Scholz-Äußerung über Klimaaktivismus: Ein Kanzler, der verdrängt
Bundeskanzler Scholz hat ziemlich sicher Klimaaktivismus mit dem Nationalsozialismus verglichen. Das ist ein Skandal, im Grunde ein Rücktrittsgrund.
B undeskanzler Olaf Scholz hat ziemlich sicher Klimaaktivismus mit dem Nationalsozialismus verglichen. „Ich sage mal ganz ehrlich: Diese schwarzgekleideten Inszenierungen bei verschiedenen Veranstaltungen von immer den gleichen Leuten erinnern mich an eine Zeit, die lange zurückliegt – und Gott sei Dank“, sagte Deutschlands sozialdemokratischer Regierungschef am Freitag auf dem Katholikentag in Stuttgart an die Klimaaktivist:innen gerichtet, die ihn bei einer Ausführung zur Kohlepolitik unterbrachen.
Zugegeben gibt es in Deutschlands Geschichte viele dunkle Zeiten. Es gibt aber eine singulär herausstechende Periode, zu der das kollektive Bewusstsein bei einer Formulierung wie der von Scholz praktisch notwendigerweise springt, sofern es keine sonstige Spezifizierung gibt. Gegen diese Interpretation spricht eigentlich nur, dass ein Bundeskanzler es besser wissen sollte. Jetzt könnte man Scholz wegen seiner typischen Uneindeutigkeit in Schutz nehmen. Aber es ist doch so: Mindestens hat er in Kauf genommen, dass man seine Aussage so deuten kann.
Das ist ein Skandal, im Grunde ein Rücktrittsgrund, den das Publikum auf dem Katholikentag auch noch in rauschendem Applaus untergehen ließ. „Der Kanzler der Bundesrepublik relativiert in nur einem Halbsatz die NS-Herrschaft, und auf paradoxe Art und Weise die Klimakrise gleich mit“, twitterte dann Klimaaktivistin Luisa Neubauer am Sonntag. Wenn es „im Skript steht“, lobe die Regierung die Engagierten für die Umwelt. „Wenn man aber ‚ganz ehrlich‘ ist, sieht man sie dann doch ein bisschen wie Nazis?“, fragte Neubauer. „Was ist das für ein Geschichtsbewusstsein? Was ist das für ein Klimabewusstsein? Alles daran, so irre.“
Empfohlener externer Inhalt
Am Montag las man in Schlagzeilen, Neubauer werfe Scholz einen NS-Vergleich vor. Das skandalisiert die falsche Seite. Was soll der Kanzler denn sonst gemeint haben? Eine gute Möglichkeit, das zu erklären, wäre beispielsweise die Regierungspressekonferenz am Montag gewesen. Auf den Eklat angesprochen, räumte Regierungssprecherin Christiane Hoffmann ein, dass ein solcher Vergleich „natürlich vollkommen absurd“ sei. Dass Scholz ihn nicht gezogen habe, sagte sie aber nicht: „Äußerungen des Kanzlers stehen für sich und ich würde die jetzt im Grunde hier nicht kommentieren wollen.“
Aus einem vergangenen Jahrhundert
Dass Zwischenrufe unangenehm sind – geschenkt. Immerhin war dieser konkrete Einwand keine Pöbelei, sondern wies dieser darauf hin, dass Scholz’ Fokus auf Kohle-Arbeitsplätze das Problem größer erscheinen lasse, als es ist. „Wenn wir jetzt unsere große Energiewende organisieren, wenn wir dafür sorgen, dass wir auf erneuerbare Energien setzen und aussteigen aus der Kohleverstromung“, hatte der Kanzler gerade gesagt, „dann ist schon die Frage, was wir dem Arbeiter und der Arbeiterin in den Tagebauen sagen über seine Perspektive.“
Das erscheint wie ein Redebeitrag aus einem vergangenen Jahrzehnt oder Jahrhundert – und offenbart, warum man sich Scholz’ Ansichten zur Klimakrise auch über den unangemessenen Nazi-Vergleich hinaus genauer angucken sollte. Der Kohleausstieg ist beschlossene Sache. Dass der sozial begleitet werden muss, ist eine Binsenweisheit. Wenn man sich anguckt, wie viele Jobs davon betroffen sind, dürfte das auch gut machbar sein: weniger als 20.000 Menschen. Das ist kaum vergleichbar damit, was die Digitalisierung seit ihrem Beginn an Arbeitsplätzen vernichtet hat – und die will wohl niemand zurückdrehen. Es ist auch deutlich weniger, als die erneuerbaren Energien an Arbeitsplätzen bringen.
Der Beginn des Zwischenrufs auf der Podiumsdiskussion lässt vermuten, dass letzterer Punkt im nächsten Halbsatz hätte folgen sollen – bevor Scholz aus irgendeinem Grund mit „Gott sei Dank“ an beendete Zeiten erinnerte.
Danach setzte der Kanzler seine Diskreditierung der Klimabewegung weiter fort, sprach von einem „sehr schauspielerisch geübten Auftritt“. Das sei keine Diskussionsbeteiligung, „sondern das ist der Versuch, Veranstaltungen für seine eigenen Zwecke zu manipulieren“.
„Kanzler für Klimaschutz“
Jetzt muss man weder Fan jeder Klimagruppe noch jeder ihrer Aktionen sein. Denen, die vor den Gefahren der Klimakrise warnen, aber „eigene Zwecke“ und „Manipulation“ vorzuwerfen, deutet auf eine ausgeprägte Verdrängung des Problems hin.
Die Welt hat die Menge an CO2, mit der sie die 1,5-Grad-Erderhitzung nicht sprengt, in knapp über sieben Jahren aufgebraucht, sofern sich nicht radikal etwas ändert. Dem Weltklimarat IPCC zufolge müssen die globalen Emissionen weltweit noch vor 2025 ihren Höhepunkt erreichen, um sich bis 2030 praktisch zu halbieren und dann bis 2050 auf null zu kommen. Die Welt geht jenseits der 1,5 Grad nicht einfach unter – aber sie wird eben mit jedem Zehntelgrad ein Stück tödlicher. Deutschlands Klimaziele sind im weltweiten Vergleich nicht die schlechtesten – aber Klimaminister Robert Habeck hat schon Ende vergangenen Jahres angekündigt, dass sie auf absehbare Zeit gar nicht eingehalten werden.
Aktuell erhöht Russlands Krieg in der Ukraine den Druck auf die Energiesysteme weiter. Es steht zu befürchten, dass klimaschädliche Kohlekraftwerke länger laufen gelassen werden, um vom russischen Gas abzukommen. Das sollte jemandem, der im vergangenen Jahr als „Kanzler für Klimaschutz“ in den Wahlkampf gezogen ist, große Sorgenfalten auf die Stirn zeichnen.
„Die Botschaft ist, dass man uns glauben kann, wenn wir sagen, es wird für jeden eine Perspektive geben“, sagte Scholz über die Kohlearbeiter:innen. Schön wäre es, wenn das auch für den Rest der Welt gelten würde.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Schäden durch Böller
Versicherer rechnen mit 1.000 Pkw-Bränden zum Jahreswechsel
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Ende der scheinheiligen Zeit
Hilfe, es weihnachtete zu sehr
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“