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21.11.2024 , 16:10 Uhr
Es ist erschreckend wie hier im taz-Forum mit wohlfeilen Rationalisierungen versucht wird die antisemitische Gewalt zu verharmlosen oder gar zu rechtfertigen. In vielen Artikeln zu dem Vorfall - u.a. bei Daniel Bax - war zu lesen, dass die Maccabi-Fans ja vor dem Spiel eine Schweigeminute gestört hätten. Warum findet so etwas überhaupt Erwähnung? Alles was man über das Verhalten der Maccabi-Ultras liest, ist vergleichsweise harmlos im Vergleich zu dem, was die Fans von Dynamo Dresden auf einer durchschnittlichen Auswärtsfahrt anrichten. Nur werden die nicht durch die Stadt gejagt, in die Grachten geworfen, mit Taxis angefahren oder einer Ausweis- und Gesinnungsprüfung unterzogen. Vermutlich hilft es gar nichts hier eine detaillierte Spurensuche vorzulegen. Das Missverhältnis zwischen der vermeintlichen Provokation und der angeblich darauf reagierenden Menschenjagd kann noch so krass sein, es spielt für die Antisemiten keine Rolle. Für sie ist die Schuldfrage a priori immer schon geklärt. Diese spezielle Art der Verantwortungszurechnung ist Teil des Syndroms und sie ist mindestens so alt wie das Johannes-Evangelium.
zum Beitrag16.11.2024 , 16:52 Uhr
Die Partei "Die Linke" ist nicht viel schlimmer als die politische Linke an sich, sie ist da durchaus repräsentativ. Ich fürchte in ein paar Jahren wird es uns nicht mehr geben, man wird sich über zu viel Heuchelei und letztlich über den großen blinden Fleck der Linken, den Antisemitismus, weitgehend zerlegt haben. Man muss sich das mal vergegenwärtigen: der Berliner Landesverband hat den Kategorischen Imperativ Adornos aus einem Antrag von Klaus Lederer entfernt. Mit der Forderung an die Menschen, "ihr Denken und Handeln so einzurichten, daß Auschwitz nicht sich wiederhole, nichts Ähnliches geschehe" (Adorno, Negative Dialektik, 358), können sich diese Linken also nicht identifizieren. Lederer & Co. ziehen daraus die richtige Konsequenz. Eine Linke, für die der Kampf gegen klerikalfaschistische Organisationen wie die Hamas keine Selbstverständlichkeit ist, ist auch obsolet.
zum Beitrag07.11.2024 , 21:03 Uhr
Ich finde Frau Villa-Braslavskys Plädoyer für eine gewisse Naivität gelinde gesagt heikel. Letztlich läuft diese Haltung darauf hinaus, dass man möglichst nachsichtig mit Antisemitismus verfahren sollte. Und leider ist es genau das, was man gegenwärtig in Wissenschaft, Kultur und Medien praktiziert. Gerade den muslimischen Antisemitismus hat man im Diskurs jahrelang verharmlost oder sogar ignoriert, für den linken Antisemitismus gilt das gleiche. Dass sich das gegenwärtig auch durch Druck aus der Politik ändert, ist zu begrüßen, auch wenn es leider mal wieder typisch ist, dass die CDU ihre völlig hysterischen Abschiebeforderungen mit der Antisemitismusdebatte verknüpfen möchte. Davon abgesehen stelle ich mir die Frage, ob bei Frau Villa-Braslavsky wirklich ein Interesse daran besteht sich mit dem Problem zu befassen, wenn sie auf die vor Fehlern nur so strotzende Mannheim-Studie rekurriert. Das Forschungsdesign dieser Studie ist gelinde gesagt schludrig konzipiert und eine Soziologin sollte das erkennen. Eine kurze Kritik findet sich hier:
kritischebildung.d...raege/policyreport
zum Beitrag27.09.2024 , 16:38 Uhr
Weshalb haben die anderen Parteien denn nicht einfach in der vergangenen Legislaturperiode die Geschäftsordnung geändert? Der gestrige Eklat hätte einfach vermieden werden können, aber das hat man mal wieder verschlafen.
zum Beitrag19.09.2024 , 21:37 Uhr
"Es gibt kein Rassismusproblem in der Polizei. Wir haben die Einstellungen mit Fragen erhoben, die auch in der etablierten Mitte-Studie verwendet werden. Das Ergebnis: Die Einstellungen der Polizeikräfte sind sehr ähnlich mit denen der Gesamtbevölkerung."
Was ja durchaus heikel wäre, denn die Mitte-Studien zeigen Jahr für Jahr, dass ein erheblicher Teil der Gesamtbevölkerung hochproblematische Ansichten hegt. Insofern wäre das jetzt nicht unbedingt beruhigend.
"Von den gut 40.000 Polizistinnen und Polizisten, die wir jeweils in zwei Erhebungen befragt haben, hatten vielleicht 400 ein geschlossen rechtsextremes Weltbild."
Ja was denn nun? Wenn das so ist, dann wäre der Anteil derjenigen mit einem geschlossen rechtsextremen Weltbild viel geringer als in der Gesamtbevölkerung.
zum Beitrag19.09.2024 , 15:57 Uhr
"Einen von der Hisbollah in Israel geplanten Bombenanschlag hatten Sicherheitsbehörden nach eigenen Angaben erst am Dienstagmorgen vereitelt. (...) Gegenüber dem britischen Guardian nannte Melman die Attacke „weder besonders gezielt noch mit einer klaren Veränderung der strategischen Situation“. Stattdessen habe sie die Wahrscheinlichkeit für eine Eskalation an der Grenze erhöht."
Während das Grenzgebiet zum Libanon aufgrund von Raketenbeschuss durch die Hisbollah für Israelis gegenwärtig nicht bewohnbar ist und zuletzt ein Bombenanschlag der libanesischen Terrormiliz vereitelt wurde (was dieser Artikel sogar erwähnt), wird Israels Schlag gegen Hisbollah-Mitglieder als "eskalative Taktik" bewertet. Verhält sich die Hisbollah etwa nicht eskalativ? Auch in diesem taz-Artikel klingt es so als ob man im Grunde von Israel erwartet doch bitteschön die Hände in den Schoss zu legen und den Raketenhagel gleichmütig zu ertragen. Bei der Aggression der Hisbollah scheint es sich offenbar um eine Invariante zu handeln, mit der man einfach leben muss.
zum Beitrag11.09.2024 , 19:48 Uhr
"All das wird hier weggedimmt, damit Kellys Stern heller strahlt. „Act now!“ ist entschlossen, die Heldin als ambivalenzfreie Moralistin auf den Sockel zu heben und als ökofeministisches Idol zu feiern, als deren Enkelin Luisa Neubauer in Szene gesetzt wird."
Werde den Film wahrscheinlich trotzdem gucken, aber das klingt gar nicht gut.
zum Beitrag02.09.2024 , 17:51 Uhr
Volle Zustimmung. Ich bin auch immer wieder entsetzt wie die Hamas bei der Frage nach der Verantwortungszurechnung komplett ausgeklammert wird.
zum Beitrag02.09.2024 , 14:41 Uhr
"Was es stattdessen braucht, ist das Demokratiefördergesetz..." Das Demokratiefördergesetz sieht ua die Förderung von Organisationen vor, die dem Politischen Islam zuzurechnen sind. Gerade da gilt es der Bundesregierung genau auf die Finger zu schauen, damit die Fehler der Vergangenheit nicht wiederholt werden.
zum Beitrag19.08.2024 , 21:29 Uhr
Wenn proisraelische Gegendemonstranten laut der Jüdischen Allgemeinen "mit Flaschen, Eiern und in einigen Fällen auch mit Steinen" beworfen werden und ein propalästinensischer Demonstrant den Hitlergruß zeigt (was gefilmt wurde), dann sind das doch wohl wichtige Informationen, die in dem taz-Artikel leider fehlen.
www.juedische-allg...en-den-faschismus/
zum Beitrag31.07.2024 , 12:58 Uhr
„Netanjahu sollte noch mal nachschlagen, wer gerade für den Tod Zehntausender Menschen dort verantwortlich ist.“
In diesem Satz ist die problematische Logik des Artikels noch mal pointiert zusammengefasst. Ich vermute mal, dass Jannik Grimmbacher tatsächlich nicht sieht, dass jede halbwegs akzeptable Antwort auf diese Frage an irgendeiner Stelle das Wort „Hamas“ enthalten muss. Nicht nur hat die Hamas die Eskalation mit dem Pogrom vom 7. Oktober ausgelöst, sie versteckt sich auch noch inmitten der Zivilbevölkerung, um Zeitungsartikel zu evozieren, die Israel einseitig die Schuld an den toten Zivilisten zuschreiben. Dass man einfach die Geiseln freilassen könnte, wird dabei ebenfalls komplett ignoriert. Diese völlig einseitige Zurechnung der Verantwortung, die man in großen Teilen der Linken findet, ist so schon erschreckend genug. Wenn sich allerdings queers, die in Gaza von der Hamas verfolgt würden, mit jener Terrorgruppe solidarisieren, ist das einfach nur noch absurd. Und eben das hat Jan Feddersen mit Recht kritisiert. Dieses Problem wird hier einfach umschifft, indem der Autor suggeriert es ginge lediglich darum „sich kritisch zum Nahostkonflikt zu positionieren“.
zum Beitrag16.07.2024 , 22:27 Uhr
„Der Kampf gegen Rechtsextremismus braucht keine Symbolpolitik, sondern – neben einer starken Zivilgesellschaft – konsequente Ermittlungen und rechtsstaatliche Härte.“
Der Kampf gegen Rechtsextremismus braucht vor allen Dingen Geld. Es ist typisch für diese Regierung, dass man bei wichtigen Initiativen, die gegen Rechtsextremismus kämpfen, den Rotstift ansetzt, und das mit symbolpolitischen Maßnahmen zu kompensieren versucht.
zum Beitrag15.07.2024 , 14:31 Uhr
Dieser Buchempfehlung kann ich mich nur anschließen.
zum Beitrag15.07.2024 , 14:26 Uhr
Also bitte. Zehn Jahre zuvor sah das Angebot des Völkerbunds von 1937 ungefähr 20% des gesamten Landes als israelisches Staatsgebiet vor und auch das war der palästinensischen Seite nicht genehm.
zum Beitrag14.07.2024 , 13:30 Uhr
Die Nakba war die Reaktion auf den Angriffskrieg von 47/48 durch palästinensische Milizen auf den Jischuw und später durch mehrere arabische Staaten auf das soeben gegründete Israel. Hätten sich die Palästinenser und die arabischen Staaten stattdessen auf den Teilungsplan eingelassen, könnte es heute in Jenin aussehen wie in Tel Aviv. Und dieses Märchen von dem historischen Unrecht, das den Palästinensern zugefügt wurde, ohne dass sie selbst irgendetwas zur Situation beigetragen hätten, ist einfach Nonsens und wirkt selbst als massives Hindernis für den Frieden. Als einer Verantwortungszurechnung fähige Subjekte kommen die Palästinenser in diesem Diskurs gar nicht vor und ihr Versuch, den 07.10.23 einfach als notwendiges Resultat einer endlosen Vertreibungsgeschichte deuten zu wollen, treibt dieses Prinzip auf die Spitze.
zum Beitrag27.06.2024 , 12:23 Uhr
Da ist mit keinem Wort von einer „Identität von Antisemitismus und Kapitalismuskritik“ die Rede. Es gibt nun mal regressive Formen der Kapitalismuskritik, die sich auch heute noch in vermeintlich antikapitalistischen Diskursen finden. Ein gängiges Beispiel wäre etwa die Verherrlichung des „produktiven Unternehmers“ bei gleichzeitiger Verteufelung des Finanzkapitals. Bei den Nationalsozialisten hieß das „schaffendes und raffendes Kapital“, diese Denkfigur findet sich aber auch in linken Diskursen. Auch personalisierende Kapitalismuskritik, bei der es sich eigentlich nur um Kapitalistenschelte handelt, ist immer nur einen Katzensprung vom Antisemitismus entfernt. Wenn hier von einer „Fetischisierung der Arbeit“ die Rede ist, dann könnte damit entweder gemeint sein, dass Arbeit an sich (also unabhängig von der kapitalistischen Produktionsweise) als Quelle des Werts interpretiert wird, oder dass Teile der Arbeiterbewegung dazu neigten das „Reich der Notwendigkeit“ zu verherrlichen. Beide Positionen sind ziemlich problematisch. Gerade wer Marx gelesen hat, sollte wissen, dass solche Formen der Kapitalismuskritik fehlgehen.
zum Beitrag27.06.2024 , 11:30 Uhr
„Führt der Kanzler diese Debatte selbst mit, wenn er davon spricht, „endlich in großem Stil“ abzuschieben? Oder die Bundesinnenministerin, wenn sie Wege sucht, nach Afghanistan und Syrien abzuschieben?“
Eine gute Frage, die leider nicht beantwortet wurde. Wenn man völlig zu Recht betont, dass rechte Ansichten in der Mitte angekommen sind, dann sollte man sich nicht um eine solche Frage herumdrücken.
zum Beitrag27.06.2024 , 11:06 Uhr
„Als im Sommer 2015 viele Menschen aus Syrien in Deutschland Schutz gesucht haben, hat der Vorsitzende des Zentralrats der Juden gesagt, es müsse Obergrenzen für Geflüchtete aus dem arabischen Raum geben. Dies hat er auch mit Antisemitismus unter ihnen begründet.“
Dazu empfehle ich den Global 100 Index der Anti Defamation League. Die Zustimmung zu antisemitischen Aussagen in der Region Middle East & North Africa liegt bei 74% (apropos „Palästinabewegung“: West Bank and Gaza 93%).
global100.adl.org/map
Allerdings zeigen die Mitte Studie und andere Untersuchungen zur sog. Kommunikationslatenz, dass die Zustimmung in Deutschland sehr viel höher ausfällt, sobald man die Haltung zu Israel abfragt, was der ADL Index nicht tut.
zum Beitrag10.06.2024 , 17:51 Uhr
„…unterm Strich bleiben ja 46,2 Prozent ein sehr hohes Ergebnis für eine extrem rechte Partei?
Dennoch ist es in erster Linie sehr wichtig, dass es keine weiteren Amtsmandate für die Partei gibt.“
Nein, wenn 46,2 Prozent der Leute einer antidemokratischen Partei ihre Stimme geben, dann geht das Problem doch wohl sehr viel tiefer. Und dann ist es nicht unbedingt sinnvoll das Phänomen auf einer solchen „mikropolitischen“ Ebene zu thematisieren. Und wenn sich „jeder zweite in Sachsen-Anhalt eine starke Partei (wünscht), die die Volksgemeinschaft verkörpert“, dann ist das Gegenmittel doch nicht „die Sichtbarkeit im ländlichen Raum zu erhöhen“. Da hat man es mit einem genuin faschistischen Weltbild zu tun und man sollte sich klarmachen, dass diese Leute etwas wollen, das die Demokratie ihnen nicht geben kann und nicht geben darf.
zum Beitrag08.06.2024 , 03:20 Uhr
Ich teile Kersten Augustins Einschätzung zum „schleichenden Tod der Linken“. Nur fehlt mir sein Optimismus. Mittel- und langfristig wird wohl eine russlandaffine Querfrontpartei, die auf diffuse Elitenkritik im Stile des klassischen Populismus setzt, den Platz der Linkspartei einnehmen. Was das für die zukünftige Asylgesetzgebung bedeutet, mag ich mir gar nicht ausmalen. Auch diese Entwicklung ist Ausdruck des Trends, dass sich die politische Landschaft insgesamt nach rechts verschiebt.
zum Beitrag08.06.2024 , 02:56 Uhr
Der „vielleicht entscheidende“? Danach wurde jahrelang weiterverhandelt, bis Arafat das Angebot von Ehud Barak in Camp David abgelehnt hat.
zum Beitrag08.06.2024 , 02:54 Uhr
„Dass das Vertrauen der Palästinenser in die PA so niedrig sei, habe Israel selbst herbeigeführt (…).“
Die Geschichten über Machtmissbrauch und Korruption innerhalb der PA sind Legion. Palästinenser sind in PA-Gewahrsam gefoltert worden, manche sind von der PA festgenommen worden und spurlos verschwunden. Dass es ihnen unter den Palästinensern an jeder Legitimation fehlt, ist in Hinblick auf das Treiben von Abbas & Co. nun wirklich kein Wunder. Dass man auf israelischer Seite wenig übrig hat für den Holocaustrelativierer Abbas und eine Autonomiebehörde, die rund 7% ihres Budgets in den Märtyrerfond einzahlt, aus dem monatliche Renten an Terroristen und ihre Familien bezahlt werden, ist auch kein Wunder. Übrigens haben sich jüngst die Al-Aqsa-Brigaden, die der von Abbas geleiteten Fatah zugehörige Terrorgruppe, mit ihrer Beteiligung am 7. Oktober gerühmt. Es gibt auf Seiten der Palästinenser derzeit keine relevanten Kräfte, mit denen Frieden möglich ist. Und die letzten Umfragen – von denen eine in diesem Artikel erwähnt wird - deuten darauf hin, dass solche Kräfte auch keinen Rückhalt in der palästinensischen Bevölkerung hätten.
zum Beitrag07.06.2024 , 12:35 Uhr
In Frankreich nennt man das Islamo-Gauchismus. In diversen populären Theorien der Gegenwartslinken zeichnet sich dieses Bündnis schon lange ab. Es ist zum Verzweifeln.
zum Beitrag05.06.2024 , 20:20 Uhr
Das von der Hamas geführte Gesundheitsministerium zählt alle unter 18jährigen als Kinder, während die Hamas Jugendliche zugleich rekrutiert. Es landen also bisweilen getötete Hamas-Kämpfer als getötete Kinder in der Statistik.
zum Beitrag05.06.2024 , 20:16 Uhr
„Zudem zählt jeder Tote unter 18 Jahre als Kind, ungeachtet dessen, dass die Hamas auch Minderjährige rekrutiert.“ (Jannis Hagmann)
taz.de/Opfer-im-Gaza-Krieg/!5969294/
Die taz behauptet das. Und viele andere Quellen auch. Sollten Sie noch mal googeln.
zum Beitrag05.06.2024 , 13:49 Uhr
Woran macht Yossi Bartal denn die Behauptung eines „extrem brutale(n) Vorgehen“ fest? Die Zahlen, mit denen dies begründet werden sollen, reichen als Begründung genauso wenig hin wie ein Bericht über „Aufnahmen von durch Bomben verkohlte Kinderleichen“. Während eingangs die Verantwortung der Hamas betont wird, bleibt deren Verantwortung bei den zivilen Opfern unberücksichtigt. Und gerade wer Israel ein extrem brutales Vorgehen unterstellt, insinuiert damit, dass Israel sich brutaler verhalte als andere Staaten in vergleichbaren Fällen. Vergleichbare Fälle muss man aber mit der Lupe suchen, weil sich fast keine Armee der Welt benimmt wie die Hamas, die zivile Opfer unter den Palästinensern nicht nur in Kauf nimmt, sondern befördert. Ein ähnliches Verhalten kennt man etwa vom IS und in dessen Schlachten mit den US-Streitkräften in bewohnten Gebieten wie in Mossul war der Anteil der zivilen Opfer an der Gesamtzahl der Getöteten höher. Überhaupt sind verschiedene Medien leider dazu übergegangen, nur noch die angebliche Gesamtzahl der Opfer zu nennen, was dann als Index der Grausamkeit Israels dienen soll. Es kommt aber schon darauf an wie viele Hamas-Kämpfer darunter sind, oder?
zum Beitrag11.05.2024 , 12:41 Uhr
„Mit dieser Logik setzt die Rechte weiter auf militärische Stärke. Und auf eine Invasion in Rafah.“
Komischerweise hat Benny Gantz, der sich dafür einsetzt, dass die Freilassung der Geiseln oberste Priorität haben soll, den von der Hamas vorgeschlagenen Deal genauso abgelehnt. Aber lassen wir das mal beiseite und tun so, als hätten wir es wirklich nur mit der Logik der Rechten zu tun: meint Judith Poppe, dass Israel den Deal hätte annehmen sollen? Soll Israel etwa einen Deal annehmen, der „(t)atsächlich (…) in einigen Punkten von dem ägyptischen Vorschlag ab(weicht), an dessen Entwicklung auch Israel beteiligt war“, und in Kauf nehmen, dass einem 33 Leichen vor die Tür gelegt werden? Das kann man doch nicht ernsthaft verlangen. Und lässt es sich ausschließen, dass die Hamas ein weiteres Massaker wie am 7. Oktober begeht? Ich bezweifle, dass irgendjemand dafür seine Hand ins Feuer legen würde. Dann kann man aber auch nicht so tun, als handele es sich um ein fadenscheiniges Argument blutrünstiger Kriegstreiber. Dass man die Hamas nicht vollends wird zerstören können, dürfte den meisten Beteiligten auf israelischer Seite schon bewusst sein. Sie aber so weitgehend zu schwächen, dass sich etwas Vergleichbares wie am 7. Oktober nicht allzu bald wiederholt, ist durchaus realistisch. Dass die Hamas den Krieg schon lange hätte beenden können, wird in diesem Artikel mit keinem Wort erwähnt. Die Verantwortung scheint für Judith Poppe einzig und allein bei Netanjahu zu liegen. Mit welcher Beharrlichkeit an diesem Narrativ festgehalten wird, ist wirklich bemerkenswert.
zum Beitrag08.05.2024 , 20:05 Uhr
Meine Auflösung wäre, dass eine jüdische Bevölkerungsmehrheit nicht das gleiche ist wie ein „mono-ethnischer Staat“. Eine totale identitäre Demokratie, wie sie in ihrem Kommentar voraussetzen, muss es eben nicht notwendigerweise sein. Nun würde ich der Aussage, dass „(j)üdische Menschen (…) wie andere Menschen überall als Bürgers oder weitere Menschen sicher sein (sollten)“ selbstverständlich zustimmen, sie sind es aber nun mal nicht. Unter den gegenwärtigen Bedingungen muss es deshalb einen Staat geben, der das garantiert. Eben daraus ergibt sich die Notwendigkeit des ethno-demokratischen Charakters Israels. Dass damit notwendigerweise bestimmte Probleme einhergehen, steht außer Frage. Insgesamt scheint mir der Staat Israel diese aber immer noch sehr viel besser zu lösen als etwa die Islamische Republik Iran, gegen die komischerweise viel seltener der Apartheid-Vorwurf erhoben wird, obwohl er da viel eher zutrifft. Mein Wunsch wäre ja, dass wir die nationalstaatliche Ordnung irgendwann hinter uns lassen, aber das wird innerhalb der gegenwärtigen Gesellschaftsordnung wohl eher nicht passieren, denn die Nation erfüllt im Kapitalismus eine gewisse Funktion. Solange es aber Nationen (und Antisemitismus) gibt, muss es mindestens einen jüdischen Nationalstaat geben.
zum Beitrag08.05.2024 , 14:38 Uhr
Eine formale Plausibilität ist aber nicht das, was Sie voraussetzen. Sie schreiben ja zuvor: „Die israelischen Bemühungen um den Schutz von Zivilisten waren so hervorragend, dass inzwischen der IGH wegen Völkermord ermittelt.“ Das impliziert eine inhaltliche Substanz des Vorwurfs, von der Sie jetzt selbst bestreiten, dass sie vorliegt.
zum Beitrag08.05.2024 , 14:31 Uhr
“…nachdem die Hamas ihr Okay zum Geisel-Deal gegeben hat…“
Folgendes schreibt die Times of Israel zum Geisel-Deal: „But after receiving the Hamas response, Israeli officials said the terms Hamas claimed to have accepted did not match those that Israel had approved. (…) War cabinet minister Benny Gantz, a political rival of Netanyahu, also said the ceasefire proposal Hamas accepted “is inconsistent with the dialogue [Israel] held with the mediators to this point and has significant gaps [from Israel’s demands].” “
www.timesofisrael....what-we-agreed-to/
Dass auch Benny Gantz, der sich entschieden dafür einsetzt, dass die Freilassung der Geiseln oberste Priorität haben soll, zu einer solchen Bewertung kommt, ist vielsagend. Die Hamas hat also völlig anderen Bedingungen zugestimmt, als zuvor von israelischer Seite mit den Mediatoten vereinbart worden sind, und dann öffentlichkeitswirksam proklamiert, dass man einem Deal zustimmt. Wer nicht genau hinschaut, hält dann Israel für die Partei, an der ein Kompromiss gescheitert ist. Letztlich ein PR-Stunt, bei dem ich von der taz erwarten würde, dass sie dem nicht auf den Leim geht.
