Die Grünen in der Krise: Zukunftspartei ohne Zukunft
Robert Habeck verhedderte sich im Gebäudenergiegesetz und Lisa Paus wurde vom Finanzminister gedemütigt. Warum sich die Grünen in der Zange befinden.
E rst Robert Habecks Absturz über das Gebäudeenergiegesetz, dann die Demütigung von Lisa Paus durch den Finanzminister bei der Kindergrundsicherung: Die Grünen sind in der Ampelkoalition zur scheinbar chronischen Verliererpartei geworden. Mehr noch: Auch aufgrund der massiven Kampagne gegen Habecks „Heizhammer“ (Bild) sind sie in Teilen des Landes regelrecht verhasst.
Die Partei befindet sich in der Zange: Während erhebliche Teile der Bevölkerung nach dem GEG-Debakel jede entschiedene Klimapolitik ablehnen, wird die Kritik speziell der Umweltverbände an den Grünen weiter zunehmen. Ihre parteipolitische Gegnerschaft reicht längst von AfD bis Wagenknecht („Die Grünen sind die gefährlichste Partei“). Kurzum: Alle gegen die Grünen, lautet die Devise.
Tatsächlich wird es für die Partei ungemein schwer werden, in der zweiten Hälfte der Legislatur überhaupt noch umwelt- und sozialpolitische Erfolge zu erzielen, um die eigene Anhängerschaft zu befriedigen. Alle, die auf einen Neustart der Ampel gehofft haben, sind einer Illusion aufgesessen.
Auch für eine Koalition gilt der Leitsatz: „Man springt nicht zweimal in denselben Fluss, alles fließt und nichts bleibt.“ Sprich: Die guten Startbedingungen gehören längst der Vergangenheit an, da sich in der ersten Hälfte der Legislatur alle drei Parteien im Ansehen wie in den Werten radikal nach unten gewirtschaftet haben. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie nun umso mehr nur auf eigene Rechnung spielen, ist daher weit größer als noch zu Beginn der Koalition. Schon mit Blick auf die wichtigen Landtagswahlen am 8. Oktober in Bayern und Hessen wird vor allem die FDP alles daransetzen, sich selbst zu profilieren und den Wiedereinzug in beide Parlamente zu schaffen.
Die FDP gibt den Ton an, der Kanzler duldet
Wer noch irgendeinen Zweifel daran hatte, wie die Machtverhältnisse in dieser Koalition wirklich aussehen, ist spätestens seit den letzten Tagen eines Schlechteren belehrt. In dieser Koalition wedelt der Schwanz mit dem Hund. Obwohl die FDP prozentual klar der schwächste Koalitionspartner ist, gibt sie in der Regierung allzu oft den Ton an – und zwar dank bewusster Duldung des Kanzlers.
Jahrgang 1967, ist Jurist und Politikwissenschaftler. Seit 2003 arbeitet er als Redakteur bei der politischen Monatszeitschrift „Blätter für deutsche und internationale Politik“.
Olaf Scholz braucht aus zwei Gründen eine starke, auch für Wirtschaftskonservative attraktive FDP: erstens, um damit CDU/CSU zu schwächen, und zweitens, weil nur eine zufriedene FDP ihm 2025 die Chance auf eine zweite Ampellegislatur eröffnet. Dagegen hat er weit weniger Interesse an starken Grünen, die ihm als Führungspartei der linken Mitte Konkurrenz machen könnten.
In diesem rein parteiegoistischen Kalkül treffen sich die Interessen von SPD und FDP: Auch den Liberalen ist in erster Linie daran gelegen, starke Grüne zu verhindern, damit jegliche Zweierkoalition ausscheidet und sie auch in der kommenden Regierung dabei sein können – ob in Jamaika oder einer weiteren Ampel. Das ist der parteistrategische Hauptgrund, warum die Grünen weder eine echte Wärmewende noch eine starke Kindergrundsicherung durchsetzen konnten.
