Bundesjugendspiele gehören abgeschafft: Ein traumatisches Ereignis

Seit 1979 müssen Kinder zeigen, wie gut oder schlecht sie rennen, werfen und springen können. Dass das jetzt etwas lockerer werden soll, hilft nichts.

Zwei Kinder rennen auf einer Tartanbahn

Irgendjemand ist immer der oder die Langsamste Foto: Markus Spiske / Unsplash

Die Bundesjugendspiele, diese Event gewordene Demütigung aller, deren Körper nicht für Leichtathletik, Geräteturnen und Schwimmen geboren wurden, sollen – nein, nicht abgeschafft, sondern ab dem kommenden Jahr etwas anders werden. Dann treten Grundschulkinder nicht mehr zum „Wettkampf“ gegeneinander an, sondern nur noch zum „Wettbewerb“. Ab der 5. Klasse können die Schulen dann zwischen den zwei Formen wählen.

Der Wettbewerb sei seit 2001 für Erst- und Zweit­kläss­le­r:in­nen vorgeschrieben, viele Schulen hätten sich nur nicht daran gehalten, erklärt eine Mitarbeiterin der Deutschen Sportjugend im Olympischen Sportbund, der dem Ausschuss für die Bundesjugendspiele angehört.

Den Unterschied erklärt die Mitarbeiterin so: Beim Wettbewerb wird nicht das einzelne Ergebnis gemessen, sondern – am Beispiel Weitsprung – in welchem vorher fest gelegten Bereich ein Kind gelandet ist. Das wird dann aber auch in Punkte umgerechnet.

Am Grundsatz ändert sich damit wenig, denn es geht weiter darum herauszufinden, wie „gut“ ein Kind ist. Daran wäre wenig auszusetzen, wenn das nicht damit einhergehen würde, dass einigen schwarz auf weiß bescheinigt würde, wie „schlecht“ sie sind.

Schwarze Pädagogik

Sie gehören zu den letzten 30 Prozent, die schlechter als alle anderen Kinder ihrer Altersgruppe abschneiden und deshalb nur eine Teilnahmeurkunde bekommen, während die anderen eine Sieger- oder Ehrenurkunde mit nach Hause nehmen. Letztere ziert auch heute noch die Unterschrift des Bundespräsidenten, und das seit 1979, als die Schulen verpflichtet wurden, jährlich Bundesjugendspiele durchzuführen.

Wetten, ich bin nicht die einzige, die gedacht hat, diese Sonderform schwarzer ­Pädagogik, von den Nazis als Reichsjugendwettkämpfe erfunden, sei längst abgeschafft? War sie nicht schon in derselben Mottenkiste verschwunden wie die Bundeswehrsoldaten, die in den 80er-Jahren nach Ende ihrer Dienstzeit Sportlehrer wurden und ihre Schü­le­r:in­nen mit den Methoden drillten, die sie in der Kaserne gelernt hatten?

Aber nein, Kinder und Jugendliche werden dem nach wie vor ausgesetzt, dieser Tage an Schulen im ganzen Land. Solche Kinder, wie ich eins war (als hätten Sie nicht längst geraten, warum ich mich so echauffiere) und all ihre Mit­schü­le­r:in­nen erleben dann, wie sie gerade einmal in Zone 1 der Sandkiste landen, beim Rennen nach Greta, Hanna und Martha ins Ziel kommen und ihnen der Ball aus der Hand plumpst – hinterm Rücken.

Um nicht an weitere Traumata zu rühren – den Begriff halte ich hier ausnahmsweise für nicht übertrieben – erspare ich Ihnen Ausführungen zu Reck, Pferd und Barren. Ich sage nur zwei Worte: Sack, nass.

Höher! Schneller! Weiter!

Als das jüngere meiner Kinder jetzt da durch musste (zum Glück ohne so zu leiden wie ich damals), habe ich das nicht gewusst, weil die Schulen die Bundesjugendspiele heutzutage beschönigend „Sportfest“ nennen. Immerhin stand auch Gummistiefelweitwurf und Sackhüpfen auf der Tagesordnung. Nur werden da keine Ergebnisse eingetragen, sie kaschieren bloß den Gesamtcharakter der Veranstaltung.

Dabei gewinnen bei den Randsportarten nicht selten die Kinder, die sonst immer als Letztes ins Ziel kommen, weil sie sich langsamer und bedächtiger bewegen und nicht vor lauter Ehrgeiz und Bewegungsdrang im Hüpfsack über ihre eigenen Füße stolpern. Nur Letzteres gilt als „sportlich“. Ob jemand gerne auf einen Baum klettert, im Wasser planscht, sich zu Musik bewegt, alleine oder mit anderen: Das spielt keine Rolle, wir sind hier schließlich im Kapitalismus. Höher! Schneller! Weiter!

Ganz schlaue Leute wenden ein, die Bundesjugendspiele seien gut für diejenigen, die in allen anderen Fächern mit schlechten Noten gedemütigt werden. Als würde die Unterschrift des Bundespräsidenten diese Verletzungen ausradieren! Und als wären Zahlen und Vergleiche in irgendeiner Weise geeignet, Menschen für etwas zu begeistern.

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Seit 2003 bei der taz als Redakteurin. Themenschwerpunkte: Soziales, Gender, Gesundheit. M.A. Kulturwissenschaft (Univ. Bremen), MSc Women's Studies (Univ. of Bristol); Alumna Heinrich-Böll-Stiftung; Ausbildung an der Evangelischen Journalistenschule in Berlin; Lehrbeauftragte an der Univ. Bremen; in Weiterbildung zur systemischen Beraterin.

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