Nach dem AfD-Sieg in Sonneberg: Nicht nur auf die Blauen starren

Bei der Diskussion um die AfD in Sonneberg wird zu sehr auf die geschaut, die die Demokratie zerreißen. Andere hätten mehr Aufmerksamkeit verdient.

Ein Mann in einem engen Gnzkörperanzug mit AfD-Logo

Die blauen Männchen wollen den Diskurs verschieben, hier auf einer Wahlkampfveranstaltung 2021 Foto: Michael Danner

Plötzlich sind wieder alle schockiert. Nachdem der rechtsextreme Politiker Robert Sesselmann von der AfD im thüringischen Sonneberg am vergangenen Sonntag die Landratswahl mit 52,8 Prozent gegen einen CDU-Kandidaten gewann, ist der Aufschrei groß. Von Zeitungen über TV-Sendungen bis hin zu den sozialen Medien – überall liest man Erschrecken, Entsetzen, Überraschung.

Dabei kommt dieser Wahlsieg nicht aus dem Nirgendwo. Die AfD in Thüringen mit ihrem Vorsitzenden Björn Höcke ist stramm rechtsextrem, das weiß sogar der Verfassungsschutz. Nur: Für viele Menschen ist das kein Hindernis, sondern der Hauptgrund, sie zu wählen. Das zeigen auch aktuelle Umfrageergebnisse oder ein Video, in dem ein Mann sich die NSDAP zurückwünscht. Es kursierte kurz vor der Wahl.

Das öffentliche Versagen liegt nicht etwa in der mangelhaften Analyse dieser Partei oder der zunehmenden Verrechtung der Gesellschaft – sei es die Asylgesetzverschärfung, der Umgang mit rechtem Terror oder die unsoziale Sozialgesetzgebung. Auch über die Besonderheit Ostdeutschlands in dieser Gemengelage reden viele Menschen schon lange – mal mehr, mal weniger klug.

Nein, unser Versagen als Gesellschaft liegt darin, dass wir zu wenig Fokus auf emanzipatorische, solidarische, demokratische Positionen lenken. Es gibt viele engagierte Menschen in Thüringen, die tagtäglich um die Demokratie im Freistaat ringen und sich mit standhaftem Engagement für eine offene Gesellschaft einsetzen. Aber wir lassen sie zu sehr alleine.

Wir lassen die Engagierten alleine

Auch wir, als Journalist*innen. Immer wieder sucht die Zivilgesellschaft händeringend nach der Aufmerksamkeit der Medien. Wenn sie unter Beschuss stehen, wenn CDU und AfD ihnen Fördergelder kürzen wollen, wenn sie rechtsextreme Gewalt erfahren. Für die meisten Medien ist das aber weniger berichtenswert als das zehntausendste Porträt über den Faschisten Björn Höcke.

Ex­per­t*in­nen warnen seit Jahren vor der steigenden rechtsextremen Hegemonie, die sich vor allem in Ostdeutschland abzeichnet. Sie war seit den 90er Jahren ohnehin nie wirklich weg, breitet sich aber immer weiter aus. Wir wissen, dass rechte Kräfte hier ein Experimentierfeld für Politikgestaltung haben, ob im Geraer Stadtrat oder im Sonneberger Landrat. Und wer in Sachsen, Thüringen oder Brandenburg lebt, den überrascht dieses Wahlergebnis nicht.

Aber: Die Gesellschaft ist vielschichtiger, als viele Analysen es abbilden.

Demokratische Kultur stärken

Es ist unsere Aufgabe als Presse, diese Vielschichtigkeit zu zeigen und damit die demokratische Meinungsbildung zu fördern. Klar ist es wichtig, diese Verschiebungen mit Argusaugen zu beobachten und darüber zu informieren. Was aber zu kurz kommt: dass es zahlreiche Menschen gibt, die sich Rechten in den Weg stellen, eigene solidarische Alternativen schaffen und die demokratische Kultur stärken.

Wir brauchen mehr Aufmerksamkeit für diese Menschen. Kontinuierlich. Langfristig. Nicht immer nur dann, wenn Jour­na­lis­t*in­nen aus den deutschen Großstädten mal wieder in „den Osten“ fahren, um zu zeigen, wie schlimm dort alles ist.

Wir sollten diesen Menschen mehr zuhören, sie ermächtigen, den Fokus verschieben. Denn diese Stimmen sind es, die wir brauchen, um Schlimmeres zu verhindern.

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Sarah Ulrich arbeitet als freie Reporterin vor allem zu den Schwerpunkten Machtkritik und -missbrauch, Rechte Gewalt, Soziale Bewegungen und Feminismus.

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