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Foto: Jean MW/imago

Neue ParteiWer würde sie wählen?

Sahra Wagenknecht findet Zustimmung auch unter Menschen, die bisher Linke, SPD oder Grüne gewählt haben. Was sind die Gründe dafür, was bewegt sie?

A uf dem Parkplatz vor dem Werktor merkt Frank Loock, dass er nicht mehr richtig dazugehört. Loock arbeitet als Führungskraft bei einem Automobilkonzern in Niedersachsen, seit über 30 Jahren ist er in der Firma. Sonst konnte Loock morgens wie alle anderen durch das stählerne Werktor auf das Gelände fahren. Jetzt aber darf er das nicht mehr. Frank Loock muss den Wagen vor dem Werk parken, sich in eine Schlange stellen und warten.

Es ist November 2021, die Delta-Variante geht gerade um. Alle Ungeimpften müssen beim Wachdienst einen Coronatest vorweisen. Das Werktor hat ein Dach, aber das reicht nicht bis hinaus auf den Parkplatz. Da stehen sie, jeden Morgen, auch bei Regen, mal 40, mal 80 Leute, während die Kol­le­g*in­nen an ihnen vorbeifahren.

Als Führungskraft kennt man ihn, so viele gibt es am Standort nicht. Alle, die vorbeikommen, wissen nun: Der Loock hat sich nicht impfen lassen. Frank Loock, promovierter Chemiker, drahtig und nicht besonders groß, stellt sich in diesen Momenten extra gerade hin. Sollen sie ihn doch sehen.

So erzählt er es knapp zwei Jahre später. An einem Dienstag im August hat Frank Loock wieder vor dem stählernen Tor geparkt, jetzt am Abend ist es geschlossen. Längst gelten keine Coronaauflagen mehr. Doch die Situation geht ihm immer noch nach. „Ich habe das als eine Entwürdigung meiner Person empfunden“, sagt er. Seiner Firma gibt er nicht die Schuld, sie habe nur Vorgaben umgesetzt, sie sei ein „Spiegel der Politik“ gewesen.

Frank Loock, 58, stammt aus einer Arbeiterfamilie, die SPD war wichtig, Willy Brandt, Helmut Schmidt. Nun sagt er: „Die SPD mit Scholz an der Spitze ist für mich unwählbar geworden.“

Er ist sich noch nicht sicher. Aber sollte Sahra Wagenknecht tatsächlich eine neue Partei gründen, könnte es schon sein, dass Frank Loock, der lange durch und durch Sozialdemokrat war, für sie stimmt. Und das hätte dann ein wenig auch mit der Situation vor dem Werktor zu tun.

Seit Monaten wird über die Gründung einer Wagenknecht-Partei spekuliert, wie sie die Parteienlandschaft in Deutschland verändern könnte. Offiziell sagt Sahra Wagenknecht, sie wolle sich bis zum Jahresende entscheiden, die Pläne klingen aber längst konkret. Naheliegend wäre, dass sie bei der Europawahl im Juni 2024 das erste Mal mit eigener Partei antritt.

Wie viele Menschen Wagenknecht wirklich wählen würden, ist schwer abzuschätzen. In einer Mitte August veröffentlichten Forsa-Umfrage sagten 3 Prozent der Befragten, sie würden eine Wagenknecht-Partei „auf jeden Fall“ wählen, 18 Prozent gaben an, die Wahl in Erwägung zu ziehen. Rund ein Fünftel der Befragten zeigte sich also – wie in anderen Umfragen zuvor – mehr oder weniger offen für eine solche Partei.

Sahra Wagenknecht kommt vor allem bei Wäh­le­r*in­nen der Linkspartei und der AfD gut an. Glaubt man den Umfragen, könnten aber auch alle anderen Parteien Stimmen an sie verlieren. Demnach zieht je­de*r siebte SPD- und Grünen-Wähler*in zumindest in Erwägung, das Kreuz bei Wagenknecht zu machen. Wer mit dem Gedanken spielt, eine neue Partei zu wählen, tut das am Ende nicht unbedingt. Aber schon das Gedankenspiel drückt etwas aus: Offenbar findet Wagenknecht nicht nur unter Wäh­le­r*in­nen der Ränder Anklang, sondern bis in die Mitte der Gesellschaft. Und bis in Milieus, die auch der taz nahestehen.

Wer sind die Menschen, die bislang Linke, SPD oder Grüne gewählt haben und die jetzt überlegen, für eine Wagenknecht-Partei zu stimmen? Was bewegt sie, warum wenden sie sich von den etablierten Parteien ab?

Um das herauszufinden, haben wir im Juni eine Mail über den Genossenschaftsverteiler der taz verschickt, also an etwa 18.000 Adressen. Schnell wurde deutlich, wie sehr das Thema polarisiert. Rund 20 Ge­nos­s*in­nen rieten davon ab, sich mit dem Thema näher zu beschäftigen. Die einen hielten das Vorhaben für „gefährliches Terrain“, ein anderer hatte Sorge, die taz würde „Wirrköpfen“ ein Forum bieten. Die Angst vor unliebsamen Meinungen sollte in der Recherche tatsächlich eine Rolle spielen – aber anders als von dem Genossen gedacht.

Rund 60 Personen, die sich angesprochen fühlten, meldeten sich zurück. Der Erste war Frank Loock, schon nach einer Viertelstunde schickte er eine Mail. Auch Shannon Mesing, eine 32-jährige Ingenieurin aus Schleswig-Holstein, schrieb zurück. Sie habe bisher die Grünen oder die Linke gewählt. „Ich sehe meine Ansichten bei keiner der größeren Parteien mehr vertreten.“ Hartmann Vetter, der jahrzehntelang Geschäftsführer des Mietervereins in Berlin war, mailte: „Ihr sucht Gesprächspartner*innen, die bei Wagenknecht andocken könnten. Ich bin so jemand.“

Wie sich im Laufe der Gespräche herausstellen sollte, haben Frank Loock, Shannon Mesing und Hartmann Vetter teils gegensätzliche Meinungen zu den großen Themen der Zeit, zu Corona etwa oder zum Krieg in der Ukraine. Und doch gibt es Gründe, warum sich alle drei bei Sahra Wagenknecht wiederfinden. Gründe, die weit über das Phänomen Wagenknecht hinausweisen.

„Hier entlang!“, ruft Shannon Mesing und winkt den Besuch durch den Garten auf die Terrasse. Es ist ein sonniger Samstag im August, der Wind pustet dicke weiße Wolken über den Himmel. Shannon Mesing, im schulterfreien Sommerkleid, stellt geschnittenes Obst auf den Holztisch. Wir unterhalten uns draußen, das Wohnzimmer ist noch eine Baustelle. Shannon Mesing und ihr Mann haben das rote Klinkerhaus am Rand von Neustadt in Holstein vor einiger Zeit gekauft, für sich und die zwei Kinder. Das Haus stammt aus den 1960er Jahren, sie renovieren gerade. Ein Anbau ist geplant, auch Mesings Mutter soll einziehen. Sie überlegen, Solarzellen auf das Dach zu montieren.

Mesing will die Gesellschaft verbessern, im Kleinen und im Großen, so viel wird im Gespräch schnell klar. Diesen Anspruch hat sie an sich selbst, aber auch an die Politik. Sie ist enttäuscht, wenn das nur begrenzt klappt.

Den einen bin ich zu rechts, den anderen zu links

Shannon Mesing, Ingenieurin

Shannon Mesing ist nördlich von Lübeck aufgewachsen, auf dem Land. Ihre Eltern waren früher Punks, als Jugendliche ging Shannon mit ihnen auch mal auf Konzerte. „Von ihnen habe ich mit auf den Weg bekommen, dass man Dinge anzweifeln sollte. Und dass jeder eine Meinung haben und vertreten kann.“ Dass das so ungehindert möglich ist, daran zweifelt sie inzwischen manchmal.

Als junge Erwachsene blockierte Mesing im Wendland einen Castortransport. 2017 gründete sie „Demokratie in Bewegung“ mit, ein basisdemokratisches Projekt. Sie hoffte, dass eine neue, andere Partei entstehen würde, an den Inhalten sollten sich viele über das Internet beteiligen können. Bei der Bundestagswahl 2017 kam Demokratie in Bewegung auf 0,1 Prozent. Die Beteiligung im Plenum sei oft gering gewesen, es habe Absplitterungen gegeben, erzählt Mesing. 2020 trat sie wieder aus.

Shannon Mesing versuchte Dinge im Alltag besser zu machen. Eine Zeit lang lebte sie vegan, aber es ging ihr nicht gut damit, heute isst sie wieder Käse und auch Fleisch, aber möglichst wenig. Sie achtet beim Einkauf auf Fairtrade. „Aber wenn wir Baumaterialien für das Haus kaufen, geht das nicht, das ist zu teuer“, sagt sie. „Eigentlich müssten wir alle unser Konsumverhalten ändern. Doch die Menschheit ist zu blöd dafür, ich auch.“

Bislang hat sie Grüne und Linke gewählt. Bekannte oder Kollegen sagen ihr auch manchmal, sie sei „öko“, „eine Grüne“, erzählt sie. Doch sie selbst findet sich bei vielen Themen nicht mehr bei den Grünen wieder. „Egal, mit wem ich rede, ich ecke überall an“, sagt sie. Den einen sei sie zu rechts, den anderen zu links. Den einen zu kapitalistisch, den anderen zu kapitalismuskritisch. „Ich sitze zwischen allen Stühlen.“

Während der Coronapandemie war das noch nicht so. Die Mesings lebten zu der Zeit in einer kleinen Wohnung in einem Plattenbau in Wismar. „Wir haben uns als Familie ganz strikt an die Kontaktbeschränkungen gehalten“, erzählt sie. Die Politik habe die Situation relativ gut gelöst, urteilt sie rückblickend. Auch die Berichterstattung erschien ihr weitgehend „wissenschaftlich fundiert“. Sie ist geimpft. Trotzdem störte es sie, dass Ungeimpfte „kriminalisiert wurden“, wie sie es nennt.