zum Beitrag07.05.2024 , 20:31 Uhr
Das verfehlt den Kern des Vorwurfs. Auch der Artikel geht von einer eigentümlichen Prämisse aus: wenn „(z)entrale Vorwürfe gegen Boehm (…) der Überprüfung am Text nicht standhalten“, dann ist auch nicht wirklich ersichtlich, weshalb man Boehm nicht sprechen lassen sollte. Die Frage ist, ob der Vorwurf, dass Boehm den israelischen Staat delegitimiert, seine Berechtigung hat oder nicht. Es geht nicht einfach darum, dass Boehm eine „Gleichbehandlung“ im Sinne „universaler Grundsätze“ fordert, wie Sie behaupten, sondern es geht um Boehms Idee einer „Republik Haifa“ nach dem Modell der Einstaatenlösung, die er universalistisch begründet. Und eine Einstaatenlösung kann in der Konsequenz durchaus das Ende Israels als jüdischem Staat bedeuten, weil die jüdische Bevölkerungsmehrheit dann wohl bald passé wäre. Wenn man akzeptiert, dass Israel sich als jüdischer Staat versteht, dann ist damit die Akzeptanz eines partikularistischen Prinzips vorausgesetzt. Boehm kritisiert den ethnonationalistischen Charakter Israels von einem universalistischen Standpunkt aus und ignoriert, dass dieses Selbstverständnis die Konsequenz daraus ist, dass sich Jüdinnen und Juden nirgendwo – am allerwenigsten in Deutschland – auf den Staat zu ihrem Schutz verlassen konnten. Insofern hat der Vorwurf, dass Boehm daran mitarbeite, die „Zukunft des jüdischen Staates Israel in seiner Existenz zu delegitimieren“, durchaus Substanz. Boehm löst den jüdischen Staat mit einem anderen argumentativen Verfahren auf, als das bei Antizionisten normalerweise der Fall ist, aber er löst ihn auf. Hier wird nichts aufgebauscht. Und man kann übrigens durchaus Universalist sein und dennoch anerkennen, dass dieser spezifische Partikularismus seine sachliche Berechtigung hat. Christen und Muslime haben dieses Problem nicht, denn sie haben eine große Auswahl an Staaten, die für ihren Schutz eintreten. Jüdinnen und Juden haben nur diesen einen Staat, der konsequent für den Schutz jüdischen Lebens eintritt.
zum Beitrag07.05.2024 , 17:44 Uhr
Einer der Vorwürfe, die in Israel permanent gegenüber Netanjahu erhoben werden, ist das sein jahrelanges Appeasement gegenüber der Hamas ein schwerer Fehler war. Der Vorwurf erfolgt zu Recht. Und dieser Kritikpunkt wurde auch schon in der taz mehrfach vorgebracht. Allerdings müsste man dann doch wohl einräumen, dass die Hamas auch auf nicht verbrannter Erde floriert, oder? Wenn die irrige Annahme, dass man friedlich mit der Hamas koexistieren könnte, einen Teil dazu beigetragen hat, dass sich das Massaker vom 7. Oktober ereignen konnte, wie kann man dann von Israel erwarten zum Status Quo ante zurückzukehren? Ich würde mir von denjenigen, die das jetzt verlangen, wünschen, dass sie mal auspinseln, wie sie sich das ungefähr vorstellen. Denn irgendwie kommt da nichts. Zumindest könnte man anerkennen in was für ein übles Dilemma Israel von der Hamas gestürzt wurde. Aber selbst das passiert nur selten. Dass Israel Krieg führt, will man nicht. Und nach Möglichkeit soll die Besatzung im Westjordanland genauso beendet werden wie die Blockade des Gazastreifens. Aber eine friedliche Koexistenz mit der Hamas ist nicht möglich, das hat sie nachdrücklich unter Beweis gestellt. Und würden die Palästinenser derzeit wählen, dann würde mit hoher Wahrscheinlichkeit die Hamas wiedergewählt. Also was tun?
zum Beitrag07.05.2024 , 16:13 Uhr
„Das ist nicht ganz richtig, der IGH hat die Klage geprüft und hält sie zumindest für plausibel, andernfalls hätte er das Verfahren bereits eingestellt.“
Doch, das ist richtig. Ihr Vorredner hat vollkommen Recht, es lässt sich noch gar nichts über die Haltung des Gerichts zum Inhalt des Vorwurfs sagen. Zumal Ihre Aussage „andernfalls hätte er das Verfahren bereits eingestellt“ natürlich irreführend ist. Das Gericht braucht selbstverständlich einige Zeit, um die Vorwürfe zu prüfen und das wäre selbst dann der Fall, wenn es diese Vorwürfe für vollkommen hanebüchen erachtet. Was nun den Umgang mit der Frage nach der „Plausibilität“ des Vorwurfs angeht, hat sich Joan Donoghue, die Vorsitzende Richterin des Prozesses, bei der BBC geäußert und klargestellt, dass der IGH nur festgestellt hat, dass "the Palestinians had a plausible right to be protected from genocide" und dass "South Africa had a right to present that in the court". Über die Plausibilität was den Inhalt des Genozid-Vorwurfs angeht, hat sich der IGH gar nicht geäußert:
www.jpost.com/isra...war/article-798766
zum Beitrag07.05.2024 , 15:58 Uhr
„Der Verein gilt vielen als antisemitisch, weil einzelne Mitglieder die BDS-Kampagne unterstützen.“ Das ist eine verharmlosende Beschreibung. Etwa Petra Pau warf dem Verein „Holocaustrelativierung“ und „antisemitische Propaganda“ vor. Die „Jüdische Stimme für einen gerechten Frieden in Nahost“ hat in der Vergangenheit Veranstaltungen von PFLP-Terroristen beworben und Kampagnen von Samidoun unterstützt. Die Vergewaltigungen und Gräueltaten der Hamas werden von der „Jüdischen Stimme“ als „Propaganda“ abgetan, in ihrem Statement zum 7. Oktober hat sie die Massaker als „Gefängnisausbruch“ verharmlost und ausschließlich Israel dafür verantwortlich gemacht. „Israel“, so die „Jüdische Stimme“ am 7. Oktober, „zahlt den Preis des Stolzes. Seine Herrscher und die meisten seiner jüdischen Bewohner waren sicher, dass sie keinem menschlichen Gesetz unterliegen und dass das Völkerrecht für sie - Übermenschen - nicht gilt.“ Solche Rhetorik ist bei denen der Normalfall.
Anbei der Link zu einer Broschüre, in der Aktivitäten und Statements des Vereins geschildert werden, und der die hier verwendeten Zitate entnommen sind:
iibsa.org/neuersch...gerechten-frieden/
Dort finden sich auch noch einige weitere Beispiele der Holocaustrelativierung des Vereins.
zum Beitrag28.04.2024 , 22:42 Uhr
Ihnen ist schon klar, dass ich die vorsitzende Richterin des Prozesses zitiert habe, oder? Die wird schon wissen wie ihr eigenes Urteil zu interpretieren ist. Dass zu bestimmten Maßnahmen aufgerufen wird, um einen Genozid zu verhindern, ist gängiges Prozedere. Wie die UN das mal wieder interpretiert, ist allerdings in der Tat spannend, wenn auch nicht überraschend. Wie Sie aus alledem herauslesen, dass Israel es auf die „Auslöschung der Gegenseite“ abgesehen hat, haben Sie dennoch nicht begründet.
zum Beitrag28.04.2024 , 01:07 Uhr
Dann interpretieren Sie die Aussagen des IGH (wie viele andere) offenbar falsch. Joan Donoghue hat sich gestern bei der BBC zu diesen Interpretationen geäußert und klargestellt, dass der IGH nur festgestellt hat, dass "the Palestinians had a plausible right to be protected from genocide" und dass "South Africa had a right to present that in the court". Über die Plausibilität was den Inhalt des Genozid-Vorwurfs angeht, hat sich der IGH gar nicht geäußert und auch von einem „Interimsurteil“ zu sprechen, ist unzutreffend, sofern damit nicht die genannten Punkte gemeint sind.
www.jpost.com/isra...war/article-798766
zum Beitrag25.04.2024 , 15:44 Uhr
Die Hamas scheint für AI völlig irrelevant, die Verantwortung trägt ausschließlich Israel. Dass die Hamas sich hinter Zivilisten versteckt, wird im Abschnitt zum Nahostkonflikt des Regionalkapitels „Naher Osten und Nordafrika 2023“ nicht einmal erwähnt. Ich kann AI nicht mehr ernst nehmen. Beim Thema Israel sind die geradezu manisch.
zum Beitrag24.04.2024 , 02:29 Uhr
Es zeigt sich ein Muster: die Informationen über Hamas-Verbindungen der UNRWA können noch so konkret sein, sie reichen irgendwie nicht aus, um in dem UN-Bericht einer „unabhängigen“ UN-Kommission zu landen, ganz zu schweigen von einem Artikel in der taz. Es wurden Tunneleingänge in und neben UNRWA-Gebäuden gefunden, es wurde sogar ein ganzes unterirdisches Datenzentrum der Hamas unter einem UNRWA-Gebäude gefunden. Es gibt ein Video von einem UNRWA-Mitarbeiter, der am 7. Oktober nach dem Massaker in dem Kibbuz Be’eri die Leiche eines getöteten Israelis in seinen SUV verlädt. All das kommt in dem Bericht der Kommission nicht vor und es wurde sogar von vornherein kategorisch ausgeschlossen, dass solche Informationen verarbeitet werden würden. Kein Witz: exklusiv von Massenmedien verbreitete Informationen durften nicht berücksichtigt werden. Trotzdem verwendet man jetzt diesen Report, der den Standards einer vorbehaltlosen Untersuchung hohnspricht, um die UNRWA als exkulpiert zu betrachten. Allerdings betreffen all die zuvor genannten Punkte gar nicht mal das Hauptproblem, nämlich „dass die UNRWA das palästinensische Flüchtlingsproblem zementiert“ und in UNRWA-Schulen der „Traum von der Rückkehr“ fester Bestandteil des Lehrplans ist. Gerade damit steht das UNRWA-Hilfswerk einer „politischen Lösung“ aber leider im Weg. Es ist gar nicht dazu gedacht etwa den in Jordanien lebenden palästinensischen Flüchtlingen die Integration zu ermöglichen, sondern perpetuiert die Bedingungen, die den Konflikt aufrechterhalten. Trotz der wichtigen Sozialleistungen, die das Hilfswerk erbringt, ist es Teil des Problems und nicht der Lösung.
zum Beitrag19.04.2024 , 14:17 Uhr
Sicher, nur was hat das mit meinem Kommentar zu tun?
zum Beitrag18.04.2024 , 13:56 Uhr
„Offenbar verstößt Palästinasolidarität mehr gegen die Staatsräson als Faschismus. (…) und Waffen an eine rechtsextreme Regierung zu liefern, die offensichtlich Kriegsverbrechen begeht.“
Mich würde mal interessieren, wo im politischen Spektrum Timm Kühn eigentlich die Hamas verorten würde. Das Problem mit dem Palästina-Kongress ist ja nicht einfach Palästinasolidarität, sondern die Verherrlichung der Hamas. Bei der Hamas handelt es sich um eine Terrororganisation, die in Hinblick auf ihren Antisemitismus und ihre Misogynie kaum zu überbieten ist, die Homosexuelle verfolgt und demokratisch gesinnte Palästinenser von Hausdächern wirft. Wie nennt man Leute, die so etwas tun? Sie als „Faschisten“ zu bezeichnen, wäre wohl kaum verfehlt. Rechts von der Hamas ist auf der politischen Landkarte nicht mehr viel Platz. Viele Linke können oder wollen das offenbar nicht sehen, und das ist besorgniserregend.
zum Beitrag15.04.2024 , 01:42 Uhr
Der Antisemitismus-Beauftragte will der „Jüdischen Stimme für einen gerechten Frieden in Nahost“ natürlich nicht nur deshalb „die Gemeinnützigkeit entziehen lassen, weil er deren Palästina-Solidarität ablehnt“. Eine solche Darstellung ist irreführend. Der Verein hat in der Vergangenheit Veranstaltungen von PFLP-Terroristen beworben und Kampagnen von Samidoun unterstützt. Die Vergewaltigungen und Gräueltaten der Hamas werden von der „Jüdischen Stimme“ als „Propaganda“ abgetan, in ihrem Statement zum 7. Oktober hat sie die Massaker als „Gefängnisausbruch“ verharmlost und ausschließlich Israel dafür verantwortlich gemacht. Die Rhetorik des Vereins ist gelinde gesagt bemerkenswert: „Israel“, so die „Jüdische Stimme“ am 7. Oktober, „zahlt den Preis des Stolzes. Seine Herrscher und die meisten seiner jüdischen Bewohner waren sicher, dass sie keinem menschlichen Gesetz unterliegen und dass das Völkerrecht für sie - Übermenschen - nicht gilt.“ Daniel Bax tut so, als ob hier einfach eine „propalästinensische Gruppe“ im Rahmen eines neuen „McCarthyismus“ mundtot gemacht werden soll. Dabei warf etwa Petra Pau der „Jüdischen Stimme“ nicht ohne Grund „Holocaustrelativierung“ und „antisemitische Propaganda“ vor. Wenn man einen solchen Verein guten Gewissens als „links“ bezeichnen kann, hat die politische Linke ein gewaltiges Problem. Holocaustrelativierung und „links sein“ gehen zumindest für mich nicht zusammen. Anbei der Link zu einer Broschüre, in der Aktivitäten und Statements des Vereins geschildert werden, und der die hier verwendeten Zitate entnommen sind:
iibsa.org/de/neuer...gerechten-frieden/
zum Beitrag08.04.2024 , 20:58 Uhr
1. Die „Reduzierung Zehntausender Toter auf die Funktion eines Schutzschildes“ ist kein bloßes rhetorisches Stilmittel der Antilopen Gang: die Palästinenser werden von der Hamas tatsächlich auf Schutzschilde reduziert. Ganz real. Der Skandal besteht in dem, was die Hamas tut, und nicht in der Pietätlosigkeit von denen, die das aussprechen. Sich auf den Überbringer der schlechten Botschaft zu stürzen, war noch nie eine gute Idee, in diesem Fall erst recht nicht.
2. „Schutzschild der Nachfahr'n der Juden-Vergaser“ bezieht sich gerade auf Deutsche mit Nazihintergrund, die „free palestine from german guilt“ skandieren und damit die Palästinenser als Schutzschild für ihre Schuldabwehr missbrauchen. Angesprochen ist hier also die psychologische Funktion der Palästinenser für Antisemiten. Und das ist auch keine Holocaust-Verharmlosung.
3. Wenn man das derart missversteht und glaubt, dass sich „Schutzschild der Nachfahr'n der Juden-Vergaser“ auf die Hamas bezieht, dann ist es durchaus möglich, dass die reale Verbindung der palästinensischen Nationalbewegung zum Dritten Reich bei dem Missverständnis eine Rolle spielt. Wenn dies der Fall ist, dann gehört das aber auch explizit angesprochen, auch deshalb, weil man davon ausgehen muss, dass diese Dinge nicht allen Lesern bekannt sind.
zum Beitrag08.04.2024 , 18:32 Uhr
Die Albertus-Magnus-Professur gilt aber nun mal als Auszeichnung, insofern muss man auch damit rechnen, dass sie unter bestimmten Umständen zurückgenommen werden kann. Die politischen Aussagen der Philosophin, die mit dieser Professur bedacht wird, sollten doch wohl zu jenen Umständen zählen. Jürgen Kaube hat das Problem in seinem FAZ-Artikel schön auf den Punkt gebracht: unter Wissenschaftsfreiheit wird hier offenbar verstanden, dass man sagen kann, was man will, ohne dass es irgendwelche Konsequenzen hat. Pikant an dem ganzen Vorgang ist nicht, dass Fraser Jüdin ist. Warum auch? Pikant ist in erster Linie, dass der von ihr unterschriebene Aufruf israelische Universitäten per se boykottieren möchte, was dann tatsächlich eine Einschränkung der Wissenschaftsfreiheit bedeutet. Leider wird in der bisherigen Berichterstattung unterschlagen, dass Fraser ihre Unterschrift auch zu dieser Kampagne beigesteuert hat, die Israel dafür dämonisiert, dass es die Vergewaltigungsvorwürfe gegen die Hamas angeblich „politisieren“ würde („that accusations of sexual assault have also been wielded as a tool of war“):
stopmanipulatingsexualassault.org/
Mich macht so etwas fassungslos. Irgendwie denkt man dann doch, dass die Israelhasser eigentlich selber merken müssten, auf was für einem Niveau sie sich da bewegen.
zum Beitrag26.02.2024 , 23:32 Uhr
Diese Entscheidung stammt aus dem Juli 2022 und wurde vom Auswärtigen Amt getroffen. Im Innenministerium ist man der Meinung, dass die von Israel vorgelegten Informationen in einem Prozess vor einem deutschen Gericht standhalten würden. Das Auswärtige Amt interessiert das aber offenbar gar nicht: als Gründe für die eigene Haltung wurde zum einen auf die humanitäre Funktion von Organisationen wie Addameer hingewiesen, zum anderen wurde dem Innenministerium vorgeworfen „die Realität der israelischen Besatzung“ nicht zu verstehen. Dabei heißt es bei SPON (Artikel: Schult/Wiedmann-Schmidt, „Wurden mit deutschen Steuergeldern Anschläge in Israel verübt?“): „Konkrete Hinweise, wie Steuergelder aus Europa für Terrorzwecke missbraucht werden konnten, lieferten die Israelis ebenfalls.“ Also sind die Anschuldigungen laut Innenministerium erwiesen, während sich das Auswärtige Amt nur bedingt dafür interessiert, ob dies überhaupt der Fall ist. Die Terrorverstrickung palästinensischer Hilfsorganisationen scheint von Seiten des Auswärtigen Amts billigend in Kauf genommen zu werden. Jedenfalls hat man das im Juli 2022 so gesehen. Gegenwärtig ist man in der Bundesregierung vermutlich froh, wenn das Thema nicht allzu bald auf den Tisch kommt.
zum Beitrag26.02.2024 , 12:28 Uhr
Addameer wurde von Israel 2021 als Terrororganisation eingestuft. Der Vorwurf lautet Addameer sammele Spendengelder und leite sie an die PFLP weiter. Das Bundesinnenministerium hat die Informationen der Israelis für glaubwürdig befunden und die Einstufung übernommen. Darüber gab es auch einen Streit mit dem Außenministerium, das die Einschätzung nicht teilt, allerdings Schwierigkeiten hatte überzeugende Gründe dafür vorzulegen. SPON hat darüber berichtet. Diese Information sollte in einem solchen Artikel eigentlich Erwähnung finden. Als Quelle sind die nicht unproblematisch.
zum Beitrag15.02.2024 , 15:36 Uhr
Wenn die gesellschaftliche Praxis an den normativen Prinzipien scheitert, dann folgt daraus doch wohl die Kritik an dieser Praxis. Georg Diez will hingegen die normativen Prinzipien runterkochen, denn: „sie sind aber so idealistisch konzipiert, dass sie oft nur Worte bleiben“. Und weiter: „Menschenrechte gelten nicht für alle Menschen gleich, auch wenn sie universell genannt werden“. „Universelle Geltung“ hat der Anspruch, der freilich immer wieder verletzt wird. Überhaupt wird etwa die Menschenwürde in der Praxis immer wieder angetastet, was nicht dazu verleiten sollte den Anspruch über Bord zu werfen. Das gleiche Problem gilt bei der Heuchelei: dass Menschen die Prinzipien, die sie einfordern, selbst nicht einhalten, wirft ein schlechtes Licht auf diese Menschen, frisst aber doch nicht notwendigerweise diese Prinzipien an. Georg Diez vermag eine „tiefergehende und bleibende Erschütterung des Konzepts des Universalismus“ nicht triftig zu begründen, an mehreren Punkten gehen „Sollen“ und „Sein“ komplett durcheinander.
zum Beitrag26.01.2024 , 18:32 Uhr
Das ist nun mal das Problem bei solchen Begriffsbildungen. Bestimme ich Antisemitismus als Form der Diskriminierung, dann reduziere ich ihn auf eine Form des „sozialen Ausschlusses“. Das trifft das Wesen des Antisemitismus gerade nicht. Wird er als Form der Diskriminierung bestimmt, dann geraten Charakteristika wie die verschwörungstheoretischen Elemente schnell aus dem Blick. Dass Juden im Antisemitismus als die „Wurzel allen Übels“ gefasst werden, was ihn von anderen Formen des Ressentiments unterscheidet, bleibt dann schnell unberücksichtigt. Fasse ich Antisemitismus als Ideologie, so stellt sich beim Ideologiebegriff der Kritischen Theorie, der jene als „Verschränkung des Wahren und Unwahren“ (Adorno) fasst, die Frage, was denn bitte schön das Wahre am Antisemitismus sein soll. Beim wissenssoziologischen Ideologiebegriff (Ideologie als Weltanschauung) entgeht einem schnell das Moment von Wahn, das allem Antisemitismus zu eigen ist. Wird Antisemitismus als „Form des Rassismus, derer es viele gibt, mit je eigener Spezifik“ interpretiert, wird mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit jenes Kernelement in den Hintergrund gedrängt, dass den Antisemitismus gerade vom Rassismus unterscheidet: gelten die von Rassismus betroffenen dem Rassisten als inferior, werden Juden als „Strippenzieher im Hintergrund“, als die vermeintlich „Herrschenden“, verfolgt. Letzteres erklärt die Kompatibilität des Antisemitismus mit regressiver Kapitalismuskritik und anderen Formen von vulgärer Herrschaftskritik und macht ihn anschlussfähig für Linke. Ich würde erstmal auf eine noch generischere Ebene zurückgehen (etwa zu Begriffen wie „Ressentiment“ oder „Herrschaft“), anstatt den Antisemitismus dem Rassismusbegriff zu subsumieren. Misst man den Antisemitismus an den Charakteristika von Rassismen, wird einem das Wesentliche daran höchstwahrscheinlich entgehen. Wo der Erkenntnisgewinn liegt, wenn man Antisemitismus einfach als Unterform des Rassismus fasst, erschließt sich mir nicht.
zum Beitrag25.01.2024 , 17:37 Uhr
Der Artikel trifft einige Punkte, hat aber seine Schwächen bei der Frage: „Was tun?“ Denn „eine Erzählung, die Zukunftsängste übersetzt in Herausforderungen, die zu schaffen sind“, wird nicht reichen. Die grassierenden apokalyptischen Ängste sind natürlich kontraproduktiv. Trotzdem wissen wir noch gar nicht, ob und wie wir Herausforderungen wie den Klimawandel unter den gegebenen Umständen bewältigen können. Die gegenwärtigen Verteilungskämpfe sind unvermeidbar und werden an Intensität eher zunehmen. Die Frage nach den Lösungen ist deshalb so schwer zu beantworten, weil es sich bei dem Rechtsruck um ein gesamtgesellschaftliches Problem handelt, das nicht einfach durch „Narrative“ oder ein bestimmtes Regierungshandeln behoben werden kann. Ad hoc-Lösungen für den Autoritarismus gibt es eben nicht. Leider hat die Politik auch bei den wenigen Ansatzpunkten, die man hat, um wenigstens mittelfristig etwas gegen die Faschisten zu tun, fahrlässig agiert. Noch 2021, als schon abzusehen war, wie gefährlich die AfD der Demokratie werden kann, hat die Bundesregierung der Autoritarismusforschung und Demokratieförderprojekten die Fördergelder gestrichen. Die Konservativen bestätigen mit ihrem Kurs permanent die AfD-Inhalte, obwohl dieses Vorgehen der AfD sichtbar Auftrieb verschafft. Selbst das bisschen, was man gegen die Antidemokraten tun könnte, tut man nicht. Zunächst gilt es der CDU auf die Finger zu schauen. Die Vergangenheit lehrt: ohne konservative Bündnispartner wird der Faschismus höchstwahrscheinlich nicht an die Macht kommen. Insbesondere in Thüringen, wo die CDU sowieso nochmal anders tickt, wird die Versuchung groß sein eine Koalition mit der AfD einzugehen. Was gedenkt die CDU zu tun, wenn die Landtagswahl in Thüringen so ausgeht, wie es die Demoskopie prognostiziert? Es scheint so, als ob die Konservativen einfach nur die Wahl abwarten, und auf das Prinzip Hoffnung setzen. Da muss der Journalismus permanent den Finger in die Wunde legen und Strategien einfordern.
