Erneuerbare Energien: Strompreise häufig unter null
Immer öfter wird Strom produziert, der nicht gebraucht wird. Die Stromwirtschaft sorgt sich um die lokale Netzstabilität. Was fehlt, sind Speicher.
Die Anzahl von Stunden mit negativen Strompreisen macht das deutlich: Am Montag wurde bereits der historische Spitzenwert aus dem Jahr 2023 überschritten, der bei 301 Stunden mit negativen Strompreisen gelegen hatte. Im laufenden Jahr sind es nun schon 305 Stunden.
Über Befürchtungen der Stromwirtschaft, dass die Verteilnetze bei zu viel Sonne in manchen Regionen unbeherrschbar werden, berichtete am Dienstag das Handelsblatt. Einen Hintergrund hatte am Tag zuvor das Statistische Bundesamt geliefert: In Deutschland seien bis April mehr als 3,4 Millionen Photovoltaikanlagen installiert worden – ein Zuwachs in zwölf Monaten um fast 30 Prozent. Auf rund 90 Gigawatt beläuft sich inzwischen die theoretische Gesamtleistung aller Photovoltaikanlagen.
Das Handelsblatt zitiert nun den Chef des Nürnberger Regionalversorgers N-Ergie mit den Worten: „Wenn der Zubau einfach ungebremst weitergeht, steigt die Gefahr, dass es zu instabilen Netzsituationen kommt.“ Laut dem Verband Kommunaler Unternehmen besteht die Gefahr, dass Ortsnetztrafos abschalten, wenn die Einspeisung zur Überlastung eines Netzstrangs führt. Einzelne Straßenzüge wären dann ohne Strom.
Vor allen Dingen in den ländlichen Regionen Süddeutschlands ist die Überlastung der Netze ein großes Thema, weil dort die Bürger seit zwei Jahrzehnten besonders solarbegeistert sind. Da die klassischen Dachanlagen in der Regel aber nicht flexibel steuerbar sind, drücken sie an sonnigen Sommertagen inzwischen Leistungen ins Netz, für die die Infrastruktur nicht ausgelegt ist.
Aber nicht nur schwache Netze sind ein Problem. Manchmal ist auch schlicht mehr Strom da, als bundesweit überhaupt gebraucht wird. Durch negative Preise im Großhandel werden solche Zeiten offenkundig. Denn negative Preise bedeuten, dass niemand den Strom im betreffenden Moment haben will – nicht einmal mehr geschenkt. Nur durch eine Mitgift von mitunter einigen Cent pro Kilowattstunde kann man den Strom dann noch loswerden.
Im Sommer ist es die Photovoltaik, die immer öfter die Preise auf null oder gar ins Minus fallen lässt – an sonnigen Sommertagen oft gleich für viele Stunden. Am vergangenen Sonntag zum Beispiel war der Strom von 10 bis 18 Uhr nichts mehr wert. In dieser Zeit deckten die erneuerbaren Energien in Deutschland bis zu 117 Prozent des Strombedarfs.
Alleine die Photovoltaik erzeugte in diesem Zeitraum in der Spitze fast 40 Gigawatt bei einer Nachfrage von 45 Gigawatt. Aufgrund des Zubaus an Photovoltaik – allein seit Jahresbeginn wurden in Deutschland mehr als sieben weitere Gigawatt installiert – dürften die Stunden mit negativen Preisen weiterhin stark zunehmen.
Speicher fehlen
Diese Entwicklung ist ein untrügliches Zeichen dafür, dass es im Stromnetz ganz erheblich an Speichern fehlt. Das hat – neben den Gefahren für die lokale Netzstabilität – vor allem zwei Konsequenzen.
Zum einen werden die vielen negativen Preise teuer für die Steuerzahler, denn der Bundeshaushalt muss einerseits für die garantierte Einspeisevergütung nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) aufkommen und zugleich bei negativen Preisen auch noch für die „Entsorgung“ des erzeugten Stroms. Alleine im ersten Halbjahr mussten für den Ausgleich des EEG-Kontos rund 10 Milliarden Euro bereitgestellt werden.
Zugleich werden die negativen Preise zunehmend zu einem wirtschaftlichen Risiko für neue Wind- und Solarprojekte. Aktuell bekommen Bestandsanlagen – ausgenommen sind Anlagen bis 400 Kilowatt – keine Vergütung mehr, sobald der Strompreis mindestens drei Stunden negativ ist.
Vom Jahreswechsel an will die Bundesregierung die Förderung für Neuanlagen bei negativen Preisen grundsätzlich aussetzen. Eine Ausnahme sollen weiterhin Kleinanlagen bis 25 Kilowatt bleiben, denn diese sind mit vertretbarem Aufwand nicht steuerbar.
Welche Auswirkungen die explodierende Zahl an Stunden mit negativen Preisen und der dann greifende Förderstopp auf die Rentabilität und damit auf den Bau neuer Anlagen haben wird, ist schwer abzuschätzen.
Die Unternehmen der Branche zeigen sich in diesem Punkt auf Anfrage wortkarg. Das hat zum einen damit zu tun, dass sie sich bei ihren Kalkulationen nicht in die Karten schauen lassen wollen – zum anderen aber wohl auch damit, dass sie sich gerade selbst schwertun, die Entwicklungen am Strommarkt vorauszusehen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Krieg in der Ukraine
„Weihnachtsgrüße“ aus Moskau