Von Beginn der Koalition an setzte die FDP – anstatt teilweise mangelhafte grüne Gesetzesentwürfe kooperativ zu diskutieren und zu verbessern – sofort auf Konfrontation, als Fundamentalopposition in der Regierung gegen die Grünen. Und anstatt entschlossen zu führen und den Streit frühzeitig zu schlichten, hüllte sich der Kanzler in Schweigen – und brachte damit zugleich zum Ausdruck, dass ihm weder an der Durchsetzung einer wirkungsvollen Klimapolitik wirklich gelegen ist noch an grün konnotierter Sozialpolitik.
Verteidigung materieller Gegenwartsinteressen
Man stelle sich nur einmal vor, dass es sich bei der Kindergrundsicherung nicht um ein grünes, sondern um ein SPD-Projekt gehandelt hätte. Völlig unvorstellbar, dass der Kanzler dessen Demontage derart unbeteiligt zugesehen hätte. Bei alldem zeigt sich: Die von der FDP kreierte Vorstellung, hier stünden zwei Linksparteien gegen sie, den angeblich letzten Hort der bürgerlich-ökonomischen Vernunft, entpuppt sich dieser Tage endgültig als Chimäre: Faktisch agieren in der Regel zwei Parteien, nämlich FDP und SPD, in strikter Verteidigung der materiellen Gegenwartsinteressen – und damit primär der eigenen Wahlchancen.
Hier aber liegt das eigentliche, strukturelle Kardinalproblem dieser Koalition: Der anhaltende Koalitionsstreit zwischen FDP und Grünen verläuft vor allem entlang zweier großer Konfliktlinien: Individual- versus Gesellschaftsinteresse und Gegenwartsfixierung versus Zukunftsorientierung.
Während die FDP als klassische Klientelpartei vor allem die Gegenwartsinteressen der Bessersituierten befriedigen will und die SPD immer mehr zum Kanzlerwahlverein mutiert („Olaf Scholz muss Kanzler bleiben“), versuchen die Grünen, auch die Interessen der zukünftigen Generationen zu vertreten, genau wie es das Bundesverfassungsgericht jeder Regierung mit seinem historischen Urteil vom März 2021 ins Stammbuch geschrieben hat. Doch mit diesem fatalen Alleinstellungsmerkmal laufen die Grünen in der Koalition wie auch in der Mehrheitsbevölkerung gegen die Wand.
Immerhin ist einem Teil der Liberalen nicht verborgen geblieben, dass die eigene aggressive Strategie gegen die Grünen längst zulasten der gesamten Ampelregierung geht. Deren Ansehen befindet sich im freien Fall. Nach der urneoliberalen Devise – „Wenn jeder an sich denkt, ist an alle gedacht“ – kann keine Koalition auf Dauer funktionieren.
Vogel versus Kubicki
Derzeit ringen in der FDP daher zwei Fraktionen miteinander: eine eher sozialliberal ausgerichtete um den Sozialpolitiker Johannes Vogel, die auf konstruktive Verständigung mit den Grünen setzt, und eine rein populistisch-destruktive um den stellvertretenden Bundestagspräsidenten Wolfgang Kubicki und den renitenten Abgeordneten Frank Schäffler. Dabei agieren letztere offenbar mit Duldung, wenn nicht sogar mit ausdrücklicher Unterstützung von Parteichef Christian Lindner.
Der Grund dafür: Das ausgesprochen gute Ergebnis der FDP bei der letzten Bundestagswahl wurde primär mit einer AfD-light-Strategie (gegen die Coronapolitik der großen Koalition) erzielt, die die Kubicki-Fraktion seit Beginn der Ampel faktisch in eine Anti-Grünen-Politik übersetzt hat und die sie mit jeder weiteren Wahlniederlage immer mehr verschärft. Und durch den Niedergang der Grünen und erste FDP-Verbesserungen in den Umfragen sieht sich der eher rechtspopulistisch ausgerichtete FDP-Flügel in seiner rein destruktiven Logik noch bestärkt.
