Žižek auf der Frankfurter Buchmesse: Diskutieren gerne mit Wenn und Aber

Der Philosoph Slavoj Žižek sorgte für Tumulte mit seiner Rede. Die Reaktionen darauf zeigen, wie sich der Diskurs in Deutschland geändert hat.

Slavoj Zizek bei einer Rede.

Slavoj Zizek am 17. Oktober bei seiner Rede bei der Frankfurter Buchmesse Foto: Arne Dedert/dpa/picture alliance

Der bisher beste Satz auf der Buchmesse lautet: „Warten Sie mal mit dem Beifall, hinterher werden Sie vielleicht doch nicht applaudieren.“ Gesagt hat ihn der slowenische Philosoph Slavoj Žižek, der als Vertreter des Ehrengasts der Buchmesse die Ehre hatte, die Eröffnungsrede zu halten.

Genau genommen war es Žižeks erster Satz, als er auf die Bühne kam und damit schon von Beginn an relativieren wollte, was er zu sagen hatte. Relativieren war auch das Thema seiner Rede. Und der Vorwurf seiner Kritiker.

„Ich verurteile den Angriff der Hamas auf die Israelis bedingungslos ohne Wenn und Aber, und ich gebe den Israelis das Recht, sich zu verteidigen und die Bedrohung zu zerstören“, sagte Žižek eingangs. Das „Aber“ folgte auf dem Fuß: „Aber ich habe etwas Merkwürdiges festgestellt: Sobald man sagt, es ist notwendig, den komplexen Hintergrund zu analysieren, wird man verdächtigt, den Terror der Hamas zu unterstützen oder zu rechtfertigen.“ Dieses „Analyseverbot“ gehöre zu einer Gesellschaft, die „wie eine Wabe“ strukturiert sei.

Damit­ spielte er auf das Motto des Gastlands an, das in großen Lettern hinter ihm an der Wand prangte: „‚Waben der Worte‘– welcher Idiot hat sich diesen Slogan ausgedacht. Die Wabe ist ein Symbol für eine totalitäre Gesellschaft, in der Frauen sexuell kastriert werden. In einer solchen Gesellschaft möchte ich nicht leben.“

Der Vorwurf an die liberalen Gesellschaften, im Kern totalitär zu sein, wurde aber weder im Publikum noch in den Tagen danach empört diskutiert. Sondern, ob Žižek den Terror der Hamas und ihrer Sympathisanten relativiert habe. Für Protest im Saal sorgten Passagen wie, man müsse „die Verteidigung der Rechte der Palästinenser und den Kampf gegen Antisemitismus“ zusammendenken. Der hessische Antisemitismusbeauftragte Uwe Becker unterbrach die Rede mehrfach und warf ihm vor, den Terror der Hamas mit dem, was in Israel los ist, zu vergleichen. Žižek: „Ich vergleiche nicht.“ Becker: „Das ist Relativismus.“ Wieder Žižek: „Das ist kein Relativismus.“

Die Rede war keine große

Man musste auch etwas lachen angesichts dieser altbekannten Sackgassensituation.

Žižeks Rede war keine große. Dazu fehlte wirkliche Größe. Die hätte darin bestanden, nicht nur das „Analyseverbot“ seitens derer, die die bedingungslose Solidarität mit Israel einfordern, anzuklagen – was richtig ist. Zu einer wirklich großen Rede hätte gehört, auch das „Analyseverbot“ seitens derer anzuklagen, die über Israel immer nur als Terrorstaat sprechen und sich weigern, mit Israelis auf einer Bühne zu sitzen.

Der Auftritt Žižeks erinnert an eine andere berühmte Rede auf der Frankfurter Buchmesse: die von Martin Walser 1998 in der Paulskirche. Walser sprach darin von ­Auschwitz als „Moralkeule“ und der „Monumentalisierung der Schande“. Das Publikum applaudierte, gab Standing Ovations, nur einer blieb sitzen: Ignatz Bubis, Vorsitzender des Zentralrats der Juden. Er hatte die antisemitischen Ressentiments in der Rede sehr wohl verstanden.

Die Reaktionen auf die Rede von Žižek zeigen, wie sich der Diskurs in Deutschland geändert hat. Der Antisemitismusbeauftragte und größere Teile des Publikums wollten nicht die gleichen Bilder produzieren wie damals in der Paulskirche. Damit möchte ich aber Walsers Rede keinesfalls relativieren.

Denn Žižek hat wirklich einen Punkt, dem am Ende der Veranstaltung noch mal unfreiwillig ein Beleg verschafft wurde. „Mit einer Ablehnung des Wortes ‚Aber‘ eröffne ich die Frankfurter Buchmesse“, hatte die Vorsteherin des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels die diesjährige Eröffnungszeremonie beendet. Als hätte Žižek ihr die Worte in den Mund gelegt, um seinen Vorwurf „Analyseverbot“ zu bekräftigen.

Über diesen Vorwurf muss man diskutieren. Und gern mit Wenn und Aber.

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Seit 2012 Redakteurin | taz am Wochenende. Seit 2008 bei der taz als Meinungs, - Kultur-, Schwerpunkt- und Online-Redakteurin, Veranstaltungskuratorin, Kolumnistin, WM-Korrespondentin, Messenreporterin, Rezensentin und Autorin. Ansonsten ist ihr Typ vor allem als Moderatorin von Literatur-, Gesellschafts- und Politikpodien gefragt. Manche meinen, sie kann einfach moderieren. Sie meint: "Meinungen hab ich selbst genug." Sie hat Religions- und Kulturwissenschaften sowie Südosteuropäische Geschichte zu Ende studiert, ist Herausgeberin der „Jungle World“, war Redakteurin der „Sport-BZ“, Mitgründerin der Hate Poetry und Mitinitiatorin von #FreeDeniz. Sie hat diverse Petitionen unterschrieben, aber noch nie eine Lebensversicherung.

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