Einigung zwischen Grünen, SPD und Union: Ein neuer grüner Deal
Die Grundgesetzänderung von SPD und Union ist ein Skandal. Und trotzdem darf man sich freuen, dass die Grünen durchgesetzt haben, was möglich war.

M an muss, bevor es um die Details der Einigung und die Politchecker-Frage geht, wer sich denn nun durchgesetzt hat, einen Schritt zurücktreten und feststellen: Die geplante Grundgesetzänderung ist ein Skandal. Was sich in den vergangenen drei Wochen seit der Bundestagswahl abspielt, schadet dem Vertrauen in die Demokratie.
Erst hat Friedrich Merz, der nicht besonders überzeugend die Bundestagswahl gewonnen hat, angekündigt, das Gegenteil von dem zu tun, was er vor der Wahl behauptet hatte. Und er lässt nun, weil ihm das Wahlergebnis nicht passt, den alten Bundestag innerhalb weniger Tage ein Gesetz mit größtmöglichen Folgen verabschieden.
Wenn die Linke, aber auch die AfD dies als undemokratisch bemängeln, dann muss man sagen: Sie haben recht.
Die Grünen haben das Gesetz nicht rundheraus abgelehnt, das kann man ihnen vorwerfen. So hätten sie die Union zwingen können, mit der Linken im neuen Bundestag über eine komplette Abschaffung der Schuldenbremse zu verhandeln.
Folgen einer Ablehnung wären nicht absehbar
Nur, man kann den Grünen viel vorwerfen, aber nicht, dass sie die Grünen sind. Wer sich jahrelang jeden Morgen die „staatspolitische Verantwortung“ ins Müsli rührt, kann nicht plötzlich auf Fundamentalopposition schalten.
Zumal die Folgen einer Ablehnung nicht absehbar gewesen wären: Wäre die künftige Koalition schon vor ihrer Gründung geplatzt? Hätte sich Merz dann doch noch der AfD zugewandt? Und wenn nicht: Hätte die Linke sich auf einen Kompromiss eingelassen, oder wären sie so beratungsresistent geblieben wie etwa bei ihrem Nein zu Waffenlieferungen? Zu viele Fragen mit offenem Ausgang, zu viel Risiko für die Grünen, eine Partei, die das Nein sagen gerade erst wieder lernen muss.
Dieses Gesetz ist also ein Skandal. Und trotzdem darf man sich darüber freuen, dass es nun wohl kommt und voraussichtlich am kommenden Dienstag im Bundestag beschlossen wird. Deutschland sagt sich 15 Jahre nach Einführung der Schuldenbremse endlich los von einer neoliberalen Doktrin, die dem Land schweren Schaden zugefügt hat, die Brücken und Schulen kaputt gemacht, die Wirtschaft abgewürgt, und Menschen ihre Arbeit genommen hat.
Wenn man die Entscheidung, zu einer Lösung im alten Bundestag Ja zu sagen, einmal akzeptiert, lässt sich die Einigung selbst in den Blick nehmen. Und da zeigt sich, dass die Grünen gut verhandelt haben. Sie haben die Summe, die Schwarz-Rot für den Klimaschutz angeboten hat, verdoppelt. 100 Milliarden aus dem Sondervermögen sollen in diesen Bereich fließen. Und sie haben erkämpft, dass das Sondervermögen zusätzlich zu bereits geplanten Investitionen ausgegeben wird. So wollen sie sicherstellen, dass Schwarz-Rot es nicht über Umwege für Wahlgeschenke ausgibt.
Trotzdem ist der Kompromiss kein großer Erfolg für die Grünen. Rechnet man das geplante Sondervermögen auf das Jahr um, ist es zu niedrig. ÖkonomInnen gehen davon aus, dass in Deutschland zwischen 70 und 85 Milliarden Euro Investitionen im Jahr notwendig wären. Und die Gefahr besteht, dass die Änderung der Schuldenregel, die am kommenden Dienstag beschlossen wird, für viele Jahre die letzte gewesen sein wird. Mit ihrer Zustimmung haben die Grünen die Schuldenbremse also gleichzeitig reformiert und auf Jahre hinaus zementiert.
Noch einmal feiern
Es hat eine gewisse Ironie, dass die Partei ausgerechnet in dem Moment, in dem sie sich aus der Regierung verabschiedet und kurz bevor sie auf der Oppositionsbank landet, ihre größtmögliche Macht entfaltet. Wenn die Grünen aus dieser denkwürdigen Woche eines mitnehmen können, dann ist es das: Manchmal ist es gut, laut und deutlich Nein zu sagen, Bündnispartei hin oder her.
Ihren Erfolg dürfen die Grünen nun ruhig ein paar Tage feiern. Denn es wird voraussichtlich auf absehbare Zeit das letzte Mal gewesen sein, dass jemand auf sie hört.
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