Nach dem 24. Februar 2022 war Mesing selbst in der Minderheit. Es sei schrecklich und falsch, dass Russland die Ukraine angegriffen hat, sagt sie. Sie könne aber verstehen, wie es dazu kam. Die USA hätten ihre Einflusssphäre nicht bis an die russische Grenze ausdehnen dürfen. Mesing glaubt nicht, dass es den USA in der Ukraine wirklich um Werte gehe. „Ich bin so aufgewachsen, dass sich Russland und die USA nicht viel nehmen.“ An dieser Sicht ändern auch der russische Angriffskrieg und Putins Imperialismus nichts. Beide Staaten seien Großmächte, die ihre Interessen durchsetzten, sagt sie.

Mesing unterzeichnete im Frühjahr die Petition von Wagenknecht und Alice Schwarzer, in der sie Friedensverhandlungen forderten. „Wie soll es sonst eine Lösung geben, ohne dass am Ende Atombomben fallen?“

Shannon Mensing Foto: Antje Lang-Lendorff

Einmal saßen sie bei einem Familienfest abends im Garten. Als der ­Ukrainekrieg zur Sprache kam, sei es am Tisch Konsens gewesen, dass die Ukraine Waffenlieferungen brauche und man es Putin zeigen müsse, erzählt sie. „Da musste ich schon was sagen.“ Das Gespräch sei sehr unangenehm geworden. „Sie haben mir unterstellt, ich würde das Leid der Familien in der ­Ukraine nicht ernst nehmen.“ Ihr Mann hält in solchen Momenten zu ihr, sagt sie, auch wenn er die USA positiver sehe als sie; er hat ein Jahr dort gelebt.

Shannon Mesing redet eindringlich, mit heller Stimme. Man merkt, wie sehr sie all das beschäftigt. Nach einer Weile kommt ihr kleiner Sohn auf die Terrasse, kuschelt sich an sie. Er darf ein bisschen mit ihrem Handy spielen und verschwindet wieder nach drinnen.

Nicht nur bei der Ukraine, auch bei anderen Themen argumentiert sie anders als viele Linke. Sie kritisiert beispielsweise, wie über Zuwanderung gesprochen wird. Die Gesellschaft komme mit der Aufnahme von Geflüchteten an Grenzen, sagt sie. „Man muss über Probleme reden können, ohne gleich als ausländerfeindlich abgestempelt zu werden.“

Oder die Genderfrage. Bei Demokratie in Bewegung wurde gegendert, ­Mesing hat lange überlegt, wie sie das finden soll. Heute lehnt sie es ab, Quoten ebenso. Sie hat Maschinenbau studiert. An der Hochschule und jetzt als Inge­nieu­rin in einer Medizintechnikfirma ist sie oft allein unter Männern. Sie sagt: „Wenn man zeigt, dass man kompetent ist, hat keiner ein Problem damit. Eine Quotenfrau würde ich nicht sein wollen.“

Wegen des Transthemas hatte sie sogar richtig Krach mit ihrer besten Freundin. Shannon Mesing findet es „gefährlich“, wenn junge Menschen selbst entscheiden können, das Geschlecht zu ändern. „Ich war als Jugendliche schlaksig, habe Jungs­klamotten getragen. Mit der Idee, ich sei kein richtiges Mädchen, hätte man mich ­zeitweise auch kriegen können.“ Sie und ihre Freundin stritten sich deshalb. „Das war total traurig.“ Seitdem meiden sie das Thema.

Klimaschutz ist Shannon Mesing sehr wichtig, Chancengleichheit auch. Ist sie nun rechts? Oder links? Oder beides, je nach Themenfeld? Sie selbst glaubt, dass diese Zuordnung nicht mehr funktioniert. „Rechts und links gibt es für mich nicht mehr.“

Mit ihren Positionen sieht sich Mesing derzeit von keiner der Parteien im Bundestag mehr vertreten. Sie ist überzeugt: „Wir brauchen eine andere Opposition als die AfD.“

Die Schatten der Bäume auf der Terrasse sind länger geworden, es riecht nach Grillanzünder aus dem Nachbargarten. Shannon Mesing findet Sahra Wagenknecht eigentlich gar nicht sympathisch. Und doch verbindet sie mit ihr eine Hoffnung. „Die Frage ist, ob so eine neue Partei Menschen wie mich auffangen könnte.“

Der GesellschaftswissenschaftlerOliver Nachtwey forscht zu sozialen Bewegungen. Er beobachtet schon länger eine „normative Unordnung“, wie er es nennt. „Es gibt vermehrt Bewegungen, die sich dem klassischen Links-rechts-Schema entziehen und eine Offenheit gegenüber rechten Positionen haben, ohne gleich rechts zu sein“, sagt er. Während der Occupy-Proteste Anfang der zehner Jahre, die noch recht klar links waren, sei ihm das Phänomen das erste Mal begegnet, 2014 dann bei der Mahnwache für den Frieden.

Nachtwey hat sich auch viel mit den Coronaprotesten beschäftigt. Für das Buch „Gekränkte Freiheit“ interviewten er und seinen Kol­le­g*in­nen unter anderem 45 Personen aus dem Querdenken-Milieu. Die während der Pandemie verbreitete Meinung, die meisten Protestierenden seien Rechte, stimme nicht, sagt er. „30 Prozent der Leute, die wir befragt haben, haben früher grün gewählt.“ Leute von Ostermärschen seien darunter gewesen, ökologisch Bewegte, Kosmopolit*innen.

Warum gerade sie auf die Straße gingen, erklärt Oliver Nachtwey so: „Links“ sei im Spektrum der Kritik normalerweise verbunden mit Solidarität, mit der Öffnung gegenüber Schwachen, der Inklusion von Minderheiten. „Rechts“ dagegen stehe für das Ausschließen von Minderheiten und eine starke Hie­rar­chi­sierung. Während der Pandemie kam es zum Lockdown, also zu einer Schließung, sie wurde hierarchisch angeordnet. „Normalerweise hätte die Kritik daran von links kommen müssen, aber auch Linke haben die Maßnahmen mitgetragen.“

Zu Recht, wie Nachtwey findet, schließlich ging es damals um den Schutz von Menschenleben. Das hatte aber Folgen: „Es gab relativ wenig Herrschaftskritik. Es entstand eine Lücke in der linken Politik und auch in der Berichterstattung, die von den Protestierenden artikuliert wurde.“ Dem Staat und den Medien seien viele von ihnen mit wachsendem Misstrauen begegnet. „Das Establishment war das neue Feindbild.“

Wissenschaftler Oliver Nachtwey beobachtet eine normative Unordnung

Dieser „Generalverdacht gegen das Establishment“ zeige sich auch jetzt wieder an Protesten gegen Waffen­lieferungen an die Ukraine. Die westliche Darstellung der Ursachen des Kriegs werde angezweifelt, statt in deutschen Medien informierten sich die Leute beispielsweise bei RT, früher Russia Today. Die Protestierenden stießen erneut in eine Lücke der Herrschaftskritik, sagt Nachtwey. „Die Grünen haben mit den Positionen der klassischen Friedensbewegung fast nichts mehr gemein.“

Hier setze Sahra Wagenknecht an, so der Wissenschaftler. Sie ver­suche, die verschiedenen Milieus zusammen zu binden, die ursprünglich linken Querdenker*innen, die Mi­gra­ti­ons­skep­ti­ke­r*in­nen und die Pazifist*innen. „Linke und rechte ­Anteile sind bei ihr gleichermaßen vertreten. Ihre Klammer ist das Anti-­Establishment.“

Nun ist Shannon Mesing keine Querdenkerin, auch eine Offenheit nach rechts würde sie weit von sich weisen. Oliver Nachtweys Forschung in seinem Buch „Gekränkte Freiheit“ bezieht sich auf andere, radikalere Gruppen. Die „normative Unordnung“ beschreibt aber ganz gut, was auch Mesing umtreibt. Und nicht nur sie.

„Links, rechts, nicht ich habe mich verändert, sondern die Parteien und die politischen Kräfte“, sagt Hartmann Vetter. Er sitzt in einem Café am Stuttgarter Platz in Berlin-Charlottenburg. Ein warmer Nachmittag im August. Vetter, 78, trägt ein bunt gemustertes Hemd und Trekkingsandalen. Am S-Bahnhof eilen Menschen vorbei. Hier, am westlichen Ende des „Stutti“, wie Vetter den Platz nennt, ist es grün und friedlich. Ein Café reiht sich an das nächste. „Wie in Italien“, schwärmt Vetter.

Früher waren am Stuttgarter Platz der Busbahnhof und ein Rotlichtviertel. Dass sich die Gegend gut entwickelt hat, liegt ein wenig auch an Hartmann Vetter. Gemeinsam mit anderen gründete er eine Mieterinitiative, Anfang der 80er kauften sie zusammen ein Haus, dessen Seitenflügel abgerissen werden sollte. Ganz im Sinne der „behutsamen Stadterneuerung“ erhielten sie das alte Gebäude und renovierten es zum Teil selbst. In dem Haus wohnt er mit seiner Frau heute noch.

Stadtentwicklung ist Hartmann Vetters großes Thema. Er war 30 Jahre lang Geschäftsführer des Berliner Mietervereins, er stritt für die Legalisierung von Hausbesetzungen, für die Mietpreisbindung und Obergrenzen. „Mann der Mieter“, „Häuserkämpfer“, so lauteten die Überschriften, als er 2009 aufhörte.

Hartmann Vetter hat wie Shannon Mesing lange die Grünen gewählt, später PDS/Die Linke. „Die Grünen haben ihre soziale Seite vergessen“, kritisiert er. Sollte Wagenknecht eine Partei gründen, würde er sie wohl wählen.

Hartmann Vetter Foto: Dagmar Morath

Dass Wagenknecht, wie der Gesellschaftswissenschaftler Nachtwey sagt, auf „Anti-Establishment“ setzt, stört ihn nicht. „Anti-Establishment? Das ist mir erst mal grundsätzlich sympathisch. So bin ich politisch sozialisiert.“

Hartmann Vetter ist ein 68er. Er war in Köln im Sozialdemokratischen Hochschulbund und wollte ins Zentrum der Bewegung. An Ostern 1968, direkt nach dem Attentat auf Rudi Dutschke, zog er nach Westberlin. Er studierte Jura und Stadt- und Regionalplanung. Die Zeit der Hausbesetzungen und die Wiedervereinigung erlebte er bereits als Geschäftsführer des Mietervereins.

Vetter sitzt sehr aufrecht, während er spricht. Er erzählt freundlich, aber bestimmt. Seine Kollegen sollen ihn früher auch „Comandante“ genannt haben.