zum Beitrag24.01.2024 , 19:11 Uhr
Wenn jede „in Worten ausgedrückte Meinung […] ebenso richtig [ist], wie sie falsch ist“, dann gilt das schon für die Behauptung, dass es überhaupt eine Wirklichkeit gibt. „Schlechte Rede mit besserer Rede kontern“ geht überhaupt nur dann, wenn es ein Kriterium dafür gibt, was denn die eine Rede besser macht als die andere. Was sollte das Kriterium für die Dignität dieser Rede sein? Rhetorischer Feinschliff? Dass die Rede sich reimt? Vielleicht dann doch eher, ob diese Rede ihren Gegenstand trifft – also wahr ist - oder ob sie den Gesetzen der Logik entspricht. Letzteren entspricht der epistemologische Relativismus jedenfalls nicht, denn er setzt voraus, dass jede Aussage genau so wahr ist wie das ihr kontradiktorisch gegenüberstehende Gegenteil. Nicht der absolute Wahrheitsanspruch macht den Dogmatismus aus, sondern die Abdichtung gegen das bessere Argument durch die bloße Setzung. Kant bezeichnet jenen Relativismus denn auch als Form des Dogmatismus, weil das reflektierende Subjekt gar nicht mehr von Belang ist, wenn alles gleichermaßen wahr und unwahr sein soll. Große Beliebtheit erfreute sich jener Relativismus nicht umsonst bei Carl Schmitt und Konsorten. Mit guten Argumenten hatten die es bekanntlich nicht so, jedes Volk sollte seine eigene Wahrheit haben. Heute feiern jene Versuche den Mythos zu rehabilitieren im Gewand der postkolonialen Vorliebe für indigenes Wissen fröhlich Urständ. Dass sich Herrschaft und Unterdrückung vor einer solchen erkenntnistheoretischen Grundlage nicht mehr zu rechtfertigen brauchen, scheint die Relativisten nicht zu scheren. Dabei sollte das doch jedem einleuchten: wären die „in Worten ausgedrückte[n] Meinungen über das Wirkliche […] ebenso richtig […], wie sie falsch“ sind (auch das ein Satz, der dann genauso wahr wäre wie sein Gegenteil), dann wären auch die obskuren Thesen von Faschisten wie Schmitt genauso wahr wie das Fallgesetz. Sind sie aber nicht.
zum Beitrag18.01.2024 , 19:46 Uhr
„War die Lesung im Berliner Ensemble tatsächlich nur eine „kulturindustrielle Verramschung“? Wäre es besser gewesen, wenn sich das Theater nicht zu den Deportationsplänen positioniert hätte?“
Die Alternative ist doch nicht „kulturindustrielle Verramschung“ oder gar nichts, sondern die Kritik bezieht sich auf die Aufbereitung des Stoffs als reklamehaftes Amüsement. „Aufklärung“ in der Halbzeit eines Fußballspiels liefe auf genau dasselbe hinaus. „In Zeiten von Instagram, Tiktok & Co“ hat nicht nur der Investigativ-Journalismus ein Problem, sondern Aufklärung in toto. Und allzu leicht hatte sie es ohnehin nie, ungeachtet dessen, ob es sich bei ihren Adressaten um die sogenannten Bildungsbürger handelt oder nicht. Die Form an die Bedürfnisse eines verrohten Publikums anzupassen, dessen Verrohung sich nicht zuletzt dem kulturindustriellen Massenbetrug verdankt, wird kaum etwas besser machen. Zu den Charakteristika der Kulturindustrie zählt nicht zuletzt, dass sie die Menschen nicht als reflexionsfähige Subjekte, sondern als bloße Konsumenten nimmt. Der Faschismus macht es genauso.
zum Beitrag18.01.2024 , 18:25 Uhr
„Würdest Du sagen, das ist gerecht?“
Nein, sicher nicht. Vor allem würde ich aber betonen, dass in einer Welt voller Reichtum niemand mehr hungern sollte. Dass unzählige Menschen trotzdem hungern, liegt an der kapitalistischen Produktionsweise. Sich erst dann zu beschweren, wenn die Ausbeutung ein bestimmtes Maß überschreitet, jedoch den Mechanismus als solchen im gleichen Atemzug zu rechtfertigen (und eben das tut Kelthorn, wenn sie ein gerechtes Maß an Ausbeutung unterstellt), ist wohlfeil.
zum Beitrag17.01.2024 , 17:21 Uhr
"Der in Greding wiedergewählte AfD-Landeschef Stephan Protschka behauptete nach dem Vorfall, die AfD sei nicht ausländerfeindlich, und mutmaßte gar, der Vorfall könnte inszeniert worden sein, um ein Verbot seiner Partei voranzubringen."
Die Unredlichkeit dieser Typen ist schon der Wahnsinn. Es gibt ein Video des Vorfalls, auf dem die AfD-Politiker zu erkennen sind. Wie man so etwas inszenieren soll, würde mich mal interessieren.
zum Beitrag17.01.2024 , 16:41 Uhr
Selbstverständlich wird Mehrwert abgeschöpft, aber dieser wird im Rahmen der über die notwendige Arbeit, also die zur Selbsterhaltung notwendigen Arbeit, hinausgehenden Mehrarbeit produziert. Den Mehrwert produziert einzig und allein das variable Kapital, und das darf eben nicht von dem von ihm geschaffenen Mehrwert profitieren.
zum Beitrag16.01.2024 , 16:09 Uhr
„Hinzu kommt, wie Stephanie Keltorn, die Ökonomin und ehemalige Beraterin des US-Präsidentschaftskandidaten Bernie Sanders in einem Interview mit dem Jacobin gesagt hat, dass „das Problem vielmehr darin besteht, dass die Reichen zuallererst mehr als ihren gerechten Anteil nehmen“.“
Was wäre denn der gerechte Anteil? Was ist für so eine Aussage der Maßstab? Jede Antwort gerät notwendig willkürlich. Unterstellt wird, dass es eigentlich ein akzeptables Quantum Ausbeutung gibt, dessen Ausmaß hier überschritten wird. Die von Keltorn supponierte normative Grundlage ist schief. Überdies legitimiert man so den kapitalistischen Herrschaftszusammenhang als solchen. Die Kapitalisten sind halt nur leider etwas zu gierig. Ansonsten gibt es an der über das Privateigentum an den Produktionsmitteln vermittelten Aneignung von Mehrarbeit nichts auszusetzen.
zum Beitrag14.01.2024 , 21:48 Uhr
"Jede Generation versaut ihren Kindern die Kindheit auf andere Weise."
Das trifft es leider recht genau.
zum Beitrag10.01.2024 , 14:09 Uhr
Gemeint war natürlich der Plan der Peel-Kommission. Asche über mein Haupt. Von „späteren „Angeboten“ an die Araber bis zum UNO-Plan 1947“ war nicht die Rede.
zum Beitrag08.01.2024 , 14:20 Uhr
Wie kommen Sie denn auf so etwas? Seit dem ersten Angebot der UN 1937 hat es zig glaubwürdige Angebote gegeben und die Palästinenser haben sie allesamt brüsk abgeschmettert. Trotzdem hält sich der Mythos, dass es den Palästinensern nur um einen eigenen Staat geht. Gegenwärtig befürworten laut Arab World for Research and Development 17% der Palästinenser die Zweistaatenlösung, 74% wollen einen palästinensischen Staat vom Jordan bis zum Mittelmeer. Ginge es den Palästinensern nur um einen eigenen Staat, dann hätten sie ihn schon lange. Zudem zeigen die Umfragen recht deutlich, dass die Hamas vor dem 7. Oktober vor allem aufgrund von Machtmissbrauch und Korruption an Rückhalt eingebüßt hatte. Dass auch die Methoden der Hamas abgelehnt werden, lässt sich der Demoskopie gegenwärtig leider nicht entnehmen. Das wird aber immer wieder implizit behauptet, wenn auf den geringen Rückhalt der Hamas verwiesen wird.
zum Beitrag04.01.2024 , 15:10 Uhr
„Es ist vor allem sein Scheitern, die Hamas für einhegbar, die palästinensische Frage für hinfällig gehalten – und eine nötige Zweistaatenlösung hintertrieben zu haben.“
Das stimmt so halb. Die Hamas für „einhegbar“ gehalten zu halten, war in der Tat ein großer Fehler, die palästinensische Frage für hinfällig gehalten zu haben hat hingegen nachvollziehbare Gründe. Seit den aufgrund der palästinensischen Verweigerungshaltung gescheiterten Gesprächen von Camp David gilt die Palästinenserfrage in weiten Teilen des israelischen Diskurses als unlösbar, Jassir Arafat hat die Friedenspläne der israelischen Linken vollends desavouiert. Man weiß auf israelischer Seite, dass der Großteil der Palästinenser dem „Traum von der Rückkehr“ nachhängt (hier muss man Jan Feddersen eigentlich loben, dass dieser Punkt überhaupt mal erwähnt wird!). Auf palästinensischer Seite ist die Position der israelischen Ultra-Rechten communis opinio: aktuell wollen laut AWRAD 74,7% der Palästinenser „A Palestinian state from the river to the sea”. Und so sehen es auch deren politische Vertreter. Über was will man da verhandeln? Für eine Zweistaatenlösung müsste es auf palästinensischer Seite eine Akzeptanz des Existenzrecht Israels geben, was nicht der Fall ist, wenn drei Viertel der Palästinenser Anspruch auf das gesamte Gebiet erheben. Und „Existenzrecht Israels“ meint eben die Existenz Israels als jüdischer Staat. Israel versteht sich aus guten Gründen – nämlich aufgrund des Umstands, dass Juden nirgendwo sonst in Frieden gelassen wurden - als Ethnodemokratie. Mit dem „Traum von der Rückkehr“ ist das genauso wenig zu vereinbaren wie mit Boehms Idee einer „Republik Haifa“, die Juden dann nur wieder den aus der Diaspora allzu bekannten Gefahren aussetzt.
zum Beitrag23.12.2023 , 16:44 Uhr
„Der Großteil der Palästinenser sei weder extrem religiös noch gegen eine Anerkennung Israels, sondern fordere ein Ende der Besatzung und die Unabhängigkeit.“
Es wurde jüngst von der Organisation Arab World for Research and Development (AWRAD) eine Untersuchung zum Meinungsbild der Palästinenser durchgeführt, die auch Aufschluss über die Haltung der Palästinenser zur Frage der „Unabhängigkeit“ und der „Anerkennung Israels“ gibt: ganze 74,7% der Palästinenser wollen „A Palestinian state from the river to the sea” (77,7% Zustimmung in der Westbank, 70,4% in Gaza), gerade einmal 17,2% wollen die “Two-State Solution for Two Peoples”. Damit fällt dann aber auch die gesamte Argumentation in sich zusammen. Irgendwie wird immer wieder das Modell der Zweistaatenlösung in die „palästinensische Sache“ hineinprojiziert, und dabei ist es dann völlig egal was palästinensische Politiker so alles von sich geben, dass diese Politiker seit Jahren in Verhandlungen eine konsistente Verweigerungshaltung an den Tag legen, und dass das Existenzrechts Israels von drei Viertel der palästinensischen Bevölkerung abgelehnt wird. Bestünde das Ziel tatsächlich in einer Zweistaatenlösung, wäre sie schon längst Realität geworden. Das tatsächliche Meinungsbild in Gaza und der Westbank scheint viele Journalisten gar nicht zu interessieren. „Gemäßigte Palästinenser“ sind in der Minderheit und selbst unter jenen hängen viele dem „Traum von der Rückkehr“, Palästinas Volksmythos, nach. Solange diese auf Seiten der Palästinenser schon lange bestehenden Probleme in den meisten Zeitungen kaum mal thematisiert werden, braucht man sich auch keine Hoffnung darauf zu machen „den Kreislauf der Gewalt zu beenden“. Und dann wird man auch nicht verstehen, dass Israel gute Gründe dafür hat „die Kontrolle über die Sicherheit in Gaza“ zu behalten, anstatt sie der PA zu übertragen.
zum Beitrag14.12.2023 , 17:13 Uhr
Volle Zustimmung.
zum Beitrag09.12.2023 , 21:28 Uhr
Dass nicht weiter über eine Freilassung der Geiseln verhandelt wird, liegt an dem Umstand, dass die Hamas sich nicht an die Abmachungen hält. Wer "zurück an den Verhandlungstisch" möchte, sollte doch wohl berücksichtigen wer die Verhandlungen abgebrochen hat. Israel war es nicht. Es war schließlich vereinbart, dass alle Kinder und nicht dem Militär angehörende Frauen zuerst freigelassen werden. Daran hat sich die Hamas aber nicht gehalten.
"Under the terms of the truce deal, Hamas was to prioritize the release of children and non-soldier women. Israel says 15 women still held by Hamas meet that designation, as well as two children — Ariel Bibas, 4, and Kfir Bibas, 10 months. (...) US National Security Adviser Jake Sullivan said during a separate press conference Monday that, “Hamas is refusing to release civilian women who should have been part of the agreement.” “It is that refusal by Hamas that has caused the end of the hostage agreement and therefore the end of the pause in hostilities,” he added referring to the seven-day truce that concluded last Friday."
www.timesofisrael....-happened-to-them/
Es wird vermutet, dass die Hamas nicht will, dass die Frauen von ihren Misshandlungen berichten.
zum Beitrag07.12.2023 , 15:09 Uhr
Karina Urbachs Darstellung ist zutreffend. Was die BBC abzieht, ist unerträglich.
zum Beitrag26.11.2023 , 12:56 Uhr
Auf dem Bild ist das Sonnenblumenhaus abgebildet, das 1992 während der Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen von einem rechten Mob angezündet wurde. Die Fans haben dann im Rahmen der Choreo schwarzen und orangen Rauch entfacht, wodurch es so aussah als würde das Haus brennen. Viel Interpretationsspielraum sehe ich da in der Tat nicht.
zum Beitrag25.11.2023 , 16:41 Uhr
"Wenn in Phasen wie jetzt in der Ukraine vergessen wird, dass geredet werden muss, sind die Gesprächskanäle dann, wenn man sie braucht, nicht mehr da."
Wer ist denn hier gemeint? Anica Heinlein weiß schon, dass es Putin war, der jenen Foren, in denen noch Gesprächskanäle bestanden, den Rücken gekehrt hat, oder? Wenn die Gegenseite nicht reden will, führt man leider Selbstgespräche.
zum Beitrag25.11.2023 , 16:28 Uhr
Derweil haben die Hansa Rostock-Fans vor dem heutigen Spiel gegen St. Pauli diese Choreo gezeigt:
twitter.com/kurven...4709225517305?s=46
So etwas muss übrigens vom Verein abgesegnet werden. Man fand das also offenbar völlig unbedenklich.
zum Beitrag25.11.2023 , 02:25 Uhr
Meine Güte, der von Erica Zingher verlinkte Artikel aus der Times of Israel ist wirklich schwer zu ertragen. Der blanke Horror. Und dann gibt es taz-Autoren, die es für problematisch halten die Hamas-Terroristen als "Barbaren" zu bezeichnen...
zum Beitrag24.11.2023 , 22:59 Uhr
„Dann nimmt dir niemand ab, dass er selbst in seinem privaten Keller oder an seiner Ernährung etwas machen muss.“
Das nimmt einem vielleicht auch deshalb keiner ab, weil auf der einen Seite von Teilen der Klimabewegung mit Recht betont wird, dass es die „großen Lösungen“ braucht, auf der anderen Seite aber wieder die Eigenverantwortung des Individuums beschworen wird. Die ständigen Appelle an den Einzelnen sind selbst Teil jener neoliberalen Ideologie, bei deren Bekämpfung die Gegenwartslinke auf ganzer Linie scheitert. Stattdessen müsste selbst noch die Verrohung vieler Subjekte, die ich vor der eigenen Haustür am Monstertruck meines Nachbarn bewundern kann, den er mit Dutzenden Stickern versehen hat, die klarstellen sollen, wie egal ihm doch das Klima ist, auf die gesellschaftliche Totalität zurückgeführt werden. Da reicht es nicht aus zu betonen, wie dämlich so etwas ist, auch wenn es natürlich stimmt. Grundsätzlich steht man vor dem Problem, dass die Spielräume für Wohlstandsverlust, die im Rahmen der „Wachstumskritik“ eingefordert werden, bei vielen Menschen so einfach nicht da sind. Und da, wo sich der Wohlstand befindet, sitzt eben auch die Macht. Innerhalb der bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse wird die angedachte Schrumpfkur wieder auf Kosten der Schwächsten erfolgen und das darf man einfach nicht in Kauf nehmen.
„Aber Greta ist auch eine Projektionsfläche für eine Medienwelt, die in ihr lange gesucht hat, was kein Mensch sein kann.“
Diesem Punkt stimme ich sogar zu. Ich weiß gar nicht wie oft ich in Zeitungsartikeln dieses Zeug vom „gefallenen Idol“ gelesen habe, ohne dass dabei auch nur annährend mitreflektiert worden wäre, dass Idole immer problematisch sind. Thunbergs Haltung muss die „Klimamoral“ nicht anfressen. Leider ist die bei ihr anzutreffende Melange aus postkolonial unterfüttertem Israelhass und regressiver Kapitalismuskritik keine Ausnahme in der Klimabewegung.
zum Beitrag22.11.2023 , 14:42 Uhr
Es ist ja auch überhaupt nicht möglich hier „eine konkrete Anleitung“ zu liefern. Der Ansatzpunkt kann aber auch nicht wieder im Aktivismus gesucht werden, das zeigt die völlig zutreffende Diagnose, dass „die meisten Linken“ – und es ist wirklich der Großteil der sogenannten Linken – gar nicht mehr versucht den Kapitalismus zu verstehen. Zunächst einmal besteht damit ein Theoriedefizit. Ansonsten trifft die Kritik natürlich einen Punkt. Interessant wäre aber gewesen zu erfahren wie sich Kindler das mit den vermeintlichen Stärken der Identitätspolitik „bei der Formierung einer kollektiven Interessenvertretung von der kulturellen hin zur ¬ökonomischen“, also der Herausbildung von Klassenbewusstsein, genau vorstellt. Denn mehr als das berechtigte Emanzipationsinteresse marginalisierter Gruppen und die Mobilisierungsfähigkeit ist da nicht. Die Identitätspolitik basiert auf bestimmten Theorien, die sich nicht einfach mit der Kapitaltheorie Marxens verquicken lassen, sondern Gegenstand der Kritik sein müssen. Zugleich handelt es sich um mehr als nur um ein Theoriedefizit, denn diese Formen der Politik erfüllen eine bestimmte psychologische Funktion, sie sind Ausdruck der Bedürfnisstruktur eines spezifischen Sozialcharakters. Sieht man sich die Theorien, die der Identitätspolitik zugrunde liegen, einmal genau an, dann wird man feststellen, dass sie mit der theoretischen Grundlage der kritischen Theorien brechen, und dass viele - auch wenn sie an ein berechtigtes emanzipatorisches Interesse anknüpfen - ihrer Grundstruktur nach sogar konservativ sind. Dass sich solche Theorien durchsetzen, ist Kennzeichen der subjektiven Verrohung auf einem bestimmten Stand der gesellschaftlichen Entwicklung und Ausdruck des Umstands, dass wir weiter denn je von der Ausbildung einer „Klasse für sich“ entfernt sind.
zum Beitrag22.11.2023 , 04:16 Uhr
Folgendes schrieb der Zentralrat der Muslime in seiner ersten Erklärung zum 8. Oktober:
„Wir verurteilen die jüngsten Angriffe der Hamas auf Zivilisten und rufen dazu auf, sofort die Gewalt zu beenden. Damit nicht noch mehr Opfer in der Zivilbevölkerung beklagt werden, müssen alle Seiten jetzt die Kampfhandlungen sofort einstellen. Zutiefst verstörend ist, dass Siedler flankiert durch die israelische Armee seit zwei Jahren palästinensische Dörfer und die Al-Aqsa Moschee angreifen, ohne dass die internationale Gemeinschaft eingreift.“ Anschließend folgt die Anmerkung, dass sich Juden und Muslime als „Geschwister im Glauben an den einen Gott“ durch die „Gewaltspirale“ nicht „auseinanderdividieren“ lassen dürften. Mit diesen Aussagen mag der Zentralrat zwar „erstaunlich schnell“ reagiert haben, nur leider auch erstaunlich schlecht. Dieser Aufruf rief damals auch reichlich Kritik hervor, was Daniel Bax offenbar entgangen ist. Zu den Distanzierungsversuchen von Ditib kann ich nur den Zeit-Artikel „Ein Bekenntnis ohne Bedeutung“ von Christian Parth empfehlen, der den Einschätzungen von Bax widerspricht:
Ditib und Hamas: Ein Bekenntnis ohne Bedeutung | ZEIT ONLINE
zum Beitrag21.11.2023 , 17:07 Uhr
Im „Spiegel Online-Spitzengespräch“ antwortet Deborah Feldman auf Markus Feldenkirchens Frage “Fühlen Sie sich als Jüdin sicher dieser Tage in Deutschland?“ Folgendes: „Ich fühle mich als Jüdin, die Israel kritisiert, bedroht. Meistens von anderen Juden und von deutschen Konvertiten und von Deutschen, die so tun, als wären die Juden, und von Deutschen, die behaupten sie wären Antisemitismusbeauftragte“ (ab min 01:37). Deborah Feldman fühlt sich also vor allem von anderen Juden bedroht und dies aufgrund des Umstands, dass es sich bei ihr um eine jüdische Antizionistin handelt. Darüber hinaus konstruiert Feldman ein Bild des öffentlichen Diskurses, in dem Positionen wie ihre unerwünscht sind und unterdrückt werden. Dieses Bild ist so dermaßen schief, dass man durchaus zu einer ähnlichen Einschätzung wie Erica Zingher gelangen kann, dass nämlich – um einmal den Begriff der Psychoanalyse zu verwenden- der Mechanismus der „Realitätsprüfung“ bei Feldman in irgendeiner Weise beschädigt zu sein scheint. Der Antisemitismus hat gegenwärtig ein Ausmaß erreicht, das einen fassungslos macht, und ich bezweifle doch sehr, dass es eine größere Bedrohung für jüdisches Leben gibt als jenen Antisemitismus. Das wird ungeachtet ihres subjektiven Empfindens auch für Deborah Feldman gelten. Die Demoskopie über die Ansichten der in der Diaspora lebenden Jüdinnen und Juden zeigt übrigens, dass die meisten von ihnen israelsolidarisch sind. Demgegenüber scheinen mir jüdische Antizionisten im deutschen Nahost-Diskurs doch krass überrepräsentiert zu sein. Es gibt eine gewaltige Nachfrage nach Positionen wie denen, die Feldman vertritt, weil sie all jenen Fantasten, die behaupten, dass man Israel nicht kritisieren dürfe, als Sprachrohr dient, und kaum etwas der antisemitischen Schuldabwehr des deutschen Michels derart zugutekommen dürfte wie die Behauptung, dass Juden vor allem andere Juden zu fürchten hätten.
zum Beitrag18.11.2023 , 14:24 Uhr
„…zuweilen mit möglicherweise versehentlichen antisemitischen Zügen.“
Weshalb wird denn in dem Artikel gleich zwei Mal auf die Absicht Bezug genommen? Es ist ein Charakteristikum des Gegenwartsantisemitismus, dass er zumeist in chiffrierter Form geäußert werden muss: hinter den erreichten Stand der Aufklärung lässt sich nicht einfach zurückgehen. Aus diesem Grund äußert sich auch xenophobes Ressentiment so oft in der „Ich habe ja nichts gegen Ausländer, aber…“-Form. Das ist ein Unterschied zu Zeiten, in denen man sich noch ganz ungeniert zu den Ressentiments bekennen konnte. Heute ist weithin bekannt: wer Antisemit, Rassist oder dergleichen ist, der ist ein Idiot, und das wissen auch viele Antisemiten und Rassisten. Trotzdem sind sie es, selbst wenn sie die Notwendigkeit erkennen ihr Ressentiment leugnen zu müssen. Und sie werden es wohl zumeist auch vor sich selbst leugnen. Das mindert aber ja nicht die Verantwortung dafür. Niemand ist dazu gezwungen Antisemit zu sein. Schwerer als das Kraken-Plüschtier wiegt doch wohl einen Demonstrationsaufruf beworben zu haben, in dem der 7. Oktober als „ein revolutionärer Tag, auf den man stolz sein muss“ bezeichnet wird. Zentral ist bei alledem der Ausfall an Reflexion. Thunberg scheint ja nicht dazu imstande sich mit der Kritik zu befassen und dazuzulernen. Das darf man aber durchaus erwarten. Dass die antisemitischen Tendenzen in den postcolonial studies jetzt verstärkt in den Blick genommen werden, ist überfällig. Der Antisemitismus in den Texten von Leuten wie Achille Mbembe ist eigentlich nur zu übersehen, wenn man ihn nicht sehen will.
