Amnesty unterstellt Israel „Apartheid“: Nichts als antiisraelische Stimmung

Früher ging es der einst noblen NGO um die Freilassung von Inhaftierten. Heute unterwirft sich Amnesty International politischen Moden.

Menschen an einem Strand in Tel Aviv

Von „Apartheid“ keine Spur: Getrennte Strände gibt es in Tel Aviv nicht Foto: Menahem Kahana/afp

Das ist ein Nachruf auf eine honorige Organisation. Sie ist allen bekannt, die sich für Menschenrechte interessieren, weltweit, und für die Arbeit daran, den Opfern und Inhaftierung überhaupt, den Weggesperrten zu helfen: Amnesty International, in den frühen Sechzigern gegründet, hatte unter allen Menschenrechtsinstitutionen global den besten Ruf, weil alle schmutzig-politischen Regime AI buchstäblich hassten.

Die Mitglieder von AI blieben subversiv, sie schrieben nur Postkarten an Machthaber; aus Hunderten von Briefen sollte Druck erwachsen, die Inhaftierten freizulassen, eben: zu amnestieren. Der Ton war bestimmt, aber immer ein bisschen diplomatisch devot. Das musste so sein, weil man ja erreichen wollte, dass etwa zwei portugiesische Studenten freikommen, die von der Polizei in Lissabon einkassiert und in ein Verlies gesperrt wurden, weil sie sich kritisch über die Rechtsdiktatur äußerten.

AI nahm keine Rücksicht auf linke Üblichkeiten, das Kümmern widmete sich besonders Opfern rechter Diktaturen, aber nicht minder den Verfolgten im realsozialistischen Bereich. AI war eine Macht in der Welt des Vorpolitischen, der globalen Öffentlichkeit. Auch deshalb, weil dieser Verein sich eben keiner, absolut keiner politischen Linie unterwarf.

Ihr dürft nicht so laut auf Missstände in der Sowjetunion hinweisen, nicht auf Gulags und die politische Justiz – das dient nur den US-Imperialismus!, so hieß es oft. Nein, AI, eine britische Gründung, aus dem Geist eines liberalen, absolut am Individuum orientierten Begriffs von Menschenrechten hervorgegangen, ließ sich im Kalten Krieg vor keine Karren spannen.

Der Report, eine Bankrotterklärung

So hätte es weitergehen können, bis heute. Aber seit der Popularisierung des Menschenrechtsgedankens ins Allgemeine und damit Uferlose – AI äußerte sich nie zu politischen Lagen insgesamt – ist auch diese Organisation wie alle anderen: Man unterwirft sich politischen Moden und Stimmungen.

Anfang der Woche kam aus der Londoner Zentrale von AI ein Bericht, der sich nicht um einzelne, besonders prekär bedrohte Gefangene etwa in China oder in Iran drehte. Sondern, der Top Hit der internationalen Polit-woke-Bewegung, um Israel.

Dieser Report kam einer Bankrott­erklärung gleich, insofern sind diese Zeilen auch ­faktisch ein Nachruf auf einen noblen Verein, der viel Gutes bewirkt hat, doch inzwischen kaum mehr als lautstärkebewusster Zirkel von ideologischen Kor­rup­teu­r*in­nen ist. Die deutsche Sektion von AI hat sich diesem Bericht offiziell nicht angeschlossen, weil man, abstoßend ehrlich, um die „besondere Verantwortung der deutschen Amnesty-Sektion wegen des Holocaust“ weiß.

In dem Report wird Israel das schon hinlänglich Bekannte attestiert. Alles schlimm dort, Menschenrechtsverletzungen und derlei Global-Labertaschen-Rhetorik mehr. Worauf es in dem Bericht, medial natürlich perfekt inszeniert, ankam, ist, die Voodoo-­Vokabel „Apartheid“ – Israel operiere in dem von dessen Militärs besetzten Gebieten in der Westbank nicht nur wie Südafrika bis zum offiziellen Ende der weißen Herrschaft, also als Apartheidsregime, sondern auch auf israelischem Kerngebiet in den Grenzen von 1967.