2015, während der sogenannten Flüchtlingskrise, wurde Vetter kurzzeitig zum Merkel-Fan. Beim Thema Zuwanderung liege er nicht ganz auf Wagenknechts Linie, sagt er. „Aber die Probleme müssen gesehen werden.“ In der Coronapandemie gehörte er dann zum Team Vorsicht. „Die Menschen waren in dieser Situation solidarisch, auch der Staat“, lobt er. Während der Pandemie habe es eine Einheitsfront gegeben. „Zu der gehörte ich auch.“

Das änderte sich mit dem Ukrainekrieg. Wie Shannon Mesing verweist er darauf, dass der Krieg eine Vorgeschichte habe. „Gäbe es eine vergleichbare Situation in Mittelamerika, würden die USA das auch nicht akzeptieren.“ Eine Hypothese, die auch Wagenknecht vertritt.

Als junger Mann war Vetter selbst Soldat, zwei Jahre lang. Es war Kalter Krieg, sie übten den Verteidigungsfall. „Die Russen haben die Elbe über­schritten!“, so etwas wurde beim Nachtalarm durch die Gänge gerufen, erzählt er. Nach dieser Zeit wollte er wissen: Wie sind die Russen wirklich? Gemeinsam mit einem Freund reiste er 1967 für neun Wochen durch die Sowjetunion. „Wir fuhren von Minsk Richtung Moskau.“ Sie durften die Route nicht verlassen, doch sobald sie stoppten, kamen Menschen neugierig zu ihnen ans Auto.

So schildert er es. Eine alte Frau ist ihm besonders in Erinnerung geblieben. Die Deutschen hatten entlang der Strecke Tod und Verwüstung hinterlassen, die Frau musste den Krieg erlebt haben. Und doch sei sie ihnen freundlich begegnet wie die meisten anderen. „Война не надо – Krieg braucht keiner.“ Das habe sie gesagt. „All das wird jetzt wieder zerstört.“

wochentaz

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Hartmann Vetter hat Angst, dass – und sei es aus Versehen – ein dritter Weltkrieg ausgelöst wird. Er hatte diese Angst schon einmal, mit 17. „Die Hochrüstung im Kalten Krieg, die Kubakrise, das habe ich hautnah erlebt.“

Dass die Grünen vor der Bundestagswahl 2021 noch „Keine Waffen in Kriegsgebiete“ plakatierten, angesichts des russischen Angriffs dann aber umschwenkten, das nimmt er ihnen übel. „Sie schreien am allerlautesten nach Waffen.“ Er schüttelt den Kopf. „Ich weiß nicht, wie man so geschichtslos sein kann.“ Auch die Ver­fech­te­r*in­nen der Waffenlieferungen argumentieren mit der Geschichte, Vetter leitet daraus aber eben das Gegenteil ab. Er schaut regelmäßig Wagenknechts Videos. Bei ihr findet er sich inzwischen viel eher wieder.

Shannon Mesing und Hartmann Vetter blicken nicht nur ähnlich auf den Ukrainekrieg. Sie kritisieren auch beide den öffentlichen Diskurs, den sie als zu einseitig empfinden. „Der Meinungskorridor ist enger geworden“, sagt Mesing. Bei Corona habe sie das so wahrgenommen, jetzt beim Krieg in der Ukraine wieder. „Gut und böse stehen viel zu schnell fest.“ Das werde den komplexen Sachlagen oft nicht gerecht. Hartmann Vetter sagt: „Leute, die skeptisch sind bei Waffenlieferungen, werden in den Talkshows als Naivlinge und Putin-Versteher niedergemacht.“

Die Welzer-Precht-Debatte

Man kennt dieses Argument von den Autoren Harald Welzer und Richard David Precht. In ihrem im September 2022 veröffentlichen Buch „Die vierte Gewalt“ kritisieren sie ein zu einheitliches Meinungsbild in den Medien. Obwohl sich im Frühjahr 2022 nur knapp die Hälfte der Bevölkerung für die Lieferungen schwerer Waffen aussprach, seien diese in den Medien nahezu uniform befürwortet worden. Das Buch wurde viel besprochen – und kritisiert. Ein Vorwurf: Welzer und Precht fehle für ihre Behauptungen die empirische Basis.

Die gab es bald darauf, zumindest für eine Auswahl an Medien. Um den Jahreswechsel veröffentlichte eine Forschungsgruppe um den Kom­mu­ni­ka­tions­wis­sen­schaft­ler Marcus Maurer von der Uni Mainz eine Studie zur Berichterstattung von FAZ, Süddeutscher, Bild, Spiegel, Zeit, ARD-„Tagesschau“, ZDF-„heute“ und „RTL aktuell“ im Frühjahr 2022. Das Ergebnis: „Die meisten deutschen Leitmedien haben in den ersten drei Monaten des Ukraine­krieges überwiegend für die Lieferung schwerer Waffen plädiert und diplomatische Verhandlungen als deutlich weniger sinnvoll charakterisiert.“ Nur im Spiegel sei das etwas anders gewesen. Dabei sei keineswegs nur regierungsfreundlich berichtet worden. „Kanzler Scholz wurde zwar zunächst für seine Entscheidungsfreudigkeit gelobt, dann aber als Zauderer kritisiert.“

Auch die Berichterstattung während Corona hatten sich Maurer und Kollegen genauer angeschaut. Sie untersuchten sieben Onlinenachrichtenportale und vier Fernsehnachrichtensendungen von Januar 2020 bis April 2021. „Die Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie wurden in den meisten Medien als angemessen oder sogar als nicht weitreichend genug bewertet“, lautet ein Ergebnis. „Insgesamt nahmen die Medien eine eindeutig warnende Haltung ein, die man durchaus als einseitig betrachten kann.“

Die Autoren verweisen allerdings auch auf die Gefahr einer false balance: Dass fundamentale Gegner der Coronapolitik kaum Gehör fanden, ebenso wenig wie Wissenschaftler*innen, die die Gefährlichkeit des Virus rundheraus abstritten, könne man nur dann als Mangel an Vielfalt interpretieren, wenn man eine „Darstellung von Ansichten unabhängig von ihrem Bestätigungsgrad“ wolle. Pluralismus bedeutet schließlich nicht, dass Medien falsche Fakten verbreiten sollten.

Vergleichsweise selten sei allerdings auch über die negativen wirtschaftlichen und psychosozialen Folgen der Maßnahmen berichtet worden. Die Bewertung sei hier untrennbar mit dem Verständnis der Rolle von Medien in Krisenzeiten verbunden, so die Wissenschaftler. Gehöre es zu ihrer Aufgabe, Kritiker und negative Nebenfolgen der Maßnahmen zu thematisieren, „auch wenn das möglicherweise die gesellschaftliche Akzeptanz der Maßnahmen mindert“? Oder sei die Bekämpfung der Pandemie vorrangig? Die Antwort hänge maßgeblich davon ab, für wie gefährlich man das Virus halte.

Es gab also tatsächlich eine gewisse Einseitigkeit der Berichterstattung, sowohl während Corona als auch zu Beginn des Ukrainekriegs – die man richtig finden kann oder falsch. Diejenigen, die wie Shannon Mesing oder Hartmann Vetter einen verengten Diskurs beklagen, dürften sich bestätigt sehen.

Frank Loock Foto: Antje Lang-Lendorff

Sahra Wagenknecht fiel Frank Loock während Corona das erste Mal richtig auf. Sie kritisierte viele Maßnahmen, auch sie ließ sich nicht impfen. Er musste ab November 2021 morgens vor dem Werktor warten; sie durfte im Bundestag nur noch auf der Besuchertribüne sitzen statt im Plenum. „Ungeimpfte wurden wie Aussätzige behandelt“, sagt er.

Als promovierten Chemiker irritierte es Loock, dass ein langjähriger Prozess wie die Entwicklung eines Impfstoffs plötzlich so schnell ging. Erfahrungen aus seinem Umfeld machten ihn noch misstrauischer. Zwei ältere, sportliche Freunde bekamen nach der Impfung Herzmuskelentzündungen, erzählt er. „Der eine war ein Rennradgott. Er ist seitdem nicht mehr aufs Rad gestiegen.“ Danach habe er für sich persönlich entschieden, sich nicht impfen zu lassen. Es gebe auch andere Arten, sich und andere vor einer Infektion zu schützen. Kontakte reduzieren, Maske tragen. Das kannte er schon von seinen Geschäftsreisen nach China.

Frank Loock war früher Mitglied der SPD. Als Rot-Grün Hartz IV einführte, trat er aus, das fand er „menschenverachtend“. Trotzdem wählte er die SPD weiter; oder die Grünen, für mehr Klimaschutz. Die Linkspartei setze sich zwar glaubhaft für soziale Gerechtigkeit ein, sagt er. „Aber die dreht sich nur um sich selbst.“

Vor der Bundestagswahl im Herbst 2021 spendete Loock der SPD 100 Euro. Noch im Wahlkampf hatte Olaf Scholz eine allgemeine Impfpflicht ausgeschlossen. Drei Monate später, im November, hielt er sie doch für nötig. Loock konnte das kaum glauben. „So etwas ist unaufrichtig.“ Im November sprach zudem Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil, ebenfalls Sozialdemokrat, von einer „Brandmauer“ gegen Ungeimpfte, die es zu errichten gelte. Loock sagt: „Ich bereue jeden Cent, den ich der SPD gespendet habe.“

Die Abendsonne fällt schräg über die Felder auf den Parkplatz vor dem Werk. Frank Loock steigt in das dunkelrote E‑Auto. Klimaschutz ist ihm wichtig. Die Familie ist deshalb mehrere Jahre nicht in den Urlaub geflogen, sie haben ein Haus gekauft, das es schon gab, statt ein neues zu bauen. Loock ist Fördermitglied bei der Deutschen Umwelthilfe und bei Greenpeace. Er, der für einen Autokonzern arbeitet, fordert dringend ein Tempolimit. Er versteht nicht, warum die Grünen in der Ampel da nicht hart geblieben sind. „Mit über 200 auf der Autobahn, das ist doch Wahnsinn.“

Der Wagen gleitet über die Landstraße an Feldern und Böschungen vorbei nach Wolfenbüttel. Hier wohnt Loock mit seiner Familie in einem Reihenhaus. Im offenen Wohn- und Esszimmer mit Kamin setzt sich auch seine Frau dazu.

