Wiederwahl von Boris Palmer: Zeit zur Versöhnung
Boris Palmer und die Grünen brauchen sich gegenseitig. Je früher sie einen Kompromiss finden, desto besser.
J oschka Fischer hatte sich einst zum letzten Rock ‚n‘ Roller der Grünen erklärt. Mit Boris Palmer ist das Rollenfach neu besetzt. Der Querkopf aus Tübingen hat im ersten Wahlgang seinen Bürgermeistersessel zum dritten Mal gewonnen – gegen seine eigene Partei. Der Demokratie in seiner Stadt hat Palmer mit diesem Ritt ganz offensichtlich einen Dienst erwiesen.
Sensationelle 62,6 Prozent Wahlbeteiligung bei einer Oberbürgermeisterwahl, das gibt es in Baden-Württemberg selten, der Durchschnitt liegt bei 44 Prozent. Aber auch seiner Partei hat er etwas Gutes getan. Das grüne Enfant terrible aus der Partei zu werfen, um sich nicht mehr mit ihm auseinandersetzen zu müssen, war keine gute Idee. Jetzt muss geredet werden.
Der Kompromiss zum Parteiordnungsverfahren zwischen den Grünen und Palmer sieht vor, dass es spätestens im nächsten Jahr Gespräche geben soll, wie beide Seiten künftig wieder miteinander klarkommen. Davon haben alle etwas. Denn Palmer ist ein Grüner durch und durch. Und bei allem Streit wäre er nie bereit, die Partei zu verlassen. Natürlich auch weil er weiß: Sein Revoluzzertum funktioniert nur im grünen Kontrast.
Umgekehrt braucht die Partei einen kommunalen Klimapionier mit bundesweiter Ausstrahlung. Nicht nur weil die Landespartei gerade eine kommunalpolitische Offensive ausgerufen hat, sondern weil Palmer gegen alle Zweifler in Tübingen vorführt, dass man Wirtschaftswachstum und Klimaneutralität zusammenbringen kann. Darüber hinaus ist die Nervensäge Palmer für eine Partei, die das Zeug zur neuen Volkspartei hat, unverzichtbar.
Denn er erreicht als Grüner Wählerschichten, die vielleicht sonst nur noch Figuren wie Winfried Kretschmann ansprechen. Cem Özdemir hat das Potenzial erkannt, wenn er twittert: Zusammen mit den Stimmen der grünen Gegenkandidatin hätten 70 Prozent der Tübinger grün gewählt. Außerdem ist Palmer innerparteilich eine wichtige Gegenstimme, wenn es um die antidemokratischen Tendenzen bei linken Sprechverboten und einengende identitätsideologische Diskurse geht, die in der Grünen Partei auf dem Vormarsch sind.
Was aber weder die Partei noch die politische Kultur braucht, ist jener Palmer, der seine eigenen, oft provinziellen Toleranzlimits zum Maßstab macht, Menschenrechte von Geflüchteten einschränken will oder sich auf seinem Facebook-Account wie ein Wirtshausschläger inszeniert. Seine Egomanie muss er auch deshalb zähmen, weil er für seine berechtigten Anliegen in der Partei Verbündete braucht.
Von Joschka Fischer wie von Keith Richards kann man lernen: Auch Rock ‚n‘ Roller haben unterschiedliche Schaffensphasen. Irgendwann sind sie zu alt für Turnschuhe und zertrümmerte Hotelzimmer, haben aber ihren unverwechselbaren Sound gefunden. In Abwandlung eines Wahlplakats im Tübinger Wahlkampf könnte man sagen: Palmer soll bitte bleiben wie Palmer. Aber ohne Rassismus.
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