zum Beitrag18.11.2023 , 14:00 Uhr
Der Brief besteht aus einer gewissermaßen „dekadenztheoretischen“ Kritik am „verdorbenen Westen“, Kritik an dessen Heuchelei, und aus jede Menge Antisemitismus. Zudem wird die klassische Forderung der Islamisten erhoben, alle Menschen sollten zum Islam konvertieren. Es fehlt nicht einfach nur die Kontextualisierung, wie hier im Forum gemutmaßt wurde. Auch dass der Brief in Rhetorik und Stil durchaus auf das westliche Publikum zugeschnitten ist, erklärt nicht, weshalb der wahnhafte Inhalt goutiert wird und dass viele Leute das Lesen des Briefes als eine Art Erweckungserlebnis beschreiben. Wer bei bin Ladens Brief nicht in der Lage ist das Motiv „hinter allem stecken die Juden“ zu erkennen, dem ist einfach nicht mehr zu helfen. Zudem stellt sich die Frage weshalb Leute den Tiraden gegen die westliche Dekadenz, die etwa die Legalisierung von Homosexualität beklagen, etwas abgewinnen können. Als wäre nicht genau das ein Grund für den Westen Partei zu ergreifen. Dass der Westen jene schützenwerten Prinzipien, die er hervorgebracht hat, allzu oft nicht einhält, ist eine andere Sache, denn da ist etwas dran. Wer eine Kritik an der westlichen Heuchelei sucht, wird jedoch sehr viel bessere Kritiken finden als die des psychopathischen Terrorfürsten. Das Problem scheint mir hier auch darin zu liegen, dass viele derjenigen, die sich heute als „emanzipatorisch“ verstehen, plumpe Identifikation mit „den Subalternen“ für den Kern der linken Sache halten. Anstelle für Demokratie und individuelle Freiheitsrechte einzutreten, hängen sie regressiven Gemeinschaftsvorstellungen nach. Der globale Süden wird zum emanzipatorischen Subjekt stilisiert und man verwirft die Aufklärung mitsamt ihren Errungenschaften, anstatt zu bemängeln, dass wir mit dem „Ausgang aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit“ nie wirklich ernst gemacht haben.
zum Beitrag17.11.2023 , 15:16 Uhr
Das Problem ist doch nicht einfach nur Israels Betroffenheit. UN-Abstimmungen orientieren sich nicht primär an Recht oder Moral, sondern sie sind interessengeleitet. Das moralische Gewicht, das den UN-Resolutionen immer wieder zugeschrieben wird, haben sie einfach nicht. Der Grund weshalb UN-Resolutionen bei den meisten Israelis nur noch ein müdes Lächeln hervorrufen, wird doch in dem Artikel benannt:
"Laut der Nichtregierungsorganisation UN Watch beschäftigten sich im letzten Jahr 15 Resolutionen der Generalversammlung mit Israel und seiner Siedlungspolitik. In 13 weiteren Resolutionen ging es um den Rest der Welt."
zum Beitrag15.11.2023 , 15:13 Uhr
Dass einem vernünftigen Menschen der Gedanke der Juden als Repräsentanten der Moderne fernliegt, ist klar, denn diese Denkweisen sind ja auch kompletter Unfug. Auch dass Thunberg das nicht explizit so sagt, ist natürlich richtig. Es geht dabei um eine spezifische Funktion, die Juden und der jüdische Staat in Formen der regressiven Kapitalismuskritik und in weiten Teilen der postkolonialen Theorie spielen. Es ist eine Form von Wahn, die auf dem gegenwärtigen Stand der Aufklärung der chiffrierten Form bedarf. Der Antisemit bildet sich ein, dass einmal alles gut wird, wenn man nur endlich die Juden ins Meer treibt. Im Gegensatz zur rassistischen Abwertung von Menschen, werden Juden im modernen Antisemitismus als „die Herrschenden“ imaginiert, sie werden als gemeinschaftsspaltendes Element betrachtet und gelten als Repräsentanten der kapitalistischen Moderne. Dabei werden sie insbesondere mit der Zirkulationssphäre in Verbindung gebracht („raffendes Kapital“, „Hochfinanz“ usw.) und einer vermeintlich von harmonischem Gemeinschaftsgeist geprägten Vergangenheit gegenübergestellt, deshalb die Rede von der vormodernen Dorfgemeinschaft als Utopie (hier besteht ein fundamentaler Unterschied zwischen großen Teilen der Gegenwartslinken und einem Philosophen wie Marx, der auf der technologischen Basis der gegenwärtigen Gesellschaft eine „höhere Gesellschaftsform“ errichten wollte, „deren Grundprinzip die volle und freie Entwicklung jedes Individuums ist“ (MEW 23: 618) und für die Träume vom frugalen Leben zu Recht nur Verachtung übrig hatte). Beim Staat Israel passiert etwas ganz Ähnliches. Dieser gilt den Antisemiten als artifizielles Gegenmodell zu einem als natürlich und urwüchsig imaginierten Staat Palästina. Der künftige Staat Palästina, der als homogene Gemeinschaft der Indigenen imaginiert wird, repräsentiert in diesem Denken die harmonische Volksgemeinschaft.
zum Beitrag14.11.2023 , 16:18 Uhr
„Im aktuellen Krieg in Gaza scheint die israelische Armee wenig zurückhaltend vorzugehen, und israelische Amtsträger haben mehrfach deutlich gemacht, dass das Prinzip der Verhältnismäßigkeit und der Schutz der Zivilbevölkerung nicht ihre höchste Priorität haben.“
Die Formulierung „wenig zurückhaltend“ ist schon irreführend. Noch zurückhaltender kann man im Rahmen einer militärischen Lösung wohl kaum agieren. Mit keinem Wort erwähnt Daniel Bax, dass die Hamas jene Zivilbevölkerung als Schutzschild missbraucht, und es unter diesen Umständen für die israelische Armee ausgesprochen schwierig ist überhaupt auszumachen, wer Kombattant ist und wer nicht. Zeitungsartikel, die Israel einseitig die Schuld zuschieben, zu evozieren, gehört zur PR-Strategie der Hamas. Dass die Hamas einen „brutalen Terrorangriff“ verübt hat, wird zwar pflichtgemäß in den Artikel eingeflochten, dass sie aber auch Verantwortung für das Leid der Zivilbevölkerung trägt, bleibt unerwähnt. Aber nur wenn man wie Bax das Leid der Zivilbevölkerung einseitig auf das Handeln Israels zurückführt, funktioniert die Argumentation so einigermaßen. Dass die Hamas die Geiseln auch freilassen könnte, wird offenbar nicht mal in Betracht gezogen. Es gibt für den passionierten Israelkritiker offenbar bei alledem immer nur ein Agens und das ist Israel.
zum Beitrag13.11.2023 , 23:01 Uhr
„Aber antisemitisch? Nein.“
Nun ja, Greta Thunberg hat z.B. einen Demonstrationsaufruf von „Palästina spricht“ beworben, in dem der 7. Oktober als „ein revolutionärer Tag, auf den man stolz sein muss“ bezeichnet wird. Das ist dann schon Hamas-Propaganda. Damit ist aber ja nicht der Klimaschutz en toto diskreditiert. Warum auch? Die Anbetung Thunbergs in Teilen der Bewegung war ohnehin auch schon vorher lächerlich. Allerdings besteht hier leider auch ein Problem auf der inhaltlichen Ebene, weil zumindest große Teile der Klimabewegung gar nicht über einen Begriff der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft verfügen. „System change“ wird nicht hinhauen, wenn man gar nicht begrifflich bestimmen kann, was denn dieses System ausmacht. Bei Thunberg findet sich aber noch mal ein gesteigertes, ziemlich giftiges Gemisch aus Versatzstücken postkolonialer Theoriebildung und regressiver Kapitalismuskritik, die so gut wie immer auf Antisemitismus hinauslaufen. Bei ihr ist mit dem „System“ kein den Subjekten entfremdeter Strukturzusammenhang gemeint, sondern ihr geht es um die Schuld einiger Weniger, wenn von den gesellschaftlichen Ursachen des Klimawandels die Rede ist. Sie hält den Kapitalismus für eine von einer kleinen Gruppe von Menschen ausgeübte Form personaler Herrschaft. Als emanzipatorisches Subjekt gelten die Indigenen, das Utopia ist die vormoderne Dorfgemeinschaft. Und Repräsentanten der verhassten Moderne sind Jüdinnen und Juden sowie der Staat Israel.
zum Beitrag12.11.2023 , 17:22 Uhr
Es graut mir ja jetzt schon vor der Antwort, aber erklären Sie doch bitte einmal, inwiefern die Regierung in Israel bestätigt hat, dass es sich beim Zionismus um eine „rassistische Ideologie“ handeln soll.
zum Beitrag11.11.2023 , 12:42 Uhr
„Es treffen Welten aufeinander im BE: Hier die Welt von Michel Friedman, der den Antisemitismus in Deutschland als existentielle Bedrohung empfinden muss. Dort Klein und Haldenwang, denen der Kampf gegen Antisemitismus sicherlich ein ehrliches Anliegen ist, die ihn am Ende aber offenbar doch vor allem vom Schreibtisch aus beobachten.“
Es wird prätendiert, dass es die Erfahrung ist, die den Erkenntnisvorsprung Friedmans gewährleistet. Das ist weder zutreffend noch wäre ein Primat der Erfahrung wünschenswert. Wir können die richtigen Lehren aus der Geschichte ziehen, ohne selbst die Erfahrungen gemacht zu haben. Es gibt Antisemitismustheoretiker, die den Antisemitismus nicht aus der eigenen Erfahrung kennen und ihn dennoch in seinem Ausmaß und seiner Bedrohlichkeit richtig einschätzen. Es sind leider zu wenige, aber es gibt sie. Auch vom Schreibtisch aus kann man die Lage richtig einschätzen. Der Erfahrung solch eine entscheidende Rolle zuzuschreiben, ist auch ein Mittel derjenigen, die nicht betroffen sind, sich bequem aus der Affäre zu ziehen. Gerade Felix Klein sollte man das nicht durchgehen lassen. Vor nicht allzu langer Zeit riet dieser davon ab, „jederzeit überall in Deutschland die Kippa zu tragen". Schlimm genug, dass diese Warnung ihre sachliche Berechtigung hat. Aber wie kann es sein, dass selbst der Antisemitismusbeauftragte, der das ausspricht, offenbar gar nicht wirklich versteht, was er da sagt? Jüdisches Leben ist oftmals gezwungen sich zu verstecken, wenn es nicht Gewalt auf sich ziehen will. Gibt es dazu irgendein Pendant? Ich glaube nicht. Es bedarf nicht notwendigerweise der Erfahrung, um das zu verstehen. Es hat aber mit restringierter Erfahrung zu tun, dass es immer wieder ungläubiges Staunen hervorruft, wenn Jüdinnen und Juden berichten, wie unverblümt der Antisemitismus ihnen gegenüber zum Ausdruck gebracht wird. Antisemitismus verfügt über eine gesellschaftliche Akzeptanz, die andere Formen des Ressentiments einfach nicht haben.
zum Beitrag08.11.2023 , 17:22 Uhr
"Wenn man die Demokratiebildung nur schätzt, wenn es gerade knallt, und in ruhigeren Zeiten die Mittel streicht, hat das eine schlimme Signalwirkung."
Vor allen Dingen zeigt es wie in der Bundesregierung und in den zuständigen Ministerien um die Wertschätzung politischer Bildung steht.
zum Beitrag06.11.2023 , 15:43 Uhr
„Nur die trotzkistische Gruppe Abeiter:innenmacht äußert eine erstaunliche Idee: Erst solle der Deutsche Gewerkschaftsbund zum Generalstreik aufrufen und sich dann einer globalen Intifada anschließen. Damit könne ein sozialistisches Palästina geschaffen werden, in dem Jüdinnen*Juden und Palästinenser:innen gleichberechtigt leben können.“
Der Artikel enthält Zitate von Demonstrationsteilnehmern, die mich einigermaßen fassungslos zurücklassen. Wissen die überhaupt, was im Rahmen der zweiten Intifada passiert ist? Das war eine Gewaltorgie, bei der unzählige israelische Zivilisten ermordet wurden. Der Aufruf zur Intifada kommt entweder von Antisemiten oder von Leuten, die überhaupt nicht wissen, wovon sie reden. Linke, die die Hamas unterstützen, haben sowieso den Verstand verloren. Auch diese Gedankengänge über ein „sozialistisches Palästina“ sind vollkommen realitätsfremd. Dazu muss eine Mehrzahl der Menschen das überhaupt erstmal wollen. Haben die sich überhaupt mal Meinungsumfragen angesehen oder sich wenigstens damit befasst welche politischen Kräfte in Israel und den umstrittenen Gebieten die höchste Zustimmung genießen? Allerdings braucht man sich bei Trotzkisten über so etwas nicht zu wundern. Der „gescheiterte Stalin“ (W. Huhn) hatte mit seinem großen Widersacher sehr viel mehr gemeinsam als gemeinhin angenommen wird. Unter den teilweise haarsträubenden Projektionsleistungen, die eigene Ziele in den „palästinensischen Widerstand“ hineinprojizieren, ist das „sozialistische Palästina“ wohl das Unsinnigste, was ich bisher gelesen habe.
zum Beitrag04.11.2023 , 16:31 Uhr
Die Frage, was Feldmann mit ihrer Behauptung konkret meinte, wäre tatsächlich angebracht gewesen, da ihre Argumentation, dass der deutsche Staat Juden selektiv schützt, induktiv ziemlich schwach ist. So schütze der deutsche Staat Feldman zufolge sogar leere Synagogen, während sie vor kurzem in einem jüdischen Restaurant war, das aufgrund mangelnden Schutzes schlecht besucht war. Daran anknüpfend sagt Feldmann: „Ich bin entsetzt darüber, wie Juden im Prinzip hier nur als Juden gelten können, wenn sie das rechtskonservative Vorhaben der israelischen Regierung darstellen.“ Nun schützt der deutsche Staat ja nicht nur Synagogen, sondern etwa auch jüdische Schulen. Dass nur „rechtskonservative“ Juden geschützt würden, ist eine ziemlich krude These. Es ist ja eigentlich viel schlimmer: der deutsche Staat versagt generell beim Schutz jüdischen Lebens, was deutlich wird, wenn Felix Klein Juden davon abrät, „jederzeit überall in Deutschland die Kippa zu tragen". Im israelischen Diskurs wird zwar tatsächlich kritisiert, dass Militäreinheiten zum Schutz der Siedler ins Westjordanland verlegt wurden. Allerdings ist bei begrenzten Kapazitäten selbstverständlich auch deren Verteilung Gegenstand der politischen Auseinandersetzung. Entscheidend ist aber die Behauptung, die Feldman daran anknüpft: der liberale, progressive Zionismus sei nicht mehr existent, es gäbe nur noch einen „orthodoxen Zionismus“, der „nichts mehr mit unseren westlichen Werten zu tun“ habe. Empirisch ist das natürlich unzutreffend. Selbstverständlich gibt es auch heute noch einen linken Zionismus, auch wenn seine Bedeutung leider abgenommen hat. Die Aussage zielt aber primär auch gar nicht auf die Empirie ab, sondern es ist ein weiterer erbärmlicher Versuch die normative Grundlage des Zionismus infrage zu stellen. Die einzige Bastion zum Schutz jüdischen Lebens bleibt jedoch nach wie vor der Staat Israel, so schwer ihm das auch in Hinblick auf den weltweit zunehmenden Antisemitismus fallen mag.
zum Beitrag03.11.2023 , 23:45 Uhr
„Die einzige wirksame Methode ist, der Hamas politisch das Wasser abzugraben.“
Es ist kein Zufall, dass der Artikel an diesem Punkt vollkommen vage bleibt, nachdem zuvor einige Dilemmata, vor denen Israel steht, treffend benannt wurden. Was ist denn hier konkret gemeint? Zunächst einmal findet eine politische Lösung auf der palästinensischen Seite gegenwärtig nur bei einer Minderheit Zustimmung. Es könnte längst einen palästinensischen Staat geben, wenn man in der Vergangenheit bereit gewesen wäre die absolute Mindestbedingung zu erfüllen, nämlich das Existenzrecht Israels zu akzeptieren. Es wird schon seit langem versucht, „der Hamas politisch das Wasser abzugraben“, es will aber nicht recht funktionieren. Pro Kopf wird mehr Entwicklungshilfe in dieses Gebiet gepumpt als in irgendeine andere Region der Welt. Teile dieser Mittel werden bekanntermaßen zweckentfremdet. Vor diesem Hintergrund muss zunächst einmal unterbunden werden, dass die Hamas den im Rahmen der humanitären Hilfe gelieferten Treibstoff für die Belüftung ihrer Tunnelsysteme verwendet und aus den mit EU-Mitteln finanzierten Drainagerohren Mörsergeschütze baut. Die im Rahmen des Oslo-Abkommens initiierten Versuche im Gazastreifen und der Westbank so etwas wie staatliche Institutionen zu errichten, sind jämmerlich gescheitert. Obwohl die Hamas in Gaza eine entsetzliche Terrorherrschaft errichtet hat, deren Leidtragender auch die palästinensische Zivilbevölkerung ist, verfügt sie bei eben jener Zivilbevölkerung nach wie vor über einen großen Rückhalt. Die Bildung von militanten Gruppen wird von einer Mehrheit der Palästinenser befürwortet. Vor dem 7. Oktober zeigten demoskopische Erhebungen, dass die Hamas bei freien Wahlen wohl auch im Westjordanland die Mehrheit erringen würde. Vor diesem Hintergrund eine „politische Lösung“ zu fordern, aber nicht näher auszuführen, wie diese auch nur ungefähr aussehen könnte, ist ziemlich wohlfeil.
zum Beitrag29.10.2023 , 23:05 Uhr
"Eine Enthaltung wirkt wie ein „Wegducken“, wie ein Zeichen der Gleichgültigkeit."
Dem kann ich leider nur zustimmen.
zum Beitrag29.10.2023 , 18:21 Uhr
„Die Hamas bekämpft nun aber erklärtermaßen nicht mehr die Juden, sondern die Zionisten als Besatzer.“
Tatsächlich wird in Artikel 16 der neuen Charta betont, dass man keinen Konflikt mit den Juden, sondern mit dem „Zionistischen Projekt“ habe. Nun lohnt sich ein Blick darauf, was denn damit gemeint ist. In Artikel 15 wird der Zionismus als „hostile to the Ummah’s aspirations for unity” beschrieben. Überhaupt fehlt es in der Charta nicht an Beschwörungsversuchen eines an die Umma angelehnten kollektiven Narzissmus, dem die Zionisten als spaltendes Element gegenüberstehen. Dieses Motiv des eine an für sich harmonische Gemeinschaft spaltenden Elements ist typisch für den modernen Antisemitismus. Was sonst den Juden zugeschrieben wird, gilt hier für die Zionisten. Die Bedrohung, die vom Zionismus ausgeht, wird in grellen Farben gezeichnet: so ist er angeblich „danger to international security and peace and to mankind and its interests and stability”, schon in der Präambel wird er als „anti-human“ bezeichnet. Was meint der Ausdruck „anti-human“? Wäre „inhuman“ gemeint - was immer noch problematisch wäre – dann hätte man das schreiben können. Es wurde bereits in einem Kommentar darauf hingewiesen, dass Antisemiten den Begriff „Zionist“ als Chiffre verwenden, wenn sie eigentlich die Juden meinen. Motive des modernen Antisemitismus wie das des Spalters und die Figur des Dritten sind in der Charta von 2017 erkennbar, nur ist eben von Zionisten die Rede. Teilweise liest sich die Charta von 2017, als habe man sie bewusst an den postkolonialen Jargon und den Menschenrechtsdiskurs angepasst. An mehreren Stellen werden sogar „peace and tolerance“ beschworen, was nun wirklich nicht zum Handeln der Hamas passt. Das Handeln der Hamas und die „mediale Selbstdarstellung“ führender Hamas-Funktionäre entsprechen entgegen den Beteuerungen von Joseph Croitoru sehr wohl der Charta von 1988. Auch Croitorus Erklärung der immensen Brutalität des Pogroms vom 7. Oktober ist nicht überzeugend.
zum Beitrag26.10.2023 , 19:47 Uhr
Wer Bodo Ramelow für einen Linksextremisten hält, muss ganz dringend seinen politischen Kompass neu justieren. Wenn man selbst weit rechts außen steht, sehen wohl aus subjektiver Sicht schon gemäßigte Sozialdemokraten wie Marxisten aus.
zum Beitrag26.10.2023 , 19:37 Uhr
Wenn man wie Greta Thunberg den Streikaufruf einer Gruppe wie „Palästina spricht“ empfiehlt, die das antisemitische Pogrom vom 7. Oktober mit den Worten „Heute ist ein revolutionärer Tag, auf den man stolz sein muss“ feiert, dann versteht es sich auch nicht von selbst, dass man „gegen die schrecklichen Angriffe der Hamas“ ist, wie sie ja behauptet. Jetzt ist FFF also auf das Niveau antisemitischer Verschwörungsmythen über die Medien herabgesunken. Für das Anliegen des Klimaschutzes, das in seiner Bedeutung gar nicht überschätzt werden kann, ist das einfach nur tragisch. Noch schlimmer ist, dass man damit zur stetig wachsenden Gefährdung von Jüdinnen und Juden beiträgt. Dass der deutsche Ableger sich distanziert hat, ist allerdings zu begrüßen. Das kommt aber alles auch nicht völlig überraschend. Die Einlassungen Thunbergs zu Fragen der Kapitalismuskritik waren in der Vergangenheit durch eine simplifizierende Personalisierung des Problems gekennzeichnet. Und von dieser regressiven Kapitalistenschelte, die den Kapitalismus als eine durch eine kleine Gruppe von Menschen ausgeübte Form personaler Herrschaft missversteht, und die mit einer avancierten Kapitalismuskritik herzlich wenig zu tun hat, ist es nur ein Katzensprung zum Antisemitismus.
zum Beitrag26.10.2023 , 19:14 Uhr
„In der aktuellen Phase sind die Jugendlichen extrem emotionalisiert durch die ganzen Bilder auf Tiktok oder Instagram. Da können wir ihnen nicht mit Fakten kommen. Das Einzige, was wir tun können, ist, ihre Gefühle ernst zu nehmen und sie nicht in eine bestimmte Ecke zu stellen.“
Das klingt geradezu fatal. Gerade die Fähigkeit des Ichs, auf die eigenen Projektionen zu reflektieren, sie also überhaupt als solche zu erkennen, schützt vor Ressentiments. Einen safe space zu kreieren, in dem die Jugendlichen mal schön ihre Wut rauslassen können, entspricht zwar ganz sicher dem Zeitgeist, dürfte aber eher nicht zur Ausbildung von Reflexionsfähigkeit beitragen.
zum Beitrag24.10.2023 , 19:29 Uhr
„Die Polizei hat keine glaubwürdige Verteidigung für diese Entscheidungen geliefert. Praktisch alle Absagen, einschließlich derjenigen, die von jüdischen Gruppen organisierte Versammlungen verbieten, wurden von der Polizei zum Teil mit der „unmittelbaren Gefahr“ von „volksverhetzenden, antisemitischen Ausrufen“ begründet.“
Das stimmt so einfach nicht. Bei manchen Demos waren schon in den Aufrufen Aussagen enthalten, die den Straftatbestand „Billigung von Straftaten“ (§140) erfüllen. Dann ist ein Demonstrationsverbot rechtlich geboten. Bei diversen Demos, bei denen das Verbot rechtswidrig war, wurde es auch wieder aufgehoben.
zum Beitrag23.10.2023 , 17:28 Uhr
Bloßes Benennen der Umstände wäre es, wenn eben lediglich der Zusammenhang von „Lebensumständen mit Radikalisierungsprozessen“ kenntlich gemacht wird. Die Aussage, dass Menschen aufgrund dieser Lebensumstände von Schuld freizusprechen sind („…not cast blame…“), ist hingegen eine verantwortungsethische Wertung. Diese Zusammenhänge lassen sich auch ganz problemlos ohne Schuldrelativierung ausdrücken.
zum Beitrag22.10.2023 , 21:12 Uhr
An dem „Versuch zu verstehen wie Lebensumstände mit Radikalisierungsprozessen zusammenhängen“ habe ich nicht das Geringste auszusetzen. Dieser Versuch ist ganz unzweifelhaft ausgesprochen wichtig. Wenn aber aus diesen Lebensumständen abgeleitet wird, dass Menschen einer Verantwortungszurechnung nicht in dem gleichen Maße fähig sind wie andere, dann wird es problematisch. Und selbstverständlich ist das Zitat von Gajan der Versuch zu exkulpieren.
zum Beitrag22.10.2023 , 19:26 Uhr
In Hinblick auf das von mir gewählte Beispiel ist es eigentlich recht simpel: es gibt eine emanzipatorische Kritik am Hijab und es gibt rassistisch motivierte Ablehnung. Diesen Unterschied machen die allermeisten Postkolonialen jedoch nicht, für sie ist jede Kritik am Hijab rassistisch. Das ist eine in der politischen Linken sehr weit verbreitete Auffassung. Jener Unterschied wird auch zB in dem Bericht des „Unabhängigen Expertenkreis Muslimfeindlichkeit“ nicht gemacht. Folgt man der diesem Bericht zugrundeliegenden Ratio, dann ist jedwede Islamkritik muslimfeindlich. Begründet wird das in den einschlägigen Diskursen mit dem von mir oben angesprochenen kulturrelativistischem Partikularismus. Ansonsten steckt in keinem der von Ihnen angeführten Beispiele irgendein Widerspruch, ganz davon abgesehen, dass ich Ihre Anliegen teile. Allerdings gibt es etwa in Hinblick auf den Imperialismus Putins tatsächlich eine „richtige Seite“ und von einer linken Partei würde ich erwarten, dass sie in der Lage ist sich auf diese zu stellen.