Die großen Krisen der jüngeren Zeit – Corona, der Krieg in der Ukraine – haben die Koordinaten verschoben

Frank Loock ist ein Bildungsaufsteiger. Er war der Erste in der Familie, der Abitur machte, studierte und sogar promovierte. Loock lernte früh, seinen eigenen Weg zu gehen, sich nur auf sich selbst zu verlassen. „Wenn ich jemanden brauchte, der mir Integralrechnung erklärt, dann war da niemand.“ Er wurde ein Einzelkämpfer, Teamfähigkeit lernte er erst später, erzählt er. „Wenn jemand etwas von mir wollte, war es für mich selbstverständlich zu hinterfragen: Ist das zielführend?“

Den ersten Lockdown während Corona nahm er sehr ernst. Abends saßen sie vor dem Fernseher und verfolgten die Infektionszahlen. Doch nicht alle Maßnahmen leuchteten ihm ein. Dass Kinder nicht auf den Spielplatz durften, fand er von Beginn an falsch. Mit seiner Patentochter ging er trotzdem hin, sie ignorierten das Absperrband einfach.

Anders als Frank Loock waren Shannon Mesing und Hartmann Vetter bei Corona voll im Meinungsmainstream, beim Krieg in der Ukraine nicht mehr. Bei Loock ist es umgekehrt: Er hätte sich im Frühjahr 2022 sogar schnellere Waffenlieferungen der deutschen Regierung gewünscht. „Wir sprechen hier über einen verbrecherischen Angriffskrieg. Deutschland war da viel zu zögerlich.“

Mit Wagenknechts Äußerungen zum Krieg kann er nicht viel anfangen. Gegen Friedensverhandlungen habe er nichts, sagt er, er sei ja kein Kriegstreiber. „Aber ihre Sowjetromantik geht mir so was von auf die Nerven.“ Trotzdem erwägt er, sie zu wählen.

Tritt Wagenknecht an, würden sicherlich auch Menschen für sie stimmen, die bisher AfD gewählt haben. Aber eben nicht nur sie. Frank Loock, Shannon Mesing und Hartmann Vetter sind links sozialisiert, das ist in den Gesprächen sehr deutlich geworden. Sie teilen auch weiterhin vieles von dem, was in linken Kreisen gesagt und gedacht wird. Zum Teil aber auch nicht.

Das liegt nicht nur an ihnen. Die großen Krisen der jüngeren Zeit haben die Koordinaten verschoben. Aus Sorge vor dem Virus, aus Solidarität mit vulnerablen Gruppen befürworteten auch Linke in der Pandemie Einschränkungen der Grundrechte. Aus Solidarität mit der Ukraine waren Kriegs­geg­ne­r*in­nen nach dem 24. Februar 2022 plötzlich für Waffenlieferungen. Die normative Unordnung, die Oliver Nachtwey in den Protestbewegungen beobachtet, sie hat im Prinzip die ganze Gesellschaft erfasst.

Vieles ist in Bewegung geraten, und nicht alle sind bei jeder Bewegung mitgegangen. Diese Menschen haben andere Meinungen, sie sind deswegen aber nicht automatisch „Wirrköpfe“, wie ein taz-Genosse in einer Mail warnte. Und nicht automatisch rechts: Auch aus einer linken Perspektive, mit linken Argumenten lassen sich Coronamaßnahmen oder Waffenlieferungen kritisieren.

Zurzeit sind Leute mit diesen Meinungen politisch heimatlos. Das Pro­blem ist: Je weniger sie sich im Diskurs wiederfinden, je mehr man sie abwertet oder pathologisiert, desto eher verliert man sie. Vielleicht wählen sie eine Partei, wie sie Wagenknecht wohl vorschwebt, in der sich linke mit rechten Positionen vermischen: für Umverteilung, gegen Waffenlieferungen, für eine Begrenzung der Zuwanderung, gegen eine „Cancel Culture“, wie Wagenknecht es nennt.

Im schlimmsten Fall entfremden sie sich nicht nur von den etablierten Parteien, sondern von der Demokratie an sich. An manchen Leuten aus der Querdenken-Szene konnte man das be­obachten. Sie radikalisierten sich, aus der Kränkung wurde eine große Wut auf „die da oben“ und das ganze System.

Wagenknecht als Projektionsfläche

Shannon Mesing hat eine Weile überlegt, ob sie wirklich mit vollem Namen in die Öffentlichkeit will. Sie hat Sorge, angefeindet und in die rechte Ecke gestellt zu werden. Sie hat sich, wie die anderen beiden, schließlich dafür entschieden, sogar für das Foto. Sie will, dass das geht. Sie sagt: „Wir müssen zu einer Streitkultur finden, wo es okay ist, wenn man eine andere Meinung hat.“

Und was heißt das nun alles für Sahra Wagenknecht? Eine Partei, die es noch nicht gibt, eignet sich gut als Projektionsfläche. Den Erwartungen mit einem konkreten politischen Programm zu entsprechen, ist noch mal etwas anderes.

Hartmann Vetter ist dagegen, dass sie eine eigene Partei gründet, wegen der Fünfprozenthürde. „Das wäre der Tod von beiden, der Linkspartei und der Wagenknecht-Partei.“ Er wünscht sich eine starke Sahra Wagenknecht innerhalb der Linken. Wenn beide getrennt antreten, würde er Wagenknecht wohl wählen. „Dann bliebe mir ja nichts anderes übrig.“

Shannon Mesing macht vom Parteiprogramm abhängig, ob sie am Ende wirklich für eine Wagenknecht-Partei stimmen würde. „Wenn Wagenknecht Ausländerfeindlichkeit zu sehr bedient, würde ich sie nicht wählen. Und wenn Klimaschutz bei ihr hinten runterfällt, bin ich auch nicht dabei.“

Auch Frank Loock hat eine Bedingung: „Ich wähle sie nur, wenn sie nicht zu viel USA-Feindlichkeit im Programm hat.“

Ganz schön viel „wenn“.

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66 Kommentare

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  • rechts/links hat mich nie interessiert, ich halte es mit dem gesunden menschenverstand. da hat es bei mir bisher noch keine partei geschafft.

  • Als Hape Kerkeling aka Horst Schlämmer mit eigener Partei kandidieren wollte (jaja ...) wollten lt Umfragen zwischen 16 und 20% für ihn Stimmen.

    www.stern.de/polit...ehlen-3535540.html

    Ich wär also mal vorsichtig bei Umfragen über ungelegte Eier.

  • "Frank Loock, Shannon Mesing und Hartmann Vetter sind links sozialisiert, das ist in den Gesprächen sehr deutlich geworden. Sie teilen auch weiterhin vieles von dem, was in linken Kreisen gesagt und gedacht wird. Zum Teil aber auch nicht."

    Im Grunde bedarf es nicht einmal dieses Herumredens, alle 3 porträtierten Menschen sind eindeutig links (der Mitte).

    Und ich würde fast wetten, dass sich das noch mehr zeigen würde, wenn sagen wir sie neben den angesprochenen Themen auch zu anderen linken Positionen befragt worden wären.

    (Also egal ob Schutz von Minderheiten mit anderer sexueller Orientierung bis hin zu, noch offenkundiger, Verteilung von Vermögen und (ökonomischer) Teilhabe)

    Ach ja, und nochwas:

    "gegen eine „Cancel Culture“" zu sein ist vielleicht nicht zwangsläufig eine linke, aber zumindest eine typisch progressive (oder freiheitliche/liberale) Position. Es ist für mich ehrlich gesagt etwas gruselig und absurd, dass eine "Verbotskultur", die sonst jahrzehntelang ein Metier der Konservativen gewesen ist, so bereitwillig von vielen linken Strömungen adaptiert wurde.

    (Und damit wir uns bloss nicht falsch verstehen, rechts-der-Mitte existiert diese Verbotskultur selbstverständlich bis heute noch. Aber warum müssen "wir" das auch noch übernehmen?)

  • Alles wo Lafontaine oder Wagenknecht draufsteht oder Führungsmitglied ist, ist grundsätzlich für mich nicht wählbar. Vorher wähle ich Merz.

    • @sachmah:

      Das hört sich fast wie eine Selbstlegitimation an, endlich CDU wählen zu dürfen. Ist es wirklich so schlimm mit der deutschen Linken, dass Sie dazu keine Alternative sehen?

      • 0G
        06438 (Profil gelöscht)
        @Abdurchdiemitte:

        ""Ist es wirklich so schlimm mit der deutschen Linken, dass Sie dazu keine Alternative sehen?""



        ==



        Welche deutsche Linke?



        Was meinen Sie?

        Imperiallismuskritik ist ein grundlegender Baustein einer linken Ideologie. Seit dem furchtbaren Überfall vom 24.02. 2022 nimmt weder die Linke noch Wagenknecht diesen Begriff in den Mund.

        Solidarität mit den Opfern von Kriegstreibern gibt es weder bei Wagenknecht noch bei den Linken. Wo ist denn deren Solidarität gegenüber der Opposition in der russischen Förderation? Wo ist deren Solidarität mit den Opfern des Statilinismus und Putinismus? Schätzungsweise sitzen 2o.ooo Russen in den russischen Folterknästen weil sie den schrecklichen Krieg Russlands auch Krieg nennen und dagegen demonstriert haben.

        Selbstbestimmungsrecht der Völker.



        Diesen Grundsatz hat die Linke völlig vergessen. Kommt nicht mehr vor - seit 2014.

        Nach der Genfer Konvention darf sich jedes Land verteidigen und von anderen dabei unterstützt werden.



        Eine Linke die diesen Grundsatz nicht unterstützt ist keine Linke.

        Menschenrechte sind gleichfalls ein grundlegender Baustein eines linken Denkens. Ist für die Linke und besonders für Wagenknecht unerheblich und unwichtig.

        Die Revolution in Russland 1917/18 war keine Revolution sondern ein blutiges Schlachtfest welche der Grundstein war für die Massenmordpolitik der folgenden Regierungen nach Lenin. Aufklärung von links über diese Verbrechen suchen sie vergeblich.

        Diese Kette der Argumentation " was ist denn hier links"" lässt sich bis ins unendliche fortführen.

        Links bedeutet Aufklärung nach Marx und Engels - schrägen Populismus mit verdrehten Tatsachen ohne Aufklärung braucht niemand.

