Bürgergeld statt Hartz IV: Etikettenschwindel

Im rot-grün-gelben Sondierungspapier ist von einem Bürgergeld die Rede. Doch abgeschafft wird das menschenfeindliche Hartz IV-System damit nicht.

Eine Menschenmenge demonstriert, ein mann hällt ein rotes Schild mit der Aufschrift "Die Rote Karte Für Hartz IV"

Montagsdemonstration in Leipzig gegen die Pläne zur Arbeitsmarktreform im August 2004 Foto: Eckehard Schulz/imago

Es gehört schon fast zum Einmaleins einfallsloser Marketingstrategen, einem unbeliebten Produkt oder sogar Firmen einfach einen Namen zu verpassen, um ihm neuen Glanz zu verschaffen. Das Söldner­unternehmen Black Water benannte sich sogar gleich zweimal um, nachdem diverse Skandale – unter anderem die Tötung irakischer Zivilisten – bekannt wurden.

Einen ähnlichen Trick versucht nun die SPD mit ihrer Umetikettierung des Begriffs „Hartz IV“, der zwar nur inoffiziell das Arbeitslosengeld II beschreibt, aber synonym für das menschenfeindliche Drangsalierungssystem steht, das die rot-grüne Bundesregierung 2005 einführte. Im nun veröffentlichten Sondierungspapier ist die Rede von der Einführung eines neuen „Bürgergelds“ – ein Begriff, den die SPD schon seit Jahren zu etablieren versucht – offenbar erfolgreich.

Die Online-Portale von Zeit, FAZ und NDR berichteten schon von einer „Abschaffung“ von Hartz IV. Eine Deutung, die die wenigen teils kryptisch formulierten Sondierungsabsätze kaum hergeben und die Medien nicht übernehmen sollten. „Mitwirkungspflichten“ für Arbeitslose sollen demnach erhalten bleiben. Das heißt mit ziemlicher Sicherheit: Hartz-IV-Sanktionen, die einen schon kaum zum Leben reichenden Bedarfssatz kürzen, werden weiter angewendet. Keine Pflicht ohne die Androhung von Sanktion.

Apropos Bedarfssätze: Das „Bürgergeld“ soll zur „gesellschaftlichen Teilhabe befähigen“. Was das heißt, bleibt auch hier offen. Selbst bei der Erhöhung des Schonvermögens will man lediglich „prüfen“, ob man an den im Zuge der Coronapandemie gelockerten Regelungen festhält.

Eine Abkehr vom Hartz-IV-System lässt sich darin nicht erkennen, außer, man betrachtet „Hartz IV“ lediglich als Begriff – in diesem Fall könnten die Parteien natürlich auch alles andere beliebig umetikettieren. Wieso macht man aus dem ungeliebten Ehegattensplitting nicht ein „Ehepartnersplitting“ oder für das Grünen-Milieu ein Ehepartner:_*Innensplitting?

Seit Jahren sucht die SPD nach einem Umgang mit ihrer Agenda-2010-Vergangenheit. Ignorieren hat nicht funktioniert, nun soll also ein neuer Begriff her, um den Unwillen zur Veränderung zu kaschieren. Die Hartz-IV-Kritiker in Jugendverbänden und der Zivilgesellschaft haben nun die Aufgabe, ihre Parteispitzen zu substanziellen Verbesserungen bei Hartz IV, pardon, dem „Bürgergeld“, zu verpflichten. Ansonsten wird einfach nur ein Begriff verwendet, während die Opfer des Systems weiter leiden.

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