zum Beitrag22.10.2023 , 15:51 Uhr
Er fragt ja direkt im Anschluss: „Can you even imagine a similar honest statement today?” Es ist doch wohl seiner Auffassung nach insofern eine “ehrliche Aussage“, dass sie den Sachverhalt treffend zum Ausdruck bringt. Er stimmt der Aussage also zu und will eben nicht nur zeigen, „wie sich Reaktionen und Umgang mit solchen Taten auf israelischer Seite im Lauf der Zeit verändert haben“. Eine Relativierung ist das Dajan-Zitat in dem Sinne, in dem ich es in dem obigen Post beschrieben habe: die Mörder können nicht für ihr Handeln verantwortlich gemacht werden, weil sie acht Jahre in einem Flüchtlingscamp zugebracht haben. Eine Erklärung in dem Sinne, dass solche Umstände bestimmte Handlungen wahrscheinlicher machen, ist es natürlich durchaus. Aber auch acht Jahre Flüchtlingscamp exkulpieren keinen Mörder, und genau das wird ja unterstellt. Weshalb es „schräg“ sein sollte diese Aussage für eine Relativierung zu halten, nur weil sie von einem israelischen Außenminister kommt, erschließt sich mir nicht. Dass hier Dajan als Gewährsmann herangezogen wird, ist Teil der Strategie. Und das funktioniert ja ganz offensichtlich auch. Selbstverständlich relativiert Dajan, das ist keine Frage der sozialen Position, sondern eine Frage des Inhalts der Aussage. Was denn auch sonst? Ohnehin macht die soziale Position des Außenministers einen jetzt nicht notwendigerweise zu einem Experten für Verantwortungsethik.
zum Beitrag21.10.2023 , 22:50 Uhr
Ich würde die Diagnose vom Rechtsruck einfach daran knüpfen, dass die Zustimmung zu einer in Teilen faschistischen Partei zuletzt massiv zugenommen hat. Das spiegelt sich bereits in der Zusammensetzung der Landtage wider, da muss man also nichts „herbeireden“. Zudem hat die AfD auch den Diskurs an vielen Punkten nach rechts gezogen. Faschistische Parteien haben übrigens noch nie irgendwo die Mehrheit erreicht, ohne dass Konservative den Steigbügelhalter gespielt hätten. Wenn solche Bündnisse wahrscheinlicher werden, und genau das ist ja der Fall, dann darf man auch mal die Stimmen zusammenzählen und sich Sorgen machen. Die Unterscheidung zwischen „links“ und „rechts“ hat nach wie vor ihre Relevanz, weil dieses „alte Denken“ von bestimmten inhaltlichen Kriterien abhängt. Auch wenn es viele Parteien gibt, die eher Mischformen darstellen, wenn bestimmte linke Anliegen tatsächlich nahezu marginalisiert sind, oder wenn sich die communis opinio überhaupt nicht um diese Kategorien schert, ändert sich nichts an dieser Relevanz.
zum Beitrag21.10.2023 , 21:52 Uhr
Die Aussage von Mosche Dajan, die Žižek zustimmend zitiert (in der Rede beginnt der Abschnitt ungefähr ab Minute 7), ist eindeutig ein Versuch Verantwortung zu relativieren: „Let us not cast blame on the murderers today. What claim do we have against their mortal hatred of us? They have lived in the refugee camps of Gaza for the past eight years…“ Das ist nicht der berechtigte Versuch zu „verstehen“, sondern es ist eine Rechtfertigung. Dass er ungefähr zehn Mal betont nichts relativieren zu wollen, ist mir nicht entgangen.
zum Beitrag21.10.2023 , 18:10 Uhr
Bei der Dialektik kommt es darauf an wie mit den Widersprüchen umgegangen wird, ob der Widerspruch in der Synthese aufgelöst wird oder man ihn im Sinne einer negativen Dialektik stehen lässt und entlang des Widerspruchs weiter argumentiert. Richtig ist die Diagnose, dass die Linke sich unfähig zeigt bestimmte Widersprüche auszuhalten. Nur scheinen mir manche Widersprüche innerhalb der Gegenwartslinken auch nicht dazu angetan, dass man sie einfach aushält. Zwischen dem Universalismus, für den die politische Linke lange stand, und dem kulturrelativistischen Partikularismus der Postkolonialen, lässt sich nicht vermitteln. Ersterer fordert Solidarität mit den Frauen im Iran, letzterer hält Kritik am Hijab per se für rassistisch. Ähnlich verhält es sich mit individuellen Freiheitsrechten und liberaler Demokratie: weite Teile der Postmodernen halten es für Eurozentrismus eine Demokratisierung des Iran zu fordern. Raum für Kompromisse ist da nicht. Es ließen sich hier zahlreiche Beispiele für Konflikte innerhalb der politischen Linken anführen, die sich nicht einfach schlichten lassen und die auch nicht einfach so stehengelassen werden können. Die Linkspartei zeichnet es allerdings aus, dass sie sich davor scheut Konflikte überhaupt nur zu adressieren. Zu diesen Konflikten zählen auch die Haltung zu den Russlandaffinen, zum Antisemitismus, und überhaupt die Duldung von Verschwörungstheoretikern. Man hat doch all die Jahre geduldet, dass einige Abgeordnete ziemlich krudes Zeug verbreitet haben. Eine sozialistische Partei, die auch Putins Imperialismus verabscheut, die jeden Antisemitismus konsequent bekämpft, die den Querdenkern entgegentritt, würde ich wählen. Eine Sammlungsbewegung, die selbst das noch unter dem Label „links“ subsumieren möchte, wähle ich ganz sicher nicht.
zum Beitrag21.10.2023 , 17:19 Uhr
Also ich bin doch sehr für die Analyse. Es kommt halt darauf an, was bei der Analyse herauskommt. Und leider läuft die Analyse von Slavoj Žižek eben doch auf eine Relativierung von Verantwortung hinaus. Die prekäre Lage der Palästinenser wird als Erklärung dafür herangezogen, dass es zu einem antisemitischen Pogrom gekommen ist. Mit Kontext ist in seinen Ausführungen die „israelische Besatzungspolitik“ gemeint. Dass die Palästinenser schon lange ihren eigenen Staat haben könnten, dass sie dazu nur die absolute Mindestanforderung hätten erfüllen müssen, nämlich das Existenzrecht Israels zu akzeptieren, dass rund 71% der Palästinenser die Bildung von Gruppen wie dem Islamischen Dschihad befürworten, all das gehört irgendwie nicht zum Kontext. Überhaupt kommen Palästinenser im Diskurs nur als Objekte vor, nicht als einer Verantwortungszurechnung fähige Subjekte. Schuld ist auch bei Žižek implizit Israel. Inwiefern die Entstehung von Islamismus durch bestimmte Konflikte, die für den Kapitalismus charakteristisch sind, begünstigt wird, gehört offenbar auch nicht zu diesem Kontext. Der Islamismus bildet in der arabischen Kultur das Pendant zum Rechtsradikalismus in den westlichen Demokratien. Beides sind irrationale Lösungsversuche für gesellschaftlich bedingte Ohnmacht. Problematisch wird die Analyse, wenn sie zu einer Rechtfertigung verkommt: ungeachtet der gesellschaftlichen Ursachen sind die Täter für das, was sie tun, verantwortlich. Auch wenn Mohammed Deif eine fürchterliche Kindheit hatte, exkulpiert ihn das nicht im Geringsten. Genau diese Art von Relativierung der Verantwortung nimmt Žižek in seiner Rede vor. Er beginnt die Rede schon mit einem standpunktphilosophischen Relativismus in Hinblick auf die Definition von Antisemitismus, später erklärt er dessen Ausbreitung unter den Palästinensern dann mit dem vermeintlichen Analyseverbot. Analyse ist unbedingt geboten, dazu ist auch der Vergleich erforderlich. Beides ginge aber auch ohne zu relativieren.
zum Beitrag19.10.2023 , 17:21 Uhr
Den Fragen schließe ich mich an. Weshalb werden die zivilen Opfer ständig Israel angekreidet?
zum Beitrag19.10.2023 , 13:49 Uhr
Nein, es war laut IDF eine Rakete des Islamischen Dschihad.
zum Beitrag18.10.2023 , 20:51 Uhr
„Die Annahme, ohne den Holocaust wäre die Entwicklung Palestinas ohne Konflike zwischen Palestinensern, Juden und Arabern verlaufen bleibt eine Annahme.“
Sie haben Recht. In Hinblick auf die Vertreibungen von Jüdinnen und Juden aus den arabischen Staaten in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist es sogar eine gelinde gesagt überaus verwegene Annahme.
zum Beitrag18.10.2023 , 18:36 Uhr
„Wir überwinden den Kapitalismus nicht nur nicht, wir stellen ihn nicht einmal zur Diskussion.“
Das ist leider zutreffend. Man müsste allerdings ergänzen, dass sich in weiten Teilen des linken Diskurses ein ziemlich schiefer Kapitalismusbegriff durchgesetzt hat.
zum Beitrag18.10.2023 , 18:06 Uhr
Volle Zustimmung!
zum Beitrag18.10.2023 , 17:26 Uhr
„Immer mehr fühlen sich sozial abgehängt und sehen für sich keine Perspektiven. Die Corona-Pandemie hat das verschärft.“
Klar, das ist sicher richtig. Aber wenn Klaus Hurrelmann die Zustimmung für die AfD darauf zurückführt, dass die jungen Leute einen Sündenbock für ihre vertrackte Situation suchen, wäre doch erstmal zu klären, weshalb sie so darauf reagieren. Das ist ja eine höchst irrationale Reaktionsweise, ganz besonders vor dem Hintergrund, dass die AfD eine Sozialpolitik forciert, die „den Abgehängten“ ganz und gar nicht zugutekommt. Perspektivlosigkeit ist keine einleuchtende Erklärung dafür, dass Menschen eine faschistische Partei wählen. Allerdings gibt es diverse Untersuchungen, die zeigen, dass schon die Ausgangshypothese unzutreffend ist: AfD-Wähler gibt es in allen Klassen, Schichten und Milieus. Es gibt zwar graduelle Unterschiede, dennoch lässt sich das Problem so nicht hinreichend erklären. Hier wäre zu spezifizieren, ob es sich um reale ökonomische Faktoren geht, oder eher darum, dass „insgeheim wahrscheinlich die Mehrheit der Menschen sich als potentielle Arbeitslose [fühlt]“ (Adorno). Auch der Bildungsstand, auf den ja immer wieder rekurriert wird, ist zwar nicht völlig unerheblich, aber auch nicht so ausschlaggebend wie oftmals prätendiert wird. Es handelt sich hier um ein gesamtgesellschaftliches Problem, Versuche es gewissermaßen zu „soziologisieren“ gehen fehl. Und das gilt eben auch in umgekehrter Richtung: die „progressive Jugend“ ist ein Mythos. Neu sind im Übrigen auch nicht die Ressentiments, denen die AfD Ausdruck verleiht. Die haben zwar eine gewisse Konjunktur, aber wer sich Untersuchungen aus der Nachkriegszeit oder den 90er Jahren ansieht, stößt auf ein ähnliches Maß an Ressentiments. Es ändert sich aber durchaus die Form, in der diese sich ausdrücken.
zum Beitrag18.10.2023 , 14:30 Uhr
„Für palästinensische Stimmen gab es in Deutschland schon vor den aktuellen Ereignissen kaum Freiräume; jetzt drohen sie ganz zu verschwinden.“
Es gibt Analysen der Berichterstattung, die zeigen, dass etwa während des Gazakonflikts 2012 ¾ der Medienberichte in Deutschland Israel einseitig als Aggressor dargestellt haben. Vor dem Terrorangriff vom 7. Oktober 2023 war auch die Berichterstattung in der taz überwiegend propalästinensisch. Zumindest an Fürsprechern mangelt es den Palästinensern nun wirklich nicht.
„Für jene, die friedlich für ein Ende der Gewalt demonstrieren wollen, muss die Meinungs- und Versammlungsfreiheit uneingeschränkt gelten. Wir sollten ihnen zuhören.“
Selbstverständlich müssen Palästinenser „friedlich für ein Ende der Gewalt demonstrieren“ dürfen. Nur liegt genau da der Hund begraben: weder die Demonstrationen der letzten Tage noch die Veranstaltungen, die regelmäßig verboten werden, zielen auf ein Ende der Gewalt. „From the river to the sea, Palestine will be free“ ist noch das Harmloseste, was auf diesen Demos skandiert wird. Und es muss doch jeder wissen, dass damit das Existenzrecht Israels geleugnet wird. Man braucht sich auch nur mal die Äußerungen anzuhören, die von Organisationen wie „Palästina spricht“ in schöner Regelmäßigkeit getätigt werden. Da ist die Leugnung des Existenzrechts Israels fester Bestandteil der Ideologie. Es ist eine absurde Überreaktion, wenn jetzt an Schulen die Kufiya verboten wird. Trotzdem darf man solchen Überreaktionen nicht wieder die althergebrachte Verniedlichung des „palästinensischen Widerstands“ entgegensetzen, die völlig von den Inhalten absieht, die dieser propagiert. Gemäßigte Stimmen sind innerhalb der Palästinenserorganisationen marginalisiert und das liegt auch daran, dass man ihnen in weiten Teilen der politischen Öffentlichkeit vollkommen unkritisch zugehört hat, anstatt sich mal zu fragen, ob mit „from the river to the sea…“ nicht genau das gemeint ist, was damit ausgedrückt wird.
zum Beitrag16.10.2023 , 23:59 Uhr
Der Vergleich ist halt völlig schief, weil er komplett von den Zielen der Hamas und ihrem Antisemitismus absieht. Die IRA hat sich zu keinem Zeitpunkt die Vernichtung der Briten und ihres Staates auf die Fahnen geschrieben und es gibt auch keine mit dem Antisemitismus vergleichbare Ideologie, die so etwas fordern würde.
zum Beitrag16.10.2023 , 16:32 Uhr
Auf Sinti und Roma wird genau wie auf von Rassismus betroffene Menschen heruntergeblickt, sie werden in der Ideologie für minderwertig gehalten. Jüdinnen und Juden gelten hingegen im Antisemitismus als die Herrschenden, sie werden als Personifizierung bestimmter Strukturprinzipien kapitalistischer Herrschaft bekämpft. Darin liegt auch die Affinität der Linken zum Antisemitismus begründet: Rassismus und die meisten anderen Formen des Ressentiments werden sie auf der linken Seite des politischen Spektrums nur äußerst selten finden, Antisemitismus ist hingegen diejenige Form des Ressentiments, die sich auch Linke gestatten. Der „ehrbare Antisemit“ (Amery) hält sich für einen aufrechten Freiheitskämpfer. Hier würde ich Ihnen und Caspar Shaller entschieden widersprechen: es besteht im öffentlichen Diskurs gerade die überaus problematische Tendenz Antisemitismus auf ein genuin rechtes Phänomen zu reduzieren. Während auch von Rassismus betroffene Menschen als „spaltendes Element in der (Volks-)Gemeinschaft“ wahrgenommen werden, gelten sie nicht in dem gleichen Maße als Personifizierung der Verwerfungen der Moderne. Rassismus oder Antiziganismus können zur Vernichtung führen, Antisemitismus läuft seiner immanenten Logik entsprechend zwangsläufig auf die Vernichtung hinaus. Ich würde aber auch auf zentrale Unterschiede in der „Logik“ von Rassismus und Antiziganismus hinweisen. Etwa der Status der Sinti und Roma als „Volk ohne Nation“ hat Folgen für die spezifische Ausgestaltung des Ressentiments.
zum Beitrag16.10.2023 , 15:34 Uhr
Insbesondere dem letzten Absatz kann man nur nachdrücklich zustimmen. Wichtig wäre auch die Fehler in der Iran-Politik der letzten Jahrzehnte konsequent aufzuarbeiten. Es ist ja jetzt nicht so, dass der verbrecherische Charakter des Regimes erst vor kurzem offensichtlich geworden wäre. Die Gräueltaten und den Antisemitismus des iranischen Regimes hat man lange ignoriert. Dafür gibt es auch ideologische Gründe.
zum Beitrag15.10.2023 , 23:43 Uhr
„Ein von einer modernen staatlichen Bürokratie mitorganisierter industrieller Massenmord an sechs Millionen Menschen ist einzigartig.“
Präzedenzlos ist der Holocaust, weil in ihm die Vernichtung Selbstzweck war, was ihn von genozidalen Verbrechen, denen eine ökonomische oder kriegsstrategische Motivation zugrunde liegt, unterscheidet. Ideologische Grundlage für die Shoah war der Erlösungsantisemitismus, der Jüdinnen und Juden als „spaltendes Element“ in einer an für sich der Harmonie zustrebenden (Volks-)Gemeinschaft imaginiert. Dabei dienen Jüdinnen und Juden als Projektionsfläche für die der Moderne inhärenten Verwerfungen. Es besteht die irrsinnige Vorstellung mit ihrer Vernichtung das Gleichgewicht in einer zerrütteten, Gefühle der Ohnmacht evozierenden Gesellschaft wiederherstellen zu können. Problematisch ist in Hinblick auf die Singularität nicht der Vergleich, sondern die immer wieder mit dem Mittel des Vergleichs betriebene Relativierung. Die These, dass es irgendeine Tabuisierung des Vergleichs gäbe (so bekanntlich Rothberg und Zimmerer), ist vollkommen hanebüchen. Teile der Holocaustforschung machen nichts anderes als zu vergleichen und kommen dann schlussendlich zu der Konklusion, dass die Shoah präzedenzlos ist, was im Übrigen nicht bedeutet, dass sie sich nicht wiederholen könnte. Wenn nun eine Bande von Antisemiten, die in ihrer Charta von „unser[em] Kampf mit den Juden“ schwadroniert und „Die Protokolle der Weisen von Zion“ für eine zitierfähige Quelle hält, ein barbarisches Pogrom an Israelis anrichtet, dann drängt sich der Vergleich durchaus auf. Den kann man nämlich sehr wohl ziehen, ohne dabei die Verbrechen der Nationalsozialisten zu relativieren.
zum Beitrag11.10.2023 , 23:53 Uhr
Es mag „eigentlich kaum denkbar“ scheinen, dennoch spricht einiges dafür. Folgendes schrieb Stefan Frank 2018:
„Heute fließt Monat für Monat für Monat Geld aus der EU an die PLO („Palästinensische Autonomiebehörde“) und, über den kleinen Umweg des UN-Palästinenserhilfswerks UNRWA, an die Hamas.“
jungle.world - Ein 15-Millionen-Jackpot für die Hamas
In dem Artikel wird auch von einer Millionenzahlung Katars an die Hamas berichtet, die von Israel gebilligt war, weil man sich davon erhoffte, dass es die Hamas beruhigen würde. Es gibt auch seit geraumer Zeit einen Streit zwischen Innenministerium und Auswärtigem Amt über sechs NGOs, die von Israel auf die Terrorliste gesetzt wurden, weil sie die PFLP finanziert haben sollen. Während das Innenministerium die Vorwürfe Israels für glaubwürdig hält, werden sie vom Innenministerium zurückgewiesen (vgl. Schult, Christoph/Wiedmann-Schmidt, Wolf: „Wurden mit deutschen Steuergeldern Anschläge in Israel verübt?“, Spiegel Online, 28.07.23).
zum Beitrag11.10.2023 , 14:36 Uhr
Es liegt eine gewisse Zwangsläufigkeit darin, dass die Form einen bestimmten Inhalt annimmt.
zum Beitrag10.10.2023 , 15:54 Uhr
Die Forderung nach dem Schutz jüdischen Lebens zeigt schon in welch entsetzlichem Status Quo wir es uns gemütlich gemacht haben. Mit Kippa im falschen Stadtteil unterwegs zu sein, gilt als waghalsig bis lebensmüde. Jüdisches Leben sollte auch ohne Polizeischutz möglich sein.
zum Beitrag10.10.2023 , 15:38 Uhr
Es ist zwar zu befürworten, dass sich die taz endlich mal darum bemüht solche Gruppen wie Samidoun in den Blick zu nehmen, dennoch darf sich die Diskussion nicht wieder darauf verengen. Ich saß gestern den ganzen Tag fassungslos vor dem Bildschirm und habe Tweets von Postkolonialen und Antiimperialisten aus aller Welt gelesen, die sich vor Begeisterung gar nicht mehr einkriegen. Wenn nicht geringe Teile der politischen Linken marodierende Horden von Islamisten, die ein antisemitisches Pogrom begehen, für Genossen im antikolonialen Befreiungskampf halten, dann braucht man sich auch nicht zu wundern, dass es um die Linke und ihre Kämpfe nicht allzu gut bestellt ist.
zum Beitrag08.10.2023 , 16:28 Uhr
Ich stimme zu. Im Augenblick läuft es auf Jim Jordan heraus, das wäre definitiv schlimmer als McCarthy. Das Kalkül, das für die Demokraten ausschlaggebend sein müsste, ist doch recht simpel: ist zu erwarten, dass es nach McCarthy besser wird oder nicht? Die Demokraten sind davon ausgegangen, dass es besser wird. Die Annahme ist angesichts dieser Republikanischen Partei durchaus kühn.
zum Beitrag08.10.2023 , 15:42 Uhr
Adorno gehörte nicht zu den Gründungsmitgliedern des Instituts.
zum Beitrag06.10.2023 , 16:07 Uhr
Wenn Pandemie herrscht, werden die krudesten Verschwörungsmythen verbreitet, aber wehe der AfD-Politiker spürt einen Pikser im Arm, da geht es dann gleich ins Krankenhaus. Diese Typen haben kein Schamgefühl.
zum Beitrag06.10.2023 , 13:18 Uhr
Nein, laut Chrupallas Büro. Also noch unglaubwürdiger. Trotzdem haben das diverse Medien einfach so übernommen. "Intensivstation" wurde dann später auf "intensivmedizinische Betreuung" runterkorrigiert. Tatsächlich war er auf einer Beobachtungsstation, um im Fall einer Vergiftung schnellstmöglich reagieren zu können, was eben nicht heißt, dass es mehr war als eine Panikattacke oder die Selbstverletzung eines Paranoikers mit einer Pinnwandnadel.
zum Beitrag04.10.2023 , 15:30 Uhr
Es wäre im Rahmen der Analyse hilfreich die unterschiedlichen Klassenbegriffe zu trennen. Wird heute von Klasse gesprochen, dann ist damit in der Regel ein an Bourdieu angelehnter Klassenbegriff gemeint. Bourdieus empirischer Klassenbegriff ist mehrdimensional und unterscheidet sich fundamental vom Marxschen Klassenbegriff. Der formanalytische Klassenbegriff Marxens ist durch die Stellung zu den Produktionsmitteln bestimmt. Beide Klassenbegriffe haben ihre Berechtigung.