        Aber das schlimmste ist:



        Ich persönlich kann die schräge Wagenknechtpropaganda nicht mehr vom rechten AFD Populismus unterscheiden. Wenn angebliche Linke in Wahrheit eine rechte Politik vertreten hat sie jegliche Daseinsberechtigung verloren.

        • @06438 (Profil gelöscht):

          Sie tun gerade so, als seien die Wagenknecht-Positionen mit „der“ Linken identisch. Zum linken politischen Spektrum hierzulande zählen für mich - selbst auf die Gefahr hin, jetzt von einigen Mitforisten als naiv ausgelacht zu werden - beispielsweise immer noch SPD und Grüne. Und dann gibt es ja noch das außerparlamentarischen line Spektrum, wo das Meinungsbild zu diesem Krieg wie zum Charakter des russischen Regimes weiß Gott alles andere als einheitlich ist. Das kann doch anhand unserer lebhaften Diskussionen hier im Forum nachvollzogen werden,



          Was uns unterscheidet, ist möglicherweise der Fokus der Betrachtung. Ich persönlich schaue nicht nur auf diesen Krieg, so sondern sehe mit großer Sorge auch die anderen globalen Konflikte bzw. die Unfähigkeit, diese mit anderen als militärischen Mitteln lösen zu wollen. Keiner dieser Kriege ist weniger tragisch und besorgniserregend als der in der Ukraine. Aktuell denke ich v.a. an die Situation der Bevölkerung in Bergkarabach.

  • “ Es gab also tatsächlich eine gewisse Einseitigkeit der Berichterstattung, sowohl während Corona als auch zu Beginn des Ukrainekriegs – die man richtig finden kann oder falsch. ”

    da frage ich mich, welcher typus mensch eine einseitigkeit in der berichterstattung richtig findet. und gebe gleich selbst die antwort in neudeutsch: die follower, diejenigen, die nicht müde wurden, alle möglichen wortneuschöpfungen zu gebrauchen und auszugrenzen und abzuwerten, wo es nur ging.



    ich würde mit sicherheit drüber nachdenken, wagenknecht zu wählen oder doch weiterhin die partei.

    • @peanuts:

      Die Berichterstattung über die Kugelgestalt der Erde ist auch einseitig.

      Meinungen sind keineswegs gleichwertig, sondern immer nur so viel wert wie die Argumente, die sie untermauern, und die Argumente nur so viel wie die Fakten, auf denen sie basieren.

      Jeder hat das Recht auf eine eigene Meinung, aber nicht auf eigene Fakten.

      • @Suryo:

        Ja, die 2 Themen (also die Pandemie und der Krieg) sind auch nicht gleich.

        Die Frage hinsichtlich der Waffenlieferung ist ja keine von sachlich "richtig" oder "falsch". Sondern von unterschiedlichen Haltungen und Vorstellungen.

        Stimme zu, dass das etwas völlig anderes ist, als ob "kritische" Stimme zu medizinischen Fragen, zu denen weitestgehend wissenschaftlicher Konsens besteht oder bestand, viel Platz eingeräumt wird.

  • > „ Die USA hätten ihre Einflusssphäre nicht bis an die russische Grenze ausdehnen dürfen.“

    Faktenchek zu dieser Aussage in der gleichen taz auf Seite 10. Bitte unbedingt lesen: taz.de/Historikeri...eiterung/!5961608/

    > „Mesing unterzeichnete im Frühjahr die Petition von Wagenknecht und Alice Schwarzer, in der sie Friedensverhandlungen forderten.“

    Frage: wie führt man glaubwürdige und vertrauensvolle Friedensverhandlungen mit jemandem, dem man nicht (mehr) vertrauen kann, weil er lügt und sich nicht an geschlossene Verträge und Abmachungen hält? Wie bitte soll das gehen??

    > „ Sollte Wagenknecht eine Partei gründen, würde er sie wohl wählen.“

    Im Ernst? Eine Frau, die 4 Tage vor Putins Einmarsch in die Ukraine in der Sendung „Anne Will“ behauptete, Putin habe keinerlei Interesse, in der Ukraine einzumarschieren? Da würde ich doch bitte nochmal eine Nacht ruhig drüber schlafen…

    > „ Drei Monate später, im November, hielt er sie doch für nötig.“

    Ja, die Coronalage war dynamisch, und zwar weltweit - auch für Politiker und Entscheider, die wie alle anderen auch, sich einer vorher nie dagewesenen Pandemie ausgesetzt waren. Aus meiner Sicht ist die Kritik an der Entscheidung unangebracht.

    > „ Die Linkspartei setze sich zwar glaubhaft für soziale Gerechtigkeit ein, sagt er. „Aber die dreht sich nur um sich selbst.““

    und Sahra Wagenknecht dreht sich um die Beladenen, Armen und Zurückgebliebenen. Allein: mir fehlt der Glaube.

    Dennoch: Dank für den Artikel und die gewährten Einblicke in die Seelenleben, auch wenn ich persönlich nicht überzeugt bin 🤔

    • @Grenzgänger:

      "Ja, die Coronalage war dynamisch, und zwar weltweit - auch für Politiker und Entscheider, die wie alle anderen auch, sich einer vorher nie dagewesenen Pandemie ausgesetzt waren. Aus meiner Sicht ist die Kritik an der Entscheidung unangebracht."

      Naja, dann hätten die (teilweise) gleichen Leute sich aber auch vielleicht nicht (im Wahlkampf) soweit aus dem Fenster lehnen und eine Impfpflicht ausschliessen sollen?!

      Sowas ist, das lässt doch in jedem Fall konstatieren, Wasser auf die Mühlen derer gewesen, die von vornherein die Einführung einer solchen befürchtet hatten (hat dann einen faden Beigeschmack, wenn dies erst ausgeschlossen wird, dann aber letztlich nur Wochen später doch nicht mehr gelten soll).

      (Und *falls* es irgendwie von Relevanz ist oder sein sollte: Das schreibe ich übrigens als mehrfach Geimpfter)

  • Können wir mal über die wirklich wichtigen Dinge reden?

    Das ist kein schulterfreies Kleid.

  • 0G
    06438 (Profil gelöscht)

    "Sie sind die Putin'sche Stimme in Deutschland, gemeinsam mit der AfD"



    ==



    Mit diesem Satz von Karl Schlögel gegenüber Wagenknecht endete der Versuch der Diskussion von Schlögel mit den eingemeisselten Behauptungen von Wagenknecht, die sie seit Monaten wie eine Langspielplatte wiederholt - ohne Ihre Behauptungen auch nur im entferntesten verifizieren zu können.

    Diskussion mit Wagenknecht? Unmöglich. Ihr geht es nicht um Klärung - sondern darum ihre seltsamen Thesen unter das Volk zu mischen. Politik ist ja immer auch eine Auseinandersetzungen mit gegensätzlichen Positionen - leider bei Wagenknecht unmöglich - weil es ihr allein darum geht -- propagandistisch geschickt -- ihre Vorurteile



    wie ein Jahrmarktschreier dem geneigten Zuhörer anzudrehen.

    Wagenknecht ist als geschickte Oberflächentechnikerin, die verbissen an der Oberfläche kratzt, gegen Schlögel angetreten, dem Mann, der auf 850 Seiten "Das sowjetische Jahrhundert" mit einer Detailgenautigkeit beschreibt, das einem vor Erstaunen und Bewunderung die Augen tränen.

    Wenn dieser Wissenschaftler Wagenknecht als die Stimme Putins mit der AFD vergleicht wiegt dieses Urteil schwer - zentnerschwer.

    Um es mit Jandl auszudrücken:



    ""rinks" und ""lechts"" sind bei Wagenknecht nicht mehr zu differenzieren. Auch wenn sie in den letzten Jahrzehnten kaum Unterstützung hatte, gibt es eine ideologische Tradition, die Wagenknechts Linie ziemlich genau entspricht, nämlich den Nationalbolschewismus.

    Nationalbolschewismus ist die Bezeichnung einer politischen Strömung, die zur Zeit der Weimarer Republik eine Anlehnung des Deutschen Reiches an Sowjetrussland bzw. die Sowjetunion anstrebte und eine nationale Revolution, jedoch keine weltweite kommunistische Revolution forderte.



    Dessen Vordenker kommen zwar meist von links, haben sich aber von ihren einstigen Genossen im Laufe der Zeit entfremdet und nach ultrarechts gewendet.

    Wer Wagenknecht aus seinem Bauch heraus beurteilt -- hat schon verloren.

  • Danke an die drei Interviewten für ihre Offenheit und ihren Mut - und der taz für diesen Artikel. Ich muss nicht alle Meinungen hier teilen, aber eine Verengung des Meinungskorridors nehme ich auch wahr. Dieser Artikel leistet einen echten Beitrag, ihn wieder zu weiten. Super und weiter so!

    • @HanM:

      Meinungen gibt es viele und sie werden in unserer multimedialen Welt verbreitet wie nie, der Korridor ist also weit und offen. Aber die Faktenlage ist eben eindeutig und nicht so "plural", wie manche das gerne hätten - "alternative Fakten" kann man seiner Oma erzählen, aber bitte nicht im öffentlichen Diskurs verbreiten.

      Ich finde die Ausrichtungen der drei Protagonisten grundsätzlich sympathisch, aber wie man als intelligenter, aufgeklärter Mensch gegen Impfungen sein und als Menschenfreund die russische Regierung als von den USA/der NATO zum Überfall und Massenmord an den Ukrainern getrieben sehen kann, erschließt sich mir einfach nicht. Das ist kontrafaktisch, und sowas steht links denkenden Menschen meiner Meinung nach nicht gut zu Gesicht. Links sein bedeutet für mich, Vernunft und Fakten zu folgen und deswegen das Richtige zu tun, was für alle gut ist; rechts sein bedeutet, dem Bauchgefühl und niederen Instinkten zu folgen und deswegen das zu tun, was nur für einen selbst (vermeintlich) gut ist. Es kann daher nicht links sein, wegen irgendwelcher Schamanenbehauptungen gegen Impfungen zu wettern oder ein Einstellen der Sanktionen gegen Russland zu fordern, weil die Russen einem sonst das günstige Gas nicht liefern.