Der Vorwurf deutet auf politpornografische Sinnlosigkeit hin

Und genau dieser Vorwurf ist nicht nur eine Lüge, sondern auch eine Bagatellisierung dessen, was in Südafrika und auch in weiten Teilen der US-Südstaaten bis Mitte der sechziger Jahre entweder Staatsordnungsprinzip oder gang und gäbe war. Apartheid – das ist die offizielle Trennung aller öffentlichen Einrichtungen nach Hautfarben. Sitzbänke, auf denen Schwarze nicht Platz nehmen dürfen; Heiratsverbote, getrennte Strände – Apartheid eben, verordnetes Getrenntsein. Eines, das keineswegs als freundliche Anregung formuliert war: Wer sich nicht fügte, musste in Südafrika mit Schlägen, Festnahmen, Inhaftierung und Folter rechnen.

Nichts davon, gar nichts stimmt in dieser Hinsicht für Israel. Amnesty International schreibt einen Bericht, der bar aller Fakten daherkommt – und nichts als antiisraelische Stimmung machen will. Zu den Tatsachen des gesellschaftlichen Lebens selbst.

In der israelischen Regierung sitzt eine Partei Arabischstämmiger, die man ohne moralischen Verdruss als islamistisch bezeichnen darf – dieser Teil der Anti-Netanjahu-Regierung hat schon mehr für die konkreten Lebensbedingungen der arabischen Israelis erreicht, als sich das AI nur zu träumen vorstellt.

Ein Fünftel der israelischen Bür­ge­r*in­nen­schaft ist nicht jüdisch – und eine Fülle von arabischen Bür­ge­r*in­nen geht qua Bildungsaufstieg den Marsch durch die Institutionen, sie werden Ärz­t*in­nen und so weiter.

An israelischen Stränden gibt es keine jüdisch separierten Teile; dort sieht man arabische Familien, deren Frauen häufiger als hierzulande in Burka herumlaufen. Dass der Staat selbst jüdisch zu sein hat, ist der historische Fakt, der viel mit dem Holocaust zu tun hat – es sollte einen Platz in der Welt geben, an dem fraglos Jüdisches sein kann. Und das ging die ganze Welt an. Die Opfer der drohenden Shoah ersuchten nämlich auf ihren Fluchten aus Deutschland und Europa Asyl in aller Welt – und so gut wie kein Land zeigte sich zuständig, die Texte zur Evian-Konferenz 1938 geben einen Einblick.

An vulgärem Antizionismus gestorben

Israel ist in jeder Hinsicht auch kompliziert, aber nicht, weil man sich gegen politisch-ideologische Zumutungen erwehrt, denen zufolge man, wie viele der antiisraelischen Campaigning-Gruppe BDS, sich gefälligst trolle, am besten qua Selbstauslöschung im Mittelmeer verschwindend, sondern weil es ein Land ist, das sich inklusive seiner arabischen Bevölkerung ständig delegitimiert sieht. Das Land kann sich seiner Nachbarschaft nicht sicher sein.

In Israel leben selbst die ärmsten der ­arabischstämmigen Bür­ge­r*in­nen noch besser als jene, die unter den korrupten und fundamental toxischen Regimen in Ramallah und Gaza zu leben haben. Mit anderen Worten: Amnesty International und ihre deutschen Freun­d*in­nen aus dem Kulturestablishment, auch jene, die für die anti­israelisch gewirkte Documenta in diesem Jahr in Kassel verantwortlich sind, wissen nicht, woraus der Stoff ist, von dem sie ­reden.

Diese Debatten um Israel gehen weiter, selbstverständlich. Um das 1948 gegründete Land am Mittelmeer braucht sich niemand Unberufenes kümmern – das kann es vital und diskursiv dauerzänkisch wie immer seit Jahrzehnten schon gut allein. Das Wort „Apartheid“ zu wählen, um einen Staat zu dämonisieren, deutet auf politpornografische Sinnlosigkeit hin: Die es äußern, schmücken sich im selbst eingelassenen Badewasser der kulturmainstreamigen Zustimmung.

Schade um eine einst verdienstvolle Organisation. AI siechte lange vor sich hin, sie ist an vulgärem Antizionismus gestorben. Sie ist keine Spende mehr wert, denn wer wirklich verloren und übersehen in Knästen verklappt werden soll, hat von diesem Verein nichts mit Glaubwürdigkeit zu erwarten. Traurig!

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