„…doch in den vielen Herkunft-und-Scham-Erzählungen geht es viel eher um Anerkennung als ums große Ganze.“
Dass der heutige Klassendiskurs tatsächlich um Fragen der Anerkennung kreist, verweist auf grundsätzliche Probleme der Gegenwartslinken. Für die identitäre Linke ist das Ziel eben nicht mehr die klassenlose Gesellschaft: nicht die Armut soll überwunden werden, sondern ihre Stigmatisierung. Die materiellen Verhältnisse bleiben indes unangetastet. Es ist zum Heulen.
zum Beitrag01.10.2023 , 12:30 Uhr
„Die Produktion würde sich am wahren Bedarf der Menschen orientieren und nicht an künstlich geschaffenen Marketingversprechen.“
Die Produktion orientiert sich im Kapitalismus nicht an „künstlich geschaffenen Marketingversprechen“, sondern Zweck der Produktion ist Verwertung des Werts. Befriedigt wird nur das zahlungsfähige Bedürfnis und das würde sich unter den Bedingungen einer Degrowth-Ökonomie überhaupt nicht ändern. Wachstum ist ein Oberflächenphänomen, Ausdruck der Kapitalakkumulation. Dass es sich dabei nur um den „bewußte[n] Ausdruck der scheinbaren Bewegung“ (MEW 25: 324) handelt, bleibt der Wachstumskritik genauso verborgen wie die Mechanismen, denen die Reproduktion von Reichtum unterliegt. So wirklich will man aber den Reichtum gar nicht antasten, wenn man zwar „die Schere zwischen armen und reichen Menschen innerhalb eines Landes und auch zwischen Staaten schließen“ will, zugleich aber die „Macht von Wirtschaft und Macht von Wirtschaft und Milliardär*innen“ lediglich abnehmen soll, was ja bedeutet, dass es weiterhin Milliardäre gibt. Also schließt sich die Schere wohl eher nicht, oder? Geht natürlich auch gar nicht mit Degrowth. Letzten Endes läuft diese unausgegorene Pseudo-Utopie darauf hinaus den Menschen den abzusehenden Sozialabbau der nächsten Jahrzehnte schönzureden. Die subjektivistische Methodik, die darin bestehen soll, dass „wir die Einstellung in unseren Köpfen ändern“, ist der bürgerlichen Rationalität abgelauscht: jeder ist seines Glückes Schmied, ob auf dem Arbeitsmarkt oder beim Klimaschutz.
zum Beitrag01.10.2023 , 02:16 Uhr
Irgendwie bleibt der eigene Bedarf, den Millionen von Menschen für sich definieren, dennoch unbefriedigt. Komisch eigentlich.
zum Beitrag26.09.2023 , 15:11 Uhr
„Feministisch wurden einfach auch alternative Antworten (wie intersektionelle Perspektiven) gefunden, die eben auch Klasse, Kapitalismus, Materialität etc. denken und analytisch einfangen können, ohne sich eben auf Marx beziehen zu müssen.“ Leider ist es ohne Marx überhaupt nicht möglich den Kapitalismus „analytisch einzufangen“. Die queer theory versteht genauso wenig wie der orthodoxe Marxismus worauf der gute Marx eigentlich hinauswill. Ohne Kategorien wie etwa Wert, Ausbeutung, abstrakte Arbeit oder Fetischismus ist der Kapitalismus gar nicht zu begreifen. Ansätze wie die „intersektionellen Perspektiven“ sind der Marxschen Theorie diametral entgegengesetzt: sie denken die Herrschaftsmechanismen vom Individuum aus. Etwa der sich im Kapitalismus aus der Verselbständigung eines gesellschaftlichen Strukturzusammenhangs ergebende Strukturprimat, das Problem der Totalität, oder die ganze Entfremdungsproblematik werden ignoriert. Letztere ist für den Marxschen Materialismus aber sehr entscheidend: zumindest teilweise ist es eine Art Materialismus auf Widerruf. Marxens Materialismus resultiert auch aus der „Versubjektivierung der materiellen Grundlagen der Produktion“ (MEW 25: 887), die irgendwann mit dem Kapitalismus abgeschafft werden soll. Das Kapital enthält aus gutem Grund keine Theorie der Carearbeit, denn es bewegt sich auf einer derart abstrakten Ebene, dass die spezifisch historischen Formen der Carearbeit gar keine Berücksichtigung finden können. Es gibt natürlich diverse Mechanismen der sozialen Reproduktion, die bei Marx keine Rolle spielen. Hier wird eine bestimmte historische Konfiguration des Kapitalismus (etwa die geschlechtliche Arbeitsteilung) mit dem Kapitalismus in seinem idealen Durchschnitt konfundiert. Eben weil „[d]ie geschlechtliche Arbeitsteilung und die rechtliche Regelung darüber, was als Familie gelten darf,“ sich im Postfordismus von der fordistischen Massenproduktion unterscheiden, braucht Marx darauf nicht einzugehen.
zum Beitrag24.09.2023 , 23:25 Uhr
"Wer den Leuten jeden Tag erzählt, dass die Flüchtlinge ihr größtes Problem seien, nährt zweifellos den Wunsch nach durchschlagenden Lösungen, wenn die Zahlen nicht zurückgehen."
So gefährlich dieses Verhalten der Politiker auch ist, so sind die Leute, von denen hier die Rede ist, mündige Subjekte und keine willfährigen Kleinkinder, die sich von der Politik diktieren lassen, wem gegenüber sie Ressentiments zu empfinden haben. Die Krux ist, dass sich die Rechten tatsächlich wie die bösartigen Kleinkinder aufführen, als die man sie keinesfalls behandeln darf.
"Dass dies ihresgleichen – etwa in Italien oder Österreich – nicht gelingt, weil sich Migration nur schwer kontrollieren lässt, spielt für die Wahrnehmung der AfD hierzulande noch keine Rolle. Die Union weiß das."
Es scheint -nicht nur bei der Union – der Glaube vorzuherrschen, dass eine restriktivere Migrationspolitik den Zulauf zur AfD verringern würde. Dabei deutet wenig darauf hin, dass das überhaupt so ist. Ich frage mich, ob die Verfechter solcher Ideen sich mal die Reden auf einem AfD-Parteitag angesehen oder die Kommentare in den einschlägigen Internetforen durchgelesen haben. Da geht es weniger um eine restriktive Migrationspolitik als um Soros, „great reset“ oder „Umvolkung“. Die wollen eine Art Kulturrevolution und ein Strafgericht gegenüber all jenen, die sie als Teil der von ihnen herbeiphantasierten Verschwörungen sehen. Damit können demokratische Parteien gar nicht wirklich konkurrieren, das einzig wirksame Gegenmittel wäre die entschiedene Bekämpfung der antidemokratischen Tendenzen. Bis jetzt hat man das aber noch gar nicht ausprobiert, die bevorzugte Verfahrensweise ist Anbiederung. Dabei werden inhaltliche und sprachliche Annäherung der Union ihre Wähler nicht zurückbringen. Damit werden aber die Inhalte und die Sprache normalisiert. Und wenn dann in ein paar Jahren die ersten Koalitionen auf Landesebene im Raum stehen, ist schon alles dafür sorgsam vorbereitet. Zumindest das weiß die Union.
zum Beitrag23.09.2023 , 17:52 Uhr
„Doch eines zeigt sich immer deutlicher: Klimaprotest muss stören, damit er etwas bewirkt.“
Und inwiefern zeigt sich das? Der Protest stört ja die meisten Menschen ganz gewaltig, was sich auch in den miserablen Umfragewerten der LG ausdrückt. Zugleich konzediert die Autorin, dass die Politik bisher weitgehend untätig bleibt. Und jetzt soll ein Mehr von der Protestform, deren geringe Zustimmungswerte von Seiten der phlegmatischen Politiker sogar als Bestätigung ihres Vorgehens gewertet werden könnten, etwas bewirken? Das angebliche Funktionieren der Methode wird einzig und allein an der Aufmerksamkeit festgemacht. Wie die Demoskopie zeigt, richtet sich aber die Aufmerksamkeit vor allem auf die unbeliebte LG und nicht auf deren (gar nicht mal so radikale) Ziele. Die Aufmerksamkeit richtet sich nicht auf die Klimakrise, sondern auf die Aktivisten. Und solche Aufmerksamkeit wird nicht viel nützen, ohne die Zustimmung der Mehrheit der Bevölkerung wird es nicht gehen. Die Zustimmung zum Klimaschutz scheint durch die Aktionen der LG aber eher zu erodieren. Und die Äußerungen von LG-Vertretern zeigen ja, dass die glauben, dass die Aufmerksamkeit irgendwie in Zustimmung umgemünzt werden kann, was sich nun wirklich nicht abzeichnet. Die LG wirkt auf mich überaus narzisstisch, denn in erster Linie scheint es um die Erfahrung der Selbstermächtigung zu gehen. Zudem trägt das Ganze Züge von Pseudo-Aktivität: Hauptsache man tut etwas, ganz egal ob es hilfreich ist oder nicht. Diese dogmatische Abdichtung gegenüber dem Argument, die für die LG charakteristisch ist, findet man leider in der gesamten postmodernen Linken.
zum Beitrag21.09.2023 , 19:57 Uhr
„Es reicht nicht, dafür die Dauerkrisen anzuführen, die derzeit diese Gesellschaft fordern – die Pandemie, der Krieg, die Klimakrise. Nichts davon muss zwangsläufig in den Rechtsextremismus führen.“
Es gibt überhaupt rein gar nichts, was zwangsläufig in den Rechtsextremismus führt, so wie es auch keine Zwangsläufigkeit gibt, aufgrund derer Rechte auf ewig rechtsextrem bleiben müssen. Wenn die gesellschaftlichen Gründe des Rechtsextremismus angeführt werden, dann handelt es sich dabei um Faktoren, die bestimmte Entwicklungen begünstigen. Eine absolute Notwendigkeit besteht dabei aber natürlich nicht. Ontologische oder naturbedingte Notwendigkeiten gibt es da sowieso nicht, obwohl es ja auch in der Autoritarismusforschung nicht an solch fragwürdigen Theorien mangelt.
„Der Befund, dass Zeiten der Unsicherheit eine Sehnsucht nach Sicherheit und einfachen Antworten befördert, ist schnell gemacht. Aber nur ein Drittel der Befragten erklärt, selbst von Krisen betroffen zu sein.“
Krisen stärken nicht einfach die „Sehnsucht nach einfachen Antworten“, sondern sie stellen die Psyche des bürgerlichen Subjekts vor gewisse Herausforderungen, auf die manche Menschen, begünstigt durch bestimmte charakterliche Dispositionen, in einer bestimmten Form reagieren. In dem durchaus lesenswerten Interview, dass die taz heute Morgen mit Oliver Decker geführt hat, beschreibt dieser inwiefern eine Wirtschaftskrise von manchen als narzisstische Kränkung aufgefasst wird. Diese Art von Betroffenheit inhäriert aber eben nicht unbedingt eine reale ökonomische Betroffenheit.
zum Beitrag21.09.2023 , 19:19 Uhr
Es hätte zwar in der Tat einen Hinweis darauf gebraucht, dass sich in anderen Ländern gerade ähnliche Entwicklungen vollziehen wie die in der jüngsten Mittestudie beschriebene Radikalisierung in Deutschland. Damit ist aber nicht gesagt, dass die von Oliver Decker angesprochene, libidinös an das Wirtschaftswunder gebundene „Schicksalsgemeinschaft“, nicht durchaus existiert. Es werden von ihm ja neben der Demokratie auch Kultur oder militärische Erfolge angeführt, die eine solche Funktion erfüllen können. Psychologisch hat da ohnehin der innig geliebte Fußballverein die gleiche Rolle wie etwa die Nation oder die Religionsgemeinschaft. Das Problem ist eher, und damit mag dann ein Fokus auf bestimmte nationale Besonderheiten zusammenhängen, dass die von Decker beschriebenen Phänomene auf eine bestimmte Gesellschaftsordnung zurückverweisen. Dass überhaupt eine gewisse Prädisposition dazu besteht, sich an solche kollektivnarzisstischen Gemeinschaften zu heften, resultiert aus spezifischen Konflikten, denen die Subjekte unter bestimmten gesellschaftlichen Umständen systematisch ausgesetzt sind. „Vergangene Ideologiefragmente, aktuelle Wut und eigene Lebensbedingungen“ sind nicht einfach nur „verschränkt“. Welchen gesellschaftlichen Bewegungsgesetzen unterliegen denn überhaupt die Lebensbedingungen? Decker scheint sich das so vorzustellen, wie die Intersektionalitätsforschung sich Herrschaftsmechanismen vorstellt: das existiert halt alles nebeneinander und überkreuzt sich im Individuum.
zum Beitrag20.09.2023 , 14:33 Uhr
„Dass die Klimakrise aber ein kapitalistisches Geschäftsmodell ist, das wiederum wird von den Fridays chronisch unterbewertet (…).“
Nur spiegelt sich besagter Antikapitalismus in den Zielen der LG nicht im Geringsten wider. Ohnehin stehen die Forderungen in einem bemerkenswerten Missverhältnis zu den Protestformen. Das ist für weite Teile der Gegenwartslinken charakteristisch: revolutionärer Gestus nebst reformistischem Inhalt. Und das ist auch insofern kein Wunder als sich die Abschaffung der kapitalistischen Produktionsweise nicht mal ansatzweise abzeichnet. Leider fehlt aber den meisten Linken nicht nur ein Begriff jener Produktionsweise, sondern es wird auch die eigene geschichtliche Stellung nicht zureichend reflektiert. Noch das inzwischen geradezu ubiquitäre Gefühl der Ohnmacht wäre aus der Verkrustung der gesellschaftlichen Totalität zu deduzieren, anstatt in Resignation zu verfallen oder sich mit den aus relativ sinnlosen Protestaktionen resultierenden Erfahrungen von Selbstermächtigung zu begnügen. Was von Seiten der meisten Klimaaktivisten zu dem Thema zu hören ist, klingt für mich ohnehin eher nach Kapitalistenschelte als nach Kapitalismuskritik. Ich wäre grundsätzlich zwar auch sehr dafür die Nutzer von Privatjets höher zu besteuern, nur sollte man sich nicht einbilden, dass solche Maßnahmen in irgendeiner Form antikapitalistisch sind. Um auf die Abschaffung des Kapitalismus zu warten, fehlt uns allerdings auch einfach die Zeit. Gegenwärtig sind wir an einem Punkt angelangt, an dem es schon als Erfolg zu werten wäre, wenn der ideelle Gesamtkapitalist auch nur ansatzweise seiner Aufgabe nachkäme, indem er die Bedingungen des ungehinderten Äquivalententauschs auch für die Zukunft sichert. Der Zeitdruck ist inzwischen so immens, dass man innerhalb der bestehenden Gesellschaftsordnung zu Lösungen kommen muss. Wer verstehen will wie es überhaupt so weit kommen konnte, benötigt trotzdem einen Begriff der kapitalistischen Produktionsweise.
zum Beitrag20.09.2023 , 13:35 Uhr
Vor ein paar Monaten genoss die Klimabewegung jedenfalls einen deutlich höheren Rückhalt in der Bevölkerung.
zum Beitrag19.09.2023 , 16:48 Uhr
Ich habe die Sendung auch gesehen. Dieser gesamte gestrige ARD-Themenabend war ein einziges großes Fest der Verharmlosung. Das geht schon damit los, dass Ingo Zamperoni die Lega Nord für eine ganz normale konservative Partei zu halten scheint.
zum Beitrag19.09.2023 , 15:27 Uhr
Genau diese Strategie wird doch schon lange gefahren. Die CDU macht der AfD ständig Zugeständnisse und auch bei den Ampelparteien scheint man zu glauben, dass man die Rechten vor allem mit Asylrechtsverschärfungen und dergleichen bekämpfen kann. „Den Menschen zuhören und ihnen entgegenkommen“ beschreibt leider ziemlich genau die Strategie der demokratischen Parteien. Und was hat das bisher gebracht? Die Umfrageergebnisse der AfD gehen gerade durch die Decke. Und das ist ja auch kein Wunder: der Kurs der AfD wird mit diesem „Entgegenkommen“ ja implizit bestätigt, gewählt wird dann am Ende natürlich das „Original“. Genau diese Strategie haben etwa Hugenberg und seine DNVP gegenüber den Nationalsozialisten verfolgt. Wohin das geführt hat, dürfte bekannt sein. Man sollte zuerst mal damit aufhören Entschuldigungen für diejenigen zu finden, die eine in Teilen faschistische Partei wählen. Die Menschen sind für das, was sie in der Wahlkabine tun, voll und ganz verantwortlich zu machen. Und wenn sie dumme politische Entscheidungen treffen, die letzten Endes katastrophale Folgen haben können, dann sollte man ihnen das auch auf den Kopf zu sagen.
zum Beitrag10.09.2023 , 15:57 Uhr
Wie bereits kritisiert wurde, ist es ziemlich verstörend, dass Peter Unfried in Hinblick auf "die Realität des 21. Jahrhunderts" einerseits zu Recht "die liberaldemokratischen Errungenschaften" in Gefahr sieht, andererseits jemanden wie Elon Musk abfeiert, der ja gerade zu denjenigen gehört, vor denen man jene Errungenschaften verteidigen muss. "Kollektivität als blinde Wut des Machens" (Adorno, Sur l'eau) ist nach wie vor das bestimmende Motiv in den Texten von Unfried. Hinter der liberalen Fassade verbirgt sich Ranküne gegen den Geist.
zum Beitrag08.09.2023 , 03:58 Uhr
Vielen Dank für diesen hervorragenden Artikel!
zum Beitrag05.09.2023 , 20:10 Uhr
Gerade der Umgang Aiwangers mit dem Skandal gibt zu denken. Parallel zur Entschuldigung erfolgen so viele Relativierungsversuche, dass überhaupt nicht mehr klar wird wofür sich Aiwanger überhaupt entschuldigt. Zudem wird sich in der Debatte viel zu wenig auf die fürchterliche Reaktion seiner Partei fokussiert, die sich geschlossen hinter ihn stellt. Ob wirklich "nur" aus Machtkalkül oder aus fester Überzeugung, weil man das Ganze ja eigentlich gar nicht so schlimm findet, ist nicht klar. Richtig ist auch der Hinweis auf den Hang zur Symbolpolitik, der in Hinblick auf den gesamten Rechtsruck der letzten Jahre von Bedeutung ist. Antifaschistische Initiativen werden kriminalisiert und bei der Autoritarismusforschung wird als allererstes der Rotstift angesetzt, wenn es Geld einzusparen gilt. Aber eine öffentlichkeitswirksame Kranzniederlegung oder ein spektakulärer Tweet gegen Rechts gehen immer. Selbst Mendels Beobachtung einer Ritualisierung der Diskussion ist zutreffend, auch wenn Mendel selbst ansonsten mit seinen Beiträgen zur Diskussion über (insbesondere den israelbezogenen) Antisemitismus bisweilen eher zur Verharmlosung des Problems als zu seiner Bekämpfung beiträgt. Diese Ritualisierung hat aber nicht nur damit zu tun, dass es selbst unter Linken erschreckend viele „Schlussstrich-Forderer“ gibt, sondern auch damit, dass sogar unter den "Wächtern der Erinnerungskultur" eine höchst oberflächliche Form der Erinnerung bevorzugt wird, die sich gar nicht so sehr um die gesellschaftlichen und sozialpsychologischen Gründe dafür schert, weshalb die Deutschen sich auf die antisemitische Katastrophenpolitik eingelassen haben und weshalb die Tendenz dazu in der Gegenwart fortlebt.
zum Beitrag04.09.2023 , 20:17 Uhr
Wie bereits mit Recht angemerkt wurde, wirkt der Artikel tatsächlich ein wenig aus der Zeit gefallen. Die rechtsradikalen Gruppierungen haben die AfD doch schon lange gekapert. Gegenwärtig ist das eine teils rechtspopulistische, teils offen faschistische Partei. Die AfD hat sich mehrmals verpuppt und in der Folge kam jedes Mal etwas noch rechtsradikaleres heraus. Weiter nach rechts geht es nur noch marginal, aber auch das wird wohl kommen. Die Metamorphosen enden dann bei einem Parteivorsitzenden Höcke und bei waschechtem Faschismus. Parallel zur Radikalisierung der Partei vollzieht sich eine extrem problematische Normalisierung. Die demokratischen Parteien sträuben sich seit Jahren gegen eine konsequente Bekämpfung dieser Partei. Lieber werden ihr inhaltliche Zugeständnisse gemacht. Irgendwie glaubt man die Rechten am besten mit der programmatischen Anpassung bekämpfen zu können, etwa mit Verschärfungen des Asylrechts. Und Leute wie Lanz und Maischberger wähnen sich gerade darin als gute Demokraten, dass sie den Demokratiefeinden eine Bühne bieten. Es sieht wirklich düster aus. Um auf Verbindungen der AfD zur Identitären Bewegung hinzuweisen, weil sich darin eine Radikalisierung abzeichne, die tatsächlich schon lange vollzogen wurde, ist es zu spät.
zum Beitrag04.09.2023 , 16:01 Uhr
Ein exzellenter Text. Das zugrundeliegende Problem der Standpunktphilosophie wird gleich zu Beginn angesprochen: es wird "der Zugehörigkeit – oder Nichtzugehörigkeit – zu einer Gruppe mehr Bedeutung zugemessen wird als dem Inhalt des Gesagten". In den vulgärmarxistischen Theorien nannte man das den "Klassenstandpunkt". Hinzu gesellt sich auch hier ein erkenntnistheoretischer Relativismus, der Primat der Erfahrung gegenüber der Theorie, und ein gelinde gesagt schwieriges Verhältnis zur Kritik. Wo es gar nicht mehr darum geht einen Text auf seine Wahrheit hin zu befragen, fokussiert man sich halt nur noch darauf wer ihn geschrieben hat. Ich würde stattdessen doch eher für "die rücksichtslose Kritik alles Bestehenden" (Marx, MEW 1: 344) plädieren. Im Gegensatz zum Canceln besteht da wenigstens die abstrakte Möglichkeit, dass sich mal etwas verbessert.
zum Beitrag27.08.2023 , 17:13 Uhr
Ich wäre sehr dafür, dass Denker wie Kant "wieder mehr gelesen und dabei in ihrer Vielschichtigkeit und Ambivalenz wahrgenommen werden sollten". Dies hieße dann etwa kenntlich zu machen, dass sich bei Kant einerseits sehr wohl Rassismus finden lässt, sein Universalismus aber andererseits die normative Grundlage dafür liefert Rassismus zu bekämpfen. Und an diesem Punkt stößt man bei weiten Teilen der Gegenwartslinken dann tatsächlich an eine identitätspolitische Grenze. Näher als dem Kantischen Universalismus und seinem Begriff der Menschheit liegt vielen Linken inzwischen der Partikularismus eines Carl Schmitt. Es ließen sich neben dem Partikularismus noch andere Punkte nennen, an denen insbesondere die postmoderne Linke konservative Positionen vertritt, so etwa ethischer Kollektivismus, Kulturalismus, Irrationalismus oder Romantik. Damit ist nicht gesagt, dass nicht etwa die Betonung des Gefühls gegen die Vernunft durchaus ein gewisses Recht haben kann. Trotzdem führt eine romantische Vernunftfeindlichkeit notwendigerweise zu regressiven Formen der Politik. Und wenn im Namen des Antirassismus in der taz eine "Politik der Wut" gefordert wird, dann liegt hier in Hinblick auf die theoretische Grundlage der Überlegungen schon einiges im Argen. Die tatsächlich höchst wirkmächtigen "Stammeskrieger der Wokeness", wie Till Schmidt sie nennt, sind gar nicht so schwer zu identifizieren. Das Verhältnis ganzer Theorieströmungen wie Postkolonialismus oder Critical Whiteness zur Aufklärung ist gelinde gesagt schwierig. Es wird selten explizit zugegeben, aber für viele Vertreter des Postkolonialismus sind die ersten Gegenspieler Marx und Kant. Ich kann mir bei Susan Neiman gut vorstellen, dass das Buch tatsächlich so dürftig ist wie Till Schmidt behauptet. Aber einige der hier angedeuteten Punkte lassen sich meines Erachtens durchaus machen. Dass es dann aber eine materialistische Analyse bräuchte, die erklärt, weshalb sich diese Positionen durchsetzen, ist sicher richtig.
zum Beitrag27.08.2023 , 15:50 Uhr
„Kindheit ist ein soziales Konstrukt. Das ist also etwas, was wir uns als Gesellschaft ausgedacht und wofür wir Regeln erfunden haben. Deshalb haben wir dieses Bild im Kopf, dass Kinder unschuldig, passiv, verletzlich und schutzbedürftig sind. Ein ganz ähnliches Bild hatte man im 20. Jahrhundert von der Hausfrau.“
Der Unterschied liegt darin, dass Kinder im Gegensatz zu Hausfrauen wirklich verletzlich und schutzbedürftig sind. Die zwischen Eltern und Kleinkind bestehende Machtasymmetrie basiert teilweise auf biologischen Gegebenheiten, die sich nicht einfach abschaffen lassen. Dieses Moment von Notwendigkeit kommt den Machtasymmetrien, die Mich Ciurria hier komparativ heranzieht (patriarchale Strukturen bei Hausfrauen, Rassismus gegen Afroamerikaner) nicht zu. Kinder werden hier implizit als „unterdrückte Personen“ mit Menschen in eine Reihe gestellt, die Opfer von Herrschaftsformen werden, die jeder Rechtfertigung entbehren. Wie hier aber bereits lakonisch angemerkt wurde, ist es nicht unbedingt im Sinne des Kindes es einfach „freizulassen“. Dass ein Begriff wie „Kindheit“ ausgesprochen vage ist, bedeutet nicht, dass er jeder Berechtigung entbehrt. Mich würde in diesem Zusammenhang interessieren, was hier überhaupt für ein Begriff von Autonomie vorausgesetzt wird. In der Lage zu sein „Wünsche und Bedürfnisse auszudrücken“, ist doch wohl nicht ganz ausreichend. Das schafft mein Hund auch.
zum Beitrag23.08.2023 , 16:53 Uhr
Es ist überaus wichtig die irrationalen Momente der faschistischen Bewegungen theoretisch zu durchdringen. Gerade dieser außerordentlich wichtige Aspekt wird im öffentlichen Diskurs vollkommen ausgeblendet. Ich kann da nur Adorno, Fromm und Löwenthal empfehlen, die haben leider nicht allzu viel an Aktualität eingebüßt.
zum Beitrag19.08.2023 , 15:40 Uhr
„Menschen gehen immer mit einem Set an Überzeugungen in die Welt, die die Objektivität aller Aussagen einschränkt.“
Ist denn die reichlich apodiktisch formulierte Behauptung „Menschen gehen immer mit einem Set an Überzeugungen in die Welt“ objektiv wahr? Ob eine Aussage objektiv wahr ist, ob sie also ihren Gegenstand adäquat trifft, hängt nicht davon ab, ob Menschen ihre subjektiven Überzeugungen mitschleifen. Aus der richtigen Feststellung, dass Objektivität schwer zu erreichen ist, wird die vollkommen absurde Schlussfolgerung gezogen, dass es objektive Aussagen gar nicht gibt. Wie sich dann im Laufe des Textes herausstellt, setzt die Autorin Objektivität mit Wertneutralität gleich, womit sie Ulf Poschardts positivistische Haltung letzten Endes teilt. Gerade die Wertneutralität – ohnehin selbst ein Wert – ist einer von Machtasymmetrien durchzogenen Gesellschaft, einem somit in sich tendenziösen Gegenstand, objektiv unangemessen. Wie soll man denn überhaupt noch ausmachen was „kritikwürdig“ ist, wenn zuvor sämtliche Maßstäbe relativistisch verworfen wurden? Wie sollen sich denn Begriffe wie „Ideologie“ oder „Kritik“ halten lassen, wenn man den Anspruch auf objektive Wahrheit verwirft? Denn so wie hier von „Ideolog_innen“ die Rede ist, wird die Autorin wohl kaum von Paretos totalem Ideologiebegriff ausgehen. Die hier zugrundeliegende Epistemologie lässt aber einen kritischen Ideologiebegriff im Sinne von Marx oder Adorno gar nicht zu. Wenn man begründen will, dass Journalismus über das bloße unkritische Notieren von Fakten hinausgehen darf - und ich denke, dass sich das sehr wohl begründen lässt - dann wird das nicht über epistemologischen Relativismus und Standpunktphilosophie funktionieren. Dieser Relativismus lässt sich ganz einfach gegen jene emanzipatorischen Ideen kehren, deren postmoderne Verfechter glauben darauf angewiesen zu sein.
zum Beitrag16.08.2023 , 20:44 Uhr
"Doch nicht umsonst gibt es auch Ökonomen, die sich dafür aussprechen, dass die Regierung lieber in Bildung, die öffentliche Infrastruktur und die Stärkung der Sozialsysteme investieren sollte, statt Steuern zu senken."