  • Die Linke hat ihre Chance gehabt. Viele Themen der Sozialdemokratie oder der Alternativen hätten von der Linken neu besetzt werden können. Als "Soziale Opposition" und Vertreter von Arbeitnehmern und Familien. Und das glaubhaft. Leider hat sich die Linke zulange um sich selbst und ihre Darsteller gedreht. Sarah Wagenknecht selbst ist eine Symbolfigur dafür. Sie hat viel dafür getan die Linke in diese ausweglose Situation zu bringen. Nein besser, die Linke hat sich das gefallen lassen und zahlt dafür einen hohen Preis. Die Inkonsequenz einer Sarah W. ist bezeichnend. Lasst sie. Sie kann es besser. Zumindest mit Frau Schw. und bei Lanz. Mach es Sarah. Geh mit Gott, aber geh.

  • Ich werde Wagenknecht sicher nicht wählen - ich werde aber auch niemanden verdammen, der es tut.

    Ich hab den Eindruck, dass sich Diskussionen massiv verhärtet haben. Es gibt genug Beispiele oben im Text. Da gibt es eine richtige Antwort. Wenn man die falsche gibt, wird man - evtl. auch im Freundeskreis - niedergebrüllt. Ich bin hier im Forum und in der FAZ. bei der taz wird bei vielen ablehnenden Positionen sofort "Nazi" oder "rechts" gerufen. Bei der FAZ ist am beliebtesten der Naturwissenschaftliche-Nichtsblicker-Grüne.

    Die Welt ist selten schwarz-weiß. Es täte gut, sich daran zu erinnern und dem anderen zuzuhören - auch wenn man die Meinung am Ende nicht teilt. Eine Diskussion hat nicht das Ziel den anderen sofort zu überzeugen. Aber man tauscht Argumente aus. Am Ende ist jeder etwas klüger.

    PS: Meist wird gebrüllt, wenn man sich der eigenen Argumente nicht so sicher ist.

    • @Strolch:

      Manchmal wird man aber auch laut, wenn man hundertprozentig recht oder jedenfalls alle belastbaren Argumente hat, die Gegenseite aber auf ihrer Position beharrt. Wer zB ganz grundsätzlich Impfungen ablehnt und seinen Kindern selbst so etwas wie die Wundstarrkrampfimpfung vorenthält, der hat sachlich wie moralisch absolut, objektiv, ohne jeden Zweifel unrecht. Und wenn er dann immer noch darauf besteht, seine zutiefst falsche Haltung sei eben nur eine Meinung, oder gar richtig, der provoziert nun mal extrem. Da kann man schon mal in gerechten Zorn geraten. Solche Leute bringen nämlich mit ihren Lügen Menschen um. Ganz einfach.

      • @Suryo:

        Hundertprozentige Zustimmung.

  • Was neues wird von vielen erst mal gewählt um anderen eins auszuwischen. Dann relativiert sich wieder alles. Meine These jedenfalls.

  • Und jetzt zu der Frage, wie man all diese komplett widersprüchlichen Positionen und Träume in einer einzigen Partei vereinen soll...

    • @TheBox:

      An der Frage wird die Wagenknecht-Partei über kurz oder, naja, nicht sehr lang scheitern. Diese Widersprüche sind zu tief und zu grundsätzlich. Irgendwas erinnert mich ein wenig an die ersten Tage de AfD. Deren erste Generation waren ja teilweise Leute, deren Ansichten ich nicht teilte, die mir aber wenigstens begründet und nachvollziehbar erschienen (die Kritik am Euro könnte ich sogar mittragen, auch wenn ich sie für wenig zielführend hielt, da der Schritt getan und faktisch unumkehrbar war).



      Nur: wohin auch immer eine SWP hin abdriften könnte - dort sind keine 15%

      • @Wurstprofessor:

        Wobei es solche Diskussionen doch auch bei "erfolgreichen" Parteien gegeben hat.

        Aus heutiger Sicht wirken die Diskussionen Ende der 70er/Anfang der 80er darüber, wo die Grünen im politischen System steht, befremdlich.

        (Wenn ich mich richtig erinnere, gab es damals ja sogar sinngemässe Aussagen a la "Wir sind weder links noch rechts, wir sind grün.")

        • @Malte Kuller:

          Wobei man durchaus unterstellen könnte, das Forcieren einer ökologischen Transformation mit bestenfalls beiläufiger Réflexion der Implikationen insbes. für die unteren Gesellschaftsschichten sei unverändert "weder links noch rechts, sondern grün"...

  • Nach heutigem Stand würde ich sie nie wählen, viel zu selbstverliebt, in Kombi mit Oskar nein danke

  • Wir brauchen Sarah dringend! Eine tolle Frau!

    • @casio:

      Sahra.

      Und die Verehrung, die ihr ihre Fans entgegenbringen, ist echt bizarr. Man kann regelrecht Bullsitbingo mit leserkommentaren zu dieser Frau spielen. Wer hat als erster „brillant“, „klug“, „scharfsinnig“ usw zusammen?

  • Das BRD-Politsystem wird sich weiter fragmentieren. Sehen wir in anderen EU-Staaten seit langem schon. Einfluss der Kleinparteien nimmt zu und Koalitionen werden instabiler. Alles ganz normal. Ausdifferenzierung nennt man das, so wie die BRD-Gesellschaft längst in unzählige Biotope zerfallen ist. Politniks schwafeln oft vom großen Ganzen, vom Zusammenhalt der Gesellschaft, den es seit Langem nicht mehr gibt. Das alles ist Geschichte. Was uns heute verbindet, sind gemeinsame Interessen. Hieraus entstehen Biotope bzw. Gesellschaftsgruppen, Fragmente. So hat es Klimaaktivisten und Tuningszene, Fußball und Gedöns, Kleingärtner und Spießer, Manga und Gamer, Junge Mütter bzw. Kleinfamilie, Rentner und Urlauber und viele mehr. Überschneidungen sind minimal, weshalb sie auch nichts verbindet. Eine Wagenknecht-Partei würde sich mit der LINKEN um die 5 Prozent streiten, mehr nicht. Wenn am rechten Rand eine Partei hinzukommet, muss die AfD abgeben. Am Ende wird es 10 Parteien im Parlament haben, alle unter 20 Prozent. In vielen Euroländern ist das bereits Realität. Mich stört es nicht, bin aber auch keine Fan dieser Entwicklung.

  • Für mich persönlich sind gerade Covid und die Ukraine die beiden Themen, die mich am Allerweitesten von Wagenknecht und Co fernhalten.

    Wir wissen alle: hätte es die Pandemie in den 80ern gegeben, es hätte eine Impfpflicht und keine Diskussionen gegeben. Man hätte sich nicht angefasst, es besser wissen zu können als die Wissenschaft.

    Und wer nicht begreift, dass noch in keinem Krieg der letzten Jahrzehnte so klar war, welche Seite gut und welche böse ist, wie in der Ukraine, den kann ich nicht verstehen. Ich halte jede Art der „Differenzierung“ (die immer und ausschließlich nur Russland nützt) für im besten Fall idiotisch, um nicht zu sagen, zutiefst verwerflich.

    • @Suryo:

      Sie schreiben: "Wir wissen alle: hätte es die Pandemie in den 80ern gegeben, es hätte eine Impfpflicht und keine Diskussionen gegeben. Man hätte sich nicht angefasst, es besser wissen zu können als die Wissenschaft." (Gemeint ist statt "angefasst" sicherlich "angemaßt").

      Das sehe ich aufgrund meiner Erinnerungen an die 80er Jahre ganz anders. Wenn der Impfstoff gentechnisch hergestellt worden wäre (wie die mRNA-Impfstoffe gegen Covid), hätten die Grünen und die meisten Linken damals seine Verwendung und erst recht eine Pflicht, sich damit impfen zu lassen, scharf abgelehnt. Gentechnik war damals auch in der Pharmazie unter Grünen und den meisten Linken absolut verpönt. Und Wissenschaftlern, die den Einsatz von Gentechnik (oder auch nur deren weitere Erforschung mit dem Ziel ihres späteren Einsatzes) befürworteten, wurde von linker und grüner Seite regelmäßig vorgeworfen, sie seien von der Industrie "gekauft" und würden deren "falsche Heilsversprechen" propagieren. (Der Vorwurf, von irgendeiner Lobby gekauft zu sein, wird auch heute noch häufig gegen Wissenschaftler erhoben, die z. B. in Bezug auf Atomkraftwerke, Gentechnik in der Lebensmittelproduktion oder Glyphosat zu dem unerwünschten Ergebnis kommen, dass ihr Nutzen die Risiken überwiege.)

      Übrigens hat "die Wissenschaft" zwar ganz überwiegend flächendeckende Corona-Impfungen empfohlen, aber keineswegs einhellig eine Impfpflicht gefordert, s. z. B. dieses Interview mit Drosten in der SZ vom 23.12.2021: www.sueddeutsche.d...nterview-1.5495029

      Hinsichtlich des Angriffskriegs Russlands gegen die Ukraine schließe ich mich Ihnen an.

      • @Budzylein:

        Ja, vielleicht mal ein Beispiel, wo wir den Vergleich zwischen den 80ern und heute (bzw. später) tatsächlich haben:

        Die öffentlichen Reaktionen auf die Volkszählung 1987 und die auf den Zensus 2022.

      • @Budzylein:

        Sie haben recht, Kritik wäre aus der Ecke der damals kleinen Randpartei „Die Grünen“ gekommen. Die überwältigende Mehrheit der Menschen hätte den Kopf über die verrückten Körnerfresser geschüttelt und sich umstandslos impfen lassen. Auch die FDPisten. Und eine Krankenschwester oder Altenpflegerin, die sich geweigert hätte, wäre selbstverständlich entlassen worden, wobei man sie aber gar nicht erst nach Zustimmung gefragt hätte. So, wie das heutzutage bei Impfungen gegen Hepatitis übrigens immer noch ist.

    • @Suryo:

      Sehe ich genauso. S.W. hat zwar in der Vergangenheit schon verschwörungstheoretisch argumentiert, aber da war die zumindest die Stoßrichtung noch mit dem Kanon linken Denkens zu vereinbaren.

      Aus Prinzip gegen staatliche Impfprogramme zu sein, ist gerade für Ex-DDRler schon ziemlich verquer gewesen. Aber die jetzige Parteinahme für das russische Großkapital in einem eindeutig imperial-nationalistisch motivierten Angriffskrieg, ist selbst unter größten Anstrengungen nicht mehr unter "links" zu verbuchen.

