Die AfD und die Identitären: Ein Feigenblatt

Ein AfD-Bundestagsabgeordneter stellt einen langjährigen Identitären ein. In der Partei scheint das niemanden zu stören. Trotz Unvereinbarkeitsliste.

AfD-Rechtsaußen Björn Höcke spricht Ende Juli bei einem Parteitreffen in Magdeburg

Unter seinem Einfluss immer radikaler: AfD-Rechtsaußen Björn Höcke, hier Ende Juli in Magdeburg Foto: Annegret Hilse/reuters

BERLIN taz | Angesichts der Radikalisierung der AfD ist die Unvereinbarkeitsliste zu rechtsextremen Organisationen schon länger wenig mehr als ein Papiertiger. Das jüngste Beispiel: Björn Höcke huldigte öffentlich Frank Haußner, der in Thüringen häufig Demos organisiert und bekennender Bewunderer des mutmaßlichen Reichsbürger-Putschisten Prinz Reuß ist. Zur Erinnerung: Dessen Gruppe plante mutmaßlich, unter anderem mit einem KSK-Soldaten und Waffengewalt den Bundestag zu stürmen und hatte bereits mithilfe einer ehemaligen AfD-Bundestagsabgeordneten den Bundestag und das Regierungsviertel besichtigt und dabei Videos gedreht.

Dass zivilgesellschaftliche Recherche-Initiativen ausdauernd auf Kontakte der Thüringer AfD zu Reichs­bür­ge­r*in­nen aus exakt diesem Umfeld hinweisen, scheint Höcke aber im Gegenteil geradezu Ansporn zu sein. Demonstrativ erneuerte er bei einem Auftritt in Heiligenstadt Ende August den Schulterschluss mit Haußner auf einer Demo: „Wir sind gemeinsam die Volksopposition für Deutschland! Deswegen war es mir wichtig, den Frank Haußner mitzubringen.“ Höcke bedankte sich für sein „Engagement bei den Freiheitskämpfern auf der Straße“.

Ähnliches gilt aber auch für die Personalpolitik von AfD-Abgeordneten, etwa bei Personen, die sich in extrem rechten Gruppierungen organisieren, etwa der Identitären Bewegung: So befindet sich der Name der Organisation zwar weiter offiziell auf der Unvereinbarkeitsliste der AfD, trotzdem beschäftigt der Bundestagsabgeordnete René Springer nach taz-Informationen Jonas Schick, der aus der Identitären Bewegung stammt. Mittlerweile inszeniert sich der rechtsextreme Aktivist als rechtsintellektueller Nachwuchs der neuen Rechten. Er gibt beispielsweise die neurechte Zeitschrift Die Kehre heraus und schreibt reaktionäre Aufsätze für die Zeitschrift Sezession des rechtsextremen Strategen Götz Kubitschek.

Seine Zeitung, die Ökologie als Thema von rechts besetzen will, bekommt höchste Weihen auch aus der AfD. Ein Interview mit Höcke findet sich dort neben Beiträgen des ehemaligen Brandenburger AfD-Pressesprechers Jörg Dittus. Unterstützung bekommt Schick für sein Magazin von Götz Kubitschek und seinem rechtsextremen Institut für Staatspolitik in Schnellroda. In gemeinsamen Talkformaten diskutieren Schick, Kubitschek und Co. etwa die Thesen des finnischen Ökofaschisten Pentti Linkola, der „Überbevölkerung“, also das „Übermaß an Leben“ durch ein „Übermaß an Tod“ ausgleichen wollte und auch Völkermord für den Naturschutz befürwortete. Schick immerhin findet es zu radikal, die Weltbevölkerung mit einem großen Sprung auf zwei Milliarden zu dezimieren.

„Natur- und Heimatschutz“

Ansonsten verknüpft das von Schick herausgegebene Magazin auch in historischer rechter Tradition „Natur- und Heimatschutz“ mit völkischer Romantik. Man will die Klimakrise im Umfeld von Identitärer Bewegung, AfD-Jugend und Schnellroda für sich nutzbar machen und problematisiert dabei „Überbevölkerung“ statt Klimagase. Der Name „Die Kehre“ bezieht sich auf den antisemitischen Philosophen Martin Heidegger und dessen Essay „Die Technik und die Kehre“ – er lehnte die Moderne ab und sah im Nationalsozialismus die Möglichkeit einer Umkehr.

Die Inhalte sind entsprechend reaktionär und illiberal: Es gehe um „einen Weg vom Ende der europäischen Geschichte zurück zu ihrem Anfang“, wie Schick in seinem ersten Vorwort schrieb. Das „antifaschistische pressearchiv und bildungszentrum berlin“ apabiz, das eine Broschüre zum Thema herausgegeben hat, beschrieb Die Kehre in der Tradition des NPD-nahen Ökomagazins Umwelt & Aktiv – eine Reihe von Kehre-Autoren spielten auch in der NPD-Publikation schon eine Rolle. Das Magazin weise eine gewisse Nähe zu klassischer Blut-und-Boden-Ideologie und neonazistischen Konzepten von der ethnopluralisitischen Imagination von „Lebensraum“ als eine Art von Biotop für jede „Ethnie“ auf – ideologisch ein nahtloser Übergang zur Identitären Bewegung.