Bei sämtlichen Vorschlägen von Regierungs- und Oppositionsparteien habe ich den Eindruck, dass die eigene Klientel zu bedienen im Vordergrund steht. Der Konjunktur helfen die meisten Vorschläge nur bedingt. Wollte man wirklich langfristig etwas für den Standort tun, dann wäre eine gut durchgeführte Bildungsreform ein recht zuverlässiges Mittel. Allerdings wirkt eine Bildungsreform eben erst Jahre später und das Politikerkalkül kann mit so etwas für gewöhnlich nicht allzu viel anfangen, denn es besteht die Gefahr, dass die politische Rendite von anderen eingestrichen wird, weil die eigene Partei gar nicht mehr regiert. Wenn man bedenkt, dass die FDP das Bildungsministerium innehat, stellt sich ohnehin die Frage ob man sich gegenwärtig eine Bildungsreform wünschen soll.
zum Beitrag15.08.2023 , 19:33 Uhr
Der Vergleich mit Mélenchon passt in vielerlei Hinsicht, nur ist er nicht sonderlich schmeichelhaft. Mélenchons Verschwörungsmythen sind Legion. So phantasierte er etwa davon, dass Terroranschläge von geheimnisvollen Mächten initiiert würden, um die Wahlen zugunsten der Rechten zu manipulieren. Und Mélenchons verkürzte Kapitalismuskritik - eigentlich ist es in der Regel nur Kapitalistenschelte - geht immer wieder mit Antisemitismus einher. Über Éric Zemmour meinte er, dieser könne "kein Antisemit sein, weil er viele (jüdische) Kulturszenarien reproduziert". Nach Jeremy Corbins Wahlniederlage gab er eine Pressemitteilung heraus, in der es heißt: "Renten nach Punktwerten, das deutsche und neoliberale Europa, der grüne Kapitalismus, das In-die-Knie-Gehen vor den selbstherrlichen Ukassen des kommunautaristischen CRIF – ich sage Nein." Der CRIF ist der Dachverband der jüdischen Organisationen Frankreichs. Sollte man wirklich Politik dieses Stils herbeisehnen? Zu den Inhalten, die eine linkspopulistische Partei aller Wahrscheinlichkeit nach verkörpern würde, zählen Charakteristika wie ein diffuser Elitenbegriff und eine verkürzte Analyse der gesellschaftlichen Machtasymmetrien, der Hang zu Verschwörungsmythen, und ein Faible für Politische Romantik ("Affektpolitik"). All das wird man auch bei Wagenknecht finden. Die überaus problematischen Tendenzen, die Politiker wie Mélenchon verkörpern, sind dem Linkspopulismus an sich immanent. Er speist sich aus ganz ähnlichen Ressentiments wie sein rechtes Gegenüber und trägt so zur Bekämpfung dieser Ressentiments rein gar nichts bei. Das unterscheidet sich ja dann gar nicht von dem, was die Konservativen tun, wenn sie der AfD inhaltliche Konzessionen machen. Und eben dafür werden Merz, Weber & Co. von der taz derzeit mit der gebührenden Schärfe kritisiert. Ein linkspopulistisches Parteiprojekt wäre sicherlich vieles, aber dass es "zivilisatorische, ja antifaschistische Mission" wird, wage ich zu bezweifeln.
zum Beitrag15.08.2023 , 00:02 Uhr
Das ist zwar richtig, das viel gewichtigere Argument ist aber doch, dass in jenen Staaten, die den Sozialismus erfolgreich karikiert haben, eben nicht demokratisch über die Verteilung der gesellschaftlichen Arbeit entschieden wurde, sondern eine kleine Elite diese Aufgabe übernommen hat. In einem Verein freier Menschen würde demokratisch darüber entschieden, wie viel Arbeit etwa im Gesundheitssystem oder bei der Bekämpfung ökologischer Probleme angewendet werden soll. Ansonsten kann ich auch ihrem Kommentar zum Stoffwechsel zwischen Mensch und Natur im Kapitalismus nur zustimmen. Trotzdem wird es in den nächsten Jahren zwingend erforderlich sein, systemimmanente Lösungen für die Klimakrise zu finden, denn uns rennt einfach die Zeit davon. Und eine Befreiung von der kapitalistischen Produktionsweise ist nun wirklich nicht abzusehen.
zum Beitrag14.08.2023 , 20:29 Uhr
Das "portugiesische Modell" funktioniert deshalb einigermaßen, weil man nahezu die gesamten finanziellen Mittel, die zuvor für die Strafverfolgung verwendet wurden, in Prävention und Suchthilfe gesteckt hat. Das sollte man schon betonen. Trotzdem wäre natürlich schon viel gewonnen, wenn etwa Heroinabhängige nicht mehr an irgendwelches mit Fentanyl gestrecktes Zeug geraten. Allerdings habe ich meine Zweifel, dass "Mietpreisdeckel, hohe Mindestlöhne, großzügige Sozialleistungen" wirklich die besten Mittel gegen Drogensucht darstellen. Da wird meinem Eindruck nach das Thema Sucht den eigenen (meines Erachtens grundsätzlich überaus vernünftigen) politischen Forderungen dienstbar gemacht. Ich könnte viel Poetisches über das Dasein des Süchtigen schreiben, auch aus eigener Erfahrung. Letzten Endes wird man aber bei Erklärungsversuchen auch bei diesem Thema nicht um den Rekurs auf die gesellschaftliche Totalität herumkommen. Und da gilt für die Suchtprävention das gleiche wie für den Mietendeckel: es handelt sich lediglich um Symptombekämpfung, das Problem wird nicht bei der Wurzel gepackt.
zum Beitrag13.08.2023 , 22:01 Uhr
Die islamische Vollverschleierung "symbolisiert, dass eine Frau bescheiden ist und dass sie ihrer Familie verbunden ist, aber auch, dass sie nicht von der Massenkultur ausgebeutet wird und dass sie stolz auf ihre Familie und Gemeinschaft ist. […] Die Burka zu verlieren bedeutet mithin auch einen gewissen Verlust dieser Verwandtschaftsbande zu erleiden […], eine Erfahrung von Entfremdung und Zwangsverwestlichung" (Butler, Krieg und Affekt, S. 86).
An anderer Stelle (Butler, Gefährdetes Leben, S. 65), bezieht sich Butler zustimmend auf "Chandra Mohantys wichtige(n) Essay »Under Western Eyes«, in dem sie die Meinung vertritt, daß Vorstellungen vom Fortschritt im Feminismus nicht mit der Anpassung an sogenannte westliche Vorstellungen von Handlungsfähigkeit und politischer Mobilisierung gleichgesetzt werden können. Darin argumentiert sie, daß die Überstülpung von Versionen der Handlungsfähigkeit auf Dritte-Welt-Kontexte und die Konzentration auf eine offenkundig fehlende Handlungsfähigkeit, die durch Schleier oder Burka signalisiert wird, nicht nur die verschiedenen kulturellen Bedeutungen mißversteht, die die Burka für Frauen, die sie tragen, haben kann, sondern auch genau die Idiome der Handlungsfähigkeit leugnet, die für solche Frauen relevant sind."
Reicht Ihnen das an Kontext? Butler ist ein Musterbeispiel für den angesprochenen Kulturrelativismus, der in Postcolonial Studies, Critical Race Theory und postmodernem Gleichheitsfeminismus die Mehrheitsposition ist. Universalistische Positionen sind dort absolut randständig. Es finden sich bei Butler übrigens diverse Formen des Ressentiments, die zu ihrem Image nicht recht zu passen scheinen. Selbst für Leute, die nicht möchten, dass sich Homosexuelle in der Öffentlichkeit küssen, hat sie durchaus Verständnis. Und ebenso viel Verständnis hat sie bekanntermaßen für Hamas und Hisbollah.
zum Beitrag09.08.2023 , 02:19 Uhr
"Ein häufiger Vorwurf lautet: Fabian Wolff habe sein erfundenes Jüdischsein genutzt, um aus dieser Sprecherposition heraus Stimmung gegen Israel und gegen Jüdinnen und Juden in Deutschland zu machen."
Der Vorwurf ist berechtigt. Und damit offenbart die Causa Wolff nicht nur "ein strukturelles Problem mit Ich-Geschichten", sondern vor allem ein Problem der Standpunkttheorien. Weshalb sollte der Sprechort denn dazu legitimieren, Antisemitismus zu verharmlosen? Vor allem hat Wolff eine ganz bestimmte Funktion erfüllt. Warum waren denn weite Teile des linken Feuilletons ganz verliebt in einen, der immer wieder Stimmung gegen Jüdinnen und Juden in Deutschland und den Staat Israel gemacht hat? Das Problem ist nicht in erster Linie der Mangel an Transparenz, sondern der latente Antisemitismus.
zum Beitrag08.08.2023 , 17:03 Uhr
Ich gehe bei diesem Artikel an recht vielen Punkten mit. Das vollkommen unsinnige Argument, dass die AfD-Wähler mehrheitlich Protestwähler seien, ist ja schon in Hinblick darauf fragwürdig, dass es sich dann doch wohl um eine ganz spezifische Form des Protests handelte. Es gibt keine schlechtere Form des Protests als eine faschistische Partei zu wählen. Die AfD-Wähler wählen diese Partei nicht obwohl sie rassistisch, antisemitisch und frauenfeindlich ist, sondern genau deswegen. Diese Partei bringt sehr deutlich zum Ausdruck was sie ist, das wird schon genau verstanden. Da sollte man auch einfach mal aufhören diejenigen zu behandeln wie kleine, unmündige Kinder, die nicht wissen was sie tun. Wenn nun die bevorzugten Lösungen der demokratischen Parteien zur Bekämpfung der AfD darin bestehen, die Bedrohung zu verharmlosen oder zumindest teilweise AfD-Inhalte zu übernehmen, dann ist auch das kein Zufall. Und auch da sollte man dann nicht anfangen zu rationalisieren und absurde Entschuldigungen zu finden.
zum Beitrag26.07.2023 , 15:22 Uhr
„Der Vormacht des Allgemeinen ins Auge zu sehen, schädigt psychologisch den Narzißmus aller Einzelnen und den demokratisch organisierter Gesellschaft bis zum Unerträglichen. Selbstheit als nichtexistent, als Illusion zu durchschauen, triebe leicht die objektive Verzweiflung aller in die subjektive und raubte ihnen den Glauben, den die individualistische Gesellschaft ihnen einpflanzt: sie, die Einzelnen, seien das Substantielle.“ (Adorno, Negative Dialektik, S. 306)
zum Beitrag24.07.2023 , 18:00 Uhr
Was meint Gysi denn mit "dagegen kämpfen"? Doch wohl hoffentlich nicht, dass er einen Abgang Wagenknechts verhindern möchte. Wenn Wagenknecht endlich weg ist und sie dann auch noch Dehm und die ganzen anderen Verschwörungsideologen mitnimmt, könnte vielleicht ein Rest übrigbleiben, den ich als Linker wählen kann ohne mich anschließend in den Schlaf heulen zu müssen.
zum Beitrag24.07.2023 , 13:56 Uhr
Ich glaube nicht, dass Friedrich Merz "unbewusst" Öl ins Feuer gießt. Er ist halt mehr Machiavellist als Demokrat.
zum Beitrag24.07.2023 , 13:28 Uhr
"Strukturelle Hindernisse und individuelle Zwänge mögen Einfluss auf unsere jeweils persönliche Motivation haben, das moralisch Richtige dann auch tatsächlich zu tun. Manchmal können sie unser Fehlverhalten auch nachträglich entschuldigen. Aber auf die Richtigkeit oder Falschheit der Handlung selbst haben sie in der Regel keinen Einfluss. Es ist und bleibt moralisch falsch, einen anderen Menschen auszubeuten, auch wenn wir im Kapitalismus leben. Und es ist und bleibt falsch, gravierend das Klima zu schädigen, solange Sie nicht mit vorgehaltener Waffe dazu gezwungen werden."
Ich würde zwar zustimmen, dass es die Ethik nicht anfrisst, wenn die Menschen durch strukturelle Zwänge zu diesen Verhaltensweisen genötigt werden. Diese Verhaltensweisen bleiben auch dann noch objektiv verwerflich, wenn die Menschen dazu genötigt werden. Aber dann hätte die Ethik doch wohl bei jenem gesellschaftlichen Strukturzusammenhang anzusetzen, der den Menschen die strukturellen Zwänge auferlegt. Da kommt es ja dann nicht auf das Individuum an, denn die Einzelnen reproduzieren diesen gesellschaftlichen Zusammenhang, ob sie nun wollen oder nicht. Darin unterscheidet sich der Kapitalismus auch von Formen personaler Herrschaft. Hier kann die Moralphilosophie nicht einfach Privatethik bleiben, sondern muss zur Gesellschaftskritik übergehen.
zum Beitrag20.07.2023 , 21:18 Uhr
Fabian Wolff hat seine vermeintliche Jüdischkeit dazu benutzt die Bedrohung, die Antisemitismus für Jüdinnen und Juden darstellt, zu bagatellisieren, er hat israelbezogenen Antisemitismus zu einem Phantasma erklärt, er hat Kritikerinnen und Kritiker des Antisemitismus immer wieder attackiert. Dabei hat er seine Jüdischkeit stets als Argument eingesetzt. Wolff hat damit eine Stellvertreterfunktion erfüllt: was bei den Nachfahren der Täter allzu leicht als antisemitische Schuldabwehr erkennbar wäre, das hat man lieber Fabian Wolff in Vertretung sagen lassen. Und genau davon waren weite Teile des Feuilletons mal wieder ganz begeistert. Diese Chose verweist auch auf grundsätzliche Problem der identitären Standpunkttheorien: ist die Verharmlosung von Antisemitismus plötzlich in Ordnung, wenn sie von einem Juden geäußert wird? Wohl kaum. Wenn jedoch in den Debatten primär auf den Sprechort geachtet wird, dann gerät der problematische Inhalt der Wolffschen Aussagen in den Hintergrund. Trotzdem wird deutlich, dass in der politischen Linken nach wie vor mit zweierlei Maß gemessen wird: ginge es anstelle von Antisemitismus um andere Formen des Ressentiments, wäre es kaum vorstellbar, dass ein so offensichtlich vom Ressentiment getriebener Autor derartigen Zuspruch erhält. Antisemitismus ist die Form des Ressentiments, die sich auch Linke gestatten.
zum Beitrag20.07.2023 , 10:45 Uhr
Im Zeit-Magazin gab es vor ein paar Monaten einen Artikel mit dem Titel "Wo ist Mojo?" über einen entlaufenen weißen Löwen. In einem Dorf in Sachsen-Anhalt hat sich ein Mann einen weißen Löwen in seinem Schuppen gehalten, dieser ist dann verschwunden. Da es sich allerdings um einen männlichen Löwen handelte, wird es nicht das Tier aus dem Berliner Umland sein. So etwas kommt wohl hin und wieder vor. Manchen Menschen sind Hauskatzen oder Wellensittiche offenbar zu langweilig.
zum Beitrag19.07.2023 , 20:27 Uhr
Dass permanent wohlfeile Entschuldigungen für die Wähler der AfD gesucht werden, mit denen man ihre Ressentiments zu rationalisieren versucht, muss endlich aufhören. Mit solchen Aussagen tragen Politiker wie Ramelow letztlich zur Normalisierung der AfD bei. Zugleich ist bei der Partei seit Jahren eine inhaltliche Radikalisierung zu beobachten. Diese ganze Entwicklung ist überaus gefährlich. Leider zeigen manche der Kommentare hier, dass die Gefahr teilweise immer noch unterschätzt wird. Bei denjenigen, die die AfD für eine vollkommen gewöhnliche demokratische Partei halten, muss man zudem davon ausgehen, dass sie die Ressentiments teilen. So schwer ist es eigentlich nicht zu erkennen was das für eine Partei ist.
zum Beitrag19.07.2023 , 20:03 Uhr
"Mit dem Denken kommt die Unruhe in die Welt. Wenn es nicht irgendwas mit Sex zu tun hat, dann hat es wohl mit dem Denken zu tun, dass die Menschen aus dem Paradies vertrieben wurden."
Eva stiehlt die verbotene Frucht bekanntermaßen vom "Baum der Erkenntnis". Die Vertreibung aus dem Paradies ist die Strafe für die Weigerung sich mit dem Dogma zufriedenzugeben, also für das Streben nach Mündigkeit. Man wird vielen Menschen dennoch nicht vorwerfen können, dass sie nicht ihr Möglichstes tun um die Gnade des heiligen Vaters zurückzugewinnen. Der Dogmatismus ist in Zeiten, in denen alle Erkenntnis relativistisch in Meinungen aufgelöst wird (was nach Kant genau dasselbe ist wie Dogmatismus, weil das denkende Subjekt dabei gar nicht mehr vorkommt, wenn alles irgendwie zugleich wahr und unwahr ist), weiterhin schwer in Mode. Mündigkeit wäre zwar die notwendige Vorbedingung um die Einrichtung der Gesellschaft einigermaßen erträglich zu gestalten, die ist aber nicht wirklich en vogue, das wird nur anders gerechtfertigt als früher. So haben etwa die postmodernen Romantiker, die im Namen der Toleranz ihren Frieden mit dem Mythos gemacht haben und inzwischen beim Thema "Emanzipation" den Ton angeben, für Denken im emphatischen Sinne - mit anderen Worten: Kritik - nicht allzu viel übrig.
zum Beitrag19.07.2023 , 14:08 Uhr
"Rund 90 Prozent der Befragten sprechen sich in Umfragen dafür aus, den Kampf gegen Diskriminierung zu stärken."
Die Verlässlichkeit solcher Umfrageergebnisse würde ich in Zeiten, in denen die AfD massenhaft Zulauf erhält, doch eher bezweifeln.
zum Beitrag19.07.2023 , 02:37 Uhr
Einfach perfide und widerwärtig. In Kürze braucht man dann auch über irgendwelche vermeintlichen Brandmauern kein Wort mehr zu verlieren, weil die CDU einfach nur noch das AfD-Wahlprogramm nachbetet.
zum Beitrag17.07.2023 , 18:35 Uhr
"Die Bundesregierung erkennt nicht einmal an, dass Jamshid Sharmahd eine politische Geisel ist."
Das war mir so gar nicht klar. Ich weiß gar nicht was ich dazu sagen soll, das klingt nicht gut. Ich hoffe inständig, dass das Auswärtige Amt hinter den Kulissen erheblich stärkere Bemühungen an den Tag legt als es von außen den Anschein hat.
zum Beitrag05.07.2023 , 13:44 Uhr
"Hintergrund sind vermutlich die Vorfälle vom Mai 2021. Damals hatte der internationale Instagram-Account von Fridays for Future eine Bildergalerie zum Nahostkonflikt geteilt, in denen Worte wie „Siedler-Kolonialismus“, „Imperialismus“ und „Militarismus“ in Bezug auf Israels Siedlungspolitik vorkamen. Zuvor hatte der Account auch einen Aufruf der Boykottkampagne BDS geteilt. Die deutsche FFF-Sparte distanzierte sich daraufhin von den Posts und kritisierte diesen als antisemitisch."
Hintergrund sind auch die Vorfälle aus dem September 2022 als FFF Bremen die Gruppe "Palästina spricht" auf einer Kundgebung einen Redebeitrag halten ließ. Diese Gruppierung bestreitet das Existenzrecht Israels. Zudem hat FFF Bremen den Aufruf zur Intifada von Fridays for Future International retweetet, von dem sich FFF Deutschland vollkommen zu Recht distanzierte. Die taz hat darüber mehrfach berichtet, ein Artikel zu der Thematik ("Ist FFF Bremen antisemitisch?") ist sogar unter diesem Artikel verlinkt.
zum Beitrag01.07.2023 , 14:48 Uhr
"40 Prozent der Erwerbstätigen in Sonneberg leben vom Mindestlohn, so viele wie nirgendwo sonst. Das kann ein Ansatz sein, auch wenn ökonomische Gründe nicht ausreichen, um den Erfolg der AfD zu erklären."
Nun zeigen aber Untersuchungen regelmäßig, dass Menschen aus allen Schichten, Klassen, Milieus AfD wählen. Es gibt dabei zwar graduelle Unterschiede, aber allein der Umstand, dass jede Menge reiche Menschen AfD wählen, sollte ausreichen um dieses Argument weitgehend zu entkräften. Das bedeutet aber letztlich nicht, dass nicht die ökonomischen Bedingungen ausschlaggebend sind. Dabei geht es aber dann nicht so sehr um die Höhe des Mindestlohns oder dergleichen, sondern um bestimmte aus der kapitalistischen Produktionsweise resultierende Konflikte, die spezifische psychologische Dispositionen erzeugen. Das bedeutet aber nicht, dass man sich nicht bei der Bekämpfung der Ressentiments sehr viel geschickter anstellen könnte, als es gegenwärtig der Fall ist. Auch die Ressentiments können sich verändern und unterliegen einer Art Konjunktur. Die Meinungen, denen die AfD Ausdruck verschafft, gibt es jedoch schon sehr viel länger als die AfD. Man ignoriert das Problem seit Jahrzehnten und gerät nun in Panik, da es die Parlamente erfasst. Leider deutet vieles darauf hin, dass die Politik darauf verzichtet, die autoritäre Revolte so weit es eben geht zu bekämpfen. Stattdessen werden den Rechten lieber programmatische Konzessionen gemacht. Das politische Spektrum wird sich mittelfristig nach rechts verschieben, die AfD-Wähler fühlen sich bestätigt, wählen aber weiterhin "das Original". Zugleich verschärft sich das Chaos, an dessen Verursachung sie mit ihrem Handeln großen Anteil haben. Es steht zu befürchten, dass sich die politische Lage erstmal auf diesem Niveau stabilisiert oder sogar verschlimmert. Es ist jetzt geboten potentiellen Bündnispartner genau auf die Finger zu schauen, das betrifft sowohl Konservative als auch linke Querfrontbestrebungen.
zum Beitrag01.07.2023 , 14:11 Uhr
Der Einwand, dass wir es hier nicht mit einer auf Deutschland beschränkten Entwicklung zu tun haben, ist durchaus wichtig. Weshalb sollte sich daraus dann aber die Disjunktion "Zufall oder gesteuert" ergeben? Eher nötigt der Umstand, dass es sich um einen internationalen Rechtsruck handelt dazu, gesamtgesellschaftliche Dynamiken zu untersuchen, anstatt sich in mikropolitischen Diskussionen über den vernachlässigten Osten oder die aus dem Heizungsgesetz resultierende Frustration zu verlieren.
zum Beitrag28.06.2023 , 15:47 Uhr
Abolitionismus ist leider auch wieder so ein Konzept, das vorgibt auf die kapitalistischen Produktionsverhältnisse abzuzielen, aber leider nicht über einen Begriff der gesellschaftlichen Totalität verfügt. Worin überhaupt die gesellschaftliche Funktion einer Institution wie der Polizei besteht, vermag der Abolitionismus nicht hinreichend zu erklären. Es kommt dabei letztlich nicht mehr heraus als ein aktivistisches pars pro toto. Thomas Land hat zu diesem Konzept gute Artikel geschrieben, die die gesellschaftstheoretischen Leerstellen des Konzepts offenlegen und online verfügbar sind.
zum Beitrag27.06.2023 , 01:04 Uhr
"Das öffentliche Versagen liegt nicht etwa in der mangelhaften Analyse dieser Partei oder der zunehmenden Verrechtung der Gesellschaft – sei es die Asylgesetzverschärfung, der Umgang mit rechtem Terror oder die unsoziale Sozialgesetzgebung."
