Energieboykott und Ukrainekrieg: Die Kosten des Nichtstuns

Energieboykott-Gegner berücksichtigen nicht, was es Deutschland kostet, wenn der Krieg nicht rasch endet – monetär, machtpolitisch und moralisch.

Ein mann und eine Frau tragen Protestschilder

Protest für den Energieboykott in Berlin, am 25. März 2022 Foto: Stefan Boness

Der Ort Butscha ist am Wochenende auf der Landkarte Europas aufgetaucht und wird von dort nicht mehr verschwinden. Eine Kleinstadt, eigentlich unbedeutend, ist über Nacht zum Synonym für mutmaßliche Kriegsverbrechen geworden. Es sind Fotos wie die der Leichen aus dem Kiewer Vorort, die an sich zwar nicht überraschen, die das Grauen eines Krieges aber doch viel näher an uns heranrücken, dessen Wahrnehmung verändern und zum Wendepunkt im Umgang mit den Tä­te­r*in­nen werden können.

Können, wohlgemerkt, nicht müssen: Die Macht der Bilder ist stark, vorerst aber nicht stark genug, um den Kurs der Koalition in Berlin zu ändern. Die Bundesregierung will gemeinsam mit den EU-Partnern die bestehenden Sanktionen nachschärfen, schließt aber weiterhin den Schritt aus, den Russland jenseits eines direkten militärischen Eingriffs am stärksten fürchten muss: einen sofortigen Energieboykott, der der russischen Wirtschaft den entscheidenden Stoß versetzen könnte.

Die Ampel führt gute Argumente gegen diesen Schritt an. Auch der wirtschaftliche Schaden für Deutschland und andere Länder könnte immens sein. Die Regierung rechnet nicht mit dem denkbar glimpflichsten Szenario, sondern mit dem Worst Case. Im Sinne einer umsichtigen Politik ist das richtig.

Richtig wäre aber auch, in der Abwägung ebenso den Worst Case auf der anderen Seite der Gleichung zu berücksichtigen: Welche Kosten können für Deutschland anfallen, wenn der Krieg nicht rasch endet – monetär, machtpolitisch, aber auch moralisch? Die Bilder aus Butscha sind nur eine Vorschau. Aus Mariupol, wo es keine Kameras mehr gibt, werden uns noch ganz andere Berichte erreichen. Und wenn wir über den Worst Case künftiger Verbrechen reden, kommen wir um den Begriff Genozid nicht herum.

Auf der Skala der Grausamkeiten gibt es einen Punkt, an dem die Gleichung nicht mehr aufgeht, an dem Deutschland an den Energielieferungen doch nicht mehr festhalten kann. Die Frage, wie viel Leid dafür zusammenkommen muss, ist zynisch. Die Antwort der Ampel wäre trotzdem interessant.

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Geboren 1988, arbeitet seit 2013 für die taz. Schreibt als Parlamentskorrespondent unter anderem über die Grünen, deutsche Außenpolitik und militärische Themen. Leitete zuvor das Inlandsressort.

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