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Lehrerin über Rassismus an Schulen„Wer sagt, dass wir neutral sein müssten, hat keinen Plan“

Gina Waibel ist Lehrerin und viral gegangen. Ein Gespräch über Angriffe der AfD, Neutralität und was man rechten Gesinnungen entgegensetzen kann.

Bekam für virales Video gegen rechts Shitstorms und macht jetzt Fortbildungen: Lehrerin und Influencerin Gina Waibel Foto: privat

Interview von

Alice von Lenthe

taz: Frau Waibel, was ist das größte Problem in deutschen Schulen?

Waibel: Wir leben in einer super diversen Gesellschaft. Aber Lehrkräfte haben weder die nötigen Mittel noch die Sensibilität, um damit umgehen zu können. Viele denken, Rassismus beginne erst bei Beleidigungen oder Gewalt. Ihnen ist nicht bewusst, dass er strukturell verankert ist und es auch Alltagsrassismus gibt. Sie setzen sich zu wenig damit auseinander, weil sie selbst oft nicht betroffen sind.

taz: Können Sie ein konkretes Beispiel für Rassismus in der Schule nennen?

Waibel: Schü­le­r:in­nen haben mir immer wieder Vorfälle anvertraut, in denen sich Lehrkräfte rassistisch verhalten haben. Es beginnt damit, dass Kol­le­g:in­nen Afrika exotisieren, indem sie ihre Schü­le­r:in­nen trommeln lassen, wenn sie darüber sprechen. Und es reicht bis hin zu offenen Beleidigungen wie: „Ihr Muslime seid nur zu faul.“ Auch bei Rassismus unter den Schü­le­r:in­nen wird nicht immer eingegriffen. Wenn ich Kol­le­g:in­nen darauf angesprochen habe, hieß es oft, sie hätten es nicht so gemeint oder wüssten nicht, dass es schlimm sei.

Bild: Lotte Ostermann
Im Interview: Gina Waibel

Lehrerin und Bildungs-Influencerin. Geboren 1989, unterrichtete neun Jahre lang Hauswirtschaft und Ethik für die Klassen 5 bis 10 an einer Gemeinschaftsschule in Baden-Württemberg. Waibel war dort auch Anti-Rassismus-Beauftragte. Seit 2023 bietet sie Fortbildungen für Lehrkräfte zu Anti-Rassimus an.

taz: Wie haben Sie darauf reagiert?

Waibel: Ich habe die Vorfälle der Schulleitung gemeldet, aber es ist nichts passiert. Einmal wurde das rassistische Verhalten eines Kollegen mit seinem Humor gerechtfertigt. Ein anderes Mal wurde mir vorgeworfen, ich würde Kol­le­g:in­nen Dinge unterstellen. Es gab keinerlei Bereitschaft zur Sensibilisierung. Dabei wird so viel Geld für etliche Schulungen in anderen Bereichen ausgegeben.

taz: Vor zwei Jahren ist ein Video von Ihnen viral gegangen. Als Reaktion auf Friedrich Merz, wie er migrantische Jugendliche „kleine Paschas“ nennt und von mangelndem Respekt für Lehrerinnen spricht, nahmen Sie eine Szene aus Ihrem Schulalltag auf. Darin begegnen Ihnen migrantische Jugendliche sehr zuvorkommend. Was hat Sie dazu veranlasst, das zu posten?

Waibel: Vor allem in Ethik habe ich oft aktuelle Debatten behandelt. Diese Aussage hatten meine Schü­le­r:in­nen mitbekommen und wollten darüber sprechen. Wir haben uns zusammen überlegt, wie wir Merz vielleicht fronten können, haben das Video erst mal nur für uns gedreht und fanden es total witzig. Der Dreh war ein Empowerment für die Schüler:innen. Sie konnten nach dieser abfälligen Bemerkung über sie der Gesellschaft ein anderes Bild von sich zeigen. Und dann wollten sie es unbedingt posten. Die Jungs waren die Kings der Schule, als das viral gegangen ist.

taz: Unter diesem Post steht in einigen Kommentaren so etwas wie: Wer Jugendliche respektlos behandelt, wird auch von ihnen respektlos behandelt. Stimmen Sie dem zu?

