Fahren ohne Fahrschein: Paragraf 265a ersatzlos streichen
Eine Bus- oder Bahnfahrt ohne Ticket kann mit Haft enden. Eine Katastrophe für Betroffene, die Forscherinnen mit einem offenen Brief bekämpfen wollen.
Aktuell kann das „Erschleichen von Leistungen“, in diesem Fall einer Beförderungsleistung durch den Nahverkehr, als Straftat geahndet werden. Die rechtliche Grundlage dafür liefert Paragraf 265 a des Strafgesetzbuches (StGB). Der Straftatbestand treffe überproportional armutsbetroffene Menschen und Personen in prekären Lebenslagen, sagen Bögelein und Klaus. Besonders sogenannte Ersatzfreiheitsstrafen hätten für die Betroffenen „schwerwiegende und unverhältnismäßige Konsequenzen“, ihnen drohe zum Beispiel der Verlust ihrer Wohnung.
Die meisten Menschen, die eine Ersatzfreiheitsstrafe wegen Fahrens ohne Fahrschein verbüßen, seien arbeitslos. Jede dritte Person sei drogenabhängig, etwa jede fünfte habe keinen festen Wohnsitz. „Hinzu kommt, dass die Handlungen der Betroffenen nicht von krimineller Energie, sondern von faktischen Zwängen (der Zahlungsunfähigkeit) zeugen“, schreiben die Wissenschaftlerinnen.
Wenn Verkehrsunternehmen Passagiere ohne Ticket kontrollieren, können sie das „erhöhte Beförderungsentgelt“ einfordern. Das liegt in den meisten Orten bei rund 60 Euro. Gegen die Fahrgäste, die das nicht zahlen, können die Verkehrsbetriebe Anzeige erstatten – den Betroffenen droht dann eine Geldstrafe, verhängt vom Gericht. Wer diese Geldstrafe wiederum nicht zahlen kann, muss als Ersatz eine Freiheitsstrafe antreten. Menschen, die ohne Ticket unterwegs waren und deshalb zu einer Ersatzfreiheitsstrafe verurteilt wurden, droht bis zu einem Jahr Gefängnis.
Buschmann plant Justizreform
Justizminister Buschmann hat eine Reform des Strafrechts angekündigt. In deren Rahmen will er auch das Fahren ohne Fahrschein entkriminalisieren, ein Eckpunktepapier dafür legte er schon im November 2023 vor. Darin steht, dass eine Fahrt ohne gültigen Fahrausweis nicht mehr als Straftat, sondern als Ordnungswidrigkeit geahndet werden soll. Auf Grundlage der Eckpunkte erarbeite das Ministerium derzeit einen Referentenentwurf, teilt eine Sprecherin auf Anfrage der taz mit. Der werde „zeitnah veröffentlicht“.
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Bögelein und Klaus geht das nicht weit genug: Auch dann bestehe die Gefahr, dass Menschen hinter Gittern landen. Wer das Bußgeld nicht zahlt, das bei einer Ordnungswidrigkeit anfällt, riskiere eine Erzwingungshaft von bis zu drei Monaten. „Unter diesen Umständen halten wir eine ersatzose Streichung des § 265 a StGB für angebracht“, lautet das Fazit der Forscherinnen. Mehr als 120 Wissenschaftler:innen unterstützen den offenen Brief.
Die Initiative Freiheitsfonds macht sich ebenfalls dafür stark, dass die Strafen nicht nur reformiert, sondern gestrichen werden. Mit Spenden hat der Fonds bereits 1.058 Menschen aus der Ersatzfreiheitsstrafe freigekauft. Am Dienstag waren es im Rahmen einer bundesweiten Aktion, einem „Freedom Day“, 63 Personen auf einen Schlag.
Zu den Betroffenen gehöre eine Frau, die im 7. Monat schwanger ist und eigentlich noch zwei Monate Ersatzfreiheitsstrafe vor sich hatte. Paragraf 265 a stammt aus dem Jahr 1935, aus nationalsozialistischer Feder. Damit gehöre er der Vergangenheit an, heißt es auf der Website der Initiative.
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„Auch ökonomisch ist das Gesetz kompletter Unsinn“, erklärt Arne Semsrott, Mitgründer der Initiative, in einem Video. Die Strafverfolgung wegen Fahrens ohne Ticket koste den Staat rund 120 Millionen Euro im Jahr.
Einige Städte in Deutschland sind der bundesweiten Justizreform daher schon vorausgeeilt: Unter anderem in Köln, Halle an der Saale oder Bremerhaven werden Menschen, die ticketlos ÖPNV gefahren sind, schon nicht mehr strafrechtlich verfolgt.
Transparenzhinweis: Dieser Artikel wurde am 6. August 2024 um 22:42 Uhr aktualisiert. In einer früheren Version stand, dass das erhöhte Beförderungsentgelt einer Geldstrafe entspricht. Das stimmt nicht. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen und danken der Person, die in den Kommentaren auf ihn aufmerksam gemacht hat.
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