Die meisten Analysen mit dem Attribut "mangelhaft" zu beschreiben, wäre aber im Grunde noch beschönigend. Da bekommt man etwa zu lesen, dass Teile der Gesellschaft in den Faschismus abdriften, weil es denjenigen um irgendeine diffuse Form von Protest geht, weil sie mit dem Heizungsgesetz unzufrieden sind, weil sie es leid sind als die Faschisten betrachtet zu werden die sie nun mal sind, weil sie sich bevormundet fühlen, weil die Ampel ihre Projekte nicht gut genug erklärt, oder weil es sich bei ihnen um Modernisierungsverlierer handelt. Bessere Erklärungsansätze wären auf jeden Fall ein Anfang. Diese Erklärungsansätze kann dann Sandra Maischberger mit Tino Chrupalla diskutieren.
zum Beitrag26.06.2023 , 00:37 Uhr
Der bloße Umstand, dass es ungemein viele Menschen sind, die bereit sind einer rechtsradikalen Partei ihre Stimme zu geben, ist wohl kaum ein Argument dafür, dass es sich bei denjenigen ja unmöglich um Rechtsradikale handeln kann. Wer diese Partei wählt, wird nicht nur als rechtsradikal etikettiert, sondern hat sich den "rechten Stempel" redlich verdient. Den Sachverhalt mit einer milderen und letztlich unangemessenen Rhetorik zu verharmlosen, wird erst recht nicht dazu beitragen die AfD erfolgreich zu bekämpfen. Dass im "ganzen Bundesland alles Nazis" seien, behauptet auch gar keiner, so wie auch niemand der bei Trost ist behauptet alle Schleswig-Holsteiner seien CDU-Wähler.
zum Beitrag12.06.2023 , 00:46 Uhr
Ginge es um von Rassismus betroffene Menschen, so hieße es an dieser Stelle aller Wahrscheinlichkeit nach, dass man auf die Stimmen der Betroffenen hören sollte; bei Jüdinnen und Juden wittert man hingegen eine planvoll-orchestrierte Inszenierung. Und genau da beginnt schon das Problem.
zum Beitrag07.06.2023 , 20:23 Uhr
Wird die AfD nicht als "in Teilen rechtsextreme", sondern als "klar rechtsextreme Partei" bezeichnet, so ist damit nicht allzu viel gewonnen. Der Extremismus-Begriff wird im öffentlichen Diskurs nicht umsonst mit der Hufeisentheorie in Verbindung gebracht, die gerade auf der Verharmlosung rechter Tendenzen und einer von den Inhalten absehenden Gleichsetzung von Links und Rechts basiert. Irgendwie scheint hier die Vorstellung mitzuschwingen, dass Populismus ja eigentlich etwas harmloses sei. Das ist er aber nicht. Vor allem ist der Populismus-Begriff auf bestimmte Inhalte bezogen, die bei Teilen der AfD eindeutig anzutreffen sind. Die AfD ist in Teilen rechtspopulistisch, in Teilen aber auch offen faschistisch. Letzteres gilt insbesondere für Höckes "Flügel". Während diese faschistischen Tendenzen die AfD durchaus von den meisten anderen Parteien unterscheiden, sind populistische Tendenzen auch bei den bürgerlichen Parteien zu finden. Seehofer oder Wagenknecht sind Populisten wie aus dem Lehrbuch. Und insofern war auch die "Brandmauer"-These von Anfang an ein Irrglaube: das autoritäre Wählerpotential, an dem sich die AfD nährt, absorbieren auch andere Parteien nur allzu gern. Wirklich bekämpft wird es bestenfalls zeitweilig, lieber werden die vorhandenen Ressentiments ausgenutzt. Der Diskurs müsste sich zunächst einmal auf die psychologischen Dispositionen der Antidemokraten und die ihnen zugrundeliegenden gesellschaftlichen Ursachen fokussieren, anstatt einem derart tief liegenden Problem mit Verbotsvorhaben beikommen zu wollen. Gegen die autoritären Modi der Krisenlösung vermögen solche Ansätze nicht allzu viel auszurichten. Aber dass sich der Diskurs in diese Richtung bewegt, ist leider so gut wie ausgeschlossen. Eher wird die Normalisierung der Ressentiments weiter zunehmen, weil man glaubt die AfD am besten dadurch bekämpfen zu können, dass man das Asylrecht verschärft.
zum Beitrag06.06.2023 , 18:01 Uhr
Ganze zwei Jahre haben sie dafür gebraucht. Ob es wohl ohne den Druck aus den Medien überhaupt dazu gekommen wäre? Straftaten wie die Verwendung von NS-Vokabular scheinen bei der Staatsanwaltschaft Halle keinen sonderlich hohen Stellenwert zu genießen. Diese Behauptung ist sicherlich nicht zu spekulativ.
zum Beitrag06.06.2023 , 14:50 Uhr
Es liegt nicht an einzelnen Parteien oder Medien. Der Rechtspopulismus ist eine Form von konformistischer Rebellion. Der Zulauf der AfD verdankt sich der irrationalen Verarbeitung bestimmter gesellschaftlicher Dynamiken. Realen (aber auch subjektiv empfundenen) Krisenphänomenen soll durch die Abwertung von und die Schuldzuweisung auf bestimmte gesellschaftliche Gruppen Abhilfe verschafft werden. Man ist irgendwie gegen "das System" ohne wirklich über einen Begriff der bestehenden Gesellschaft zu verfügen. Dennoch sind etwa ein CDU-Chef, der die AfD bekämpfen möchte indem er jener Irrationalität Konzessionen macht, oder eine Innenministerin, die gerade jetzt eine wachsende Gefahr von links herbeiphantasiert, in Hinblick auf die Bekämpfung der Rechtspopulisten nicht sonderlich hilfreich.
zum Beitrag01.06.2023 , 17:46 Uhr
"Man mag darüber streiten, ob die Indizien im Prozess tatsächlich ausreichend waren für so ein hartes Urteil." Es geht in Hinblick auf das harte Urteil nicht nur um die überaus schwache Indizienlage, sondern vor allem um den Straftatbestand der Bildung einer kriminellen Vereinigung. Ohne diesen Aspekt wäre das Urteil sehr viel milder ausgefallen. Dieser Straftatbestand wurde zur Bekämpfung von Organisationen wie Hells Angels oder ’Ndrangheta geschaffen. Wenn hier jetzt ein paar Antifaschisten mit derartigen juristischen Mitteln zur Rechenschaft gezogen werden, dann wird mit Kanonen auf Spatzen geschossen. Der Staat legt im Kampf gegen Linke mal wieder eine Verve an den Tag, die er bei den Rechten regelmäßig vermissen lässt. Dass das Handeln dieser Gruppe grundsätzlich rechtswidrig und auch unter ethischen Gesichtspunkten durchaus fragwürdig war, ist trotzdem zutreffend.
zum Beitrag19.04.2023 , 22:06 Uhr
Es ist bemerkenswert mit welchem Enthusiasmus der Staat für von antifaschistischer Gewalt betroffene Neonazis eintritt. Von einem solchen Elan bei der Strafverfolgung können diejenigen, die Opfer der von Neonazis ausgeübten Gewalt werden, nur träumen.
zum Beitrag18.04.2023 , 15:12 Uhr
Das ist wirklich nicht überraschend. Auch über Lulas Affinität zum Iran wurde im Zuge der nachvollziehbaren Erleichterung darüber, dass er den Faschisten Bolsonaro aus dem Amt verdrängt hat, allzu gnädig hinweggesehen. Imperialistisch ist in der Vorstellung dieser Linken immer nur der Westen. Bei Autokraten wie Putin werden beide Augen zugedrückt.
zum Beitrag27.03.2023 , 16:21 Uhr
Bei Kant geht es nicht nur um als "rassistisch verstandene Textstellen", sondern seine Anthropologie ist eindeutig rassistisch. In dieser Anthropologie bleibt er hinter seinem Universalismus weit zurück. Wie soll man nun damit umgehen? Die beste Verfahrensweise wäre Kritik. Canceln hingegen bedeutet letzten Endes Zensur. Es wird erst dadurch zur Option, dass "junge Identitätspolitiker" an die erkenntnistheoretischen Grundlagen Postmoderner Theorie und des Konstruktivismus anschließen. Bei ihnen ist die Frage nach der Verteilung von Macht der Frage nach der Wahrheit vorgeschaltet, weshalb ihre Ideologie eine besorgniserregende Tendenz zum Dogmatismus inhäriert. Es handelt sich um Standpunktphilosophie, "welche die Gegenwart zu be- und verurteilen, aber nicht zu begreifen weiß“ (Marx, MEW 23: 528). Davon abgesehen, dass diese Ansätze daran scheitern, die Ambivalenz bei Denkern wie Kant auszumachen und den kritischen Gehalt solcher Theorien freizulegen, werden sie auch an den Machtverhältnissen nicht allzu viel ändern. Dazu sind die zugrundeliegenden Theorien zu unausgegoren, sofern man überhaupt von "Theorie" sprechen kann. Es ist kein Zufall, dass die Überlegungen von Kendi oder DiAngelo eher als Leitfaden daherkommen, anstatt die den bestehenden Herrschaftszusammenhängen zugrundeliegende Systematik zu erklären. Ich befürchte aber, dass Michael Wolfs Hoffnung, dass "Canceln in der nahen Zukunft ein übliches Instrument der politischen Auseinandersetzung ist", sich bewahrheiten dürfte. Marx und Adorno sind als Nächstes dran. Und irgendwann wird man dann vielleicht zurückblicken und sich wundern weshalb man daran gescheitert ist die Gegenwart zu begreifen.
zum Beitrag24.03.2023 , 15:15 Uhr
Die Texte, die in dem offenen Brief (zu Unrecht) als transfeindlich bezeichnet werden, sind von Till Randolf Amelung. Auch die taz hat Amelung mehrfach ein Forum geboten. Amelung war schon im taz Talk und wurde auch von Jan Feddersen interviewt. Die Interviewführung ist doch eher affirmativ. Die gegenüber der jungle world erhobenen Vorwürfe sind substanzlos. Wären sie es nicht, so müsste man sie allerdings genauso gegenüber der taz erheben.
zum Beitrag11.12.2022 , 17:04 Uhr
"Denn das Problem der Linkspartei ist nicht, dass sie sich um relevante politische Fragen streitet, sondern dass sie bestimmte Auseinandersetzungen eben nicht ausfechtet, die Dinge nicht beim Namen nennt und keine Taten daraus ableitet."
Das ist leider genau der Punkt. Die Konflikte werden weitgehend totgeschwiegen. Und das ist keineswegs ein neues Phänomen.
zum Beitrag02.12.2022 , 19:53 Uhr
Etwa im Jahr 2014 wurden in Deutschland über 2.100 Polizisten angezeigt, nur in 33 Fällen kam es überhaupt zur Anklage. Seitdem wurden Gesetze verabschiedet, die die Machtasymmetrie zwischen Polizei und Bürger nochmal erheblich verschärft haben. Dass die Ampel etwas daran ändert, darf bezweifelt werden, schließlich war es der Sozialdemokrat Heiko Maas, der bei den Gesetzesverschärfungen federführend war.
zum Beitrag02.12.2022 , 16:25 Uhr
Wenn der deutsche Michel nicht gerade den Spaniern die Schuld gibt (so heißt es bei SPON "Spanien, wie kannst Du nur?"), dann liegt es an den Kritikern, die versuchen "dem katarischen Gesellschaftsmodell den Stempel der Rückständigkeit zu verpassen". Dieses Gesellschaftsmodell ist aber nun mal rückständig und das darf man dann auch ansprechen, was jawohl keineswegs heißt, dass damit den westlichen Gesellschaften Absolution erteilt würde. Wenn der Autor die Anliegen selbst für angemessen befindet, warum sollten sie dann nicht geäußert werden? Zudem gab es solche Diskurse nicht nur in Deutschland. Wenn die Politisierung "der Leistung offensichtlich abträglich" war, stellt sich die Frage, weshalb es andere europäische Nationalmannschaften gab, die nicht derart vergeigt haben. Die Kritiker galten schon immer als das spaltende Element in der eigentlich so harmonischen deutschen (Volks-)Gemeinschaft. Da ist der Sport halt nur die Projektionsfläche für die kollektivnarzisstische Deutschtümelei.
zum Beitrag28.11.2022 , 14:56 Uhr
Wenn es so einfach wäre, hätten wir das Problem schon lange gelöst.
zum Beitrag27.11.2022 , 19:59 Uhr
Nun macht der Böhmermann aber Satire, während Poschardt, Dobrindt und Lehfeldt diesen Unsinn tatsächlich ernst meinen. Das ist doch wohl ein gewaltiger Unterschied. Böhmermann kann den Spieß überhaupt nur umdrehen, weil die Parallelen, die zwischen RAF und Letzter Generation gezogen werden, an genauso hanebüchenen Argumenten festgemacht werden. Lehfeldt zufolge sind RAF und LG beide aus sozialen Bewegungen hervorgegangen. Eine brillante Analyse, warum hat darüber noch niemand eine Dissertation verfasst? Solchen Nonsens verbreiten die und schämen sich vermutlich noch nicht mal dafür. Sonderlich lustig fand ich die Folge im Übrigen auch nicht. Dass der öffentliche Diskurs sich mal wieder auf einem erschreckenden Niveau bewegt, wurde trotzdem aufgezeigt.
zum Beitrag20.11.2022 , 20:22 Uhr
Die Kritik, dass "im Namen von Pragmatismus, Stabilität und Renditen über fundamentale Menschenrechte hinweggesehen wird", hätte M. Amjahid auch ohne Zynismus und Misanthropie vorbringen können. Die angesprochenen Probleme sind nicht von existentiellem Charakter, sondern Symptome der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft. Wir können den Planeten retten und zugleich eine Gesellschaftsform erschaffen, in der es nicht mehr primär um die Verwertung des Werts geht. Das ist möglich, auch beides zusammen. Da muss man nicht gleich zynisch werden.
zum Beitrag12.11.2022 , 18:24 Uhr
Richtig ist an der Argumentation von Ulrike Herrmann, dass Kapitalismus notwendigerweise Wachstumszwang beinhaltet. Richtig ist auch, dass wir dem Kapitalismus die ökologische Krise zu verdanken haben. Das heißt aber nicht, dass wir den Klimawandel nicht auch innerhalb des Kapitalismus aufhalten können. Es fehlt bei der Argumentation der Zwischenschritt, nämlich das spezifische Naturverhältnis, das mit dem Kapitalismus einhergeht. Und dieses extrem zerstörerische Naturverhältnis besteht solange der Kapitalismus besteht. Vielleicht werden wir den Klimawandel innerhalb dieses Systems aufhalten können, an dem zerstörerischen Verhältnis zu unserer Umwelt ändert sich dann aber trotzdem nicht allzu viel. Es ist also durchaus möglich, dass wir den Klimawandel in den Griff bekommen und den Planeten trotzdem zerstören.
zum Beitrag10.11.2022 , 12:50 Uhr
Autoritäre Charakterdispositionen entstehen gerade aus dem Konflikt zwischen permanenter narzisstischer Selbstbesetzung und narzisstischer Kränkung, der darauf zurückzuführen ist, dass die Subjekte für eine Selbsterhaltung verantwortlich gemacht werden, die nicht vollständig ihrer Kontrolle unterliegt. Darin liegt ja gerade das Problem. Was stimmt ist, dass die derart von der Gesellschaft zugerichteten Subjekte mit einer freien Gesellschaft überfordert sein könnten. Das gilt für uns alle, das stellt der gute Adorno sehr deutlich heraus. Dafür gibt es aber keine einfache Lösung. Und den Subjekten noch mehr Verantwortung für etwas aufzubürden, das sich weitgehend ihrer Kontrolle entzieht, ist ganz sicher keine Lösung, sondern wiederholt und verschärft jene psychischen Konflikte, denen das bürgerliche Subjekt ohnehin permanent ausgesetzt ist.
zum Beitrag09.11.2022 , 17:49 Uhr
Sie vermischen da verschiedene Punkte. Dass die Subjekte "ihren Kopf nur zum Haare schneiden" hätten, behaupte ich mit keinem Wort, dass ihr Handlungsspielraum arg beschränkt ist hingegen sehr wohl. Da handelt es sich um verschiedene Aspekte. Ich spreche gewissermaßen von einem Primat von Struktur, jedoch nicht davon, dass die Menschen unansprechbare Automaten seien. Dass in einer postkapitalistischen Gesellschaft "ausschließlich von Mächtigen entschieden" würde, "was gut und richtig ist", bezweifle ich. Das gilt aber auch für den Kapitalismus nicht und eben das ist der Punkt: Kapitalismus ist keine Form von personaler Herrschaft. Das bedeutet nicht, dass vom Kapitalismus nicht bestimmte Menschen mehr profitieren als andere, sondern dass es eben niemanden gibt, der das Ganze steuert.
zum Beitrag09.11.2022 , 15:47 Uhr
Nicht der Vergleich ist das Problem, sondern Gleichsetzung und Relativierung. Und der Nakba-Diskurs strotzt nur so vor Gleichsetzung und Relativierung.
zum Beitrag07.11.2022 , 21:59 Uhr
Die taz scheitert regelmäßig daran die Ambivalenzen solcher Themen kenntlich zu machen. Ich wundere mich ein wenig darüber, dass in diesem Artikel überhaupt nicht auf die gar nicht mal so unvernünftige Grundlage des Vorwurfs eingegangen wird. Diese Protestform kann sehr wohl Menschenleben gefährden. Zumindest auf dieses Potential sollte doch wohl hingewiesen werden, anstatt sich einfach vorbehaltlos auf die Seite der Klimaschützer zu stellen. Das Hinterfragen lohnt sich immer, nicht nur dann, wenn es der Gegenseite gilt. Die Protestform spiegelt die bürgerliche Stoßrichtung der Bewegung wider. Suggeriert wird, dass es primär auf die Subjekte ankommt, nicht auf die entfremdeten Verhältnisse, die den Subjekten bestimmte Handlungsweisen aufnötigen. Zugleich scheint das Wohl jener Subjekte bisweilen vollkommen nachrangig zu sein. Diese problematische Kombination aus methodologischem Individualismus und ethischem Kollektivismus durchzieht weite Teile der politischen Linken. Kenntlich zu machen wäre vor allem das spezifische Naturverhältnis, welches der Kapitalismus mit sich bringt. Der (bisweilen erschreckend straflüstern daherkommende) Appell an die "vereinzelten Einzelnen" (Marx), die doch bitte ihr Verhalten ändern sollen, muss angesichts des "stummen Zwangs der ökonomischen Verhältnisse" (auch Marx) weitgehend folgenlos bleiben. Klimaschutz und die dauerhaft prekäre Selbsterhaltung der Subjekte stehen in Konflikt zueinander. Die pöbelnden Autofahrer, die sich bei den Aktivisten beschweren, weil sie aufgrund von deren Blockaden zu spät zur Arbeit kommen, behalten gegen deren Voluntarismus Recht. Der Funken Wahrheit an der Protestform liegt meines Erachtens darin, dass die Verkrustung des bürgerlichen Subjekts durchaus zur Kenntnis genommen wird. Man muss die Menschen aufrütteln, bevor wir unsere eigene Lebensgrundlage endgültig zerstören. Das scheint mir aber mit dieser Protestform nicht wirklich zu gelingen.
zum Beitrag10.08.2022 , 00:04 Uhr
Es wäre so wichtig, dass dieser Skandal nicht wieder in der Versenkung verschwindet. Da haben diverse Finanzpolitiker von CDU und SPD Gelder im Volumen einer Gesundheitsreform an die übelsten Finanzhasardeure verteilt, und dennoch bekommt das Thema nicht die Aufmerksamkeit, die es verdient. Dass der Teflon-Kanzler Olaf Scholz über die Cum-Ex-Affäre stolpert, kann ich mir aber irgendwie nicht vorstellen.
zum Beitrag08.08.2022 , 15:27 Uhr
Dass aus dem Klassenkonflikt divergierende Interessen resultieren, ist schon klar. Das ist aber in den Strukturen angelegt und ändert sich auch dann nicht, wenn die Protagonisten die Wirtschaftsbücher beiseitelegen und sich anders verhalten. Mir ging es darum, dass in diesem Artikel zwischen selbstbestimmten und entfremdeten ("von oben organisierten") Tätigkeiten unterschieden wird, während letzten Endes gar nicht wirklich an dem vorherrschenden Arbeitsethos gerüttelt wird. Die Wolfschen Forderungen wären auch dann noch problematisch wenn sie nicht von oben kämen. Und das Marxsche Ideal einer nicht entfremdeten Tätigkeit trifft Helmut Höge auch nur bedingt. In dem von Ihnen angesprochenen (und inzwischen gelöschten) Kommentar wurde anerkennend festgestellt, dass Wolfgang Grupp sich noch mit 80 freiwillig ins Büro schleppt. Ich kann daran nichts beeindruckendes finden. Selbst die fungierenden Kapitalisten (zu denen übrigens auch Stefan Wolf zählt), die eben auch anders könnten, arbeiten bis zum Umfallen. Das ist ähnlich absurd wie dass wir sogar in unseren Freizeittätigkeiten irgendwelche Selbstoptimierungszwänge ausagieren.
zum Beitrag07.08.2022 , 16:12 Uhr
Gegenthese I: Stefan Wolf lügt nicht. Diese Typen können in der Regel gar nicht genug arbeiten. Insofern würde ich gar nicht mal ausschließen, dass er mit dem "wir" auch sich selbst meint. Der Unterschied zu den meisten Beschäftigten liegt darin, dass Leute wie Wolf auch anders könnten.
Gegenthese II: ein nicht entfremdetes Leben ist im Kapitalismus nicht zu haben.
Davon abgesehen ist der Teil über die RAF, Schleyer und Rohwedder ziemlich problematisch. Das mit der "Namensmagie" ist hoffentlich nicht ernst gemeint, sicher bin ich mir aber nicht.
zum Beitrag06.08.2022 , 00:40 Uhr
Ich wage zu bezweifeln, dass die Theorieschwäche des Rechtsextremismus am „Fehlen jüngerer einschlägiger Intellektueller“ liegt. Da handelt es sich doch wohl eher um ein inhaltliches Problem. Das Problem spiegelt sich auch in den Schriften von Theoretikern wie Schmitt oder Jünger wider. Allzu viel geben die nicht her.
zum Beitrag04.08.2022 , 17:44 Uhr
Die Formulierung "kapitalistische Schwule" impliziert, dass "kapitalistisch sein" eine Eigenschaft wäre, die nur manchen Menschen zukommt. Kapitalismus ist aber keine Form von personaler Herrschaft, die vom Handeln einzelner Personen abhängt. Ich bin zwar Antikapitalist, reproduziere den Kapitalismus aber fortwährend durch mein Handeln, so wie alle anderen auch. Dem kann ich mich als Individuum schwerlich entziehen, schließlich hängt meine Selbsterhaltung davon ab.
Davon abgesehen verweist schon die Kategorie "Identität" auf ein "wahnsinnig kapitalistisches Mindset". Adorno hätte das ein "Ticket" genannt: Identitätsdenken ist Schubladendenken. Nun müssen emanzipatorische Bewegungen gezwungenermaßen eine Art von positiver Identität ausbilden. Das erklärt aber nicht wie eine Kategorie wie die Identität zu solcher Bedeutung gelangen konnte. Umso schlimmer wenn Menschen sich dann irgendwann fragen: "Bin ich queer genug?" Jenseits der endlosen Debatten, in denen Emanzipation überwiegend als Ich-Technik thematisiert wird, wäre es mal ganz spannend zu erörtern weshalb wir uns heute permanent mit der Frage "Wer bin ich?" beschäftigen. Vielleicht hat auch das etwas mit dem Kapitalismus zu tun.
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