Es ging eigentlich nur um einige Bäume: Grüne rütteln in Kiel an der Brandmauer
Im Bauausschuss haben die Grünen einen Antrag eingebracht, der nur mit AfD-Stimmen eine Mehrheit fand. CDU und SPD sind empört, den Grünen tut’s leid.
Eigentlich ging es um ein paar Bäume und ein bisschen Rasen an einer Straße. Jetzt steht der Vorwurf im Raum, dass die Kieler Grünen die Brandmauer zur AfD eingerissen hätten. Die CDU ist empört, Koalitionspartner SPD auch, die Grünen haben sich inzwischen entschuldigt. Es ist ganz schön was los in Schleswig-Holsteins Landeshauptstadt, und das nur eine Woche vor der Oberbürgermeisterwahl am kommenden Wochenende.
Anstoß für die Aufregung gab eine Abstimmung im Bauausschuss am Donnerstag vergangener Woche. Dabei ging es um die geplante Sanierung der Esmarchstraße, gegen die sich seit mehreren Jahren eine Bürgerinitiative von Anwohnenden wehrt. Der Grund: Die Pläne sehen unter anderem vor, dass ein kleiner Park mit alten Bäumen, der „Blumenpflückerpark“, plattgemacht wird.
Die Grünen reichten einen Antrag ein, darauf, dass ein entsprechender Ratsbeschluss von 2024, der die Abholzung vorsieht, geändert wird. Überraschend wurde der mit sieben zu sechs Stimmen angenommen. Die sechs Bauausschussmitglieder von SPD und CDU stimmten dagegen. Die sieben Ja-Stimmen setzten sich aus vier von den Grünen und je einer Stimme vom SSW, der Fraktion Die Linke/Die Partei und der AfD zusammen.
Gefundenes Fressen für die CDU
Die AfD war also das Zünglein an der Waage – ein gefundenes Fressen für die CDU, Opposition im Kieler Stadtrat, die den Grünen Scheinheiligkeit vorwirft. Ihr Fraktionschef Carsten Rockstein hält den Grünen vor, die Brandmauer eingerissen zu haben, deren Einhaltung sie sonst selbst ständig von der CDU forderten. „Das ist dann tatsächlich ein Stück weit scheinheilig“, sagte er der Zeitung Die Welt.
Aber auch die SPD, die in Kiel den Bürgermeister stellt und mit den Grünen eine Kooperationsvereinbarung unterhält, ist richtig sauer. Enrico Tokar, Co-Vorsitzender der SPD Kiel, schreibt in einer Pressemitteilung, die Grünen hätten „eine rote Linie nicht versehentlich überschritten“, sondern „eingerissen“.
Anke Oetken, Fraktionschefin der Grünen im Kieler Stadtrat
Die Grünen geben sich zerknirscht und verstehen den Ärger. „Das war eindeutig ein Fehler. Das darf nicht passieren. Das darf uns nie wieder passieren. Das wird uns auch nie wieder passieren“, sagt Anke Oetken, Fraktionschefin der Grünen im Kieler Stadtrat, gegenüber der Welt. Oetken beteuert, man habe nicht damit gerechnet, dass die AfD dem Grünen-Antrag zustimmt. Es habe vorher keine Gespräche gegeben, man schließe jede Zusammenarbeit mit der AfD aus.
Warum aber haben die Grünen einen Antrag eingebracht, von dem sie glaubten, dass er ohnehin nicht angenommen würde, und den ihre Koalitionspartnerin SPD ablehnt?
„Es gab eine gewisse Atmosphäre“, sagt Finn Pridat, Sprecher des Kreisvorstands der Grünen. Die Bauauschusssitzung hatte Publikum: Rund 20 Menschen von der „Interessengemeinschaft Blumenpflücker“, der Bürgerinitiative gegen die Abholzung des Parks, waren anwesend. „Das war ausschlaggebend, den Antrag einzubringen, um klar zu machen, dass wir Anliegen der Anwohner*innen gehört haben“, sagt Pridat der taz.
Als klar wurde, dass die AfD dem Antrag zustimmen würde, sei alles zu schnell gegangen, um reagieren zu können. Zukünftig werde man in solchen Fällen eine Sitzung vertagen oder abbrechen. „Wir werden klare Schritte eingehen, wenn wir nicht sicherstellen können, dass es demokratische Mehrheiten gibt“, sagt Pridat.
Ungewöhnlicher Grünen-Antrag gegen die SPD
Tatsächlich ist es allein schon ungewöhnlich, dass die Grünen einen Antrag gegen die SPD eingebracht und dann noch gegen sie abstimmt haben. Das ist im Kieler Bauausschuss bisher nicht vorgekommen und liegt daran, dass die Parteien schon länger nicht auf einen Nenner kommen, was die Frage der Sanierung der Esmarchstraße angeht.
Jetzt haben die Grünen sich durchgesetzt, aber zu welchem Preis? Auch die Mitglieder der Bürgerinitiative Blumenpflücker sind trotz des erfolgreichen Antrags alles andere als begeistert. Mit „sehr gemischten Gefühlen“ hätten sie das Ergebnis der Abstimmung aufgenommen, schreiben sie in einer Stellungnahme. Sie betonen, dass sie als Initiative bewusst nicht mit der AfD gesprochen haben. Das Abstimmungsverhalten sei „ein Versagen der demokratischen Parteien“.
Bisher keine vergleichbare Abstimmung mit AfD-Stimmen
In Kiel hat es eine vergleichbare Abstimmung mit AfD-Stimmen bisher nicht gegeben. Anders als in vielen anderen Kommunalparlamenten in Deutschland – gerade die CDU arbeitet im Kommunalen immer wieder mit der AfD zusammen, wie eine Auflistung der Heinrich-Boell-Stiftung zeigt. Aber auch die Grünen haben bereits mit der AfD gestimmt, wie 2023 im Wahlkreis von Ricarda Lang in Backnang in Baden-Württemberg über die Finanzierung eines Theaters.
In Kiel kommt die Abstimmung zu einem kritischen Zeitpunkt. Am 16. November sind Oberbürgermeisterwahlen. Für die Grünen tritt Samet Yilmaz an. Ob die Abstimmung mit der AfD im Bauausschuss ihm bei der Wahl schaden wird, wird sich zeigen.
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