Waibel: Ja, voll. Es gibt natürlich immer die, die man nicht erreicht. Das sind halt Jugendliche. Aber der springende Punkt dabei ist: Es kommt nicht auf die Herkunft an. Ich hatte auch schon respektlose Schüler, die mich dumm angemacht haben. Die mir sogar den Tod gewünscht haben. Aber in dem Fall war es ein Schüler ohne Migrationsgeschichte.

taz: Wie sind Sie damit umgegangen, dass ein Schüler Ihnen den Tod gewünscht hat?

Waibel: Das hat mich schon beschäftigt. Ich hatte ihm nichts getan, außer zu sagen, dass er seinen Müll aufheben soll. Ich habe es der Schulleitung gemeldet. Aber nach zwei Stunden war das Thema für mich vergessen, es ist halt passiert.

taz: Nach dem viralen Video haben Sie angefangen, über Rassismus in der Schule auch in den sozialen Medien aufzuklären. Dafür haben Sie Anfeindungen bekommen, sowohl im Netz als auch in Ihrer Schule. Von wem gingen diese aus?

Waibel: In der Schule war es eine junge Kollegin, die andere gegen mich aufgehetzt hat. Immer wieder hat sie meine Beiträge der Schulleitung gezeigt und behauptet, ich würde die Schule in ein schlechtes Licht rücken. Die hat nicht gerafft, dass es mir um Strukturen geht. Aber daraufhin wurde ich ins Schulamt eingeladen.

taz: Die nächsthöhere Instanz über der Schulleitung.

Waibel: Genau. Die haben dann klargemacht, dass das, was ich mache, okay ist. Und dass ich mich an den Beutelsbacher Konsens halte, der die Grundprinzipien für politische Bildung festlegt. Aber eigentlich sind das Schulamt und das Regierungspräsidium auch nicht die Instanzen, die für Gerechtigkeit sorgen.

taz: Warum nicht?

Waibel: Die meisten dort haben nicht das nötige Wissen, Rassismus und Diskriminierung zu erkennen und adäquat darauf zu reagieren. Es gibt einfach kein Schutzkonzept. Zum Beispiel dürfen die Antidiskriminierungsstellen der Länder weder Schü­le­r:in­nen noch Lehrkräfte beraten.

Verpflichtende Schullektüre enthält noch immer das N-Wort, manchen Lehrkräften macht es geradezu Spaß, es im Unterricht zu gebrauchen. Es steht wenig zur deutschen Kolonialgeschichte in Schulbüchern. Und wenn doch, läuft das häufig unter „Eroberer und Entdecker“. Das klingt nach Abenteuer, nicht nach Gewalt und Genozid. Afrika wird als primitiv und unzivilisiert dargestellt. Das vermittelt Weißen Kindern ein stereotypisches Bild und bei Schwarzen Kindern kann diese Darstellung erste negative Selbstbilder erzeugen.

taz: Von wem stammen die Anfeindungen gegen Sie im Internet?

Waibel: Die erste größere von Thorsten Weiß, einem AfD-Abgeordneten im Berliner Senat. Er hat ein Video von mir auf X gepostet, gefragt, ob mich jemand kennt und ob es in meinem Unterricht Indoktrination gebe. Dann hat ihm der AfD-Typ aus meiner Gemeinde geschrieben, wo ich wohne. Immer wieder haben auch Nius-Journalisten über mich als „linksgrüne Lehrerin“ berichtet. Und wegen des X-Posts habe ich auch viele E-Mails von ekligen Typen bekommen, darunter ein Dickpic. Den Mann habe ich angezeigt.

taz: Das Neutralitätsgebot für Lehrkräfte besagt, dass Leh­re­r:in­nen keine Parteipolitik betreiben dürfen, weder innerhalb noch außerhalb der Schule. Es besagt aber auch, dass Lehrkräfte sich in ihrem Beruf aktiv für die Verfassung und ihre Werte einsetzen müssen. Was leiten Sie für Ihren Unterricht davon ab, vor allem für Ihren Umgang mit der AfD als rechtsextremer Partei?

Waibel: Sobald eine rechtspopulistische Aussage fällt, thematisiere ich das im Unterricht. Nicht nur von der AfD. Zum Beispiel auch die von Merz zum Stadtbild. Man muss dazu Stellung beziehen, wenn Rassismus oder Diskriminierung in der Politik, in den Medien oder in der Klasse reproduziert werden. Sonst hat man seinen Eid verpeilt. Jeglicher Menschenfeindlichkeit muss man sich widersetzen. Lehrkräfte, die das nicht tun, haben nichts in ihrem Job verloren. Wer immer noch damit argumentiert, dass wir neutral sein müssten, hat keinen Plan.

taz: Und wie machen Sie das?

