Debatte um AKW-Abschaltungen: Fatales Signal an die Wirtschaft
Wie weit AKWs eine Rolle für die Stromversorgung spielen, ist nicht entscheidend. Jetzt geht es darum, die allgemeine Verunsicherung zu begrenzen.
Wirtschaft ist zu 50 Prozent Psychologie.“ Man kann von Ludwig Erhard halten, was man will, doch die wenigsten würden wohl bezweifeln, dass dieser Satz zutreffend ist. Wie optimistisch die Zukunft eingeschätzt wird, entscheidet darüber, ob Unternehmen investieren und Verbraucher*innen Geld ausgeben. Wegen der Energiekrise und der von ihr getriebenen Inflation ist die Stimmung kurz gesagt: schlecht. Alle maßgeblichen Ökonom*innen gehen von einer bevorstehenden Rezession aus.
Vor diesem Hintergrund die drei verbleibenden AKWs nicht wenigstens im Streckbetrieb weiterlaufen zu lassen, ist ein fatales Signal an die Wirtschaft. Selbst wenn die Atomenergie für die Stromversorgung keine Rolle spielt, wie das Wirtschaftsministerium behauptet, geht es eben nicht allein um Zahlen und Fakten, sondern auch um Befürchtungen und Einschätzungen. Je pessimistischer die Lage gesehen wird, desto stärker wird die Rezession.
Hinzu kommt nun auch noch, dass die Betreiber der betroffenen AKWs klipp und klar sagen, dass sich ihre Anlagen rein technisch nicht einfach innerhalb einer Woche hoch- und runterfahren lassen. Man fragt sich, welche Ministeriumsmitarbeiter die Entscheidungsvorlage für den Minister eigentlich so dilettantisch vorbereitet haben. Die Pförtner?
Auch viele EU-Partner halten es für, nun ja, sehr speziell, dass Deutschland mitten in der schwersten Energiekrise der Nachkriegszeit drei moderne Atomkraftwerke abschaltet. Ob sie unter diesen Umständen bereit sind, Deutschland bei der Beschaffung von Flüssiggas entgegen zu kommen? Der Enthusiasmus dürfte dadurch wohl kaum in den Himmel gewachsen sein. Die Entscheidungen rund um Atomkraft und Laufzeitverlängerungen sind jedenfalls politisch und technisch betrachtet ein einziger großer Murks.
Es liegt zum Teil daran, dass ein echter Kompromiss der Koalitionspartner unerreichbar war. Für Grüne ist Atomkraft nicht nur als Technologie ein Risiko. Würde Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck die Laufzeit in irgendeiner Form verlängern, wäre er wahrscheinlich in seiner Partei und im Rennen um die nächste Kanzlerkandidatur erledigt. Die Grünen-Anhänger, die mehrheitlich das Weiterlaufen der Nuklearanlagen befürworten, wären kein Problem.
Doch die Parteimitglieder und -funktionäre von der Basis bis zum Bundestag würden ihm das nie verzeihen. Diese innerparteilichen Probleme ändern jedoch nichts daran, dass ein Streckbetrieb der drei bestehenden Atomkraftwerke mindestens bis zum Frühjahr vernünftig wäre. Aber Politik ist eben auch zu 50 Prozent Psychologie.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Christian Lindner
Die libertären Posterboys
Außenministerin zu Besuch in China
Auf unmöglicher Mission in Peking
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Olaf Scholz’ erfolglose Ukrainepolitik
Friedenskanzler? Wäre schön gewesen!
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Rücktrittsforderungen gegen Lindner
Der FDP-Chef wünscht sich Disruption