      Stört das diese Leute eigentlich nicht, dass Moskau die AfD als natürliche Verbündete ansieht?

      • @Chris McZott:

        Der Hass auf den Westen und den Sieg des Kapitalismus im Kalten Krieg ist so groß diese Menschen sind blind für die Wirklichkeit.

  • Zitat: ´Zustimmung auch unter Menschen, die bisher Linke, SPD oder Grüne gewählt haben´

    Ich würde sogar so weit gehen und sagen, dass ein großer Teil der künftigen Wähler von hier stammen dürfte. Genauso wie im Osten viele ehem. Linke-Wähler nun die AfD wählen.

  • Nach heutigem Stand würde ich eine Sarah-Wagenknecht-Partei sofort wählen, denn wirkliche Friedenspolitik hat keine andere Partei mehr im Portefeulle.

    • @Michael Heinen-Anders:

      Wagenknecht hat keinen Frieden im Angebot, sondern nur einen russischen Diktatfrieden und russische Terrorherrschaft über seine Nachbarn.

    • @Michael Heinen-Anders:

      Das stimmt nicht.



      Wagenknecht hat keine Friedenspolitik im Portefeuille.



      Verhandlungen finden IMMER parallel zu Kriegshandlungen statt. Es ist kein entweder - oder, wie Wagenknecht und Co. es darstellen.

    • @Michael Heinen-Anders:

      Verständnis und Unterstützung für (russische) Angriffskriege ist keine Friedenspolitik.

    • @Michael Heinen-Anders:

      Friedenspolitik? Absurd. Denn es kann der Frömmste nicht in frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn (Kreml-Russland) nicht gefällt. LINKE dürfen fromm gern mit friedliebend ersetzen.

    • @Michael Heinen-Anders:

      Unterwerfung unter den russischen Faschismus ist kein Frieden.

      Jeder echte Linke kann nur Feind dieses Russlands sein.

  • Komisch für mich klingt viel davon nach SPD, der alten SPD von der ja immer noch (wohl oder übel) gute Teile stehen und wirken, zu der Olaf Scholz im Geist nun aber ausdrücklich nicht gehört. Im Prinzip würde sich dem zu enthalten deshalb Warnungen anzeigen, wie es sie in den USA gibt vor dem Hintergrund etwaiger dritter Herausforderer. Dass es am Ende nämlich nur Trump(isten) die Bahn frei machte, das wäre im Fall Deutschlands eben ein Kanzler der Union. Aber ich bin da noch entspannt aufgrund der Aussichten, die ich einer Wagenknechterei attestiere, so sie überhaupt kommt, was ich auch deshalb bezweifle. Sie muss offensichtlich im Gespräch bleiben, gelingt ihr auch so. Viel mehr als'n regionales Strohfeuer (im Osten) ist da nicht drin aber gerade dort kann sie wohl kaum bei der AfD mithalten wo es um Provokation geht und Gegenkultur und das für viele ja offenbar das Feature. Mal abgesehen davon, dass ja nun S. Wagenknecht ein überaus lustiges Beispiel für Anti-Establishment ist und ihre Visionen kaum mehr Aussicht auf Mehrheiten hätten als die der Nazis: Ein-Personen-Plattformen funktionieren in dem Land glaub ich nicht oder wenn dann eben nur als Strohfeuer, siehe Schill.

    Immerhin in puncto Impfen ähnelt meine Einstellung und Erfahrung hier wohl der von Mesing, schon beruhigend dass es auch anderen Unverdächtigen kalt den Rücken herunterlief. Aber selbst das ist schwer zu verstehen, weil ich halte das gerade für eine liberale Reaktion und Wagenknecht ist nun dezidiert (kann man sagen) anti-liberal?! Das ist die eigentliche Leerstelle im Parteiensystem. Eine Option für Menschen, die sich auch an erster Stelle als liberal verstehen, aber das Schicksal der Piraten mag natürlich nahelegen, dass es in Deutschland gar keine braucht. Bestellt wurde die nächste konservative Konserve, jetzt muss man sie nur noch abholen.

    • @Tanz in den Mai:

      Einer der Gründe für das Scheitern der Piraten, für den diese selbst verantwortlich sind, ist das Unverständnis darüber, wie viele (potentielle) WählerInnen öffentlich ausgetragene Debatten wahrnehmen.

      Nämlich nicht etwa als Transparenz oder Authentizität. Sondern als Abschreckung aufgrund einer fehlenden gemeinsamen Linie.

      (Damit sind die Piraten nicht allein, auch die "Etablierten" begehen diesen Fehler oft genug - siehe auch die Ampelkoalition aktuell. Es hat die Piraten aufgrund ihrer Grösse mehr geschadet)

  • 3G
    31841 (Profil gelöscht)

    Wie sagte Schrüder seinerzeit (sinngemäss)?



    Es geht nicht um links oder rechts, sondern um richtig oder falsch. Er selbst hat sich da durchaus abwechselnd entschieden ;-(

    Was auch hier im Artikel als links bzw. sich selbst als links verstehend dargestellt wird, zeigt, wie die Massstäbe für "links" von einem faktisch noch weitgehend bürgerlich-mittleren Bereich angeeignet wurden.

    Nicht die Grünen sind nicht mehr links. Linke machten mal was Grünes, weil sie merkten, dass Grün und Links zusammengehören. Nun ist es schon (bitte, bitte noch ein bischen, gell!) links, weil es grün ist. So wirds schon richtig.



    Dass z.B. Habeck als Begründung für die bürgerlich angepasste Renovierung der Migrationspolitik das Argument bemüht, dass dies nötig sei, um den Rechten nicht das politische Ausschlachten des Themas zu ermöglichen, ist eine kommunikative Kapitulation vor den Rechten. Schröder konnte Agenda 2010, war "nötig" ... für Schröder - und hat nie die Not der Bedürftigen behoben. Und was will nun Habeck? Er will SEINE Migrationskrise lösen. Wessen Not wird daurch erkannt und behoben?

    " ... während man zeitgleich im Radio hören muss, dass immer mehr Deutsche mit rechtsradikalen Positionen sympathisieren oder Krisen dort sehen, wo es sie gar nicht gibt. Währenddessen nehmen auf den Sesseln deutscher Talkshows weiterhin jene Platz, die meinen, viel zu sagen zu haben: Herausgeber konservativer Zeitungen, Hauptstadtjournalisten, elitäre „Migrationsexperten“ und Politiker, die immer mehr Grenzkontrollen und Abschiebungen fordern. Für die Namenlosen und Verdammten aus Moria, Lampedusa und anderswo spricht niemand. Sie sind der unbekannte Feind, der den gesellschaftlichen Wohlstand bedroht und den es weiterhin zu entmenschlichen gilt."

    "Überall wie im falschen Film"



    taz.de/Titel-des-S...rritiert/!5959554/

    Die weitere Entmenschlichung des Wohlstands ist die Kontinuität der entmenschlichenden Grundlagen seiner Erwirtschaftung.

  • Wow, Danke für diesen beeindruckenden Artikel. Ich habe mich in vielen Aussagen der Befragten wiedergefunden. Gerade bei Frank gibt es viele Parallelen zu meinem Leben.



    Ich hoffe der Beitrag trägt zu einem besseren Verständnis Andersdenkender bei.



    Einen speziellen Dank an die drei Befragten für die offene Darstellung ihrer Positionen und das mit Klarnamen und Foto. Respekt.

    • @Aymen:

      "Ich hoffe der Beitrag trägt zu einem besseren Verständnis Andersdenkender bei."



      Dem Dank schließe ich mich an und reibe mich aus Respekt ned an einer oder mehreren Aussagen auf, nur sind die drei Vorgestellten dann doch noch ziemliche "Stinos"=stinknormale Mitbürger*innen.



      Und was da immer so als "verengter Meinungskorridor" durch sämtliche "Meinungskorridore" geistert, ist in den meisten Fällen einfach mal der Anspruch, keine menschenverachtenden/-herabwürdigende Sprache in Wort und Schrift zu verwenden. Von "wirklichen" fremden/frauen/trans... feindlichen Äußerungen, die einem dann tatsächlich auch noch als "Meinungen" "nahegebracht" werden sollen, fang ich jetzt nimmer an ;) .

  • Die jetzige Regierung zeigt es doch überdeutlich, dass wir andere Wege gehen müssen, dass die bisherigen Protagonisten nicht dazu in der Lage. Es bedarf einer neuen Partei, es braucht einen Ruck, es müssen alte Zöpfe abgeschnitten werden, es müssen die aktuellen Probleme angegangen werden. Und es ist nicht rechts darüber zu sprechen.

  • Super Artikel.

    Meine Hochachtung an alle drei, dass sie sich mit vollem Namen und Foto darstellen lassen haben. Danke dafür.

  • Für die Fans ist es der Gründungskongress der Wagenknecht-Partei, für Eris ist es eine all-you-can-eat-Party.

    Den Grünen drohen im Übrigen deutliche Verluste nicht an die Wagenknecht-Partei, sondern an den Rest der Linkspartei. Wagenknecht ist gerade für Jüngere der Grund, lieber doch Grüne zu wählen.



    Aber das ist schon OK so, zumal wenn die Restlinke damit über 5% kommt.

    Wenn ihr einen WIRKLICH erhellenden Artikel machen wollt, dann macht dasselbe mal mit CDU/CSU-, FDP- und AfD-AnhängerInnen. Denn von jedem einzelnen davon denen wird Sahra nach aktuellem Stand mehr Stimmen abgreifen können, als von Grünen und SPD zusammen.

    Die Ex-RechtsparteiwählerInnen werden die Masse der Fußtruppen der Liste Wagenknecht, nicht irgendwelche "Linken" die ihren individualistischen Egotrip zum Maß aller Politik erhoben sehen wollen.

    (Damit sage ich NCIHT, dass diese ad-hoc-Studie schlecht ist. Sie ist methodisch sogar ziemlich clever. Aber nicht besonders erhellend. Denn dass Wagenknecht von den Parteien links der Mitte vorwiegend die erlösungssüchtigen Liberalos anzieht - und damit meine ich den Egoliberalismus, wo sich alle Politik nur um das Befriedigen der persönlichen Mimimis dreht, und eine Gesellschaft schlicht und einfach nicht existiert -, ist ja bekannt.)