Waibel: Als zum Beispiel diese Abschiebe-Tickets von der AfD verteilt wurden, haben das die Schü­le­r:in­nen mitbekommen. Viele hatten die sogar im Briefkasten. Es waren damals drei rechte Schüler bei mir in der Klasse und ich habe die gefragt, wie sie es finden, dass ihre Klassenkameraden solche Tickets bekommen haben. Man kann es doch nicht Tiktok überlassen, dass sie sich eine Meinung bilden. Man hat die Pflicht, das einzuordnen, und wo soll das besser passieren als in der Schule, wo alle zusammen sind.

taz: Solche Gespräche sind sicher nicht einfach. Wie kann man rechten Gesinnungen entgegenwirken?

Waibel: Wir haben per Zoom mit Personen gesprochen, die selbst Diskriminierung erleben. Zum Beispiel mit einer jüdischen Person über Antisemitismus. Die Schü­le­r:in­nen haben sich vorher mit der jeweiligen Diskriminierungsform auseinandergesetzt und Fragen vorbereitet.

So konnten die Schü­le­r:in­nen verstehen, wie der Alltag für einen jüdischen Menschen in Deutschland aussieht, oder für eine Muslima mit Hijab, eine Schwarze Frau oder eine Roma. Gegen das, was ihnen Maximilian Krah auf Tiktok erzählt, kann man zwar anreden – aber für manche bin ich trotzdem die „linksgrüne Lehrerin“, die angeblich Quatsch erzählt. Wenn sie aber Kontakt zu Menschen bekommen, über die sie sonst nur Narrative hören, bewirkt das ein bisschen was. Das kann ich wirklich beobachten.

taz: Das klingt, als würde es weit über das übliche Engagement von Lehrkräften hinausgehen.

Waibel: Ich würde da gar nicht so den Lehrkräften die Schuld geben. Verpflichtende Fortbildungen und Sensibilisierung müssen von oben kommen. Wir haben Studien wie die Max-und-Murat-Studie, die belegen, dass struktureller Rassismus in der Schule besteht, und trotzdem passiert nichts. Es kommt bisher immer auf Einzelpersonen an, die in ihrer Freizeit Fortbildungen besuchen, um sich weiterzubilden und dann in der Schule die Arbeit machen, die der Staat tun sollte. Denn in der UN-Kinderrechtskonvention steht, dass jedes Kind das Recht hat, in der Schule diskriminierungsfrei lernen zu dürfen. Aber im Studium gibt es immer noch keine verpflichtenden Module zu diesem Thema.

taz: Das Neutralitätsgebot für Lehrkräfte wird häufig von rechts instrumentalisiert, um eine kritische Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus im Unterricht zu verhindern. Geht diese Strategie auf?

Waibel: Voll. Und sie verursacht, dass Lehrkräfte, die politisch mittig stehen, sich nicht trauen, zum Beispiel etwas zu den Abschiebeplänen der AfD zu sagen. Obwohl da Kinder vor ihnen sitzen und fragen, ob es sein kann, dass sie abgeschoben werden.

taz: Warum haben Sie sich im Juni aus dem Lehrberuf zurückgezogen?

Waibel: Es wurden mir Steine in den Weg gelegt. Es gibt nicht viele Schulleitungen und Kolleg:innen, die Bock drauf haben, dass jemand ihnen ihre -Ismen aufzeigt. Also habe ich mich entschieden, mich auf die Fortbildungen zum Thema Anti-Rassismus zu konzentrieren. Das kommt am Ende auch mehr Schü­le­r:in­nen zugute. Die rechte Bubble hat das nicht kapiert, die hat erst mal gejubelt, als ich den Schritt gemacht habe.

taz: Was sollte eine Schule tun, die ernsthafte Anti-Rassismus-Arbeit leisten möchte?

