Russische Massaker in der Ukraine: Charakterzüge eines Völkermords

Die Gräueltaten von Butscha sind eine neue Dimension im Ukrainekrieg. Solche nationalistischen Exzesse sind keine Ausrutscher. Sie haben System.

Ukrainische Soldaten steht vor einer Leiche

Soldaten in Butscha prüfen, ob der Leichnam eines Zivilisten als Sprengfalle missbraucht wird Foto: ap

Man hat sich an vieles gewöhnt in gut fünf Wochen Krieg in der Ukraine: die hemmungslosen russischen Angriffe auf Städte, die brennenden Wohn­häuser, die verzweifelte millionenfache Flucht, die U-Bahn-Luftschutzbunker von Kiew und Charkiw, die Trümmerfelder von Mariupol.

Und doch markiert­ der Fund unzähliger Hinrichtungsopfer im verwüsteten Butscha, die Russlands Armee bei ihrem Rückzug von der Front bei Kiew zurücklässt, eine neue Dimension des Grauens. Russlands Armee hat nicht nur versucht, die Ukraine zu erobern – vergeblich, wie mit jedem Tag deutlicher wird –, sondern vernichtet auch die Menschen in der Ukraine, deren sie habhaft wird.

Es gibt ein Wort für dieses Vorgehen: Völkermord. Im bosnischen Srebrenica separierten die serbischen Belagerer im Juli 1995 die muslimischen Männer von ihren Frauen und Kindern und töteten sie alle, nach Plan. Srebrenica nennt die Regierung der Ukraine jetzt als Parallele zu Butscha.

Der Völkermord an Ruandas Tutsi 1994 mit bis zu einer Million Toten, ebenfalls nach Plan und nach Kommando ausgeführt, verlief in noch weitaus ungeheuerlicheren Dimensionen. Planmäßiges Vorgehen auf Befehl, um eine vorab definierte Gruppe von Menschen auszulöschen – das ist es, was einen Völkermord charakterisiert.

Nicht jeder Massenmord ist ein Völkermord, und man wird darüber diskutieren können und müssen, ob das Vorgehen der russischen Armee in der Ukraine wirklich dieser Charakterisierung entspricht oder doch „nur“ ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellt. Aber der Vorwurf steht im Raum.

Völkermordtäter sind keine Verhandlungspartner

Die Ukraine sieht sich jetzt bestätigt in ihrer Wahrnehmung, dass sie gegen Russland um ihr Überleben kämpft. Die Täter in Butscha sind Soldaten eines Landes, dessen Präsident der Ukraine das Recht auf eine eigenständige Existenz abspricht und wo Politiker von der „Endlösung der ukrainischen Frage“ und der „Entfernung des Krebsgeschwürs bis hin zur polnischen Grenze“ reden. Solche nationalistischen Exzesse sind keine Ausrutscher. Sie haben System.

Die Diskussion darüber ist nicht abstrakt, sondern von unmittelbarer politischer Relevanz. Einer Regierung Völkermord vorzuwerfen heißt: Diese Regierung hat ihre Legitimität verwirkt. Völkermordtätern schüttelt man nicht die Hand. Sie sind keine Verhandlungspartner.

Bestenfalls gehören sie vor Gericht – und für ihre direkten Opfer und deren Nachfahren ist es legitim, sie weltweit zu jagen, wie man in Kigali und Jerusalem weiß und praktiziert. Wenn Putin ein Völkermord­täter ist, haben die russischen Soldaten in Butscha nicht nur Ukrainer getötet. Sie haben auch ihrer eigenen Regierung das Grab geschaufelt.

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Seit 2011 Co-Leiter des taz-Auslandsressorts und seit 1990 Afrikaredakteur der taz.

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