Diese fatale Lage erklärt auch das Aufbegehren der Parteilinken innerhalb der Grünen um die Familienministerin. Dabei handelt es sich allerdings mehr um einen – obendrein kontraproduktiven – Akt der Verzweiflung, als um ein Agieren mit Aussicht auf Erfolg. Faktisch befinden sich die Grünen in der Geiselhaft der FDP und ihrer antigrünen Agenda. Deshalb erlebt man seit Wochen einen regelrecht demütig auftretenden Robert Habeck, der die Koalitionspartner förmlich anfleht, in Zukunft kooperativ zu agieren – weil er ganz genau weiß, dass er fast auf Gedeih und Verderb von einer konzilianten Haltung speziell der FDP abhängig ist.
Bei alledem gibt es für die Grünen nur eine Chance, die SPD, genauer: den Bundeskanzler. Denn inzwischen ist die Krise in aller Härte bei Olaf Scholz angekommen, steht er zu Recht selbst im Mittelpunkt der Kritik. Scholz’ ständigen fast autosuggestiven Aufrufe zu mehr „Optimismus“, „Gelassenheit“ und „Coolness“ verfangen nicht mehr, beziehungsweise erzeugen die gegenteilige Wirkung. Die Kluft zwischen gewaltigem Anspruch und miserabler Wirklichkeit dieser heillos zerstrittenen „Zukunftskoalition“ wird immer größer; Scholz’ Strategie des Heraushaltens ist gescheitert.
Es braucht einen neuen, kollegialen Modus Vivendi
„Ich muss daran denken, was der Feldherr Helmut Schmidt mit uns gemacht hätte, wenn wir so gezankt hätten wie die Ampel“, erinnert sich fast schon nostalgisch der frühere Innenminister Gerhart Baum (FDP) in der FAZ an die sozial-liberale Ära der 1970er Jahre. „Auch früher flogen die Fetzen“, so Baum weiter, „aber nicht in der Regierung, sondern zwischen Regierung und Opposition. Er [Schmidt] hätte gesagt: Setzt euch gefälligst mal an einen Tisch, und zwar ohne Papier. Und dann redet ihr, bis ihr euch einig seid. Oder ihr gebt das Projekt auf.“
Genau das, nämlich ein neuer, kollegialer Modus Vivendi dieser Koalition ist jetzt erforderlich. Die anstehende Klausur in Meseberg muss in dieser Hinsicht endlich einen Anfang machen. Die immer gleiche Beteuerung vor immer gleicher Schlosskulisse – wir verstehen uns glänzend und sind auf einem guten Weg, um nur einen Tag später wieder wie die Kesselflicker zu streiten – wird dafür nicht reichen, sondern den grassierenden Zweifel an der Demokratie weiter wachsen lassen wie auch die Werte der AfD.
Auf der Koalition ruht daher eine immense Verantwortung. Und damit vor allem auf dem Kanzler, denn er bestimmt die Richtlinien der Politik. Bei seinem Amtsantritt hat Olaf Scholz eine „Gesellschaft des Respekts“ zu seinem Ziel erklärt. Dieser Respekt gebührt auch der Demokratie. Der kurzatmige Parteiegoismus der letzten beiden Jahre muss dafür endlich abgestellt werden, getreu dem so oft bloß behaupteten Leitmotiv: Erst das Land, dann die Partei.
Der Kanzler muss diese Haltung in besonderer Weise verkörpern. Gewiss, man wird aus Scholz keinen schneidigen Redner mit der Autorität Helmut Schmidts oder gar einen visionären Charismatiker vom Schlage Willy Brandts machen. Aber dass er die Leitlinien seiner angeblich sozial ökologischen Politik frühzeitig koalitionsintern definiert und dann auch durchsetzt, nicht zuletzt gegenüber der FDP, das in der Tat ist das Mindeste, was man von einem Kanzler erwarten darf, der dem Land Führung in schwerer Zeit versprochen hat.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen
Umgang mit nervigen Bannern
Bundesrat billigt neue Regeln für Cookies