Der Fall zeigt einmal mehr, wie extrem rechte Gruppierungen an Einfluss auf die AfD gewinnen. Der neurechte Thinktank des Ideologen Götz Kubitschek bleibt zwar eine prätentiöse Bubble von mehr oder weniger verkappten Rechtsintellektuellen, aber mittlerweile sitzen dessen Demagogen eben durch die AfD an Schaltstellen in Bundestagsbüros und versuchen, von dort aus auf den Diskurs zu wirken.

Ausweichende Antworten

Der Bundestagsabgeordnete René Springer will auf Anfrage der taz nicht beantworten, ob er vor der Einstellung von Schick von dessen Engagement bei der Identitären Bewegung gewusst hat. Ebenso wenig wie seine Personalpolitik zur Unvereinbarkeitsliste der eigenen Partei passe. Eingestellt habe er Schick, gerade weil ihn das Magazin Die Kehre beeindruckt habe, sagt Springer der taz. Er schätze Schicks „Intellektualität und seine Haltung in politischen Fragen“. Die Kehre beziehe Springer selbst im Abo – „um das Vorfeld zu stärken“, wie er sagt. Also jene extreme Gruppierungen, die der AfD ideologisch nahestehen.Ob es innerparteiliche Kritik an der Einstellung gegeben habe, will Springer ebenfalls nicht beantworten. Schick selbst antwortete nicht auf taz-Anfrage.

Bereits kürzlich ist öffentlich geworden, dass der Thüringer Abgeordnete Jürgen Pohl den völkisch-nationalistischen Nachwuchsideologen Benedikt Kaiser eingestellt hat, der den auch von Höcke propagierten „solidarischen Patriotismus“ proklamiert und ebenfalls Stammautor bei der Kehre ist. Kaiser stammt aus der Kameradschaftsszene in Sachsen und war unter anderem auch in Neonazi-Strukturen aktiv – unter anderem bei den „Nationalen Sozialisten Chemnitz“. Auch Pohl pries daraufhin demonstrativ dessen Intellektualität, direkte Kritik an dessen Einstellung habe es nicht gegeben.

Kritiker dieser Grenzverwischung innerhalb der AfD äußern sich kaum mehr öffentlich. Vermutlich haben einige noch im Hinterkopf, was zuletzt passierte, als es eine innerparteiliche Auseinandersetzung um Jonas Schick gab. Erika Steinbach, AfD-Mitglied seit Anfang 2022 und Vorsitzende der Erasmus-Stiftung, distanzierte sich deutlich von einer Veranstaltung von der nur gleichnamigen Erasmus-Stiftung Schleswig-Holstein – eben weil jener Schick als Redner auftreten sollte, dessen Positionen sie „indiskutabel“ nannte. Ebenso kritisierte sie das Institut für Staatspolitik, weil dort NPD-Kader ein und aus gingen, wie Steinbach sagte. Sie erntete dafür einen rechten Shitstorm, sogar ein Mitglied des Bundesvorstand ergriff Partei für den langjährigen Identitären Schick.

Die vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestufte Identitäre Bewegung umfasste laut Jahresbericht 2022 bundesweit rund 500 Mitglieder. Ihre politischen Ziele sind ein ethnisch und kulturell homogener Staat, in dem allein die ethnische Herkunft über die Zugehörigkeit zum deutschen Volk entscheidet, Minderheiten werden entsprechend abgewertet, die Kernprinzipien des Grundgesetzes wie die Unantastbarkeit der Menschenwürde entsprechend abgelehnt.

Kaum verhohlene Umsturzfantasien

Das in der AfD immer häufiger benutzte Schlagwort „Remigration“ ist ein Buzzword der Identitären Bewegung, das nicht zuletzt gerne von AfD-Politikern wie Höcke benutzt wird und letztlich realpolitisch wohl nichts anderes als gewaltsame Deportationen bedeuten würde. Zuletzt wurde es laut von der Parteitagsbühne der Europakandidatin Irmhild Boßdorf gerufen, deren Tochter ebenfalls in der Identitären Bewegung aktiv war, dort mittlerweile die antifeministische Splittergruppe „Lukreta“ gegründet hat.

Öffentlichkeitswirksame Aktionen der Identitären Bewegung wurden in den letzten Jahren allerdings seltener – dafür rückten viele zahlreiche Akteure der Bewegung noch näher an die AfD heran – oder wie Schick direkt in ein AfD-Bundestagsbüro. Identitäre kamen zuletzt auch bei rechtsextreme Medien oder anderen rechtsextremen Organisationen wie Ein Prozent unter. Derzeit sammelt die Identitäre Bewegung gerade Spenden für ihr Konto bei der Sparkasse Paderborn-Detmold, nachdem es Hausdurchsuchungen wegen Volksverhetzung und Nötigung nach einer Aktion vor einer Flüchtlingsunterkunft im bayerischen Peutenhausen mit einem rassistischen Banner und Pyrotechnik gegeben hat.

Im deutschsprachigen Raum gilt der Österreicher Martin Sellner als Kopf der Identitären. Der hat sich zwar zuletzt offiziell von aktivistischen Aktionen losgesagt, fokussiert sich mittlerweile auf propagandistische Publikationen. Seine kaum verhohlenen Umsturzabsichten veröffentlichte er mittlerweile auch in Buchform in Schnellroda – zuletzt etwa mit der Publikation „Regime Change von rechts“.

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