    Sehr interessant ist aber, dass die Beispiele des Artikels allesamt durchaus gutverdienend sind, und zumindest 2 von ihnen laut "Milleutheorie" felsenfest im Grünen-Lager stehen müssten.

  • Sehr interessante Perspektiven, die ich nicht alle Teile, aber gut so etwas zu lesen.



    Ich teile vor allem den Eindruck, der im Artikel geschildert wird, dass bei Debatten sehr schnell fest steht was gesellschaftlich als Gut, bzw. was als Böse gilt.



    Mit diesen beiden Kategorien wird man der Realität aber tatsächlich nicht gerecht.

    • @Nils Steding:

      Normalerweise würde ich ihnen zustimmen.

      Nur bei den großen Themen im Artikel nicht.

      Keine Gruppe in Deutschland hat so viele Menschen auf dem Gewissen wie die Impfgegner und Maskenverweigerer in der Pandemie.

      Und Russlands Angriff auf die Ukraine ist böse. Jeder Linke, jeder Demokrat, jeder anständige Mensch kann nur solidarisch mit der Ukraine sein.

      • @Suryo:

        "Keine Gruppe in Deutschland hat so viele Menschen auf dem Gewissen wie die Impfgegner und Maskenverweigerer in der Pandemie."

        Zumindest teilweise eine krude Behauptung. Die Impfung hat doch letztlich gar nicht vor der Ansteckung geschützt (und dementsprechend also auch nicht vor der Ausbreitung) sondern davor, nicht so schwer zu erkranken.

        Also hiesse das doch, dass ImpfgegnerInnen im Zweifelsfall vor allem *sich selbst* auf dem Gewissen hätten.

        (Die Weigerung, Schutzmasken zu tragen ist selbstverständlich anders gelagert, weil hier meines Wissens tatsächlich eine Senkung des Ansteckungsrisikos erreicht wird/wurde)

    • @Nils Steding:

      Wer redet denn von Gut und Böse? Bei aller deutscher, politischer Tradition im Streben nach Kompromiss und Konsens gibt es eben doch klare Unterschiede zwischen Richtig und Falsch, Wahrheit und Lüge, Fakt und Fiktion. Wenn etwa eine Pandemie vor der Verfügbarkeit von Impfstoffen eingedämmt werden muss, weil man bereits einige zehntausend Tote hat aus denen nicht Hunderttausende oder Millionen werden sollen geht das eben nur wenn die notwendigen Isolationsmaßnahmen verbindlich für Alle durchgesetzt werden, nicht mit Kompromiss und Freiwilligkeit. Der Marschbefehl für die russischen Truppen kann kaum gleichermaßen im Kremel und im Weißen Haus erteilt worden sein, während die Behauptung von der NATO-Osterweiterung ohne die Einbindung Russlands längst zig-fach widerlegt worden ist. Dass man dies getan hat, und zwar nicht nur einmal, genauso wie man während der Pandemie endlos und erbittert über jegliche Maßnahme und deren Für und Wider debattierte obwohl unterdessen Menschen starben, so wie Menschen sterben während man hier immer wieder neu über Waffenlieferungen streitet, zeigt doch eigentlich recht deutlich, dass selbst inhaltlich und moralisch höchst fragwürdige Positionen eben nicht einfach so als böse verdammt werden, sondern, dass man ihnen sehr viel, oftmals zuviel, Raum im öffentlichen Diskurs zugesteht.

      • @Ingo Bernable:

        Über das Richtig und Falsch lässt sich trefflich streiten.



        Ein großer Teil der Maßnahmen war sicher richtig, ei anderer großer Teilwar überzogen und falsch (Schulschließungen, die allermeisten Maßnahmen im freien, Ausganssperrren) Eine Impfpflicht wäre im August 2021 wohl richtig gewesen, mit Omikron im Dezember 2021 war sie ab März 2022 falsch.



        Bei der Ukraine ist es richtig ihr angemessen zu helfen. Eine Absage an di NATO-Mitgliedschft im Jaunar 2022 bei gleichzeitigen Sicherheitsgarantken hätte (laut NATO-Generalsekretär Stoltenberg) den Krieg verhindert. Ein Bestehen auf der NATO-Mitglieddchsft war also falsch.



        Schwarz/Weiß-Denken führt eben zu den falschen Kategorisierungen.

      • @Ingo Bernable:

        "Wer redet denn von Gut und Böse?"

        Gleich das erste Begriffspaar "Richtig und falsch" lässt sich durchaus so übersetzen.

        "... eben nicht einfach so als böse verdammt werden... "

        Auch hier lassen Sie reichlich Raum für die Annahme, dass Sie das eigentlich gar nicht verkehrt finden, wenn Sie konstatieren, dass "oftmals zuviel Raum" eingeräumt wird.

        Zur Klarstellung: inhaltlich teile ich Ihre Positionen. Allerdings verschwimmt mir der Unterschied von Fakt und Meinung zu sehr. So gut sich etwa Meinungen zur Angemessenheit der Corona-Maßnahmen auch begründen lassen, ob sachlich oder moralisch - und ich habe hier ebenfalls keine Alternative gesehen, obwohl es sie zumindest in der Theorie gab - , so bleiben es doch Meinungen. Und ich halte es für ausgesprochen bedenklich, Meinungen zu Fakten zu erklären, weil dies genau der Entwicklung Vorschub leistet, die mit der eingangs angesprochenen Formulierung kritisiert wird.



        Das ändert freilich nichts daran, dass ich den Meinungsbildungsprozess teilweise ebenfalls als quälend langsam empfinde und mir oft deutliche Beschleunigung wünschen würde.

        • @phalanx:

          "Gleich das erste Begriffspaar "Richtig und falsch" lässt sich durchaus so übersetzen."



          Wenn sie das so sehen und danach Politik machen wollen landen sie zwangsläufig bei den post-faktischen Methoden Trumps. Wenn die Frage ob die Klimakatastrophe oder der Ukrainekrieg überhaupt existiert zu einer bloßen Meinung wird bei der jeder mögliche Standpunkt gleichberechtigt behandelt wird, können sie darauf mE als Gesellschaft keine tragfähige Politik aufbauen weil die Realität eben irgendwann doch in ihr Märchenland einbricht.



          "so bleiben es doch Meinungen."



          Das halte ich bei vielen der Punkte um die vehement gestritten wurde eben für falsch. Die Frage ob das Trinken von Desinfektionsmitteln oder die Einnahme von Entwurmungsmitteln der Veterinärmedizin zur Covid-Prävention taugen ist keine Frage von Meinung, sondern eine wissenschaftlicher Evidenz.

          • @Ingo Bernable:

            Der ÖRR hat die Verpflichtung das gesamte Meinungsspektrum abzubilden, dazu gehören auch Meinungen, die offensichtlich falsch sind.

          • @Ingo Bernable:

            "Wenn sie das so sehen und danach Politik machen wollen landen sie zwangsläufig bei den post-faktischen Methoden Trumps."

            Diese Schlussfolgerung schon aus dem Wunsch nach Differenzierung bzw. dem kritischen Hinterfragen von Schwarz-Weiß-Denken ziehen zu wollen, halte ich für sehr gewagt.

            "Wenn die Frage ob die Klimakatastrophe oder der Ukrainekrieg überhaupt existiert zu einer bloßen Meinung wird bei der jeder mögliche Standpunkt gleichberechtigt behandelt wird,..."



            "Die Frage ob das Trinken von Desinfektionsmitteln oder die Einnahme von Entwurmungsmitteln der Veterinärmedizin zur Covid-Prävention taugen..."

            Diese Punkte waren nicht das Anliegen. Hingegen habe ich bewusst etwa die Angemessenheit der Corona-Maßnahmen (und Desinfektionsmittel trinken wurde nun nicht angeordnet) angesprochen, weil hier komplexe Grundrechtsabwägungen vorzunehmen waren, zu der wissenschaftliche Evidenz überwiegend erst rückwirkend vorlag und die mithin zunächst nur auf Basis von Prognosen entschieden werden konnten.



            Da war durchaus ein erheblicher Spielraum für Wertungen, Interpretationen und Meinungen, der sich im Auseinanderfallen der Maßnahmen der Länder ja auch leidlich manifestiert hat.



            Erfreulicherweise sind die getroffenen Maßnahmen rückwirkend zumindest überwiegend als angemessen bewertet und bestätigt worden.

          • @Ingo Bernable:

            Nur hatte man am Anfang der Corona-Pandemie keine wissenschaftliche Antwort - und hat sie bei vielen Maßnahmen bis heute nicht. Sieht man gut an den Maßnahmen für die Schulen. Am Anfang ging man davon aus, dass die Kinder die Treiber der Pandemie sind. Sie waren es nicht - was man am Ende wusste; allerdings gab es bereits erste Studien, die dies bereits sechs Wochen nach Pandemiebeginn nahe legten. Soziale Folgen wurden in die Abwägung der Maßnahmen nicht eingestellt, etc... Ihre bewusst gewählten Beispiele (Trinken von Infektionsmittel - darüber hat niemand gestritten, das hat Trump vor sich hingeblubbert, hat aber zumindest in D keiner Ernst genommen) deuten darauf hin, als wäre alles so einfach gewesen . Man war am Anfang im Blindflug, Spahn brachte es auf dem Punkt, dass man sich am Ende viel verzeihen muss.

            Sie verkennen m.E. eins: Es gibt Corna, es gibt den Klimawandel und den Ukrainekrieg. WIE man die Probleme löst, da gibt es keine eindeutige Antwort und nicht nur einen Weg, sondern Millionen und um den kann gestritten werden.

  • Obwohl ich die Positionen der hier vorgestellten Personen eher nicht teile, gratuliere ich der taz zu diesem Artikel. Ich halte Diskussionen für wichtig und damit auch, dass teilweise kontroverse Positionen erwähnt und begründet werden. Ein Dank an die Befragten, dass Sie reflektiert (!) eine Meinung gebildet haben und für Sie einstehen. Es ist für mich keine Frage von rechts oder links bzw. wahr oder unwahr - Menschen die die Bereitschaft haben alle Meinungen einzubeziehen und daraus eine eigene Meinung abzuleiten müssen gehört werden. Menschen die nur Ideologien folgen und alle anderen Meinungen rundweg ablehnen nicht!

  • Eine schöne Definition unserer Zeit: die 68-er sin jetz 78 ...