Ampelkoalition plant Wertpapierrente: Bald sind wir alle Aktionäre
Im Sondierungspapier wurde die „Aktienrente“ der FDP übernommen. Ist es wirklich der beste Weg, die Altersvorsorge zu retten?
Die Ankündigung ist radikal. „Zur langfristigen Stabilisierung von Rentenniveau und Rentenbeitragssatz werden wir in eine teilweise Kapitaldeckung der Gesetzlichen Rentenversicherung einsteigen“, heißt es in dem ansonsten recht schwammig formulierten Sondierungspapier von SPD, FDP und Grünen.
Das Rentenprogramm der möglichen künftigen Regierung setzt also vor allem auf mehr Markt. Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik soll das Umlageverfahren, bei dem aktuelle Beitragszahler für die Renten der Bezieher aufkommen, erweitert werden durch eine Anlage auf dem Kapitalmarkt. Da die Ampelverhandler auf Drängen der FDP Steuererhöhungen ausgeschlossen haben und die SPD Rentenniveau und -eintrittsalter unbedingt halten will, sollen also die Kapitalmärkte die Alterssicherung stabilisieren – wenn auch zunächst mit Bundesmitteln. 10 Milliarden Euro würde die Koalition für ihr Projekt im kommenden Jahr bereitstellen.
Ein substanzieller Betrag, der vor allem vor dem Hintergrund verwundert, dass die FDP seit Jahren die Zuschüsse der Bundesregierung zur gesetzlichen Rente – aktuell ca. 100 Milliarden Euro jährlich – als zu hoch moniert. Dass die Freien Demokraten hier aber nicht davor zurückschrecken, viel Geld in die Hand zu nehmen, liegt daran, dass die „Aktienrente“ eines ihrer Lieblingsprojekte ist. Im Februar hat die Partei bereits ein Konzept dazu vorgelegt. Und so lässt sich auch ohne genauere Details im Sondierungspapier mutmaßen, was die Ampel vorhat.
2 Prozentpunkte werden angelegt
Das Konzept der beiden FDP-Bundestagsabgeordneten Johannes Vogel und Christian Dürr sieht Folgendes vor: Vom Rentenbetrag – also den 18,6 Prozent des Bruttolohns, die je zur Hälfte Arbeitnehmer und Arbeitgeber an die Rentenversicherung abführen –, sollen künftig 2 Prozentpunkte in Aktien und ähnliche Anlagen gesteckt werden. Man erhofft sich davon im Endeffekt höhere Renten für die Beitragszahler, weil an der Börse höhere Zuwächse erzielt werden.
Das Papier nennt Renditen „zwischen 8 und 10 Prozent – pro Jahr!“, die beispielsweise zwanzigjährige Anlagen von DAX und MSCI World abgeworfen hätten. Kein Arbeitnehmer müsse mehr Geld aufwenden als heute, gleichzeitig werde die gesetzliche Säule der Rentenversicherung abgesichert und „gerade Menschen mit geringen Einkommen würden erstmals von den Chancen der globalen Aktienmärkte profitieren“.
So weit die Idee, die übrigens auch von der Verbraucherzentrale unterstützt wird und seit der Jahrtausendwende in Schweden praktiziert wird. Doch die Aktienrente hat ihre Tücken. Zunächst einmal sind die Aktienmärkte Schwankungen unterworfen. Allein in den vergangenen 13 Jahren hat es zwei größere Finanzkrisen gegeben, die die Wertpapiere in den Keller schickten. Aktienbasierte Pensionsfonds, die 2010 ausliefen, vermeldeten nach der Finanzkrise 2008 teils Verluste von mehr als 40 Prozent.
Allerdings erholten sich – genau wie nach der aktuellen Coronakrise – die Märkte wieder. Langfristig steigen Werte seit Jahrzehnten recht verlässlich. Das gilt vor allem für Investments in breit gestreute Fonds, die Krisen in einzelnen Ländern und Branchen abfedern können. Das Risiko eines globalen und dauerhaften Crashs kann dennoch nicht ausgeschlossen werden.
Zudem ist zweifelhaft, ob tatsächlich vor allem geringe Einkommen profitieren. Denn natürlich erzielen bei einer verpflichtenden Aktienrente, bei der 2 Prozent des Gehalts angelegt werden, Gutverdiener hohe Gewinne. Niedriglohnbeschäftigte, die nur wenig einzahlen können, dürften nur geringe Gewinne erhalten.