Waibel: Sie sollte mit dem gesamten Kollegium eine Fortbildung zu Rassismuskritik und Diversitätssensibilität besuchen. Dann muss es unbedingt unabhängige Meldestellen geben. So kann gewährleistet werden, dass Vorfälle ernst genommen werden. Sie muss mit Ex­per­t:in­nen besetzt sein, die Vorfälle ernst nehmen und einordnen können. Und es muss Sanktionen für Lehrkräfte geben, die sich rassistisch und diskriminierend ihren Schü­le­r:in­nen und anderen Lehrkräften gegenüber verhalten. Erst dann passiert auch etwas.

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10 Kommentare

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  • Ne. Sorry. Bei Bildungs-Influencerin hörts bei mir schon auf. Kein Interesse.

  • Im Übrigen, Frau Waibel ist ehemalige Lehrerin; siehe www.instagram.com/frau_waibel/?hl=de

    • @DiMa:

      Sie ist Lehrerin.

  • Ich bin in meiner Schulzeit pausenlos von Lehrern gegänngelt worden aus politischen Gründen. Ich war einer von nur 2 Nichtpionieren an der ganzen Schule. Klassenlehrer und Schuldirektor schrieben halbjährliche Berichte über mein Verhalten alles nachzulesen in den Stasiakten meiner Eltern.



    Aktuelle Politik sollte möglichst gar kein Thema an Schulen sein. Wenn die Lehrerin hier SuS, die sie für politisch anders denkend hält aktiv anspricht, Kinder sind übrigens nie links oder rechts, finde ich das höchst problematisch. Die Wege zur Hölle sind gepflastert mit guten Absichten.

    • @Šarru-kīnu:

      Also sollen 13-jährige mit Nazisymbolen die gegen Minderheiten hetzen nicht darauf angesprochen werden, weil sie als Kinder ja niemals rechts sein können? Und mit 14, wenn sie dann jugendlich sind, passt das dann? Interessante Theorie.

  • Nur hilft ein gescriptetes Video nicht gegen die Alltagserfahrungen, die Lehrer tagtäglich in den Schulen machen. Das Problem der sich verschlechternden Umgangsformen lässt sich durch so ein Video schlichtweg nicht wegmoderieren.

    Wenn ich sehe wieviel Zeit und Kraft ich als Elter aufwenden musste, um die aus der Schule meiner Kinder mitgebrachten Spleens (einschl. Homophobie und Frauenfeindlichkeit) wieder auszugleichen, dann kann ich dem hier wenig abgewinnen. Und ja, diese Spleens kammen genau von denen, die Herr Merz verallgemeinernd als "kleine Paschas" bezeichnet hat (Hinweis: Schulbesuch Neukölln). Das es auch anders geht, hat sich nach dem Wechsel auf eine Sportschule schnell gezeigt.

    • @DiMa:

      Ich arbeite als Sozialarbeiter mit deutschen Kindern und Jugendlichen und hier am Ostrand der BRD gibt es tatsächlich Schulklassen, in denen nur deutsche und polnische Kinder sind - die Beobachtung zu den Umgangsformen sind die Gleichen.



      Und wenn wir mit Eltern sprechen, haben ihre eigenen Kinder das natürlich immer von den Anderen gelernt. Die deutschen Kids haben bei den wohlhabende Eltern der polnischen Mittelschicht keinen guten Ruf. 😂

  • Danke für das Interview und vor allem für die sensible Art, starke Arbeit und Aufmerksamkeit von Menschen wie Gina Waibel. Es sind leider so oft die unqualifizierten und unreflektierten Reflexe von MitläuferInnen im System, die Menschen, welche Schwachpunkte aufzeigen und sie verbessern wollen, verunsichern und blockieren.



    Großartig, dass sie nicht aufgegeben hat, sondern ihr Talent und ihre Aufrichtigkeit dazu nutzt um Rassismus an den Schulen mit Fortbildungen für die vielzahl der wahrlich hilfsbedürftigen Lehrkräfte zu begegnen.



    Es ist Fakt, dass unser System strukturellen Rassismus in sich birgt. Lange wurde dieser durch unseren "Wohlstand" nur überschminkt.

  • Und genau deshalb ist die AfD so groß, weil eine berufene Gruppe hinter allem und jedem -Ismen sieht. Nach ihrer eigenen Definition natürlich.

    • @charly_paganini:

      Gegentheorie: Weil der Großteil der Menschheit nicht die Eier in der Hose hat, sich den eigenen Ismen zu stellen. Trump, AgD usw. sind Profiteure der Feigheit.