Fahren ohne Fahrschein: Paragraf 265a ersatzlos streichen

Eine Bus- oder Bahnfahrt ohne Ticket kann mit Haft enden. Eine Katastrophe für Betroffene, die Forscherinnen mit einem offenen Brief bekämpfen wollen.

Fahrscheinkontrolle in einem Bahnhof.

Fahrkartenkontrollen in der U-Bahn in Hamburg Foto: Daniel Reinhardt/dpa

Berlin taz | Ohne Fahrschein Bus und Bahn zu fahren wird in Deutschland teilweise hart bestraft – manchmal sogar mit Gefängnis. Um das zu ändern, haben zwei Wissenschaftlerinnen einen offenen Brief an Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) verfasst. Fahren ohne Ticket sollte in Zukunft weder als Straftat noch als Ordnungswidrigkeit gelten, fordern Nicole Bögelein, Kriminologin an der Uni Köln, und Luise Klaus, Stadtgeografin an der Goethe-Universität Frankfurt am Main, in dem Schreiben.

Aktuell kann das „Erschleichen von Leistungen“, in diesem Fall einer Beförderungsleistung durch den Nahverkehr, als Straftat geahndet werden. Die rechtliche Grundlage dafür liefert Paragraf 265 a des Strafgesetzbuches (StGB). Der Straftatbestand treffe überproportional armutsbetroffene Menschen und Personen in prekären Lebenslagen, sagen Bögelein und Klaus. Besonders sogenannte Ersatzfreiheitsstrafen hätten für die Betroffenen „schwerwiegende und unverhältnismäßige Konsequenzen“, ihnen drohe zum Beispiel der Verlust ihrer Wohnung.

Die meisten Menschen, die eine Ersatzfreiheitsstrafe wegen Fahrens ohne Fahrschein verbüßen, seien arbeitslos. Jede dritte Person sei drogenabhängig, etwa jede fünfte habe keinen festen Wohnsitz. „Hinzu kommt, dass die Handlungen der Betroffenen nicht von krimineller Energie, sondern von faktischen Zwängen (der Zahlungsunfähigkeit) zeugen“, schreiben die Wissenschaftlerinnen.

Wenn Verkehrsunternehmen Passagiere ohne Ticket kontrollieren, können sie das „erhöhte Beförderungsentgelt“ einfordern. Das liegt in den meisten Orten bei rund 60 Euro. Gegen die Fahrgäste, die das nicht zahlen, können die Verkehrsbetriebe Anzeige erstatten – den Betroffenen droht dann eine Geldstrafe, verhängt vom Gericht. Wer diese Geldstrafe wiederum nicht zahlen kann, muss als Ersatz eine Freiheitsstrafe antreten. Menschen, die ohne Ticket unterwegs waren und deshalb zu einer Ersatzfreiheitsstrafe verurteilt wurden, droht bis zu einem Jahr Gefängnis.

Buschmann plant Justizreform

Justizminister Buschmann hat eine Reform des Strafrechts angekündigt. In deren Rahmen will er auch das Fahren ohne Fahrschein entkriminalisieren, ein Eckpunktepapier dafür legte er schon im November 2023 vor. Darin steht, dass eine Fahrt ohne gültigen Fahrausweis nicht mehr als Straftat, sondern als Ordnungswidrigkeit geahndet werden soll. Auf Grundlage der Eckpunkte erarbeite das Ministerium derzeit einen Referentenentwurf, teilt eine Sprecherin auf Anfrage der taz mit. Der werde „zeitnah veröffentlicht“.

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Bögelein und Klaus geht das nicht weit genug: Auch dann bestehe die Gefahr, dass Menschen hinter Gittern landen. Wer das Bußgeld nicht zahlt, das bei einer Ordnungswidrigkeit anfällt, riskiere eine Erzwingungshaft von bis zu drei Monaten. „Unter diesen Umständen halten wir eine ersatzose Streichung des § 265 a StGB für angebracht“, lautet das Fazit der Forscherinnen. Mehr als 120 Wis­sen­schaft­le­r:in­nen unterstützen den offenen Brief.

Die Initiative Freiheitsfonds macht sich ebenfalls dafür stark, dass die Strafen nicht nur reformiert, sondern gestrichen werden. Mit Spenden hat der Fonds bereits 1.058 Menschen aus der Ersatzfreiheitsstrafe freigekauft. Am Dienstag waren es im Rahmen einer bundesweiten Aktion, einem „Freedom Day“, 63 Personen auf einen Schlag.

Zu den Betroffenen gehöre eine Frau, die im 7. Monat schwanger ist und eigentlich noch zwei Monate Ersatzfreiheitsstrafe vor sich hatte. Paragraf 265 a stammt aus dem Jahr 1935, aus nationalsozialistischer Feder. Damit gehöre er der Vergangenheit an, heißt es auf der Website der Initiative.

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

„Auch ökonomisch ist das Gesetz kompletter Unsinn“, erklärt Arne Semsrott, Mitgründer der Initiative, in einem Video. Die Strafverfolgung wegen Fahrens ohne Ticket koste den Staat rund 120 Millionen Euro im Jahr.

Einige Städte in Deutschland sind der bundesweiten Justizreform daher schon vorausgeeilt: Unter anderem in Köln, Halle an der Saale oder Bremerhaven werden Menschen, die ticketlos ÖPNV gefahren sind, schon nicht mehr strafrechtlich verfolgt.

Transparenzhinweis: Dieser Artikel wurde am 6. August 2024 um 22:42 Uhr aktualisiert. In einer früheren Version stand, dass das erhöhte Beförderungsentgelt einer Geldstrafe entspricht. Das stimmt nicht. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen und danken der Person, die in den Kommentaren auf ihn aufmerksam gemacht hat.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.