Beschlossene Cannabis-Legalisierung: Niemand muss nüchtern sein

Trotz geplanter Cannabis-Legalisierung verbreiten Lobbys Panik. Dabei weiß jeder klare Kopf: Wir sollten alle Drogen legalisieren.

Bunter Rauch vor schwarzem Hintergrund

Niemand wird aus Spaß abhängig Foto: Everyonephoto/imago

Schon wieder diskutieren wir über die bereits beschlossene Legalisierung und angeblichen Gefahren von Cannabis. Der Spiegel hat eine Studie veröffentlicht, nach der 45 Prozent der Befragten gegen eine Legalisierung sind. Der Richterbund verbreitet Panik und warnt vor einem völlig spekulativen Konsum-Zuwachs unter Jugendlichen.

Ärgerlicherweise gibt Gesundheitsminister Lauterbach diesen Kritikern implizit recht. Aus seinem Haus kommt ab Mittwoch eine Kampagne, die vor behaupteten Gefahren von Cannabis warnen soll. Diese hysterische und an der Realität komplett vorbeigehende Debatte ist Ausdruck des typisch deutschen Paternalismus. Wir entscheiden, was für euch gut ist.

Lasst die Menschen doch selbst entscheiden, ob sie nüchtern sein wollen oder nicht, wie oft und wie schwer sie dem Rausch nachgehen. Die Menschen sind mündig, sie können selbst über ihren Körper und ihre Neurochemie bestimmen. Wir sollten alle Drogen legalisieren, ob weich oder hart.

Die Argumente dafür sind hinreichend bekannt: Durch bessere Qualität des Stoffes und offenere Diskussionen über Harm Reduction gibt es weniger Tote, weniger gesundheitliche Schäden. Auch Kriminalität und Gewalt würden bekämpft. Es ist absurd: Während die Republik über aufgebauschte und rassistisch grundierte „Clankriminalität“ diskutiert, soll ausgerechnet die Legalisierung von Drogen, die den wirklich gefährlichen kriminellen Organisationen wie der kalabrischen N’drangheta, mexikanischen Drogenkartellen oder in der Sahara drogenschmuggelnden Islamisten den Markt vermiesen würden, des Teufels sein.

Bessere Mittel gegen Drogensucht

Die meisten, die Drogen konsumieren, verpfuschen ihr Leben nicht, ebenso wenig wie die allermeisten Biertrinker. Und was heißt schon ein verpfuschtes Leben? Ich persönlich finde ein heterosexuelles Häuslebauer-Life in einer miefigen Vorstadt mit zwei Autos und jährlichem Malleurlaub auch verpfuscht, aber im Gegensatz zu den Kleinfamilien-und Arbeit-über-alles-Ultras habe ich keine Allüren, jemandem aufzuzwingen, wie sie leben sollen.

Warum wollen Menschen sich betäuben? Übermäßiger Konsum von Drogen oder Alkohol ist in erster Linie Symptom, von Trauma, Überforderung, Leistungsdruck. Niemand wird aus Spaß abhängig. Obdachlose sind nicht auf der Straße, weil sie drogenabhängig sind, vielmehr werden sie abhängig, um körperliche Schmerzen und Demütigungen zu ertragen, die Obdachlosigkeit mit sich bringt. Dieser Probleme wird man nicht Herr, indem man Betäubungsmittel verbietet, sondern die Ursachen für den Schmerz bekämpft.

Mietpreisdeckel, hohe Mindestlöhne, großzügige Sozialleistungen, einfacher Zugang zu Psychotherapie wären die besten Mittel gegen Drogensucht. Auch andere Mittel sind erprobt: Wer sich über Junkies im Viertel aufregt, sollte sich am besten für eine staatliche Abgabe des Stoffes an Süchtige einsetzen, wie es in der Schweiz schon seit 30 Jahren mit großem Erfolg praktiziert wird.

Die Argumente gegen eine Legalisierung aller Drogen sind völlig inkohärent. Wer gegen Rausch ist, müsste der Stringenz zuliebe auch ein Verbot von Alkohol fordern. Die Folgen von Alkoholkonsum kosten die Gesellschaft horrende Summen, weit mehr als andere Drogen. Von Alkohol sind in Deutschland Millionen Menschen abhängig, von anderen Drogen nur ein Bruchteil davon. Ich höre schon empörte Leser: Drogen und Alkohol sind doch nicht dasselbe! Ein Joint, eine Line, ein Schuss, das ist schmutzigste Dekadenz, aber ein Glas Wein ist uralte Genusstraditionen.

Vorreiter im internationalen Trend

Nun: Konsum von Opium oder Kokablättern ist seit tausenden Jahren belegt. Modernes Heroin wurde 1898 patentiert, von Bayer. Heroin ist also wie Kokain, das ab 1862 von Merck frei verkauft wurde, ein deutsches Traditionsprodukt.

Die an Hysterie grenzenden Warnungen vor Drogen beschreiben nicht die Situation nach einer Legalisierung, sondern den Ist-Zustand, die Prohibition. Studien zeigen, dass kaum mehr Menschen abhängig werden, wenn der Zugang zu Drogen offen möglich ist. In Portugal und Tschechien, wo der Besitz kleiner Mengen schon länger legal ist, werten die Behörden den liberalen Weg als Erfolg. Die Zahl der Toten durch Überdosis in beiden Ländern sank drastisch.

In Tschechien soll Cannabis ab 2025 legal sein, auch in der Schweiz gibt es einen Parlamentsbeschluss. Deutschland wäre also keine ­Cannabis-Paradies-Insel mitten in Europa, sondern ausnahmsweise Vorreiter im internationalen Trend. Uruguay erlaubt den Besitz und ­Konsum von Cannabis bereits seit 2013, Kanada seit 2018, Thailand seit 2022, und auch in einzelnen ­US-amerikanischen Bundesstaaten wie Washington oder Colorado gibt es seit der Legalisierung gute Erfahrungen.

Also Deutschland, sei mutig, sei ehrlich zu dir selbst. Nüchtern bist du ohnehin nicht, das beweist jedes Dorffest, eine Clubnacht in Berlin oder München im Oktober.

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