Neue Restriktionen für Asylsuchende: Klatschen für Geflüchtete
Die Proteste Hunderttausender gegen die AfD wären die perfekte Gelegenheit für progressive Migrationspolitik. Doch Bund und Länder sehen das anders.

Es hätte so schön sein können. Überall in Deutschland machen dieser Tage die Menschen in Sprechchören und auf Plakaten klar: Die größte Herausforderung in diesem Land sind nicht Geflüchtete, wie von der AfD über die Union bis in Teile der Ampel gerne verkündet wird. Die größte Herausforderung ist der rechte Angriff auf die Demokratie. Genau der richtige Moment, dachte sich offenbar SPD-Chef Lars Klingbeil, um zu verkünden: Man müsse nun aber wirklich mal mehr abschieben.
„Die Bundesländer haben jetzt die Möglichkeiten und sie müssen diese auch nutzen“, sagte Klingbeil der Neuen Osnabrücker Zeitung. Ganz im Sound des Bundeskanzlers, der schon im Oktober auf dem Cover des Spiegel verkündet hatte, Deutschland müsse „endlich in großem Stil abschieben“. Mitte Januar hat der Bundestag entsprechend deutliche Einschnitte in die Grundrechte Abzuschiebender beschlossen.
Wer abgeschoben werden soll, kann nun bis zu vier Wochen eingesperrt werden – ohne jemals gegen irgendein Gesetz verstoßen zu haben. Nicht mal Fluchtgefahr muss bestehen. Wer in einer Gemeinschaftsunterkunft lebt, muss damit rechnen, dass seine Räume durchsucht werden – auch dann, wenn er gar nicht selbst abgeschoben werden soll, sondern nur der Nachbar eine Tür weiter. Es ist restriktive Symbolpolitik, die an der Zahl der Abschiebungen wenig ändern, im Leben der Betroffenen aber sehr viel Leid verursachen wird.
Gleiches gilt für die Bezahlkarten, die Geflüchtete künftig bundesweit anstelle eines Taschengelds in Bargeldform bekommen sollen. Auf diese digitale Variante der seit Jahren umstrittenen Sachleistungen hatten sich Bund und Länder schon auf der Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) im November 2023 geeinigt.
Eine Demütigung
Jetzt stehen die Details fest: Es gibt ein Grundgerüst, mit dem jedes Bundesland macht, was es will. So wird sich von Land zu Land unterscheiden, ob man Bargeld abheben kann oder nicht, ob man bundesweit oder nur in bestimmten Regionen zahlen kann, an jedem EC-Gerät oder ob bestimmte Branchen ausgeschlossen sind.
Menschen den Zugang zu Bargeld zu beschränken oder gar zu verwehren, ist nicht nur eine Entmündigung. Es ist eine Demütigung.
Asylsuchende bekommen gerade mal 410 Euro im Monat für ihren notwendigen und persönlichen Bedarf. Günstig einkaufen im Internet, gebraucht auf Ebay oder dem Flohmarkt: alles nicht möglich mit einer Geldkarte ohne Abhebefunktion. Auch die 50 Cent, die viele Cafés verlangen, damit man seine Notdurft verrichten kann: sicher nicht mit Karte.
Bundeseinheitlich wird bei allen Unterschieden eins sein: Die Einführung dieser Karte wird so gut wie überall zulasten der Geflüchteten gehen. Das ist schließlich die Idee dahinter. Die Karte sei ein „wichtiger Schritt, Anreize für illegale Migration nach Deutschland zu senken“, findet Hessens Ministerpräsident Boris Rhein (CDU).
Soll heißen: Geflüchteten soll es hier richtig mies gehen. Man will vermeintliche „Pull-Faktoren“ reduzieren, die die Menschen angeblich geradezu nach Deutschland locken. Dass diese These wissenschaftlich nicht belegt ist und Expert*innen sie als „vage“ und „veraltet“ bezeichnen: geschenkt. Klingt gemein, klingt entschlossen – machen wir.
Monatelang hat sich die Ampelkoalition von rechten Stimmungsmacher*innen in der Migrationsfrage treiben lassen: hin zu viel mehr Restriktion und weit weg von den vielen progressiven Ideen, die sie in ihrem Koalitionsvertrag mal versprochen hatte. Den Familiennachzug für subsidiär Geschützte zum Beispiel haben Bund und Länder bei der MPK einfach begraben.
Jetzt wäre die Gelegenheit gewesen, endlich nicht mehr eine immer weiter eskalierende Asyldebatte zu bedienen, sondern stattdessen eigene Themen auf die Agenda zu setzen. Nichts ist Rechtsextremen so zuwider wie eine plurale Einwanderungsgesellschaft, die ihre Probleme selbstbewusst ohne sie löst.
Empfohlener externer Inhalt
Nur Scheinlösungen
Und doch fällt den demokratischen Parteien nichts anderes ein, als weiter populistische Scheinlösungen anzupreisen. Viel deutlicher kann man vielen derer, die gerade in Scharen gegen rechts auf die Straße gehen, gar nicht die kalte Schulter zeigen. Seit Wochen demonstrieren landauf, landab die Menschen in Deutschland gegen die AfD und den Rechtsruck.
Seien es Hunderttausende in Großstädten wie München oder Berlin oder Hunderte in kleinen Örtchen wie Puderbach oder Schleiz. Politiker*innen der demokratischen Parteien zeigen sich begeistert, beklatschen die Zivilcourage der Bürger*innen, laufen sogar fleißig mit. Dass aus diesen Demonstrationen aber auch eine Forderung an sie selbst erwächst, wollen viele offenbar nicht hören.
Weil in der aktuellen Debatte Differenzierung oft zu kurz kommt, sei gesagt: Natürlich sind Abschiebungen abgelehnter Asylsuchender nicht das Gleiche wie die rechtsextreme Fantasie, deutsche Staatsbürger*innen mit Migrationshintergrund zu deportieren. Die Ampel ist nicht schlimmer oder auch nur genauso schlimm wie die AfD. Doch menschenverachtende Forderungen bekämpft man nicht mit menschenverachtender Politik.
Wenn die Menschenwürde von rechts infrage gestellt wird, ist es Aufgabe aller demokratischen Parteien, sie erst recht abzusichern. Und nicht, an Geflüchteten zu testen, wie weit man daran herumsäbeln kann, bevor das Bundesverfassungsgericht bremst.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Weltpolitik in Zeiten von Donald Trump
Schlechte Deals zu machen will gelernt sein
Einführung einer Milliardärssteuer
Lobbyarbeit gegen Steuergerechtigkeit
Wahlarena und TV-Quadrell
Sind Bürger die besseren Journalisten?
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Trump macht Selenskyj für Andauern des Kriegs verantwortlich
Treffen in Riad
Russland und USA beschnuppern sich vorsichtig