lebensmittel im öffentlichen Raum wird vor allem ein Punkt Zündstoff für Debatten in sozialen Medien liefern.

Denn die Grünen wollen, dass auf Großveranstaltungen wie Freimarkt, Breminale und Weihnachtsmarkt „zukünftig mindestens die Hälfte der Essensstände rein vegan“ sein soll – und „an den übrigen Ständen zumindest vegane Alternativen angeboten werden“ müssten.

Der Twitter-Mob lief sich bereits am Dienstag warm, als Radio Bremen vorab über das Vorhaben berichtet hatte. „Ich lass mir nicht von der Regierung vorschreiben, was ich esse“, empörte sich eine Userin. Ein anderer fragte, wer „überwache“, was „in meinen Töpfen und Pfannen landet“ – und noch jemand wollte nicht „auf meine Bratwurst mit Pommes oder einen Hirschbraten verzichten“.

Niemand will die Wurst verbieten!

Mit der Forderung nach einem „Veggie-Day“ hatten sich die Grünen im Bundestagswahlkampf 2013 selbst ein Bein gestellt. Auch wenn es damals nur darum ging, ein Mal in der Woche in öffentlichen Kantinen vegetarisches Essen zu servieren – nicht etwa veganes –, war das eine Steilvorlage für den politischen Gegner. Die Grünen hatten ihren Ruf als Verbotspartei zurück.

In der Analyse der Wahlschlappe mit nur 8 Prozent, die die Karrieren von Jürgen Trittin und Renate Künast beendete, wurde die Veggie-Debatte als einer der Hauptfehler identifiziert. Die Grünen haben seither panische Angst vor dem Etikett „Verbotspartei“.

Erst Anton Hofreiter wagte im vergangenen Jahr den Vorstoß für ein Einfamilienhausverbot – und blieb bei der Regierungsbildung prompt außen vor.

Philipp Bruck, der 32-jährige Autor des Positionspapiers und Sprecher der Grünen-Fraktion für Klima- und Tierpolitik, versucht zu beruhigen: „Jeder soll weiter seine Bratwurst essen dürfen“, sagt er. Es gehe auf den Großveranstaltungen lediglich um vegane Alternativen. Für ausschließlich veganes Essen hege er persönlich zwar große Sympathien, ihm sei aber klar, dass das nicht realistisch sei.

Dennoch gehe der Vorstoß seiner Fraktion sehr weit, das sieht auch Bruck so. „Aber an den Argumenten kommt man schlecht vorbei. Wenn man Klimaschutz ernst nimmt, muss man sich die Reduktion tierischer Lebensmittel um drei Viertel zu eigen machen.“

Dabei argumentiert Bruck nicht einfach moralisch oder nennt Ve­ga­ne­r:in­nen die besseren Menschen, weil sie Tierleid reduzieren, sondern er listet eine Reihe von Fakten auf. „Selbst wenn wir jetzt sofort sämtliche fossilen Anlagen wie Kohlekraftwerke, Gasheizungen und Dieselautos abschaffen würden, würde der Ernährungssektor allein ein Erreichen des 1,5-Grad-Ziels von Paris unmöglich machen“, zitiert er aus einem Artikel der renommierten wissenschaftlichen Zeitschrift Science.

Und den Weltklimarat: „Global trägt unsere Ernährung 21 bis 37 Prozent zum Treibhausgasausstoß bei. Das ist jeweils deutlich mehr als der gesamte Verkehrssektor (14 Prozent) beziehungsweise Bau und Beheizung sämtlicher Gebäude (18 Prozent).“

Der Verzicht auf tierische Lebensmittel sei, so sagt es Bruck, die einzige Möglichkeit, wirkungsvoll CO2-Emmissionen zu reduzieren und gleichzeitig Landschaften zu erhalten, die Treib­hausgase binden können, wie Regenwälder und Moore. Und nein, ein Veggieburger auf Sojabasis ist nicht so klimaschädlich wie einer aus Rindfleisch, weil diese nicht aus Sojapflanzen bestehen, die in Regenwaldgebieten angebaut werden. Zudem trägt Rinderhaltung direkt zur Klimakrise bei, weil Wiederkäuer Methan ausstoßen.

Bloß nicht den Eindruck erwecken, irgendwer müsste verzichten

Das sind alles keine neuen Erkenntnisse, dennoch haben sich die großen Parteien bisher nicht an das Thema herangetraut. Auch die Grünen auf Bundesebene nicht. „Wir wollen vegetarische und vegane Ernährung attraktiver und zugänglich für alle Menschen machen“, hieß es im Programm für die Bundestagswahl 2021. Erreichen will die Partei dies über steuerliche Vergünstigungen – konkreter wird es nicht.

Dafür schreiben sie zwei Seiten über artgerechtere Haltung unter anderem von Nutztieren unter dem Titel „Wir ermöglichen Tieren ein besseres Leben“. Diese Grünen-Ideen haben es auch in den Koalitionsvertrag mit FDP und SPD geschafft.

Die Bremer Grünen verlassen jetzt diesen lange beschrittenen Pfad, der allen ihre ökologisch korrekte Bratwurst garantiert, um bloß nicht den Eindruck zu erwecken, irgendjemand müsse auf irgendetwas verzichten. „Ja, das ist schon so etwas wie eine Absage an die klassische Tierschutzpolitik, die kleine Korrekturen in der Stallhaltung verspricht“, sagt der Bremer Grüne Philipp Bruck. Er sehe angesichts des fortschreitenden Klimawandels und im Sinne der Tiere aber keine Alternative.

Ob die Grünen-Vorschläge in Bremen Gesetz werden, hängt von den aktuellen Koalitionspartnern SPD und Linke ab. Auch für diese sind die Debatten nicht neu, da sie auch während der Sitzungen der Bremer Klima-Enquetekommission geführt wurden, die im vergangenen Dezember ihren Abschlussbericht vorgelegt hat. Darin heißt es, dass bei öffentlichen Veranstaltungen ein Viertel der Essensstände „rein vegan oder rein vegetarisch sein“ sollen, „alle anderen müssen entsprechende Alternativen anbieten“.

Ganz neu hingegen und vermutlich bundesweit einmalig ist die Forderung eines „Werbeverbots für tierische Lebensmittel im öffentlichen Raum“. Das könnte Bremen umsetzen – auf kommunalen Werbeflächen oder im öffentlichen Personennahverkehr, indem dieses Kriterium in Ausschreibungen mit aufgenommen wird.

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