Lützerath und die Grünen: Nicht genug Moral übrig

Beim Thema Waffen haben die Grünen eine atemberaubende Wende hingelegt. Bei der Braunkohle beharren sie stur auf Kompromissen – trotz Klimakrise.

Ein Aktivist klammert sich fest in der Luft vor einem gelben X

Aktivist in Lützerath bei der Räumung Foto: Finn Becker/imago

Inzwischen sind ja alle für den Klimaschutz – selbst der Kanzler, die Bosse der Energiekonzerne und die Autoindustrie. Nur eben nicht gerade jetzt. Aber nicht an jenem konkreten Beispiel. Und man müsse ja auch die Sachzwänge sehen. Immer ist gerade dann doch etwas anderes vordringlicher als der Klimaschutz. Mal müsse man, wie im Fall der Gasfelder im Senegal, die Geopolitik und die hegemoniale Afrikastrategie Chinas mitbedenken. Mal binde der Kohlekompromiss mit den Konzernen einem die Hände.

Gab es nicht einmal eine Partei, die für den entschiedenen Kampf gegen die Klimakrise gewählt wurde? Bei der Verteidigung der Ukraine mit militärischer Ausstattung haben die Grünen eine atemberaubende Entwicklung hingelegt. Schon früh und gegen jede politische Linie hat der heutige Vizekanzler und damalige Grünen-Chef Robert Habeck Waffenlieferungen für das Land gefordert. Mit der Moral auf ihrer Seite erklären sie noch jede Patrone und jeden Panzer, demnächst wohl auch die Lieferung des deutschen Kampfpanzers Leopard 2 zur notwendigen Unterstützung.

In Lützerath dagegen verweisen die Grünen auf Kompromisse mit den Bossen der Energie­kon­zerne, auf Koalitionszwänge und die sächsische Braunkohle. Für den Kampf gegen die Klimakrise ist bei den Grünen offenbar nicht genug Moral übrig geblieben. Hier diktieren Pragmatismus und Sachzwänge die Politik. Wenn uns die vergangenen drei Jahre Coronapandemie und Krieg etwas gelehrt haben, dann aber doch, dass undenkbar und unmachbar Erscheinendes in einer akuten Krise denkbar und machbar wird.

Wieso wird die Klima­kri­se immer noch nicht als akute Krise begriffen, in der einmal Entschiedenes auch revidiert werden kann? Wenn es bei einem Thema eine Zeitenwende geben­ müsste, dann doch bei der Klima­krise. Denn was ist das Pariser Klimaabkommen wert, wenn so weiter fleißig und ohne Scham fossiler Brennstoff aus dem Boden geholt wird und die CO2-Emissionen an die kritische Grenze getrieben werden?

Es gibt viele Lützeraths

In Lützerath verdichten sich die Widersprüche grüner Klimapolitik. Entsprechend groß sind Enttäuschung, Wut und Eskalationspotenzial. Eine Rechtfertigung für Militanz gegen Polizist.innen bei der Räumung ist dies selbstverständlich nicht. Aber vielleicht sollte man die Perspektive zumindest auch einmal umdrehen: Es ist die Polizei, die die Interessen von RWE mit Gewalt, mit dem staatlichen Gewaltmonopol im Rücken, durchsetzt.

In Lützerath wird nicht die finale Schlacht um das 1,5-Grad-Ziel gekämpft. Durchaus zu Recht verweisen die Grünen darauf, dass mit den Kohle­gebieten in Ostdeutschland der nächste politische Konflikt wartet. Das wissen auch all jene, die jetzt das, was vom Dorf noch geblieben ist, verzweifelt verteidigen. Doch an 10, 50, 100 Lützeraths entscheidet sich das Schicksal der Menschheit. Irgendwann summieren sich die vielen Lützeraths zu 2,8 Grad oder mehr. Deshalb stehen die Menschen dort und verteidigen ihre eigene und unsere Zukunft.

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taz-Chefredakteurin, Initiatorin der taz-Klima-Offensive und des taz Klimahubs. Ehemals US-Korrespondentin des Tagesspiegel in Washington.

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