Politisch instrumentalisieren
Gleichzeitig könnte eine Aktienrente sich kritisch auf die politische Debatte auswirken. Wenn die eigene Rente von den Entwicklungen der Aktienmärkte abhängig wird, ließe sich das politisch instrumentalisieren: Gegner von höheren Unternehmensteuern könnten dann argumentieren, dass derartige Maßnahmen Aktienwerte und damit die Rente selbst von Geringverdienern gefährdeten.
Ein Beispiel ist der Wahlkampf des ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump. Dieser warnte 2020 in einem Tweet, dass die Aktienwerte und 401k (so der Name einer finanzmarktbasierten Altersvorsorge in den USA) „verschwinden“ würden, wenn die „radikale Linke“ und der „korrupte Joe Biden“ erhebliche Steuererhöhungen durchsetzen.
Doch ist eine Aktienrente überhaupt notwendig? Im FDP-Papier heißt es: „Die demografische Entwicklung droht, die Leistungsfähigkeit unseres Sozialstaats schon bald massiv einzuschränken.“ Allerdings ist umstritten, ob es wirklich so schlecht um die gesetzliche Rente bestellt ist.
Zunächst einmal reflektiert der dreistellige jährliche Milliardenzuschuss vom Bund nur zum Teil eine Schieflage zwischen Beitragszahlern und Empfängern. Finanziert werden mit dem Zuschuss auch sogenannte versicherungsfremde Leistungen. Darunter fallen zum Beispiel Rentenbeiträge für Kindererziehungszeiten, die 2019 15,4 Milliarden Euro ausmachten, aber auch Transfers in die neuen Bundesländer (5,6 Milliarden). Der Zuschuss zur allgemeinen Rentenversicherung selbst betrug 2019 72,3 Milliarden Euro.
Alternativen
Wollte man diese Finanzierungslücke schließen, kämen auch andere Maßnahmen infrage, die aber im Gegensatz zur Aktienrente einen stärkeren Umverteilungscharakter hätten. So könnte man die Beitragsbemessungsgrenze anheben, also den Punkt, ab dem für höhere Einkommen der Rentenbeitrag nicht mehr mit dem Einkommen steigt (ab 2022 84.600 Euro Jahresgehalt). Denkbar wäre auch die Einbeziehung von Beamten in die gesetzliche Rentenversicherung.
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Die Reichelt-Affäre, Springer und der „Boy-Club“: Warum man das ganze System feuern müsste – in der taz am wochenende vom 23./24. Oktober. Außerdem: Das immer salziger werdende Wasser im Südwesten Bangladeschs gefährdet die Gesundheit der Frauen, die im Flusswasser arbeiten müssen. Und: Gefühle steuern unser Handeln, sind jedoch keine Programme, die immer gleich ablaufen. Eine emotionale Sachkunde. Ab Samstag am Kiosk, im eKiosk, im praktischen Wochenendabo und rund um die Uhr bei Facebook und Twitter.
Die Rentendebatte bezieht sich zudem seit einigen Jahren hauptsächlich auf die Frage der Generationengerechtigkeit: Wegen der zunehmenden Zahl an Rentnern müssten immer weniger Arbeitnehmer für immer mehr Rentner aufkommen. Allerdings verschiebt sich das Verhältnis zwischen Menschen im Erwerbsalter und Senioren bereits seit Jahrzehnten – und dennoch ist die gesetzliche Rente bisher nicht kollabiert, weil der Alterung die steigende Produktivität der Arbeitnehmer und höhere Löhne gegenüberstehen. Mit moderaten Produktivitätssteigerungen könnte – etwa laut den Berechnungen des Statistikers Gerd Bosbach – die gesetzliche Rente auch in den kommenden Jahrzehnten stabil bleiben.
Höhere Einnahmen für die Rentenkasse wären außerdem möglich: Wenn vor allem Geringverdiener besser bezahlt würden, gäbe es auch höhere Einnahmen für die Rente und Arbeitnehmer hätten selbst im Falle von steigenden Rentenbeiträgen mehr Geld zur Verfügung. Eine alternative Strategie wäre zudem, die Erwerbstätigkeit bei Frauen und Älteren zu erhöhen. Diese Vorschläge finden sich übrigens auch teilweise im Sondierungspapier. Würden sie umgesetzt, müsste eine Aktienrente also gar nicht unbedingt sein.
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